Er soll kein Arschloch sein

Der Vater drückte seine Zigaretten auf ihrem Arm aus. Die Männer, die nach ihm kamen, haben so weitergemacht. Jetzt möchte Sara nur noch eins: anständig behandelt werden.

Einen Mann fürs ganze Leben, so habe ich mir das vorgestellt. Ein Haus, Kinder, einen Hund, meinetwegen auch einen Kanarienvogel und irgendwo im Hinterhof einen Apfelbaum. Ich habe gedacht, dass wir ein Leben lang zusammenbleiben, bis wir Gebisse tauschen können.

Sara Navid*, 29, sitzt auf einer Gartenbank im engen Hinterhof eines Frauenhauses in München. Auf ihren Wangen glitzert es, sie hat Rouge aufgetragen, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie zündet sich eine Zigarette an, »Fortuna rot«. Als sie ihren linken Unterarm vorstreckt, sind Narben zu sehen, die sich im Zickzack über ihre Haut ziehen.

Mehrere Chirurgen haben mir angeboten, diese Narben neu zu nähen und sie zu verfeinern. Aber ich möchte das nicht. Sie erzählen meine Geschichte. Die dunklen an den Oberarmen stammen von den Zigaretten meines Vaters, und die Narbe an meinem Unterarm habe ich auch von ihm. Ich war ungefähr sieben, als er mich hochgeworfen hat. Für einen Moment habe ich gedacht, er fängt mich auf. Aber mein Vater hat nicht mit mir gespielt. Ich bin durch die Glastür ins Wohnzimmer geflogen und gegen den Marmortisch geprallt. Meine Schwester war damals zwölf, sie brachte mich ins Krankenhaus. Ich hatte einen offenen Unterarmbruch. Die helle Narbe an meiner linken Hand ist von Frank, meinem letzten Freund. Danach bin ich ins Frauenhaus gezogen, das ist vier Monate her.

5. Stock, Zimmer 502. Ein Bett, ein Regal, ein Tisch. Vor dem Fenster eine Gardine, Sichtschutz in Beige, auf dem Bett eine braune Decke aus Synthetik. Auf Bügeln hängen bunte Kleider, Sara mag Farben. In dem Regal stehen ihre Parfümflaschen, daneben die Bilder ihrer Kinder Samira und Laurenz, neun und zweieinhalb Jahre alt. Sie leben nicht bei ihr.

Jens, den Vater meiner Tochter, habe ich mit 17 auf einem Weinfest kennengelernt, drei Jahre nachdem meine Mutter meinen Vater verlassen hat und mit mir von Berlin in ein hessisches Dorf gezogen war. Jens gehörte zu den coolen Jungs, die bei den Autoscootern standen. Mir war kalt, und er hat seine Jacke um mich gelegt. Ich fand ihn toll, weil er nett zu mir war. Aber ich glaube nicht, dass ich richtig verliebt war.

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Nach zwei Jahren wurde ich schwanger. Wir wollten ein Kind. Vielleicht hat er auch einfach nur nachgegeben, weil ich mir ein Kind wünschte. Meine Kochlehre habe ich abgebrochen, ich wollte mich ganz auf die Schwangerschaft und auf das Kind konzentrieren.

Zwei Wochen vor unserer Hochzeit habe ich erfahren, dass Jens mich seit Jahren mit meiner besten Freundin Marie betrügt. Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu begreifen. Ich wollte sie in flagranti erwischen. Also habe ich so getan, als würde ich mit meiner Tochter Samira zu meiner Mutter fahren, als Marie gerade zu Besuch war. Wir wohnten inzwischen in Baden-Württemberg, wo Jens bei der Bundeswehr stationiert war. Ich rufe an, bevor ich zurückkomme, habe ich denen erzählt. Dann bin ich zu einer Freundin gefahren, habe Samira schlafen gelegt und bin nachts auf flachen Schuhen in unsere Wohnung geschlichen. 15 Minuten stand ich im Türrahmen und habe sie beobachtet. Ich habe nichts gefühlt in diesem Moment. Jens habe ich im Schlafzimmer eingeschlossen und diese Frau nackt vor die Tür geworfen.

Die Hochzeit habe ich abgesagt. An dem Tag, an dem sie stattfinden sollte, hat Jens Marie geheiratet – das Fest war schließlich bezahlt. Er hat sie gefragt, ob sie »einspringen« wolle, und sie hat Ja gesagt. Auf der Hochzeitstorte stand noch mein Name, auch auf den Karten mit dem Festprogramm. Als mir das alles eingefallen ist, musste ich lachen. In solchen Momenten bleibe ich kalt: Du hast mich nicht verdient! Das zu zeigen gibt mir ein Hochgefühl.

Sara lächelt. Sie spricht eine Weile nicht und raucht. Ihr Leben als Geschichte, so kann sie es ertragen. Der Alltag fällt ihr manchmal schwer. Dann geht Sara nicht ans Telefon und reagiert nicht auf SMS. Verabredungen sagt sie einfach ab.

Murat habe ich 2006 kennengelernt, als meine Tochter drei war. Er saß in dem Studentencafé in Furtwangen, in dem ich nach der Trennung von Jens als Kellnerin gearbeitet habe. Das erste Jahr mit ihm war schön, wegen ihm bin ich nach München gezogen. Aber als ich anfing, in einer Bar zu kellnern, wurde er eifersüchtig. Mit wem chattest du?, wollte er wissen, wenn ich auf Facebook war. Mit einer Freundin, habe ich gesagt, schau doch selbst! Er hat mir meinen aufgeklappten Laptop ins Gesicht geschlagen. Trotzdem habe ich gehofft, dass es wieder gut wird, wenn ich weiter für ihn da bin. Nach zweieinhalb Jahren habe ich es geschafft, mich zu trennen. Murat hat mich danach gestalkt.

Am Valentinstag 2008 oder 2009, genau kann ich mich nicht erinnern, hat er meine Wohnungstür aufgebrochen und mich zusammengeschlagen. Er hat nicht verstanden, warum ich ihn nicht mehr wollte. Er hat meine Rippen gebrochen, mein Gesicht zerstört und mir Fingernägel aus den Nagelbetten gerissen. Eine Woche lag ich auf der Intensivstation. Ich habe genau denselben Fehler gemacht wie meine Mutter: Ich bin nicht sofort gegangen. Gewalt ist nicht das Ende. Das Ende ist, wenn man sie zulässt.

Sara im »Café Roxy« in München. Sie hat den Raum im Blick, zuckt, wenn ein Glas zerschellt, ortet, wo es laut wird, mustert jeden neuen Gast – immer bereit, sich zu verteidigen. Ihre Füße in hohen gelben Lackpumps, die langen Haare offen. Eine Schulter lässt ihr grünes Oberteil frei, sodass man ihr Tattoo im Nacken sehen kann, ein verspieltes Schnörkelmuster. Darüber steht in Schreibschrift »Dream«.

Mein letzter Albtraummann hieß Frank. Er war Gast in dem Lokal, in dem ich bedient habe. Frank hat getrunken. Immer wieder hat er seinen Job als Elektriker verloren. Ich habe gedacht, dem musst du helfen. Er hat meinen kleinen Garten bepflanzt, das hat mich gerührt. Ich wurde schwanger, obwohl ich keine Kinder mehr wollte. Meine Tochter lebt, seit sie fünf ist, bei Jens. Ich war als Alleinerziehende überfordert und habe irgendwann nicht mehr gegessen als eine Orange am Tag. Bei Jens hat es Samira besser.

In der Schwangerschaft habe ich mich von Frank getrennt. Entweder ich oder der Alkohol, habe ich gesagt. Er hat sich für mich entschieden, und so sind wir nach der Geburt von Laurenz zusammen in eine Wohnung gezogen. Am Anfang haben wir am Tisch gegessen, wie eine richtige Familie. Irgendwann dann auf der Couch. Die Tage waren eintönig. Wenn wir gestritten haben, hat Frank getrunken. Er wusste, dass ich das nicht ertrage.

Bei unserem letzten Streit hat Frank die Tür zugeschlagen, als ich noch im Rahmen stand. Es war eine Art-déco-Tür, wir wohnten in einem denkmalgeschützten Altbau. In meiner Hand steckten Blei- und Glassplitter. Dieses Mal habe ich sofort die Polizei gerufen. Auch das Jugendamt kam. Sie haben Laurenz mitgenommen und in eine Pflegefamilie gebracht. Zwei Beamte mussten mich festhalten, so sehr habe ich geschrien. Frank wurde in die Psychiatrie eingewiesen, und ich bin ins Frauenhaus gezogen.

Ich habe mir immer Männer mit Problemen ausgesucht. Ich hab wohl so ein Helfersyndrom. Aber ich habe gelernt zu gehen. Es ist vorbei, wenn jemand gewalttätig wird. Meine Kinder sind mir heute das Wichtigste. Wenn ich die Auflagen vom Amt erfülle, kann mein Sohn in einem Jahr wieder bei mir leben. Zuerst muss ich eine Wohnung finden, einen Job habe ich schon: Ich arbeite beim Sicherheitsdienst. Ich kann mir schon vorstellen, noch ein Kind zu bekommen – wenn ich den richtigen Mann finde. Von dem erwarte ich, dass er mich respektiert. Dass er mich nicht schlägt, nicht demütigt. Dann könnte ich ihm vertrauen. Vielleicht.

*Alle Namen von der Redaktion geändert

Foto: Myrzik und Jarisch