Unverhofftes Abendrot

Man kann sich seine Freunde nicht immer aussuchen. Aber wenn eines Nachts in der Dunkelheit ein echter Fuchs auftaucht und einfach bleiben will, sagt man nicht nein. Oder?

Bis vor ein paar Wochen lebten wir auf dem Land. Wir hatten jede Menge Tiere in und ums Haus herum, die eigentlich nicht ins Haus gehören: Mäuse auf dem Dachboden, Eichhörnchen auf der Fensterbank, Marder, die gern die Terrasse als Klo benutzen und unter der Motorhaube des Autos die Leitungen anfressen. Plötzlich hatten wir auch noch einen Fuchs.

Das erste Mal erwischte ich ihn spätabends vor der Haustür, mit dem gelben Sack im Maul. Ich guckte etwas verstört, weil man nicht mit einem Fuchs rechnet, wenn man die Haustür öffnet. Er guckte keck, wir sahen uns in die Augen und mochten uns auf Anhieb. Zum Dank dekorierte er den Garten mit leeren Joghurtbechern und Milchtüten.

So fing das an mit uns beiden. Danach besuchte der Fuchs mich oft. Manchmal saß er auf dem Kies vor meinem Büro und sah mir durch die bodenlangen Fenster beim Arbeiten zu. Meistens aber legte er sich auf seinen Lieblingsplatz, den Gartentisch aus Teakholz, und hielt Mittagsschlaf. Er war immer so müde und gar nicht so scheu, wie man vermuten würde. Ich konnte um ihn herum die Terrasse fegen, es störte ihn nicht.

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Wenn der Fuchs nicht kam, machte ich mir Sorgen. So wie ich mir Sorgen mache, wenn die Kinder nicht rechtzeitig nach Hause kommen. Ein einziges Mal sah ich ihn
bei den Nachbarn auf dem Balkon liegen. Ich war eifersüchtig. Dachte, das mit uns sei etwas ganz Besonderes.

Bei aller Liebe: Wir hatten eine rein platonische Beziehung. Ihn anzufassen traute ich mich nicht. Meine Großmutter hatte mir als Kind eingebläut, wenn ein Fuchs sehr zutraulich ist, hat er Tollwut. Das kriege ich nicht mehr aus dem Kopf. Ich fürchtete, er könnte nach mir schnappen, wenn ich ihn berühre. So niedlich er aussieht, mit seinem rotbraunen Fell und den schwarzen Knopfaugen, der Fuchs hat ja nicht den besten Ruf. Als falsch und hinterlistig gilt er. Bei uns im Ort wurden ab und an Laufenten oder Gänse vom Fuchs geholt. Ich bin sicher, meiner war es nicht.

Ich fütterte ihn auch nicht. Er sollte wegen mir kommen und nicht wegen der Käsehäppchen. Der Fuchs ist ein Nahrungsoptimist. Eigentlich ernährt er sich von Kleintieren, auf Feldmäuse umgerechnet, benötigt er etwa 20 Mäuse pro Tag. Wenn er leichter an etwas zu fressen kommt, dann nimmt er damit vorlieb: Kompost, Essensreste, Obst, Kekse. Darum gibt es mittlerweile so viele Füchse in Städten und Wohngebieten.

Nur einmal ist er zu weit gegangen, der Fuchs. Ist durch die offene Terrassentür ins Schlafzimmer geschlichen und hat es sich in meinem Bett gemütlich gemacht. Hat sich so richtig schön in die Kissen gekuschelt. Als sei er dort zu Hause. Sein Kopf lag genau da, wo sonst meiner liegt. Mann und Kinder aus dem Haus, wir waren allein, ich fühlte mich ein wenig überrumpelt. Zu viel der Nähe.

So entspannt wie er war ich nicht. Klatschte in die Hände, stampfte mit dem Fuß auf, machte »Ksch«. Irgendwann wurde ihm mein Gehampel zu blöd. Er erhob sich langsam, streckte sich genüsslich, trottete zur Tür. Er schaute mich noch einmal an, in seinem Blick lag Enttäuschung. Als wollte er sagen: »Du willst wirklich, dass ich gehe? Ich dachte, wir seien Freunde.« Ich kam mir kleinlich vor.

Ich rief den für die Gemeinde Münsing zuständigen Förster an, wollte wissen, ob das eigentlich üblich sei, dass Füchse sich jetzt schon bis in die Betten vorwagen. Ach, der Fuchs, sagte Herr Gerer. Den kenne er schon, ein Jungtier sei das, aus diesem Jahr. Die anderen Tiere aus dem Wurf hätten sich ein neues Revier gesucht, nur der, dem habe es hier wohl so gut gefallen. Das verstand ich.

Jagen dürfe er ihn bei uns nicht, sagte Herr Gerer. Das sei ja Wohngebiet. Um Gottes willen, sagte ich, er sollte das Tier doch nicht erschießen. Aber er habe eine Lebendfalle aufgestellt, bei unseren Nachbarn. Die hätten sich auch schon gemeldet. Ich war ein bisschen ernüchtert. Das hatte er nun davon, dass er fremdgegangen war. Wenn er so schlau ist, wie es immer heißt, würde er da kein zweites Mal hingehen. Es folgten Tage bangen Wartens. Er wird doch nicht in die Falle getappt sein? Dann kam er wieder und legte sich dahin, wo er hingehörte – auf unseren Gartentisch. Und schlief. Als wäre nichts gewesen.

Wir sind jetzt trotzdem in die Stadt gezogen. Ohne ihn. Doch, ich vermisse ihn. Auf der neuen Terrasse haben wir zwei Eichhörnchen. Mal sehen, ob das auch eine schöne Freundschaft wird.

Illustration: Jörn Kaspuhl