Amore für immer

Diese fünf Frauen haben sich in den Sechzigerjahren als Touristinnen in Italiener verliebt - und sind einfach geblieben. Heute treffen sie sich einmal im Monat zum Kaffee. Äh, zum Cappuccino natürlich.

SCHÖNER FREMDER MANN

Brigitte Rosenberg (72) aus Hamburg lernte ihren Mann Alberto Donati (75) 1964 in einem Tanzlokal kennen und wanderte 1966 aus. Sie hat einen Sohn und eine Tochter.

»Mit 22 Jahren hatte ich Liebeskummer und verkroch mich in meinem Zimmer. Meine Mutter wollte mich mit einem Urlaub in Rimini von den Männern ablenken. Mein erster Italienurlaub! Sofort merkte ich: Hier war es nicht so streng und brav wie in Deutschland. Die Tanzlokale, Eisdielen und Bars hatten bis spät in die Nacht geöffnet. Die Menschen waren offener. Tagsüber brutzelten wir in der Sonne, abends brezelten meine Mutter und ich uns auf und gingen in eines der vielen Tanzlokale im Freien. Kaum spielte das Live-Orchester die ersten Takte, kamen die italienischen Männer angerannt und forderten die Frauen zum Tanz auf. Ich habe mich begehrt gefühlt wie eine Prinzessin. Die jungen Italienerinnen wurden von ihren Müttern streng bewacht, deswegen waren deutsche Frauen beliebter. Sie galten als offener und beflügelten die Fantasie der Männer. In einer Musikpause hat sich ein Italiener stumm neben unseren Tisch gestellt. Ich fragte ihn: ›Was wollen Sie denn?‹ Er antwortete: ›Ich warte, bis die Musik anfängt. Ich bin dann der Erste, der Sie auffordern kann.‹ Da musste ich lachen, ich fand ihn nett. Alberto wartete regungslos bis zum nächsten Lied, dann forderte er mich höflich zum Tanzen auf. Er drückte mich nicht eng an sich wie die anderen Männer, sondern hielt mich schön weit vom Körper weg. Das war mir angenehm. Wir haben uns für den nächsten Tag zum Spaziergang verabredet. Doch obwohl er anständig wirkte, traute ich ihm nicht so ganz. Darum wollte ich die Verabredung sausen lassen und ging mit meiner Mutter bummeln. Aber er fand mich: Auf einmal sah ich seinen Fiat 500 auf uns zufahren. Ich wollte im Erdboden versinken. Wir verbrachten den Rest des Urlaubs zu dritt: mein zukünftiger Mann, meine Mutter und ich. Er zeigte uns geduldig und freundlich seine Heimat. Wer so etwas macht, muss wirklich anständig sein.«

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HILFE, ICH HABE EINE FAMILIE GEHEIRATET

Ingrid Herrmann (74) aus Castrop-Rauxel lernte ihren Mann Rino Mazza (78) 1962 kennen und wanderte 1965 aus. Sie hat eine Tochter.

»In meinem ersten Jahr in Italien ging es mir oft schlecht. Vor allem an Weihnachten. Als ich da mit meiner Familie telefonierte, musste ich weinen. Der italienische Weihnachtsbaum sah so aus wie vom Rummelplatz: mit künstlichen Lichtern. Scheußlich! An den Feiertagen traf sich die ganze Familie. Das bedeutete für mich, meine Schwiegermutter und meine Schwägerin: Schürze an und kochen, kochen, kochen. Meine Schwiegermutter zeigte mir, wie das geht. Ich hab immer zugeguckt, wie sie etwas zubereitete, und mir das aufgeschrieben. Einmal sollte ich alleine etwas Deutsches kochen und habe dann eine Knorr-Suppe gemacht. Danach haben mich natürlich alle nach dem Rezept gefragt. Also musste ich beichten, dass die Suppe aus der Tüte kam. Anfangs haben mein Mann Rino und ich zwei Monate bei meinen Schwiegereltern gewohnt, dann sind wir in eine eigene Wohnung gezogen. Mein Schwiegervater hat mir sehr geholfen, mich in Italien einzuleben. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier. Er ließ mich sein, wie ich war, und machte mir keine Vorschriften. Meine Schwiegermutter war erst skeptisch, dass ihr Sohn eine Deutsche geheiratet hatte, aber dann hat sie eines Tages gesagt: Ich habe Ingrid lieber als meine Töchter. Nur einmal wollte ich abhauen, wegen meiner Schwägerin. Sie war eifersüchtig, weil ihre Eltern mich mochten. Als ich schwanger war, erzählte sie sofort allen davon. Wenn wir gemeinsam unterwegs waren, musste ich meinen Mantel auf der Straße aufreißen und fremden Leuten meinen Bauch zeigen. Deshalb war ich sauer auf sie und habe zu meinem Mann gesagt: ›Ich mache das nicht mehr mit. Ich fahre nach Hause.‹ In solchen Momenten haben mich die Sonne und der Strand getröstet. Und natürlich mein Mann, er hat damals sehr sensibel zwischen mir und meiner Schwägerin geschlichtet.«

BELLA RAGAZZA

Ulla Neidenberger (73) aus Berlin lernte ihren Mann Nino Genghini (73) 1961 am Strand kennen und wanderte 1965 aus. Sie hat eine Tochter und einen Sohn.

»Mein Mann Nino ist heute noch überzeugt, dass wir deutschen Frauen nur wegen der italienischen Männer nach Rimini gereist sind. Aber das stimmt nicht. Ich bin mit zehn Freundinnen hergekommen, weil in der Reisegruppe zufällig noch Plätze frei waren. Der Charakter der Italiener gefiel mir, sie waren aufgeschlossener. Die deutschen Männer waren mir zu träge: Die gingen abends ein Bier trinken und Skat spielen. Die italienischen Männer liefen den Strand auf und ab und haben jede Touristin angesprochen. Im Sommer trennten sich viele von ihren italienischen Freundinnen, um frei für die Touristinnen zu sein. Mein späterer Mann umkreiste mich am Strand und meinte, ich sei so weiß und müsste mich eincremen, wegen der Sonne. Nino setzte sich auf eine Ecke meines Handtuchs und rückte immer näher. Er malte ein Boot mit einem Ring in den Sand, und ich sollte raten, was das ist. Das fand ich süß. Später sagte er einmal zu mir: ›Du hast sehr kurze Beine für eine Deutsche. Das ist selten.‹ Ein bisschen frech! Trotzdem: Nach dem Urlaub haben wir besprochene Tonbänder zwischen Berlin und Rimini hin und her geschickt. Nino musste in Italien noch seinen Militärdienst absolvieren. Telefongespräche musste man damals beim Amt anmelden und sie waren teuer, Briefe waren uns zu unpersönlich. Einmal hat er wütend etwas auf das Band gesprochen. Wahrscheinlich ging es um unsere Hochzeitspläne. Als das Tonband schon in der Post war, bereute er seinen Wutanfall. Er bettelte seine Mutter um Geld an und flog nach Berlin. Er hoffte, dass er das Band noch abfangen könnte, bevor ich es anhörte. Als er ankam, war ich bei der Arbeit, ich war Schneiderin. Eine Kollegin sagte zu mir: ›Unten vor der Tür sitzt der Nino.‹ Ich habe vieles erst gar nicht auf das Band gesprochen, zum Beispiel dass ich zum Fasching mit Freunden unterwegs war. Ich konnte da herrlich lügen. Für meinen Mann war es wichtig, eine Jungfrau zu heiraten. Er hat aber Geheimnisse nicht für sich behalten können. Ich merkte, dass er Kontakt mit anderen Frauen hatte, während ich in Deutschland war. Ich habe bei ihm später Briefe von einer Schwedin und einer Österreicherin entdeckt. Er hat es gebeichtet und ich habe gelacht. Es war nicht schlimm für mich. Aber meine Geheimnisse habe ich lieber für mich behalten. Er hätte das andersherum nämlich nicht so lustig gefunden.«

MAMA, DU SOLLST NICHT UM MICH WEINEN

Uta Mischke (69) aus Bad Soden traf ihren Mann Rino Bovo (79) 1965 auf der Straße und blieb in Rimini.

»Als ich meinen Eltern am Telefon beichtete, dass ich mich in einen Italiener verliebt hatte, wollten sie mich sofort retten. Sie setzten sich ins Auto und waren am nächsten Tag in Rimini, wo ich als Reiseleiterin arbeitete. Italiener hatten damals einen schlechten Ruf in Deutschland, weil man so wenig über sie wusste. Ich habe meinen Mann Rino auf der Straße kennengelernt. Ich habe ein Hotel gesucht, das ich besichtigen wollte. Plötzlich stand er vor mir und fragte mich: ›Can I help you, madame?‹ Ich dachte erst: Dieser blöde Kerl! Am Abend pfiff er vor meinem Fenster Quando, Quando, Quando. Er schenkte mir eine goldene Brosche und besuchte mich Abend für Abend unter meinem Fenster. Ich weiß nicht mehr, wann ich mich in ihn verliebt habe. Sicher ziemlich schnell. Anfangs verheimlichte ich aber meine Liebschaft vor meinen Eltern, weil ich mir schon dachte, dass sie nicht begeistert sein würden. Nach der ersten Sommersaison in Italien bin ich zurück nach Bad Soden gefahren. Dort habe ich den Film mit unseren Erinnerungsfotos zum Entwickeln gebracht. Der Fotograf hat ein Bild von mir und Rino vergrößert und an meine Eltern geschickt, weil er es so schön fand. Meine Mutter fragte: ›Wer ist denn dieser Kerl?‹ Ich sagte: ›Na ja, das ist nur so ein Freund.‹ Ein paar Wochen später stand er unangekündigt vor unserer Haustür. ›Das ist doch der von dem Bild‹, rief meine Mutter. Rino musste im Hotel übernachten. Für meine Eltern war diese Beziehung zuerst eine Tragödie. Dass mein Mann zehn Jahre älter war als ich und im Gegensatz zu mir katholisch, machte alles nur noch schlimmer. Sie haben aber mit der Zeit gemerkt, wie gut wir zusammenpassen. Mir hat alles an ihm gefallen. Das Niveau spielt eine große Rolle, weniger Sex oder Aussehen. Ich habe einen intelligenten Mann mit Herz geheiratet. Mein Mann sagt, er habe sich in mich verliebt, weil er in mir sofort einen treuen Menschen gesehen hat. Außerdem hat er einen Deutschland-Fimmel. Er sagte einmal mit einem Augenzwinkern: ›Ich mag deutsche Produkte. Ich habe einen deutschen Kühlschrank, ein deutsches Auto – und eine deutsche Frau.‹ Unsere Liebe wurde über die Jahre noch stärker. Mein Mann ist für mich heute noch der Gleiche. Nur eines hat sich verändert: Manchmal wache ich nachts auf und bekomme Panik bei dem Gedanken, dass mein Mann nicht mehr da sein könnte.«

RIMINI GIRLS FOREVER

Erika Bredies (67) aus Nürnberg traf 1965 ihren Mann Otello Galigani am Strand. 1967
wanderte sie aus. Sie hat einen Sohn und zwei Töchter. Ihr Mann starb vor 13 Jahren.

»Ich erinnere mich noch genau an die Stelle am Strand, an dem ich ihn 1965 zum ersten Mal sah. Unsere Blicke haben sich getroffen und ich spürte eine starke Anziehung. Ich war wie hypnotisiert. Als mir Otello knapp zwei Jahre später einen Heiratsantrag machte, habe ich meine Arbeit als Verkäuferin bei C&A gekündigt und meinen Eltern nur gesagt: ›Ich muss weg!‹ Ich habe meine Sachen gepackt, mir einen Volkswagen geliehen und bin für eine Nacht in einen Gasthof bei Nürnberg gezogen – bis mich mein Mann abholte. Meine Eltern haben furchtbar gelitten. Sie waren überzeugt, dass ich an einen Mädchenschlepper geraten war. Doch mein Mann und ich waren wie eine Einheit und ich liebe meinen Mann bis heute. Mein Leben mit ihm war wie eine Fahrt in einem D-Zug. Sein Tod war wie eine Vollbremsung. Ich kann mich nur schwer daran gewöhnen, dass ich ihn nie wiedersehe, dass er nie mehr zur Tür hereinkommt. Meine Ehe war nicht immer glücklich, aber ich vermisse ihn. Otello konnte mir nicht immer zeigen, dass er mich liebt. Er hörte mir oft nicht richtig zu. Das Desinteresse machte mich kaputt. Deswegen waren wir zwischendurch mal zwei Jahre lang getrennt. Mich überfiel aber das Mitleid, als ich ihn im Supermarkt dabei beobachtete, wie er allein für sich einkaufte. Da habe ich ihn angerufen und gesagt: Jetzt machen wir Schluss mit Streit! Fünf Minuten später saß er wieder auf unserer Wohnzimmercouch. Seit mein Mann vor 13 Jahren gestorben ist, bekomme ich oft Heimweh nach Deutschland. Ich vermisse eine warme Gulaschsuppe oder ein Theaterstück, das pünktlich beginnt. Jeden Tag schaue ich mir deutsche Telenovelas wie Sturm der Liebe an. Da darf mich niemand stören. Aber länger als eine Woche halte ich es auch nicht mehr in Deutschland aus, denn meine Kinder und Enkel leben hier in Italien, hier ist meine neue Heimat. Und: Ich treffe mich mit meinen deutschen Freundinnen, die sich auch in den Sechzigerjahren in einen Italiener verliebt haben, regelmäßig zum Kaffeeklatsch. Wir reden über die Enkel, den Cholesterinspiegel und die Politik in Deutschland. Am liebsten würde ich mit meinen deutschen Mädels in Rimini eine Wohngemeinschaft gründen.«

Fotos: Ralf Zimmermann