Ein Rätsel

Vom Charme der Breitbeinigkeit: Die Lyrikerin Nora Gomringer dichtet für das SZ-Magazin.

Erkläre mir, Muse, die Männer,

Die Vielgereisten mit Meilenkonten und setz dich
Zu einem Gespräch über das Gute an und das Beste in
Und das Ausreichende um sie herum.

Ich las von dem Mann, der an einem Faden sich als Retter
Herbeifädeln ließ. Es ging dort um Monster und Mädchen und
Irrwege; Skelette von Jungfern säumten den Weg.

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Ich las von dem Mann, der aufbrach ins Totenreich, die Liebste
Zu retten. Er sang die Schatten zur Raison, vertraute 200 Schritte darauf,
Dass sie ihm folgen konnte, bei 201 verklang sein Gesang.

Muse, es scheint mir, die Männer sind Wanderer, Retter per se,
Sind Sänger und Liebhaber, vertrauend und ängstlich zugleich.
Wer will es denn nehmen, dass alle sie schätzen, sie gottgleich empfinden.

Ich las von dem Mann, der seine Tochter in einem Kellerverlies hielt
Wie ein Wesen aus Schatten und Traum. In all diesen Jahren
Verlor sich die Spur so vieler im oberen Reich, kein Wort kam über die Lippen.

Ich las von dem Mann, der in einem Haus das Ende von vielen plante
Und an einem Tag und in einer Nacht versuchte, ein Land zu entzweien.
In Norwegen hielt er sich auf, das Freie zu binden war seine Lust.

Muse, es scheint mir, die Männer sind Mörder, Verstecker per se,
Sind Spinner und Spieler, vergaunert und grausam zugleich.
Wer will es uns nehmen, sie zu verdächtigen, wenn Migräne uns überfällt.

Ich warte seit Jahren auf einen, der kommt, mit allem, was männlich ich achte.
Damit ich mich gebe ganz Haut, ganz Haar, ganz Knochen,
mit allem, was Gott aus mir machte.

Muse, es scheint mir, dass Männer – versockelt – die Lippen versiegeln,
Keiner erreicht ihre Herzen. Die Hobbys sind zahlreich, das Leben
Sehr körperbetont. Breitbeinig der Stand, weitflächig die Hand,

Die mich liebkost oder schlägt. Schwarz-weiß ist die Welt, die der Mann –
Oft farbenblind – auf seinen Schultern trägt.
Ich käme zu küssen, das alles in Farbe zu tauchen. Versprochen.

Ich bitte dich, schick mir den einen, den anderen, mal den
Und mal den, damit ich erkenne, wie einzeln sie alle,
Wie kostbar so mancher, wie schön.

Wen ich dann wählte, das bliebe bei mir: Geheimnis, das Frauen gefällt.
Es kehrten sich Himmel und Erde schließlich, ginge es dann nur um Geld.
Ja, ich bin eine Sammlerin, webe den Teppich erneut und warte ergeben.

Komm, Muse, erklär mir die Männer.
Kommt, Männer, erklärt mir die Welt.

Illustration: Daniel Frost