Paris, Montmartre im Mai. Die Bordsteinmaler stehen auf der Place du Tertre und zeichnen japanische Touristen. Viel ist nicht geblieben von Ruhm und Ruch des Künstlerviertels, in dem Renoir und Van Gogh wohnten und Picasso ein Atelier hatte.
Wenige Straßen weiter sitzt die berühmteste Überlebende der Kunstgeschichte in ihrem Atelier: rotes Kleid, Pagenkopf, über den wachen Augen die berühmten Zirkumflex-Brauen, von denen Matisse so schwärmte.
Das ist die Malerin Françoise Gilot. Jeder kennt das Foto, auf dem Pablo Picasso schützend einen Sonnenschirm über sie hält. Sie ist mittlerweile 90 Jahre alt. Gemessen an der zierlichen Figur sind ihre Hände kräftig.
Malen ist Arbeit, und sie malt immer noch jeden Tag.
SZ-Magazin: Madame Gilot, Sie waren zehn Jahre lang Pablo Picassos Geliebte und Muse, sind außerdem die Mutter seiner Kinder Claude und Paloma. Im Leben Picassos gab es viele Frauen. Für die meisten von ihnen endete die Liebe böse.
Françoise Gilot: Nicht wahr? Marie-Thérèse Walter hat sich erhängt, Jacqueline Roque hat sich erschossen, Olga Chochlowa und Dora Maar sind wahnsinnig geworden. Nur ich bin immer noch das blühende Leben.
In Ihrem Buch Leben mit Picasso zitieren Sie ihn mit den Worten: »Jedes Mal, wenn ich eine neue Frau nehme, sollte ich ihre Vorgängerin verbrennen. Dann wäre ich sie los«.
Pablo sagte, so könne er vielleicht seine Jugend zurückgewinnen. Zwischen uns lagen 40 Jahre, und die Vorstellung, dass ihn eine seiner Frauen überleben könnte, machte ihn rasend. Dabei war er auch im Alter noch unglaublich vital. Zu mir hat er mal gesagt: »Du wirst nicht so lange leben wie ich.«
Und heute sind Sie genau 90 Jahre und sechs Monate alt. Sie stellen in Amerika, Frankreich und Deutschland aus und wirken alles andere als müde. In zwölf Monaten werden Sie länger gelebt haben als Picasso.
Er würde sagen, das ist der Beweis dafür, dass er mich nicht genug hat leiden lassen.
Für ihn gab es nur zwei Arten von Frauen: Göttinnen und Fußabstreifer. In welche Kategorie gehörten Sie für ihn?
Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte: Als ich mit Paloma schwanger war, reiste Pablo zu einem Friedenskongress nach Warschau. Er wollte nur ein paar Tage dort sein und versprach, mir jeden Tag zu schreiben. Stattdessen ließ er seinen Fahrer die Telegramme verfassen und blieb vier Wochen fort. Als er zurückkam, fragte er mich grinsend, ob ich mich freue, dass er wieder da sei. Da habe ich ihm eine Ohrfeige gegeben. Wenigstens dieses eine Mal war ich eine Göttin. Von da an hat er mir jeden Tag geschrieben, wenn er fort war.
Sie haben Picasso als ungeheuer besitzergreifenden Menschen beschrieben. Er wollte, dass Sie einen Schleier und ein langes, schwarzes Kleid tragen, fast wie eine Burka. Warum?
Man könnte sagen, da war er wie ein Taliban. Oder denken Sie an die spanische Inquisition – vergessen Sie nicht, dass die Menschen in Spanien eine Tendenz haben, die Extreme des Sadismus auszuloten. Pablos Sadismus war jedenfalls ein sehr wichtiger Bestandteil seiner Persönlichkeit. Als ich ihm mal halb im Scherz sagte, er sei der Teufel, blickte er mich mit seinen stechenden Basiliskenaugen an und entgegnete: »Und du bist ein Engel aus der Glutzone und damit mein Untertan, ich werde dich brandmarken.« Dann hielt er seine Zigarette nah an meine Wange, aber ich tat ihm nicht den Gefallen, auch nur mit der Wimper zu zucken. Schließlich sagte er, nein, ich will dich ja vielleicht doch noch mal anschauen.
Als Picasso Sie Matisse vorstellen wollte, durften Sie sich ausnahmsweise farbenfroh kleiden.
Ich zog mir eine malvenfarbene Bluse und eine grüne Hose an, weil ich wusste, dass ihm diese Farben gefallen würden, ich kannte ja seine Gemälde. Matisse hatte diesen untergründigen Humor und tat so, als ahne er nichts von unserer Affäre. Er sagte Pablo, er wolle mein Porträt malen, den Körper blau und die Haare grün. Sobald wir wieder im Auto saßen, schimpfte Pablo: »Wie kann er es wagen, dein Porträt malen zu wollen? Das mache ich.« Dabei waren wir da schon drei Jahre zusammen, und Pablo hatte außer einer Lithografie noch nie ein Porträt von mir gemacht.
Wie war das Verhältnis zwischen den beiden wichtigsten Malern ihrer Zeit?
Es war eine Freundschaft. Matisse war ein paar Jahre älter und väterlicher, was Pablo aber nicht missfiel. Er akzeptierte den Unterschied. Matisse witzelte einmal, sie seien wie Nord- und Südpol. Er kam ja aus Nordfrankreich und Picasso aus Südspanien. Darauf sagte Pablo: »Stimmt, ich bin der Südpol, denn der ist kälter.«
Die Gipfeltreffen der zwei Genies scheinen immer großen diplomatischen Aufwand erfordert zu haben. Wie war die Atmosphäre, wenn die beiden sich trafen?
Es wurde wenig gesprochen, sie belauerten sich gegenseitig. Matisse und Picasso hatten das Selbstverständnis von Potentaten. Sie waren die zwei wichtigsten Genies ihrer Zeit, die zwei Hauptsäulen des Tempels. Wir reden immer von einer Republik der Künste, in der jeder gleich ist, aber das entspricht nicht der Realität. Einige sind gleicher als andere in dieser Republik.
Kurz nach Ihrem Treffen mit Matisse malte Picasso Sie als Blume mit blauem Stengel und grünen Blättern. Wie man jetzt in der New Yorker Ausstellung Picasso and Françoise Gilot sehen kann, hat er Sie danach immer wieder porträtiert: als Baum in einer Winterlandschaft oder beim Ringen mit einem großen Hund. Warum haben Sie an seiner Seite gar nicht mehr gemalt?
Weil dafür kein Platz war. Ich wusste, dass ich in seiner Gegenwart nicht zu viel Raum einnehmen durfte. Und Leinwände sind groß, also habe ich nur gezeichnet, solange ich mit ihm zusammenlebte.
Als Sie Picasso sieben Jahre später verließen, prophezeite er Ihnen, dass sich die Leute nur noch seinetwegen für Sie interessieren würden.
Ach, wissen Sie, ich habe ihn 1953 verlassen, also vor bald 60 Jahren, und seitdem habe ich gemacht, was ich will. Zwischen Pablos Werk und meinem gab es eine große Affinität im Stil, das ist richtig. Aber das Gleiche könnte ich von Matisse oder Braque sagen. Ich mag auch die italienische Frührenaissance sehr. In der Malerei haben wir keine Eltern, nur Vorfahren.
Wie kommt es, dass Künstlerinnen oft im Schatten dominierender Männer stehen? Bei der letzten Auktion von Christie’s in New York war das Verhältnis elf zu eins. Das teuerste Nachkriegsgemälde Orange, Red, Yellow von Marc Rothko erzielte 86,9 Millionen Dollar, das teuerste Kunstwerk einer Frau, Louise Bourgeois, dagegen nur 10,7 Millionen.
Es stimmt, dass Frauen weniger Geld für ihre Kunst bekommen. Heute noch werden in den Galerien viel mehr männliche als weibliche Künstler ausgestellt. Aber teilweise sind wir Frauen auch selbst dran schuld. Wir sind immer so narzisstisch, viel mehr als die Männer. Und wir entwickeln zu selten den Mut, wir selbst zu werden und Einschränkungen nicht zu akzeptieren.
Aber gerade Picasso war doch ein ungeheuerer Narzisst.
Er hatte eben auch eine weibliche Seite.
Waren Sie immer eine mutige Frau?
Ja, für ein Gefühl wie Angst war ich nie zugänglich. Als ich 13 Jahre alt war, stand ich auf einem hohen Balkon und jemand rief, ich solle runterspringen. Also sprang ich und habe mir den Fuß gebrochen. Aber ich bin gesprungen. Wenn man mich provoziert, dann reagiere ich: Volle Kraft voraus! Meine Eltern wollten immer einen Sohn, stattdessen bekamen sie mich. Und so musste ich meinen Körper und meinen Geist wie ein Junge entwickeln. Schon früh haben sie mit Sportarten wie Reiten, Skifahren und Schwimmen meinen Mut gefördert. Das hat mir geholfen, mein Selbstbewusstsein zu entwickeln und keine Angst zu haben. Später haben meine Eltern es bereut, denn ich hatte auch vor ihnen keine Angst mehr.
Ihr Vater bestand darauf, dass Sie Jura studieren. Wie haben Sie es trotzdem geschafft, Ihrem Wunsch gemäß Malerin zu werden?
Ich habe erst Philosophie studiert und dann mit Jura angefangen. Paris war schon unter deutscher Besatzung, als ich am 11. November 1940 zusammen mit Kommilitonen zum Arc de Triomphe marschiert bin, um Blumen auf das Grab des unbekannten Soldaten zu legen. Dabei wurden wir verhaftet und mein Name wurde auf eine Liste mit Geiseln gesetzt. Wenn in meinem Viertel ein deutscher Soldat getötet worden wäre, hätten die Deutschen 50 Franzosen von dieser Liste umgebracht. Drei Monate lang musste ich mich jeden Tag auf der Kommandantur melden. Dieser Prozedur entkam ich erst, als ich vorgab, nicht mehr Jura zu studieren. Aus irgendeinem Grund hassten die Deutschen Jurastudenten. Also habe ich gesagt, ich sei Modedesignerin. Da haben sie mich laufen lassen. Von da an malte ich jeden Tag.
Picasso im besetzen Paris
Im besetzten Paris lernten Sie dann Picasso kennen.
Das war 1943, und obwohl unsere Geschichte einen Anfang und ein Ende hat, war er die größte Leidenschaft meines Lebens. Nie wieder habe ich so intensiv gelebt und geliebt, unsere Beziehung ist mit Buchstaben aus Feuer in mich eingeschrieben.
Paris war besetzt und Ihre Eltern wollten Sie wegen der Malerei enterben. Hielten Sie es wirklich für eine gute Idee, sich mit einem 40 Jahre älteren Maler einzulassen, der gleichzeitig noch zwei Geliebte hatte und eine verrückte Ehefrau, die ihn verfolgte? Ich ahnte von Anfang an, dass das nicht gut ausgehen würde. Und solange wir nicht zusammenlebten, war unsere Beziehung wirklich gut. Doch Pablo wollte, dass ich bei ihm einziehe, und nach drei Jahren gab ich nach. Mit ihm zusammenzuleben bedeutete, sich ganz in seine Macht zu begeben, und bei so einem mächtigen Menschen ist das unerträglich. Ich wusste, es würde auf eine Katastrophe hinauslaufen, aber eine Katastrophe, die zu leben sich lohnen würde.
Langweilig war es mit Picasso wohl nie?
Am Morgen, also vor zwei Uhr mittags, war Pablo immer sehr niedergeschlagen. Dann klagte er, sein Leben sei langweilig, nichts interessiere ihn mehr. Dafür war er abends auf dem Gipfel der Welt. Er war extrem launisch. Von seinem Talent als Maler abgesehen, war er auch unglaublich klug und intelligent. Ich habe nie wieder einen Menschen gefunden, mit dem man so gut diskutieren konnte.
Richtig, dass er besonders gern Hegel zitierte?
Stimmt, dabei hatte ich viel mehr Philosophie studiert als er. Aber weil Pablo zeit seines Lebens von Dichtern und Schriftstellern umgeben war, konnte er ihre Ideen absorbieren, ohne sie wirklich zu studieren. Der große Naturforscher Cuvier konnte anhand eines kleinen Knochens einen ganzen Brontosaurier rekonstruieren, und Pablo mit ein bisschen Hegel ein ganzes Gedankengebäude. Es hat ihm aber gar nicht gefallen, dass ich das in meinem Buch beschrieben habe.
Warum nicht?
Er wollte nicht als Denker, sondern als wildes Tier, als Naturgewalt wahrgenommen werden. Tut mir leid, aber so war er überhaupt nicht, er hatte eine unglaubliche geistige Komplexität.
Und war voller Widersprüche: Einerseits war er Atheist, andererseits nötigte er Sie vor dem Taufstein in einer dunklen Kirchenecke zu einem Liebesschwur. Ist das nicht heuchlerisch?
Jetzt hab ich Sie erwischt: Picasso war kein Atheist, er war doch selbst ein Gott! Wissen Sie, die Spanier lieben es, Gott zu leugnen, und sind am Ende doch gläubiger als alle anderen. Sie haben keine Angst vor inneren Widersprüchen. Pablo gab sich gern als einfacher Mensch, trotzdem lästerte er über Maler wie Vlaminck, die mit Stroh ausgestopfte Holzschuhe trugen. Das fand er primitiv. Einer seiner Sprüche war: Ein Maler muss zu arm sein, um sich eine Kuh leisten zu können, aber reich genug, um einen Chauffeur zu haben.
Wenn man sich Picassos Porträts und Ihre Zeichnungen jetzt nebeneinander in New York anschaut, wirkt es, als hätten Sie beide sich durch Ihre Bilder unterhalten.
Pablo war immer daran interessiert, anderen Fragen zu stellen, die sie nicht beantworten konnten. Einmal fragte er mich, was ich malen würde, wenn ich von einem Richter zum Tode verurteilt worden wäre und mich nur durch eine Zeichnung retten könnte. Ich sagte ihm, dass ich freihändig einen perfekten Kreis zeichnen würde. Aber ein Kreis sei doch keine Zeichnung, beschwerte er sich, er habe an einen Kopf gedacht. Nein, entgegnete ich, mit Richtern kenne ich mich aus, denen darfst du nichts Gegenständliches geben, sondern etwas, worüber sie nicht diskutieren können.
Zwei Jahre zuvor hatten Sie einen grimmigen Picasso gezeichnet, der Ihnen einen Apfel in den Mund steckt. Titel des Bildes: Adam zwingt Eva, den Apfel zu essen. Kann man sagen, Sie haben sich mit Ihren Bildern gegen ihn gewehrt?
Ja, und ich habe mich wirklich besonders dämlich dargestellt. Das ist meine Art von Humor und Selbstkritik. Damals schätzte Pablo Humor noch, später nicht mehr. Ich finde es wunderbar, wenn man über sich selbst lachen kann, das kann auch ein Ziel von Kunst sein. Aber ich habe gelernt, dass Menschen von einem bestimmten Punkt im
Leben an keinen Widerspruch mehr dulden. Als Pablo jünger war, hat es ihn amüsiert, wenn man ihm widersprach, und er hat sich auf Diskussionen eingelassen. Aber zu dem Zeitpunkt, als ich ihn verließ, wollte er immer nur Sieger sein. Er hatte nur noch Jasager um sich. Deshalb ist auch seine Freundschaft mit Georges Braque nie wieder eng geworden, denn Braque war kein Jasager.
Picasso hat Sie als »die Frau, die Nein sagt« bezeichnet.
Er kannte ja keinen Widerspruch. Wissen Sie, Picasso war irgendwann sehr einsam. Jemand, der allen Ruhm der Welt hat und dem jeder nach dem Mund redet, wird automatisch einsam. Jedes Wort, das er sagt, fällt zu Boden und niemand hebt es auf. Ich dachte, wenn ich ihm antworte und etwas zurückgebe, tue ich ihm etwas Gutes, dann gebe ich ihm noch ein Rätsel, mit dem er sich beschäftigen kann. Ich nahm mir von Anfang an vor, immer eine Antwort auf seine Fragen parat zu haben, egal ob sie gut war oder nicht.
Sie sind die einzige Frau, die Picasso verlassen hat. Haben Sie das jemals bereut?
Nein, denn ich habe ihn nicht verlassen, bis ich sicher war, dass es die einzig richtige Entscheidung ist. Er war wirklich unerträglich geworden. Ich hatte lange genug gewartet, auch wegen der Kinder. Pablo wollte sogar noch ein drittes, um mich noch mehr an sich zu binden. Aber das wollte ich nicht. Stattdessen hat er dann diese Skulptur einer schwangeren Frau geschaffen, die jetzt auch in der Ausstellung zu sehen ist. Mir gefiel sie damals nicht besonders, und als ich ihm das gesagt habe, hat er ihr die Füße abgehackt.
Picasso drohte Ihnen damals: Niemand verlässt einen Mann wie mich!
Und ich entgegnete: Wart’s nur ab. Denn das war eine Provokation, und wenn er mich ein bisschen besser gekannt hätte, dann hätte er wissen müssen, dass er mich nicht so provozieren sollte. Er dachte, seine Macht über mich sei unumstößlich. Sein geistiger Sadismus war irgendwann noch schlimmer als die physische Grausamkeit. Deshalb starb meine Liebe für ihn irgendwann ab. Ich habe niemanden so sehr geliebt wie ihn, aber ich wollte auch keine Sklavin sein. Außerdem ahnte ich, dass es auch für meine Kinder schlecht wäre, wenn ich bliebe.
Hat Picasso sich um die Erziehung Ihrer Kinder Claude und Paloma gekümmert, als Sie noch bei ihm lebten?
Das wäre ein Desaster geworden. Denken Sie an seinen ältesten Sohn, den armen Paulo, der nie richtig ausgebildet wurde. Ich habe meine Kinder nach der Trennung mit nach Paris genommen und dafür gesorgt, dass sie auf eine gute Schule kommen. Ihren Vater haben sie nur in den Ferien, im Sommer oder zu Weihnachten, gesehen.
Bis elf Jahre später Ihr Buch erschien und er aus Rache jeden Kontakt mit Ihnen und den Kindern abbrach – für immer.
Das Buch war doch nur ein Vorwand. Es war gar nicht gegen ihn gerichtet, trotzdem wurde es so aufgenommen.
Stimmt es, dass Picasso sogar Pariser Galeristen, die Ihre Werke ausstellten, mit Boykott drohte?
Nicht nur das. Seine Leute sorgten auch dafür, dass nur schlechte Kritiken meiner Bilder in den Zeitungen erschienen. Aber es gab Ausnahmen: Alberto Giacometti rief mich alle zwei Wochen an und sprach mir Mut zu. Alle anderen waren wie eine Hundemeute hinter mir her. Pablo sorgte dafür, dass es in Frankreich sehr schwierig für mich wurde. Gott sei Dank stellte ich ab den späten Fünfzigerjahren auch in anderen Ländern aus.
Picasso versuchte sogar vor Gericht, Ihr Buch verbieten zu lassen.
Ja, mein Verlag und ich gewannen den ersten Prozess, weil ich beweisen konnte, dass alles, was ich geschrieben hatte, stimmt. Auch das Berufungsverfahren haben wir gewonnen, weil der Richter entschied, dass ein öffentliches Interesse an der Geschichte bestand. Und wissen Sie, was dann passierte? Zwei Jahre lang hatte ich nichts mehr von Pablo gehört. Am Tag nach der Urteilsverkündung rief er mich an und sagte: »Ich gratuliere, du hast gewonnen und du weißt, ich mag Gewinner.« Das ist seine beste Seite. Er bekämpft dich bis auf den letzten Blutstropfen. Aber wenn es vorbei ist, erkennt er das Ergebnis an.
Sie zahlten dennoch einen hohen Preis und gingen ins Exil nach Amerika, wo Sie Jonas Salk heirateten, den Entwickler des Polio-Impfstoffs.
Das war die beste Entscheidung meines Lebens, denn damals setzten Picasso und seine Freunde alles daran, mich zu zerstören. Wenn ich hier geblieben wäre, hätte ich meine ganze Zeit damit verschwendet, gegen sie zu kämpfen, ohne dass es etwas gebracht hätte. Ich hätte mit dem Malen aufhören müssen und wäre schließlich ganz im Erdboden verschwunden. Also habe ich gesagt: Gut, amüsiert euch, mir ist egal, was ihr über mich sagt, ich bin woanders.
Seitdem hatten Sie jedes Jahr eigene Ausstellungen und haben Picasso Lügen gestraft.
Die Malerei ist für mich ein Weg, das große Unbekannte zu erforschen. Man muss auf die Welt reagieren, aktiv sein und nicht halbtot. Wir müssen leben, solange wir am Leben sind.
Haben Sie es jemals bereut, mit Picasso gelebt zu haben?
Reue ist pure Zeitverschwendung. Außerdem ist es viel interessanter, mit einem besonderen Menschen etwas Tragisches zu erleben, als ein wunderbares Leben mit einer mittelmäßigen Person zu führen. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man seinen Frieden mit einem durchschnittlichen Menschen finden kann. Dieser Mensch wird dich auch zerstören, er wird nur mehr Zeit dafür brauchen.
Wie meinen Sie das?
Ganz einfach, indem diese Person dein Leben uninteressant macht. Wenn du wirklich leben willst, musst du etwas Dramatisches riskieren, sonst lohnt sich das Leben nicht. Wenn du etwas riskierst, erlebst du auch schlimme Dinge, aber du lernst vor allem eine Menge und lebst und verstehst immer mehr. Vor allem wirst du nicht langweilig. Das ist das Allerschlimmste: langweilig zu werden.
Françoise Gilot
wurde 1921 in Neuilly-sur-Seine geboren. Schon 1941 nahm sie während ihres Jurastudiums heimlich Mal- und Zeichenunterricht in Paris. Als sie sich 1943 entschließt, Malerin zu werden, bricht ihre Familie den Kontakt zu ihr ab. Gilot verdient ihren Lebensunterhalt mit Reitunterricht und hat noch während des Krieges erste Ausstellungen. 1953 verlässt sie Picasso und widmet sich allein der Malerei und den Kindern Claude und Paloma. Aus der Ehe mit dem Maler Luc Simon stammt die Tochter Aurelia. 1970 heiratet Gilot den amerikanischen Mediziner Jonas Salk. Sie hat bis heute Ateliers in New York und Paris und stellt seit einem halben Jahrhundert jedes Jahr ihre Werke aus, zuletzt in den Kunstsammlungen Chemnitz und nun zusammen mit Picasso in der Gagosian Gallery New York.
Fotos: dapd, dpa/dpaweb
Interview: Malte Herwig