»Ich fände es seltsam, wenn mein Vater eine Freundin hätte«

2013 soll sich das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ändern. Endlich. Aber wie lebt es sich eigentlich als Kind einer ungewöhnlichen Beziehung? Eine Art Familientreffen.

Fünf junge Menschen zwischen 14 und 21, aus Berlin und Düsseldorf, aus Marburg, dem Westerwald und Schwäbisch Gmünd. Sie kennen sich nicht, treffen an diesem Tag zum ersten Mal aufeinander. Wir wollen mit ihnen über das sprechen, was sie eint: über ihre Familien. Sie alle sind anders aufgewachsen als Kinder aus klassischen Familien: Ihre Eltern sind lesbisch, schwul oder transgender (vereinfacht gesagt: Sie haben das Geschlecht gewechselt). Mia, Nell, Felix, Malte und Lisa sind in sogenannten Regenbogenfamilien aufgewachsen.

SZ-Magazin: Wann ist euch klar geworden, dass in euren Familien etwas anders ist als bei anderen?
Nell: In der Grundschule. Wenn beim Weihnachtsbazar meine Mutter nicht mit meinem Vater gekommen ist, sondern mit ihrer Freundin. Dann wurde gefragt: Wer ist das denn? Also hab ich erklärt: Meine Eltern sind ein lesbisches und ein schwules Paar, vier Menschen, die zusammen zwei Kinder haben – meine Schwester Mia und mich.
Felix: Ich war auch schon in der Schule, als meine Mutter nach der Trennung von meinem Vater eine Beziehung zu einer Frau anfing. Ihre Freundin ist bald bei uns eingezogen, später haben sie geheiratet, sie waren mit die ersten Lesben, die das in Deutschland gemacht haben. Das alles habe ich auch gern in der Schule erzählt, mit sieben denkt man sich nichts dabei. Ich habe zu meiner Schwimmlehrerin gesagt, dass meine Mutter nackt mit einer Frau im Bett schläft.

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Wie hat die Lehrerin reagiert?
Felix: Gut! Heute ist sie die beste Freundin meiner Mütter. Es stellte sich heraus, dass sie auch lesbisch ist.

Wie haben andere Kinder in der Schule reagiert?
Mia: Kinder nehmen das alles total normal auf. Wenn, dann waren es immer die Eltern, die damit ein Problem hatten. Es gab ein Mädchen, das durfte ich deswegen nicht mehr treffen. Die Mutter kam aus Osteuropa und fand Nell und mich keinen guten Umgang. Malte: Ich habe schon ab und zu doofe Sprüche gehört, weil ich der Sohn von zwei Frauen bin. Aber in der Schule hört man sich doch alles Mögliche an, egal ob man zwei Mütter hat oder eine komische Frisur.

Lisa, bei dir ist alles noch mal anders: Deine Mutter hat eine Geschlechtsumwandlung hinter sich, sie ist heute dein Vater. Wie reagieren Menschen, wenn du das erzählst?
Lisa: In meinem Freundeskreis gibt es zwei Gruppen, die einen kenne ich vom Tanzen, die lachen viel und sind nett. Und dann gibt es welche, die aus einem anderen Viertel kommen, die ständig »krass, Alter« sagen und so. Die machen schon mal komische Sprüche über meinen Vater. Aber viel schlimmer finde ich, dass ich ab und zu die Sprache von denen übernehme. Weil ich die ja jeden Tag höre!
Nell: Ich finde es manchmal traurig, dass wir uns ständig erklären müssen. Erst das macht unsere Familien ja zu was Besonderem.

Wie erklärt ihr anderen den Unterschied zwischen eurer und ihrer Familie?
Lisa: Einem Jungen zum Beispiel sage ich immer, dass er sich vorstellen soll, er würde über Nacht eine Frau – und sich dann nichts sehnlicher als seinen Jungenkörper zurückwünschen. So hat sich mein Vater vor seiner Operation gefühlt. Das kapieren echt viele.

Wie hast du dich gefühlt, als dir deine Mutter gesagt hat, dass sie gern ein Mann sein möchte?
Lisa: Das war voll komisch, ich dachte, dass jetzt komplett alles anders werden würde. Aber weil ich wusste, dass meine Mutter, also mein Vater, sich in seinem Körper gar nicht mehr wohlfühlt, habe ich gesagt: Natürlich, mach. Nach und nach hab ich gemerkt, dass sein Lächeln wieder stärker wurde. Lukas war richtig glücklich, und das hat mich auch glücklich gemacht.

Du sagst zu deinem Vater Lukas. Wie nennt ihr anderen eure Eltern?
Malte: Ich sage meistens Mama oder Mutter. Wenn man allerdings mit jemand anderem spricht, dann gibt’s schnell Durcheinander, weil ich ja beide Mutter nenne. Aber es wäre doof, »meine leibliche Mutter« und »meine nicht-leibliche Mutter« zu sagen. Einen Vater gibt es bei mir ja nicht, ich bin durch einen anonymen Samenspender gezeugt worden.
Felix: Bei mir heißt eine Mutter Sabine und die andere Anne, als Kinder haben wir »Sahne« daraus gemacht. Das rufen wir heute noch oft, damit sind dann beide gemeint.
Malte: Wichtig ist auch die Tonlage: Wenn ich »Mama« ins Haus rufe, dann wissen die, je nachdem, wie ich es betone, wer gemeint ist. Wenn ich eine Erlaubnis brauche oder mit Freunden wegfahren will, dann rufe ich halt so »Mamaaa …«. Die Richtige hört schon hin – und ich weiß ja, bei wem ich schneller durchkomme.
Felix: Mein Problem ist, dass ich meistens, wenn ich von meinen Eltern rede, vergesse, dass es zwei Mütter sind. Ich sage »Eltern«. Chaotisch wirds, wenn die Frage nach den Berufen kommt. Ich sage, meine Mutter ist Frauenärztin und meine Mutter ist Hebamme. Und alle so: hä?

Wenn ihr über eure Familien sprecht, werdet ihr meistens gefragt: Und wie bist du auf die Welt gekommen?
Mia: Bei uns wollen viele wissen, wo die Gene herkommen. Meine leibliche Mutter und mein leiblicher Vater waren ja ein Paar, bevor sie lesbisch und er schwul wurde. Sieben Jahre nach ihrer Trennung haben sie beschlossen, zusammen Kinder zu bekommen. Für meine Zeugung haben sie sich getroffen, Nell wurde später durch Insemination mit
unserem Vater als Samenspender gezeugt.

Wie reagiert man auf blöde Sprüche?

Mia: Das kommt drauf an, ob ich mit einer Antwort tatsächlich irgendwas bewirken kann. Bei manchen Leuten denke ich mir, mit dem hat das sowieso keinen Sinn …
Malte:
Wenn einer zu mir käme mit einem blöden Spruch, wäre ich vermutlich der Letzte, der den Mund aufkriegt, weil dem schon drei meiner Freunde die Meinung gesagt haben.
Mia: Das ist bei uns auch so. Alle unsere Freunde finden unsere schwulen Väter cool. Da käme nie einer mit einem Spruch durch.
Felix: Ich gehe eigentlich immer ganz gern auf Konfrontation. Wenn ich merke, manche Leute könnten ein Problem haben – dann sage ich erst recht: Ich habe zwei Mütter. Und warte gespannt auf die Reaktion.

In euren Familien werden die Rollen neu erfunden. Wer kümmert sich um das Essen? Wer kümmert sich um das Geldverdienen? Wird so etwas verhandelt?
Mia: Alles total flexibel. Alle gehen arbeiten, alle kochen mal.
Felix: Die Frage höre ich oft: Wer nimmt den männlichen Teil ein, wer den weiblichen? Ich verstehe die Frage ehrlich gesagt nicht. Ich finde sie relativ sinnlos.
Mia: Diese alten Modelle werden immer seltener. Ich glaube, ich kenne keine Familie, in der die Mutter eine Hausfrau ist.

Wie ist das bei dir, Lisa? Welche Rolle nimmt dein Vater für dich ein?
Lisa: Er übernimmt beide Rollen. Er war meine Mutter, er ist jetzt mein Vater, also ist er irgendwie beides. Wenn meine Freundinnen erzählen, dass sie auf der Couch ein bisschen mit Mama kuscheln – das mache ich alles mit ihm. Meine Stiefmutter hält sich da komplett raus.

Hattet ihr alle schon oft Kontakt mit anderen Kindern aus Regenbogenfamilien?
Mia: Lustigerweise noch nie. Aber vor Kurzem bin ich mit meinem jetzigen Freund zusammengekommen. Und irgendwann hat sich herausgestellt, dass seine Mama auch lesbisch ist. Und die Mutter vom Freund seiner Schwester auch!
Felix: Das hier ist mein erstes Treffen mit anderen Regenbogenkindern.
Malte: Ich habe schon viele Regenbogenfamilien kennengelernt. Bei uns kam das vor allem über das Thema Insemination. Weil das noch total neu war vor 20 Jahren. Deshalb haben meine Eltern auch »Ilse« mitgegründet. Das ist eine Initiative lesbischer und schwuler Eltern, die Regenbogenfamilien mit Kinderwunsch unterstützt. Darüber kenne ich viele Kinder mit der gleichen Geschichte.

Malte, du bist eines der ersten Kinder in Deutschland, die durch Insemination gezeugt wurden. Hast du jemals den Wunsch gehabt, deinen leiblichen Vater kennenzulernen?
Malte: Das werde ich oft gefragt. Aber ich muss sagen, nein, das kann doch total nach hinten losgehen. Dann hat man vor sich einen sitzen und denkt, oh, mit dem will ich aber nicht meine Gene teilen! Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn ich den Mann mal eine halbe Stunde durch ein Fenster oder im Fernsehen anschauen könnte. Einfach nur, damit ich wüsste, wie er aussieht, wie er drauf ist. Mehr nicht.

Die Möglichkeit hattest du nicht.
Malte: Nein, meine Mütter wollten einen anonymen Samenspender. Ab und zu, wenn meine nicht-leibliche Mutter mir was verbietet, spiele ich auch auf unsere Nicht-Verwandtschaft an. Dann sage ich: Meine Mama würde mir das erlauben! Oder ich sage zu meinem jüngeren Bruder, der von meiner nicht-genetischen Mutter auf die Welt gebracht wurde: Deine Mama ist heute aber komisch drauf!

Ist einem von euch so etwas schon mal im Ernst rausgerutscht?
Mia: Als ich klein war, habe ich zu Susanne, meiner nicht-genetischen Mutter, mal gesagt: Du bist nicht meine Mama, du hast mir nichts zu sagen. Darauf sie: Dann muss ich dir auch jetzt nicht die Schulbrote schmieren.

Habt ihr in der Pubertät mal die Homosexualität eurer Eltern als Vorwurf verwendet?
Mia: Damals nicht. Heute werfe ich meinem Vater vor, dass er im Alter immer spießiger wird. Und wenn er und sein Freund so rumtunteln, mach ich sie manchmal nach.
Nell: Manchmal haben wir unsere Mütter geärgert: Ihr seid grad voll wie Männer!

Malte, Felix, hat euch der Vater irgendwann mal gefehlt?
Malte: Mir nie. Kann gut sein, dass man an bestimmten Punkten im Leben eine männliche Vorbildrolle sucht, ohne dass man es weiß. Wenn man sich entwickelt und älter wird, möchte man manches vielleicht nicht gerade seine Mutter fragen. Aber so etwas hat eben der Rest der Familie übernommen, mein Onkel zum Beispiel.

Lisa, besprichst du mit deinem Vater auch typische Mädchenthemen, also alles, was die meisten eher mit ihrer Mutter besprechen würden?
Lisa: Schon viel, ja. Oft auch mit seiner Schwester. Ich könnte aber alles auch mit meinem Vater besprechen, mir wäre da nichts peinlich.

Wie war das bei euch anderen in der Pubertät?
Felix:
Ich konnte mit meinen Müttern über alles reden. Aufklärung war bei einer Frauenärztin und einer Hebamme kein Problem, klar.

Eine Studie besagt, dass Eltern aus Regenbogenfamilien sehr auf ihre Kinder eingehen

WAS IST EINE REGENBOGENFAMILIE?
So bezeichnet man Familien, in denen mindestens ein Elternteil schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender ist. Strengere Definitionen sprechen nur dann von einer Regenbogenfamilie, wenn beide Elternteile homosexuell sind. Seit 2009 wird das Wort im Duden geführt. Zurzeit leben in Deutschland mehr als 2000 Minderjährige als Kinder eingetragener Lebenspartnerschaften.ADOPTION UND PARTNERSCHAFT
Seit 2001 dürfen homosexuelle Paare in Deutschland heiraten (offizieller Begriff: sich verpartnern). Das leibliche Kind des Partners zu adoptieren ist seit 2004 erlaubt. Das adoptierte Kind eines Partners anzunehmen ist jedoch verboten. Es deutet sich an, dass das Bundesverfassungsgericht 2013 diese Regelung großzügiger interpretieren wird.

Wenn ihr richtig klassische konventionelle Familien seht – gibt es da etwas, was ihr auch gerne hättet?
Felix: Ich stell mir deren Leben langweilig vor. Klar, es kommt auf die Leute an, man kann auch zwei Mütter haben, die megalangweilig sind. Aber ich empfinde es als Vorteil, dass es bei uns eine zusätzliche Ebene gibt: Meine Familie ist lustig – und die ganze Regenbogenfamilien-Sache, die ganze Offenheit kommt noch dazu.

Lisa: Andere Familien leben voll nach Regeln und haben immer den gleichen Tagesablauf. Das ist langweilig. Mein Vater Lukas geht auch mal mit Kollegen weg. Er versteht sich auch mit meinen Freunden und unterhält sich mit denen. Er ist aus meiner Sicht der einzige Vater, der mit anderen Kindern Kontakt hat. Andere Eltern sind halt so richtige Eltern. Eltern-Eltern. Lukas ist für mich mehr Freund-Eltern.

Eine Studie besagt, dass Eltern aus Regenbogenfamilien sehr auf ihre Kinder eingehen, weil viele davon Wunschkinder sind.

Malte: Glaub ich sofort! Wenn man wie meine Mütter in einer homosexuellen Beziehung lebt, hat man sich sehr lang mit seiner Identität auseinandergesetzt. Durch diese Denkweise kommt eine ganz andere Offenheit in die Familie. Bei vielen meiner Freunde gibt es in den Familien Spannungen, die nur dadurch entstehen, dass nicht alle offen miteinander reden. In den Regenbogenfamilien, die ich kenne, ist das nicht so.

Mia, Nell, ist das bei euch ähnlich, mit zwei Müttern auf der einen und zwei Vätern auf der anderen Seite?
Mia:
Ja, weil unsere Eltern sich absprechen mussten, uns zu bekommen. Und das haben wir immer gespürt.
Lisa: Mich würde es mal interessieren, einen Familientausch zu machen. Manchmal würde ich gerne wissen, wie das ist, wenn alles komplett normal ist. Ich könnte es wohl gar nicht mehr.
Felix:
Aber es ist ja auch bei uns vieles sehr bürgerlich. Meine Mütter haben geheiratet, dann hat unsere Stiefmutter meine Schwester und mich adoptiert. Sie waren eins der ersten verheirateten Paare, und wir waren die ersten Kinder, die in so einer Familie adoptiert wurden. Mein Vater musste zustimmen, aber wir haben einfach gesagt, er muss keinen Unterhalt mehr zahlen, und dann ging das sofort klar. Jetzt habe ich den Namen meiner Stiefmutter. Meine leibliche Mutter hat auch den Namen meiner Stiefmutter angenommen.

War das für dich komisch, auf einmal anders zu heißen?

Felix: Cool war’s. Schön, auf einmal eine Familie zu sein, auch vom Namen her.

Wie war das bei dir, Malte?
Malte: Ganz ähnlich. Aber bevor meine Mütter geheiratet haben, war die eine quasi eine Lebensgefährtin, die zwar sozial dazu befähigt war, etwas zu uns zu sagen – aber rein rechtlich nicht. Deshalb wurde dann meine nicht-leibliche Mutter zugleich meine Patentante: weil’s das früher gesellschaftlich ein bisschen einfacher gemacht hat. Es hat offiziell eine Form von Nähe hergestellt.

Also als positives Zeichen?
Malte:
Mehr! Es gibt ja auch Situationen, in denen es rein rechtlich wichtig ist, dass beide entscheiden dürfen. Bei medizinischen Belangen, bei einer Operation. Wenn meine biologische Mutter bei einem Unfall ums Leben gekommen wäre, hätte meine andere Mutter als Lebensgefährtin nicht unbedingt die Kinder bekommen. Vielleicht sogar eher irgendein Onkel. Deshalb ist die Stiefkindadoption so wichtig.
Nell: Als wir jünger waren, hat meine Mutter ein Schreiben aufgesetzt: Wenn etwas passieren würde, sollten wir zu Susanne, ihrer damaligen Lebensgefährtin, kommen. Nicht zu unserem Vater.
Mia: Wir beide haben uns immer eine Doppelhochzeit gewünscht: dass unsere Mütter und unsere Väter gleichzeitig heiraten. Aber alle haben gesagt, wenn es keine steuerlichen Vorteile gibt, wie bei der normalen Ehe, wollen sie es nicht.

Euer Vater ist euer leiblicher Vater. Mia ist auf klassische Weise gezeugt worden, Nell durch Insemination. Spielt das für euch eine Rolle?

Nell: Ich wusste das selbst lange nicht! Rausgekommen ist das bei einem Gespräch mit einem Reporter: Der hat gefragt, ob wir auf natürlichem Wege entstanden sind. Dann hieß es: Ja, Mia schon, Nell nicht, sie ist durch Insemination entstanden. Und ich so: Was? Wie? Ah, okay.
Mia: Aber das war ja dann auch sofort kein Thema mehr.
Nell: Klar, so wusste ich: Ich bin das totale Wunschkind. Lustig war aus heutiger Sicht, dass bei meiner Geburt so viel los war im Kreißsaal: Es waren alle da … Volles Haus!

Bemerkenswert ist, dass du, Mia, durch Geschlechtsverkehr gezeugt worden bist – von einer lesbischen Frau und einem schwulen Mann.
Mia: Ich habe meine Eltern mal danach gefragt, und die meinten, ach, wir waren doch früher mal ein Paar und fanden uns anziehend, das geht schon noch. Die haben sich damals getrennt, meine Mutter wurde lesbisch, mein Vater schwul, aber mein Vater hat gesagt: Wenn du irgendwann Kinder willst, meld dich. So ungefähr.

Was für Familienkonstellationen habt ihr im Kindergarten gespielt?

Nell: Also, ich immer ganz klassisch Vater-Mutter-Kind.
Mia: Ich auch.
Lisa: Ich auch.

Habt ihr in der Pubertät viel mit euren Eltern gestritten? War das anders als bei euren Freunden?
Malte: Ich glaube, es war entspannter bei uns. Da gab es auch Meinungsverschiedenheiten, aber das waren eher Diskussionen.
Nell: Bei uns ging es zu wie bei allen anderen Familien. Es gab genauso viel Stress: Vielleicht, weil wir vier Frauen waren. Papa lebt ja in Berlin.
Lisa: Ich bin 14, ich erlebe die Streitereien ja jetzt gerade. Für mich ist es immer komisch, wenn ich bei meinem leiblichen Vater bin. Wir können keine zwei Wochen zusammen aushalten. Wenn wir aufeinanderhocken, in den Ferien, drei Wochen – da streiten wir so was von!

Würdet ihr sagen, dass eure Eltern euch mehr erlauben als andere ihren Kindern?

Felix: Nein, meine Mütter sind ziemlich streng. Ich durfte nur eine Stunde am Tag Fernsehen schauen. Ich habe sie dafür gehasst. Aber im Nachhinein finde ich das gut.
Malte: Bei uns war das voll die Vertrauenserziehung. Sie haben mich vieles selbst entscheiden lassen.
Mia: Bei uns wurde auch sehr viel vertraut. Ich durfte schon früh feiern gehen. Und lange wegbleiben. Ich sollte aber nicht mit der U-Bahn heimfahren, sondern immer ein Taxi nehmen. Und weil mir so vertraut wurde, habe ich mich an diese Regeln immer
gehalten.
Lisa: Vertrauen ist voll gut. Mein Vater lässt mich manchmal ein ganz kleines bisschen Alkohol nippen. Bei Verboten wird doch alles nur interessanter.
Felix: Ich denke, dass sich unsere Eltern mehr Gedanken machen. Wenn die Hürde zum Kinderkriegen höher ist, macht man sich mehr Gedanken über die Erziehung, als wenn die Kinder quasi aus Versehen entstanden sind.

Wie ist das, wenn man selbst anfängt, sich für Jungs oder Mädchen zu interessieren – denkt man über seine eigenen sexuellen Vorlieben besonders nach, wenn man aus einer Regenbogenfamilie kommt?
Mia: Also ich hab mich das ganz doll gefragt. Wenn es um meine Zukunft ging, habe ich immer ein Haus gesehen, mich und eine Frau und einen Hund. Aber das hat sich gelegt, als ich mich eben nicht in Mädchen, sondern in Jungs verliebt habe.
Malte: Ich glaube, ich hätte Schwierigkeiten damit, mich als Schwulen zu sehen. Nicht weil ich es schlimm fände, aber es wäre so eine Art Sieg meiner Eltern, den ich ihnen nicht gönnen will. Ha, ha, nein, so kann ich das nicht sagen … Vielleicht, weil ich nicht einfach was nachmachen will.
Lisa: Ich möchte später in einem gelben Haus leben, ein Mann, eine Tochter, ein Sohn, eine Katze und ein schöner Garten. So eine richtig typische Familie. Das war schon immer mein Traum.
Mia: Ich möchte eine kitschige weiße Hochzeit, mit Haus und Hund, und ein adoptiertes Kind, das schon vier sein soll – damit es aus dem anstrengenden Babyalter raus ist.

Das Schimpfwort »schwul«

Haben eure Eltern hauptsächlich schwule oder lesbische Freundeskreise?
Mia: Das ist doch heute längst nicht mehr so. Mein Vater hat viele schwule Freunde, aber nicht nur.
Felix: Bei uns ist das auch nicht so.
Malte: Ich glaube, viele wollen genau das Gegenteil. Die hatten schon so einen Stress mit dem Outing, jetzt wollen sie nicht auch noch die große Suche nach Freunden unternehmen. Ist ja nicht so, dass man Gleichgesinnte im Supermarkt trifft.
Nell: Von den Freunden meiner Mutter ist kein Einziger schwul oder lesbisch.

Wie wäre es, wenn sich ein Elternteil plötzlich doch für eine heterosexuelle Beziehung entscheiden würde?
Mia: Ich fände es ganz seltsam, wenn mein Vater eine Freundin hätte. Ich wäre da irgendwie … eifersüchtig. Und mit unserer Mutter geht’s mir genauso.
Nell: Wenn meine Mutter mit einem Typen ankommen würde, die Vorstellung wäre echt voll eklig!

Was ist eigentlich mit dem Wort »schwul« passiert? Erst war es ein Schimpfwort, dann ganz normal, jetzt ist es in der Jugendsprache wieder ein Schimpfwort. Warum?
Mia: Stimmt, mich nervt das total. Wenn jemand sagt, das und das sieht voll schwul aus, bin ich immer kurz davor zu sagen, mein Vater sieht aber nicht so aus.
Malte: Das Wort hat, glaube ich, zwei Bedeutungen. Es wird heute eher für Dinge benutzt, seltener für Personen. So im Sinne von »langweilig«. Deshalb habe ich nicht so ein Problem damit. Ich benutze es auch selber manchmal.
Lisa: Bei mir sagen das immer die von der »Krass, Alter«-Gruppe. Aber neulich war ich bei H & M, hab ein hässliches Kleid gesehen – und dann habe ich das auch gesagt! »So ein schwules Kleid.« Und ich dachte mir: Hey, warum sage ich so was eigentlich?

Was sagen eure Eltern, wenn ihr etwas als »schwul« bezeichnet?
Felix: Also, mir ist es auch schon rausgerutscht, aber nicht zu Hause, denn dann würden die Fetzen fliegen. Meine Eltern achten sehr auf Sprache: Sie sind darauf bedacht, dass man Sachen weiblich nennt statt männlich, die »LehrerINNEN« und nicht die »Lehrer«. Ich denke, das Wort »schwul« wird viel für feminine Sachen genutzt: wenn jemand feminin aussieht. Viele finden halt immer noch, der Mann soll männlich sein. Tja.

Der Umweltminister Peter Altmaier lebt allein – in vielen Zeitungen wurde darüber spekuliert, ob der Mann schwul ist oder nicht. Was haltet ihr von solchen Diskussionen?
Malte: Genau davor warnen mich meine Eltern immer. Dass alle bloß nach den Defiziten suchen. Dass alle Fragen negativ ausgerichtet sind.

Zum Beispiel?
Lisa: Bei mir sind das Fragen über meinen leiblichen Vater. Wo der ist und so. Aber das mag ich gar nicht. Lukas ist halt für mich mein Vater.
Malte: Bei mir sind das Fragen zur Insemination. Ob ich gezüchtet wurde. Ob man 20 000 Eizellen befruchtet und die mit dem coolsten Gencode genommen hat. Sehr witzig.

Stehen Familienkonstellationen wie eure in den Schulen auf dem Lehrplan?

Nell: Bei mir in der Schule gar nicht.
Malte: Das Thema gehört auch nicht in die Schule.
Mia: Doch! In manchen Berliner Bezirken wäre das nicht schlecht. Klar, dann würde man es zwar als etwas Besonderes behandeln. Aber manche wissen rein gar nichts über alternative Lebensformen! Wie auch, wenn sie nicht so aufwachsen und nur ein Bild vorgelebt bekommen? Viele halten Homosexualität immer noch für eine Krankheit.
Felix: In einem meiner Schulbücher ging es um Steuern. Man sah ein Bild von einer traditionellen Familie und eins von einer Frau, die allein war mit ihrem Kind. Mittlerweile gibt es ein neues Buch, in dem auch gleichgeschlechtliche Familien abgebildet sind. So finde ich das gut: wenn das Thema einfach ganz selbstverständlich erwähnt wird. Man muss keine Extra-Stunde über Homosexualität einführen.
Malte: Ich zweifle am Nutzen. Ich sehe die Aufgabe eher bei der Gesellschaft als bei der Schule.
Mia: Aber da fängt es doch an!
Malte: Mag sein, aber ich weiß nicht, ob Leute anders denken, nur weil sie das mal in der Schule besprochen haben. Und wie manche Biolehrer über Homosexualität reden … das macht alles eher schlimmer!
Felix: Aber woher soll dann die Veränderung kommen?
Malte: Es wird schon werden, wart mal ab.
Mia: Schwierig wird’s, wenn ich an Kinder aus Migrantenfamilien denke. Ist doch auch logisch: Die leben in ihren Familien, mit ihren Freunden, woher soll da Veränderung kommen? Es wird doch gar nicht an sie rangekommen, die lesen keine Artikel darüber. Also bleibt nur die Schule als Ort mit Einfluss. Zurzeit wird über den Gesetzesentwurf zur steuerlichen Gleichstellung homosexueller Paare diskutiert. Angela Merkel hat gesagt, sie möchte »die steuerliche Privilegierung der Ehe erhalten«, weil sie glaubt, »dass das mit gutem Grund gemacht wurde«.
Malte:
Ha! Meine Mama hat gleich gesagt: »Wenn du mit denen vom SZ-Magazin redest, haust du auf den Tisch, damit politisch Druck ausgeübt wird!« Mache ich hiermit.

Könnt ihr verstehen, dass es konservative Menschen gibt, die so etwas wie Angst vor anderen Lebensformen haben?
Mia: Üüüberhaupt nicht.
Malte: Rein statistisch hat doch schon die große Mehrheit der Deutschen gar keinen Stress mehr mit Homo-Ehen – warum stellen sich dann trotzdem Politiker quer?

Was glaubt ihr: Was treibt die an?
Malte: Na ja, als Staat spart man sich vielleicht Geld. Wenn die alle mehr Steuern zahlen müssen … Andere Vorteile kann ich nicht sehen.
Felix: Mir völlig rätselhaft. Es kann höchstens um ganz alte Wähler gehen, die sie nicht vergrätzen wollen.

Komisch, dass ausgerechnet Merkel so zurückhaltend ist, oder? Obwohl doch mit Unterstützung der Familienministerin Kristina Schröder auch eine Gruppe von CDU-Politikern für die steuerliche Gleichstellung war.
Malte: Vor allem ist doch Frau Merkel selber nicht gerade eine Parade-CDU-Politikerin!
Felix: Aber die muss halt auch ihre Partei bedienen.

Empfindet ihr es als Vorteil, in Regenbogenfamilien aufgewachsen zu sein? Worin könnte der bestehen?
Felix: Einfühlungsvermögen.
Malte: Ich habe den Eindruck, dass ich ein guter Zuhörer geworden bin.
Mia: Geht mir auch so.
Felix: Wir haben keine Angst vor Emotionen. Wir sind in Familien aufgewachsen, in denen sich Menschen Gedanken über ihre Gefühle machen mussten.

Lisa, du hast jetzt sofort genickt.
Lisa: Ja, ich glaube, ich kann voll gut zuhören.
Felix: Es ist schwer zu erklären. Man denkt mehr über Bindungen nach. Man macht sich mehr bewusst. Zum Beispiel, wenn ich Beziehungen anderer Eltern mitbekomme, die eigentlich nur noch wegen der Kinder zusammen sind, völlig lieblos. Auch deshalb finde ich das traditionelle Familienbild völlig daneben, der Mann ist der Starke und arbeitet … so will ich nicht leben.
Malte: Manchmal wird einem das aber auch als Schwäche ausgelegt.
Felix: Klar, ich werde auch oft als schwul bezeichnet. Vielleicht wirke ich ja sensibler.
Mia: Hm, ich frage mich gerade … Ich hab bei meinem jetzigen Freund auch das Gefühl, dass es kein Problem gibt, das nicht auf den Tisch kommen könnte. Er ist auch sehr offen. Ich weiß nicht, ob das an seiner Kindheit liegt, an seiner Mutter – er ist empathischer als andere.

Seid ihr heute daran gewöhnt, euch andauernd erklären zu müssen?
Lisa: Na ja, man muss so viel wiederholen … Wenn die Leute dadurch meinen Vater besser verstehen, macht es Spaß. Aber immer wieder sagen zu müssen, alles ist gut, alles ist ganz normal – das ist schon mühsam.