Verflixt und umgenäht

Da wird man doch zum RUMPELSTILZCHEN: Was uns an Kleidung maßlos ärgert.

    Fusselnde Pullover

    Der Letzte, auf den ich reingefallen bin, war so weich wie ein Kaninchen. Ich entdeckte ihn in einem Laden in Berlin, streichelte über sein unschuldiges Weiß und musste ihn sofort mitnehmen. Ein flauschiger Angorapullover, wie man ihn in den Achtzigern trug, leider mit einem Preis von 2012, was mich eigentlich nur bestärkte: Was so teuer war, musste ja gut sein. Doch nach dreimaligem Tragen schien mein Kaninchen in die Pubertät zu kommen, ich musste mit dem Rasierer vorgehen: gegen Fusseln oder »Pilling«, wie es im Fachjargon heißt. Wie ein Schimmelpilz befällt diese Krankheit Kaschmir- und Wollpullover, der langsame Tod nach höchstens zwei Wintern ist dann kaum mehr aufzuhalten. Seitdem weiß ich: Egal welcher Preis, Wolle ist unberechenbar. Wer dieses Risiko umgehen möchte, wälzt es am besten auf andere ab – meine Lieblingsstrickjacke habe ich in einer Vintage-Boutique gekauft. Sie ist zeitlos, gut geschnitten und seit bestimmt 20 Jahren fusselfrei.
    ALMUT VOGEL

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    Zieht! Das! Nicht! An!

    Es gibt auch diesen Herbst Kleider, die man uneingeschränkt empfehlen kann. Weil sie im herkömmlichen Sinne vorteilhaft sind. Warum also empfehlen Modemagazine mit feierlichem Ernst Dinge, in denen wir uns lächerlich machen? Warum wurden wir vor Tom Cruise in Rock of Ages oder Juli-Unwettern gewarnt, nicht aber vor Egg-Shape, Schößchen, gummierten Jeans? Mode hat ihre eigene Grammatik, und darin ist warnen gleichbedeutend mit: spießig. Falscher Ansatz. Wenn eine Hose unvorteilhaft sitzt, ist es nicht Aufgabe des Modemagazins, darauf hinzuweisen. Weil es ja auch nicht die Schuld des Designers ist, nee, nee. Wahrscheinlich ist der Träger zu dick. Oder stand auf den falschen Partys damit rum. Er muss halt warten und weiterprobieren. Darum gehts schließlich: weiter verkaufen unter schwerstmöglichen Bedingungen, denn die Menschen sind bereits für die nächsten drei Jahrtausende ausgestattet. So muss ständig nachgelegt werden; jedenfalls was das Image angeht; nicht wirklich, was die Kleidung betrifft. Denn auch wenn das in Modemagazinen anders suggeriert wird - 95 Prozent der produzierten Kleider sind schön gefällig, nur fünf Prozent verwegen oder auch: grotesk hässlich. Diese eher heiklen Kleider werden nach Brasilien oder auf die Cayman Islands gekarrt, dort an Teenagermodels aus Missouri oder Nowosibirsk befestigt, in einem strahlenden Morgenlichtmoment fotografiert und zu Hause auf Modemagazinseiten gedruckt. Und das alles, damit der Kunde am Ende doch wieder die beinstreckenden schwarzen Stiefel und schmeichelnden Seidentops kauft, für die er das Label so schätzt, und sich dabei trotzdem verwegen fühlt. Womöglich eine der lustigsten Scharaden der Welt, flankiert von Parolen aus dem Lexikon der verzweifelten Euphemismen: »Was für eine furchtlose Kollektion!« Oder: »Kleidung, die ein Bekenntnis von ihrem Träger fordert!« Genau. Und jetzt her mit der poformenden 7/8-Hose mit drei Prozent Elasthan.
    REBECCA CASATI

    Der Kleidergrößenwahn
    Es liegt gar nicht an uns Frauen, dass wir immer so ewig brauchen beim Shoppen. Sondern an den Größen. Oder besser gesagt, an diesen Fantasiezahlen, die hinten in die Kleidungsstücke genäht wurden: Was in Deutschland eine Größe 38 ist, kommt vom Italiener als 42 oder 44, vom Franzosen als 40, vom Briten als 12. Obwohl auch diese Größen nicht aussagekräftig sind, weil viele Hersteller mit »Schmeichelgrößen« arbeiten, ihre Modelle also mit kleineren Größen auszeichnen, damit man glaubt: »Hurra! Ich pass wieder in die 36!« Wer also nicht spärlich bekleidet und strumpfsockig durch die Geschäfte rasen will (»Gibts das noch größer?«), nimmt das Kleidungsstück von vornherein in mehreren Größen mit in die Kabine. Beim Online-Shopping hilft nur das ewige Hin- und Hergeschicke. Mit meinem DHL-Zusteller pflege ich deshalb ein sehr inniges Verhältnis. Das ganze Durcheinander stammt noch aus den prüden Fünfzigern, als sich Ingenieure die Konfektionsgrößen ausdachten. Der bestimmende Wert ist der Brustumfang - doch den preiszugeben hätte damals jeder Frau die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Also legten die Länder Verschlüsselungen fest: In Deutschland dividiert man den Brustumfang, zum Beispiel 88 Zentimeter, durch zwei, zieht sechs ab - und landet bei Damengröße 38. Blöderweise hat jedes Land seine eigene Verschlüsselung gefunden.
    Seit fast 30 Jahren arbeiten die Länder nun an der sogenannten Harmonisierung der EU-Größen, was sicherlich auch zu mehr »Harmonie« in europäischen Modegeschäften führen würde. Bis dahin bleibt nur: tapfer weiterprobieren. Und dem DHL-Zusteller einfach mal einen Kaffee ausgeben.
    KERSTIN GREINER

    Einmal probieren, dann gleich reparieren.

    Einmal probieren, dann gleich reparieren

    Mode hat nichts mit Qualität zu tun, das habe ich schon früh gelernt. Einmal wollte ich mir einen Anzug kaufen. Meinen ersten. Ich war jung und wollte endlich erwachsen sein. Ich war in vielen Geschäften. Man brachte mir hochwertigste Ware, edelste Stoffe, dreifach vernähte Knopfleisten, Rosshaarschulterpolster. Aber gepasst hat keiner. Daraufhin ging eine Freundin mit mir zur Münchner Helmut-Lang-Boutique hinter der Frauenkirche. Ich nahm den erstbesten Anzug, und noch während mir der Verkäufer in den Ärmel half, flog der erste Knopf durch die Luft. Der Anzug aber passte. Was ist schon das Ärgernis eines losen Knopfs, dachte ich, gegen die Folter eines Anzugs, der zwar gut verarbeitet ist, in dem man jedoch aussieht wie ein Konfirmand? Langs Problem mit der Verarbeitung war kein Geheimnis. Es war der Preis, den man als ambitionierter Designer bezahlte, um Teil einer global operierenden, gewinnbringenden Produktionsmaschinerie zu werden. Gut möglich, dass Lang auch daran verzweifelt ist, als er seine Marke vor vielen Jahren verkaufte. Heute ist er Künstler und Privatier in Long Island und will mit Mode nichts mehr zu tun haben. Doch das Problem mit den Knöpfen ist geblieben. Man denkt, die mitgelieferten Ersatzknöpfe und Kragenstäbchen bei neuen Designerstücken wären eine Aufmerksamkeit, doch sie sind womöglich nur Ausdruck des schlechten Gewissens. Sie zeigen uns, dass beides nicht zusammengeht: Weltherrschaft und Avantgarde. Es nützt also nichts, sich darüber aufzuregen. Der Verfall ist der Mode systemisch eingeschrieben und er beginnt bei der Anprobe. Letztes Weihnachten schenkte mir meine Frau einen wunderschönen Gürtel eines namhaften deutschen Labels, der so schlampig, nein, nicht vernäht, sondern verklebt war, dass er nach zweimal Tragen auseinanderfiel. Ich hab ihn nicht zurückgetragen. Ich habe ihn mit Pattex repariert.
    THOMAS BÄRNTHALER

    Warum gehen Jeans immer nur an den falschen Stellen kaputt?
    Halbstarken-Filme wie Stand by Me und Die Outsider lehrten: Du kannst dich in diesem Leben auf nichts verlassen, außer auf deine Blue Jeans; sie geht mit dir durch dick und dünn. Und so sahen die Hosen der Protagonisten dann auch aus: Sie waren das Idealbild einer Vintage-Jeans, von der Natur gezeichnet, an den exponierten Körperteilen aufgeschürft und ausgewaschen. Nur: Im wahren Leben altern sie nicht in Coolness, sie gehen vorher an den unangenehmen Stellen kaputt. Jeans sind kleine, blaue Zärtlinge. Der Saum ist ihre empfindlichste Stelle, dort fransen sie sofort aus. Jeansbeine sind eigentlich immer zu lang, weil zu kurze Hosen peinlich aussehen oder nach Fuerteventura-Tourist. Man tritt die Jeans also ständig mit Füßen, bis bald eine rattenkopfgroße Wunde in der Jeansfalz klafft. Klar, kaputte Jeans sind in diesem Sommer so fetzig wie schon seit den Achtzigerjahren nicht mehr. Aber Löcher machen eben nur an den vermeintlich coolen Stellen Eindruck. Die Gesäßtasche von Ponyboy in Die Outsider war ganz zerschlissen vom dauernden Rein-raus-Spiel mit dem Butterflymesser.
    Jeans 2012 dagegen erleben wenig Abenteuer. Das Extremste, was man mit ihnen anstellt, ist mal auf einer Picknickdecke am Fluss zu sitzen und nach Hause zu radeln. Radeln mögen Jeans aber gar nicht, der Stoff zwischen den Beinen wird durch die Reibung am Sattel mürbe. Und wo könnte ein Loch noch ungeschickter wirken als im Schritt? Die maschinell gealterten Vintage-Jeans der Modelabels sind keine Alternative. Die zerfledderten, ölverschmierten, akkurat zerschossenen Jeans sehen aus, als sei man bei einer Wanderung von einer Wildschweinfamilie angefallen worden, bevor man sich in ein nahes Sumpfstück retten konnte. Unechte Vintage-Jeans tragen ist wie lügen. Möglich, dass Jeans nur dann in Würde altern, wenn man es macht wie die Halbstarken im Hollywoodfilm. Hose hochkrempeln und den ganzen Sommer lang nur diese eine einzige Jeans tragen, vor aufgebockten Autos knien, an steinigen Ufern herumlungern. Ach, man hat nur leider so viel anderes zu tun.
    VERENA STEHLE

    Der Waschwarnungstrend

    Seit ein paar Jahren steht in jedem Kleidungsstück: »Nicht waschen«. Die Warnhinweise finden sich nicht mehr nur wie früher in Seidenblusen und Kaschmirpullovern, auch in Baumwollhosen, dem Viskoseoberteil und sogar in Unterwäsche. Auf welche Weise, denken Kleiderhersteller, kriegt man wohl Wäsche sauber? Mit Abstauben?  
    Ich habe mich lang an all die Verbote gehalten: aus Angst, dass sich die Nähte lösen, wenn sie mit Wasser in Berührung kommen, oder die Farben sich vermischen. Meine Kleider lagen also entweder in dem Korb mit der Wäsche für die Reinigung oder in der Reinigung. Aber einmal, als ich samstags eingeladen war und unbedingt diesen Pullover mit dieser Hose anziehen wollte, die im Korb für die Reinigung vor sich hindämmerten, wurde ich mutig: Ich steckte beides in die Waschmaschine. Und wartete. Und öffnete die Trommel. Und es war nichts passiert. Die Hose passte noch, der Pulli war nicht verfilzt, die Farben waren noch die gleichen. Aber das Schönste: Beides roch so gut, so frisch und sauber. Kleider aus der Reinigung riechen immer nach gar nichts. Seitdem wasche ich eigentlich alles. Den Wollmantel, das Slipdress, sogar meinen Lieblingsrock. Möglichst kalt natürlich, immer ohne Schleudern. Noch immer spüre ich dabei eine heimliche Genugtuung, dass ich jemanden ausgetrickst habe. Bloß wen? Die komplette Kleidungsindustrie vielleicht? Weil sie möchte, dass ich mir etwas Neues kaufe, da alles, was ich besitze, seit Monaten bei der Reinigung liegt? Es ist wohl viel schlimmer: Wer auf dem Waschzettel alles verbietet, kann nachher nicht haftbar gemacht werden, wenn eine Hose eingeht oder eine Bluse Fäden zieht.
    Ich habe gute Lust, mich bald über den nächsten Warnhinweis auf Wäscheschildchen hinwegzusetzen: Keep away from fire.
    JULIA DECKER

    Illustrationen: Nishant Choksi