Kunst-Fehler

Was in einem Wartezimmer an der Wand hängt, sagt einiges aus - über den Arzt, nicht über seine Diagnose.

Wenn er könnte, wie er wollte, würde er sich rein aufs Fachliche konzentrieren. Aber der Arzt der Gegenwart muss unternehmerisch denken, sonst läuft die Praxis nicht. Also muss er seinem Patienten etwas bieten: Wohlfühlatmosphäre schaffen, für Erlebniswerte sorgen, in die Gestaltung des Wartezimmers investieren. Es ist der Raum, in dem sich der Patient seinen allerersten Eindruck bildet, da kann man vieles falsch machen. Richtig ist: Stühle mit Armlehnen, damit der Abstand gewahrt bleibt, eine professionelle Lichtsetzung, die Kranke nicht so elend aussehen lässt, wie sie sich fühlen, ein Lesezirkel-Mix, durch den sich auch die kultivierteren Stände angesprochen fühlen (Inneneinrichtung, Genussreisen etc.), psychologisch abgesicherte Wandfarben. Zu viel Weiß zieht die Atmo ins allzu Klinische, empfehlenswert sind vitalisierende Töne zwischen Sorbet und Pastell. Mittlerweile gibt es auch Wartezimmer-TV mit beruhigenden Natur- und Tierfilmen und Modulen, die über die zusätzlichen IGe-Leistungen im Praxisangebot informieren, gute Sache, aber mancher fühlt sich davon bedrängt. Nicht vergessen: Hin und wieder Zufriedenheitsfragebögen im Wartezimmer auslegen, das gibt den Patienten eine Beschäftigung sowie das Gefühl, dass sie im Mittelpunkt der ärztlichen Anstrengung stehen.

Wenn alles fertig ist, bleibt immer noch die Frage: Welche Bilder sollen an die Wände? Lässt sich ja nicht vermeiden, auch wenn es sich um eine Arztpraxis handelt, nicht um eine Galerie. Denn der Patient besteht darauf, dass man sich über die medizinische Dienstleistung hinaus für ihn anstrengt und in sein Wohlbefinden investiert. Außerdem gibt es diese Studien, die statistisch abgesichert belegen, wie sehr Kunstexposition den Genesungsprozess fördert.

Das Problem ist: Was medizinisch interessant wäre - Kupferstiche mit Motiven aus den Epochen vor der minimalinvasiven Chirurgie oder die Körperlandschaften eines Lucian Freud -, geht gar nicht. Ebenso wenig wie abstrakte Kunst. Schließlich hat der Mann, der auf die Besprechung seiner Blutwerte wartet, gefährlich lange Zeit, abstrakt expressionistische Farbspritzer falsch auszulegen. Als Frauenarzt könnte man sich wenigstens Mutterkitsch hinhängen, matriarchale Naturgöttinnen in Erdtönen. Auch als Kinderarzt wäre man fein raus: ein paar niedliche Kinderzeichnungen, und die Sache hat sich. Aber was bitte sollte sich ein Urologe an die Wand hängen? Wolkenkratzer?

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Sicher, man könnte die Tochter um ein paar der Streetlife-Bilder angehen, die sie mit ihrer Digikamera macht. Oder einen dieser B-Künstler anmailen, die im Internet ihre Original-Arztpraxis-Gemälde anbieten. Doch damit würde man sich wieder nur in eine Abhängigkeit begeben. Weil der Künstler sicher wissen wollen würde, wie die neue Wartezimmerkunst denn ankommt. Als ob man Zeit hätte, sich dafür zu interessieren.

Deswegen läuft es doch wieder auf Klassiker raus. Laut der Kunst-Edition des Deutschen Ärzte-Verlages gehen Picasso und Chagall am besten. Und neuerdings Armin Mueller-Stahl. Immer schon beliebt: Vincent van Gogh. Die Sternennacht, 350 Euro im hochwertigen Kunstdruck. Immerhin ein Schlüsselwerk der Moderne, kennt jeder, tut keinem weh. Und verfänglich ist daran nichts, medizinisch gesprochen. Es sei denn, man macht Hals, Nasen, Ohren.

Illustration: La Tigra