Der Tintenkiller

Rihanna. Johnny Depp. David Beckham. Angelina Jolie. Muss Mark Mahoney noch Werbung machen? Nein. Er tätowiert die Stars. Und zwar, einfach gesagt: alle.

Der Donnerstag ist dicht. Nachmittags um drei hat David Beckham einen Termin, abends ist Lady Gaga dran und dann steht da noch dieses »R« im Kalender. Rihanna wollte noch mal den »Thug Life«-Schriftzug auf ihren Fingern kontrollieren lassen. Die muss Mark Mahoney heute noch irgendwie dazwischenschieben.

Mark Mahoney ist kein Star. Er hat keine Reality-Show, er wird nicht von Paparazzi abgeschossen, wenn er in seinem Cabrio nachts um drei über den Sunset Boulevard schaukelt. Mark Mahoney tätowiert Hollywoodkörper. Er kommt ins Spiel, wenn Brüste, Zähne, Beine und Nasen fertiggestellt sind, und der Star Gefahr läuft, zu beliebig auszusehen. Dann klingelt er bei Mark im Studio an, um ein Tattoo zu besprechen. Eines, das sagt: »Schau mal, ich bin es!«

Mark sticht, was auch immer der Star wünscht. Gesichter von erschossenen Gangstern oder Tupac Shakurs Lebensmotto »Thug Life« auf die Finger von Rihanna, Apfelbäumchen über den Bauchnabel, wie bei einem 70-jährigen Air-Force-General. Auch Namen von Ex-Freundinnen kann Mark verwandeln. Wie im Fall von Johnny Depp, der sich »Winona Forever« nach der Trennung in »Wino Forever« umschreiben ließ. Nur Russell Brand, der will immer nur Sanskrit-Buchstaben auf den Arm. »Er kann einfach nicht damit aufhören«, sagt Mark.

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In den ersten Minuten mit Mark fragt man sich, warum Hollywood dem Mann seine Haut anvertraut. Man könnte ihn für die Rolle eines schönen Mörders besetzen, eines Mannes mittleren Alters, der lautlos tötet und danach, völlig unbeindruckt von seiner Tat, irgendwo einen Whiskey trinken geht.

Auch sein Studio, das »Shamrock« ist nicht unbedingt vertrauenerweckend, sondern eher eine Klitsche: ein rosafarbener Raum, in dem Louis-Vuitton-Sessel stehen, aber auch Devotionalien aus Irland, und Bilder von der indischen Gottheit Shiva an der Wand hängen. Der Laden liegt im oberen Teil des Sunset Strip, dort wo früher Jim Morrison auf der Straße lag und heute besoffene Briten umherirren. Hier lebten schon immer die, die in Hollywood nicht so recht reinpassten. Trotzdem: Die Entertainmentwelt liebt Marks Studio und sie liebt ihn.

Filmstars wie James Franco lassen Mark sogar mit dem Messer ran. Erst neulich buchte Franco Mister Mahoney für einen Kunst-Kurzfilm, um sich vor laufender Kamera den Namen »Brad« in den Arm schnitzen zu lassen. »Er fiel beinahe in Ohnmacht«, kommentiert Mark. »Ich weiß, wie sich Messerstechen anfühlt. Aber schnitzen? Das war mir neu.« Der Tattoomeister spricht mit einer Stimme, in einer Tonlage, mit einem Sound, der auffällt. Irgendwo zwischen Kehlkopf-Entzündung und Marlon Brando in Der Pate. Sein Look ist seiner Stimme angepasst: mafiöser Aufzug; Krokodillederschuhe, eng geschnittener Anzug in Haselnussbraun, Gelhaare. Aber genau das macht ihn aus.

Der Fußballer David Beckham ist Marks Lieblingskunde. »David hält alles aus«, erzählt Mark, »er ist ein Champion. Er hat die beste Tattoo-Haut. Kräftig. Durchblutet. Wenn man reinzwickt, verändert sich die Farbe. Ein Traum. « Mark muss es wissen, er hat den Fußballer ständig auf dem Stuhl; das Bild auf dessen rechter Schulter ist ein Riesenprojekt. Engel mit den Gesichtszügen seiner Jungs tragen David Beckham auf ihren Händen. Zuletzt musste auch die erste Tochter von David und Victoria noch irgendwo auf dem Schulterblatt untergebracht werden. Ihr Name, Harper, soll noch über das bisherige Motiv tätowiert werden.

Die größten Stars Hollywoods kommen ins »Shamrock« und die härtesten Getto-Bosse aus East L.A. Zu Marks treuesten Kunden gehören Hells Angels genauso wie konservative Countrysängerinnen wie LeAnn Rimes. Wenn Brad Pitt und Angelina Jolie zu Mark kommen, dann wissen sie, dass vor ihnen irgendein mexikanischer Gangfürst auf Marks Tattoo-Thron gesessen hat. »Das macht viele Leute wirklich an«, sagt Mark und grinst diabolisch. Wer zu Mark kommt, bekommt nicht nur ein Tattoo, sondern kauft sich auch ein bisschen Unterwelt-Abenteuer dazu. Das Tattoo hat vielleicht den verruchten Charme von früher verloren, es ist nicht mehr das Mal der Gesetzlosen. Oder das Überbleibsel einer wilden Jugend, das man den Rest des Lebens verstecken muss, so wie Winston Churchills Mutter, die über der kleinen Schlange um ihr Handgelenk später immer ein Diamantarmband trug. Tattoos sind im Mainstream angekommen. Bei Mark aber lebt noch der alte Geist, im »Shamrock« hat ein Tattoo noch etwas Verruchtes.

Dabei wollte Mark, aufgewachsen an der kalten Ostküste in Massachusetts, als Kind eigentlich Pfarrer werden, wegen der »simplen, dunklen Kleidung und dem wahnsinnigen Licht in den Kirchen«. Nur an das Problem mit dem Sex habe er nicht gedacht. Das New York der Achtziger und seine Punkrockszene halfen Mark dabei, seine Aufgabe im Leben zu finden, das Tätowieren. »Die Leute, mit denen ich zu tun hatte, Rocker, Punker, Biker; sie ließen mich alles machen. Ich hatte Tonnen von Haut zu Verfügung.« Nur eines nervte Mark gewaltig: Jedes Mal wenn er ein richtig gutes Tattoo auf irgendeinem Unterarm sah, stammte es aus Long Beach. Bald zieht Mahoney dorthin, um das Handwerk zu lernen.

Inzwischen hat er es geschafft. Kaum eine Hollywood-Haut, auf der er noch nicht seine Spuren hinterlassen hat. Der erste berühmte Kunde im »Shamrock« war Sid Vicious, Bassist der Sex Pistols: »Ein lieber Junge. Er konnte sich nie zwischen einer Rose und einer Blon-dine auf seinem Arm entscheiden.« Selbst der Rapper Notorious B.I.G. bekam in Marks Gegenwart seinen Testosteronspiegel in den Griff und erzählte auf dem Tätowierstuhl von den Freuden der Ehe, während Mark ihm einen Bibelvers in den Arm ritzte. Und zwischen Johnny Depp und Mark hat sich in den letzen Jahrzehnten sogar eine große Liebe entwickelt: »Ich stach sein erstes Tattoo, einen Indianerkopf. Es war Johnnys erste Nacht in Los Angeles.« Dabei blieb es nicht. Mark ist sich sogar sicher, dass er Johnny vor einem möglichen Schicksalsschlag bewahrt hat. »Er wollte einen Spatz auf seinem Arm, ein Symbol für seinen Sohn. Er wollte, dass der Spatz von ihm wegfliegt, doch das Tätowiergesetz warnt: Dinge, die du liebst, müssen immer in deine Richtung zeigen. Sonst kommt es zu einer Katastrophe.«

Frischfleisch sitzt bereit: Ein aufstrebender Rockstar namens Danny Jones aus London hält seinen Arm hin – Marylin-Monroe-Kopf mit roten Lippen auf dem Oberarm soll es sein. Na bitte, das ist ja kein Problem. Mark setzt die schmale Lesebrille auf. Es kann losgehen, es wird nicht so schlimm werden, der Rockstar-Junge schwitzt trotzdem ein bisschen. Mark beruhigt ihn. Solange kein Knöchel involviert sei, tue es gar nicht so weh. Der Rockstar-Junge nuckelt an seinem Red-Bull-Drink und entspannt sich. Den ersten wichtigen Schritt zur großen Karriere tut er gerade. Er sorgt für Unverwechselbarkeit.

Und Mark genauso. Auch er weiß, dass sein Image seinen Erfolg ausmacht. Andächtig krempelt er sich die Hemdsärmel hoch, segnet seine Instrumente, indem er einmal mit der flachen Hand über das Besteck schwebt, schließt kurz die Augen. Erst dann streift er die Gummihandschuhe über. Ein bisschen Show-Liturgie im Tattoostudio. Das sei sein täglicher »Boogie-Woogie«, erklärt der Tattoomeister.

Den ganz privaten Mark Mahoney kennen die wenigsten: Der geht jeden Sonntag in die Kirche und lebt mit seiner Frau in einem kleinen Häuschen im bürgerlichen Pasadena.

Fotos: Sabina McGrew