Das dritte Fragezeichen

Als Kind wollte unser Autor Detektiv werden. Heute hört er immer noch die Drei Fragezeichen, wenn er nicht schlafen kann. Dabei hat er stets die Stimme von Andreas Fröhlich im Ohr, seit 33 Jahren einer der Sprecher in der erfolgreichsten Hörspielserie der Welt. Jetzt hat Cadenbach endlich das Gesicht dazu kennengelernt.

Andreas Fröhlich wohnt in einem wirklich prächtig renovierten Altbau in Berlin-Charlottenburg, im vierten Stock. Bevor man ihn sieht, hört man seine Stimme in der Gegensprechanlage – und damit hat er schon gewonnen.

»Komm doch hoch«, sagt er; kein Satz, der einen umhaut. Aber die Stimme, mit der er diesen Satz sagt, wirkt auf mich wie eine Bettdecke: totales Wohlfühlen, kindliche Behaglichkeit. Ich kenne diese Stimme schon 25 Jahre lang. Das Gesicht dazu habe ich noch nie gesehen.

HARMLOSE JUNGS

Meistgelesen diese Woche:

– 1964 startet in den USA die Jugendbuchreihe »Alfred Hitchcock and the Three Investigators«, eine Detektivserie über drei Jungs, die in einem kalifornischen Küstenort Bankräubern, Kunstdieben oder einem grünen Geist nachspüren.
– 1968 erscheint der erste Roman dieser Reihe unter dem Titel »Die drei ??? und das Gespensterschloss« in Deutschland.
– Seit 1979 gibt es die Abenteuer der Drei auch als Hörspiel. Im selben Jahr werde ich geboren.

An meine erste Drei Fragezeichen-Kassette kann ich mich nicht erinnern, ich muss ungefähr sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Es war die Zeit des Sony-Walkmans, von BMX-Rädern, Yps-Heften. Meine Freunde und ich verbrachten unsere Nachmittage mit Lego- oder Playmobilspielen, zumindest im Winter, und die Drei Fragezeichen-Hörspiele liefen irgendwann ständig nebenbei. Zum Geburtstag habe ich mir ein Taschenmesser und eine Lupe gewünscht, Detektivausrüstung. Ich wollte damals Latein sprechen können wie Justus Jonas, der sogenannte erste der drei Detektive, freiwillig.

Warum er und seine Freunde Peter und Bob so schlau waren, wusste ich nicht, denn sie gingen eigentlich nie in die Schule, immer hatten sie Ferien, immer war es Sommer bei ihnen; der Kies knirschte trocken unter ihren Turnschuhen und im Hintergrund rauschten die Wellen des pazifischen Ozeans.

Ich stellte mir die drei als etwa 14-jährige Jungs vor, harmlose Typen eigentlich, die sich brav bei ihren Eltern abmeldeten, wenn sie mal auswärts schliefen, die kein Karate konnten, aber die Öffnungszeiten der Bibliothek kannten, die sich nicht prügelten, sondern Rätsel lösten. Ich konnte mich gut mit ihnen identifizieren. Ich bin in einem Neubaugebiet am Stadtrand von Bielefeld groß geworden, zwei Minuten zum Spielplatz, fünf Minuten zum Teutoburger Wald, 25 Minuten mit dem Bus bis in die Innenstadt. Überall war Zone 30 und auf dem Weg in die Grundschule musste ich nur zwei Straßen überqueren. Die einzige wirkliche Gefahr damals war, während des milden verschneeregneten Bielefelder Winters in einem der Ententeiche einzubrechen.

Die Sommer verbrachten meine Freunde und ich im Wald, wo wir uns Buden bauten.Wir tarnten sie mit Farn, damit unsere Eltern, wenn sie mit den Hunden spazieren gingen, uns nicht sahen. Auch die drei Fragezeichen hatten eine Art Bude, einen ausrangierten Wohnwagen auf dem Schrottplatz von Justus’ Onkel, ihre Detektiv-Zentrale, die sie nur über Geheimgänge betreten konnten. In dieser Zentrale lagerten sie Fingerabdruckpulver und hatten eine Dunkelkammer.

Als wir etwas älter waren, mischten wir einmal Salpeter, also Kaliumnitrat, das wir in der Apotheke gekauft hatten, mit Zucker und ein paar anderen Stoffen, was eine beachtliche Rauchbombe ergab. Experimentieren und Basteln, das war unsere Welt, und auch die der drei Fragezeichen.

Wenn uns gar nichts mehr einfiel, gingen wir zur nächsten Baustelle im Neubaugebiet, wo immer ein großer Haufen braunmatschiger Erde aufgetürmt war, und bewarfen uns mit Dreckklumpen. Wenn den drei Fragezeichen langweilig war, rief garantiert Alfred Hitchcock bei ihnen an, der Alfred Hitchcock, und erzählte ihnen von einem Freund, der Geister hörte oder einen Drachen am Strand gesehen hatte, und schon ging ein neues Abenteuer los. Das war der Unterschied.

Natürlich glaubten die drei Fragezeichen nicht an Geister und Drachen, genau wie ich nicht an Geister und Drachen glaubte – oder glauben wollte. Bis ich neun oder zehn war, ließ ich nachts dennoch vorsichtshalber das Licht im Flur vor meinem Zimmer an und schlief bei offener Tür. Eine Drei Fragezeichen-Folge machte mir sogar so viel Angst, dass ich sie nur mit meinem besten Freund Jan gemeinsam hören konnte: Die Drei Fragezeichen und der tanzende Teufel. Wir saßen dann unter Jans Flötotto-Bett, einer Art Hochbett, unter dem Lattenrost war ein guter Meter Platz, man konnte einen Vorhang davorziehen, so wurde eine Höhle daraus. Bis der tanzende Teufel kam, ließen wir den Vorhang ein kleines Stück geöffnet, dann wurde es uns zu krass und wir rissen ihn zu.

Alfred Hitchcock übrigens war auch der Autor der Serie, zumindest dachte ich das, weil sein Name in großen roten Buchstaben auf den Hörspielkassetten stand. Erst Jahre später habe ich herausgefunden, dass Hitchcock nie eine Folge geschrieben hat. Ein Bekannter von ihm, Robert Arthur, hat die Drei Fragezeichen erfunden, die einzelnen Episoden wurden von verschiedenen US-Autoren geschrieben, später dann auch von deutschen. Dieser Robert Arthur aber hatte Hitchcock überreden können, seinen guten Namen der Serie zu leihen.


Das kleinste Übel

Andreas Fröhlich ist berühmt, sein Gesicht aber kennen nur wenige. Er ist der Mann rechts und bekannt geworden als Stimme von Bob Andrews von den Drei Fragezeichen. Seine Lieblingsfolge: "Nacht in Angst". Christoph Cadenbach mag vor allem "Der grüne Geist".

DAS KLEINSTE ÜBEL

Justus Jonas, der erste Detektiv, war dick, aber klug, manchmal auch klugscheißerisch. Peter Shaw, der zweite Detektiv, ging Surfen und Fußballspielen, war aber ein Feigling, wenn es darum ging, nachts in dunkle Häuser einzusteigen. Bob Andrews, der dritte der drei Fragezeichen, war ein Bücherfreak, ein bisschen langweilig, dafür konnte er aber tauchen und sein Vater war Journalist, was ich irgendwie cool fand. Außerdem mochte ich seinen Namen: Bob. Ein kurzer, unprätentiöser Jungsname, nicht so spießig wie Peter, nicht so hochgestochen wie Justus, ein Spitzname fast und nah dran am Namen meiner Lieblingshunderasse damals, dem Bobtail. In meiner Fantasie sah Bob aus wie die brave Version des jungen Johnny Depp, mit runder Brille.

Jetzt steht er vor mir: Bob Andrews. Andreas Fröhlich. Ein inzwischen 47 Jahre alter Mann, der immer noch einem etwa 17-jährigen Jungen die Stimme leiht (die drei Fragezeichen sind in den 33 Jahren, seit es sie gibt, gealtert, jedenfalls ist das mein Eindruck, von 14 auf 17).

Erstes Abchecken: Andreas Fröhlich trägt ein blau-weiß kariertes Hemd, das er nicht in die Jeans gesteckt hat, seine Haar sind perfekt verstrubbelt, die Hände hängen lässig in den Hosentaschen, leichter Stoppelbart, Jungsgrinsen. So könnte Bob Andrews mit 47 Jahren aussehen. So könnte auch ich, wenn ich mich gut halte, mit 47 Jahren aussehen. Den Bart habe ich schon, die Haare auch ein wenig. Andreas und ich sind sogar gleich groß. Vielleicht verstehen wir uns deshalb auf Anhieb, zumindest sind wir sofort beim Du.

Dass ich kaum nervös bin, wundert mich, weil ich es ja eigentlich sein sollte, wenn ich meinen Kindheitshelden treffe. Aber vermutlich ist der Unterschied zwischen Bob Andrews, dem Jungen aus Rocky Beach, und Andreas Fröhlich, dem Mann aus Berlin-Charlottenburg, doch zu groß, um die beiden als eine Person zu sehen.

SCHLAFMITTEL

– Die deutschsprachigen »Drei Fragezeichen« sind die erfolgreichste Hörspielreihe der Welt. Von den bisher 155 Folgen wurden mehr als 42 Millionen Stück verkauft, das ist ungefähr die Liga von Musikern wie Santana oder Gwen Stefani.
– Seit 2002 gehen Andreas Fröhlich und seine Kollegen Oliver Rohrbeck (Justus Jonas) und Jens Wawrczeck (Peter Shaw) auf Tour. Sie lesen die »Drei Fragezeichen«-Folgen auf einer Bühne, live vor Publikum. Die Vorstellungen sind immer ausverkauft. Zu ihrem Auftritt in Berlin auf der Waldbühne kamen 15 000 Menschen.

Das Erstaunliche an den Drei Fragezeichen ist: Die Sprecher konnten mit ihren Fans altern, wie die Rolling Stones. »Bei unseren Live-Auftritten sind die Zuschauer nur ein paar Jahre jünger als wir selbst«, sagt Andreas.

Warum aber hören sich erwachsene Menschen Geschichten an, die ursprünglich mal für Kinder geschrieben worden sind? »Ich glaube, viele unserer Hörer haben eine ähnliche Vergangenheit«, sagt Andreas. Dann holt er aus: »Sie kennen die Drei Fragezeichen aus ihrer Kindheit. Wenn sie früher krank waren, hat ihnen ihre Mutter die neueste Folge mitgebracht, dazu eine heiße Milch mit Honig, und die Welt war in Ordnung. Mit 14 oder 15 waren die Drei Fragezeichen den meisten dann wohl ziemlich egal, und die Kassetten sind in den Müll oder auf den Dachboden gewandert. Dann aber wächst man in die Erwachsenenwelt hinein, der Stress beginnt, und man sehnt sich vielleicht in die Kindheit zurück, wo es keine Verpflichtungen gab, keine Verantwortung. Um abends runterzukommen, fangen einige dann mit Hilfsmittelchen an, mit Kiffen, Alkohol, Baldrian, und andere hören die Drei Fragezeichen, die Stimmen aus ihrer Kindheit, und träumen sich in diese Zeit zurück. Das ist der Heile-Welt-Faktor.«

Andreas hat sogar schon Fanpost aus Afghanistan bekommen, von Bundeswehrsoldaten im Kriegseinsatz. Ich habe Zivildienst geleistet, aber auch ich höre die Drei Fragezeichen heute noch, im Bett, vor allem wenn ich Stress habe, wenn die Gedanken kreiseln und ich nicht einschlafen kann. Die ersten 15 Minuten von vielen Folgen kenne ich daher auswendig, das Ende habe ich von manchen noch nie gehört.

DAS LEBEN ALS STIMME

Wie wird man Synchronsprecher? Andreas wurde entdeckt, als Siebenjähriger im Chor des Sender Freies Berlin. Mit 13 übernahm er dann die Rolle des Bob Andrews. Nach der Schule begann er eine Schauspielausbildung, stand am Theater auf der Bühne, doch mit der Zeit konzentrierte er sich vornehmlich aufs Sprechen. Heute ist er die deutsche Stimme von John Cusack, Ethan Hawke und Edward Norton. Er hat Dutzende Hörspiele produziert, Werbung eingesprochen (»Burger King«, Deichmann) und in der Herr der Ringe-Trilogie die grandiose Rolle des krötenhaften, computeranimierten Gollum. Man kann davon ausgehen: Jeder hat Andreas’ Stimme schon mal gehört, als Synchronsprecher erkennen ihn aber meistens nur Taxifahrer. »Denn die haben ein gutes Gehör«, sagt er, »weil sie ja nach vorn gucken und die Leute, mit denen sie sprechen, nicht sehen.«

Wie lange kann und will er einen Jugendlichen wie Bob Andrews noch weiterspielen? »Solange meine Interpretation glaubwürdig erscheint«, sagt Andreas. »Ein Ende der Serie ist nicht geplant.«

NEBENWIRKUNGEN

Drei Tage nach meinem Treffen mit Andreas mache ich abends eine Drei Fragezeichen-Folge an – und sehe, sobald Bob etwas sagt, Andreas vor mir. Anstatt mich zu entspannen, denke ich darüber nach, was ich aus dem Interview, das ich mit Andreas geführt habe, am Ende für einen Text machen soll. Die heile Drei Fragezeichen-Welt ist kaputt, für etwa drei Wochen. Dann ist der Spuk vorbei und Bob wieder Bob.

ANDREAS FRÖHLICH
wurde 1965 in West-Berlin geboren, wo er noch heute wohnt, mit seiner Lebengefährtin, der Schauspielerin Anne Carlsen, und der fünfjährigen Tochter Lily. Er ist einer der bestbeschäftigten Synchronsprecher in Deutschland. Seine Rollen: John Cusack, Edward Norton, Gollum in Der Herr der Ringe. In dieser Trilogie hat er auch Dialogregie geführt, das heißt, bei der Übersetzung ins Deutsche mitgeschrieben und die Synchronisation koordiniert. Seine älteste Rolle ist Bob Andrews von den Drei Fragezeichen, seit 33 Jahren spricht er den jungen Detektiv.

Set Design: Nina Lemm/liganord.de; Styling-Assistenz: Elena Mora.

Fotos: Attila Hartwig, Florian Büttner