Austragsarbeit

Wenn Züchter ihre wertvollsten Stuten schonen wollen, sorgen sie dafür, dass die ihre Fohlen nicht selbst gebären müssen: ein Besuch bei den Leihmüttern unter Deutschlands Pferden.

Nastrapsy ist das Topmodel unter den Zuchtstuten auf dem Allgäuer Gestüt Osterhof: eine Vollblut-Araberstute mit schwebendem Trab, wirbelndem Galopp und glänzend weißem Fell mit Sprenkeln, Fliegenschimmel nennt man das. Ihre Augen leuchten klar und schwarz, ihre Nüstern blähen sich, und wenn sie ihre Ohren spitzt, sieht ihr Kopf aus wie ein Scherenschnitt. Das Besondere aber, das, was sie von allen anderen der schönen Zuchtstuten auf dem Gestüt unterscheidet, sind ihre Nachkommen. Fünf Fohlen hat sie bislang bekommen, vier davon sind Champions, überhäuft mit Preisen auf Zuchtschauen. Ihr letztes Fohlen, erst ein paar Tage alt, hat ihr Züchter per Handyfoto an die Scheichs im Oman und in den arabischen Emiraten Dubai, Abu Dhabi und Ajman geschickt. Ein paar Minuten später war es verkauft: zum Preis eines Ferraris, an den Kronprinzen von Ajman.

Paula hat es nicht so gut erwischt. Paula ist auch ein Arabervollblut, aber nicht so wohlgeformt: Sie hat ein leicht zotteliges bieder-braunes Fell, ihr Blick ist lieb, nicht feurig, ihre Beine sind nicht gerade genug gewachsen. Sie hat noch nie einen Pokal gewonnen, ihre Gene würde kein Züchter weitergeben wollen. Und trotzdem lebt sie hier auf dem Gestüt von Karl-Heinz Stöckle, der es zu großem Ruhm gebracht hat, weil er die anmutigsten Araber der Welt züchtet. Denn Paula trägt die Fohlen der Superstuten aus.

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In der Züchtersprache nennt man Pferde wie Paula »Empfängerstuten«: In ihre Gebärmutter werden Embryonen fremder Stuten eingesetzt. Die Idee ähnelt der Leihmutterschaft bei Menschen und dient Züchtern, deren Stuten keine Fohlen austragen können – oder sollen: weil die Mutterstute zu alt ist, keine Fohlen austragen kann oder im Leistungssport bleiben soll. Oder zur Arterhaltung, wenn es nur sehr wenige Stuten einer Rasse gibt. Oder aber, weil die Stute so wertvolle Fohlen zur Welt bringt, dass sie mehr Nachkommen bekommen soll als von Natur aus möglich. So wie Nastrapsy.

»Im Moment gibt es weltweit kaum einen Züchter, der nicht gern ein Fohlen von Nastrapsy hätte«, sagt Karl-Heinz Stöckle. Er ist genau das, was man sich unter einem »Horseman«, einem Pferdemenschen, vorstellt: braun gebrannt, groß, quirlig, immer ein Pferd tätschelnd, ein Mann wie ein angeknipstes Licht. Den ganzen Tag hängt er am Telefon mit anderen Pferdemenschen, 500 Nummern sind in seinem Handy gespeichert. Unter seinem Wohnzimmer liegt der Stutenstall, sein Labor erreicht er über einen Gang neben seiner Küche. Das Gestüt, dritte Familiengeneration, eingebettet in die saftigen Allgäuer Hügel zwischen Kempten und Isny, gleicht einem Luxus-hotel für Pferde: offene Ställe für die Jungtiere, Zwei-Zimmer-Boxen mit Auslauf für die Hengste, so groß, dass eine Familie darin wohnen könnte. Stöckle züchtet keine Pferde in Masse, nur vierzig Tiere leben hier, davon zehn Zuchtstuten und neun Zuchthengste. Aber seine Araber heimsen auf Zuchtschauen in den Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Oman, Katar, Frankreich, Belgien, Holland, Italien so viele Preise ein, dass es in der Allgäuer Gegend schon lang keinen mehr wundert, wenn die Hubschrauber der Scheichs auf Stöckles Koppeln landen oder ihre Privatjets auf dem kleinen Flughafen in Memmingen.

Für Pferdemenschen ist Nastrapsy so was wie ein Ausnahmetalent: Selten bekommen Stuten fünfmal hintereinander so erfolgreichen Nachwuchs. Und die Nachfrage treibt die Preise: »Machen wir uns nichts vor, auch in meinem Beruf muss man Geld verdienen.« Deswegen will Stöckle mehr von ihren Fohlen züchten, nicht nur eins pro Jahr. Vier hat Nastrapsy bisher selbst zur Welt gebracht, eines hat Paula für sie ausgetragen. Sie leben heute in den USA und im Oman, drei hat Stöckle in das Emirat Ajman verkauft. Vor ein paar Tagen ist Nastrapsy erneut befruchtet worden: mit Samen des Hengstes Ajman Moniscione, einem der wertvollsten im Gestüt Osterhof. Pro Jahr verkauft Stöckle 150 bis 300 Samenportionen zum Preis von je 5000 Euro von ihm. Paulas Zyklus hat Stöckle mit Hormonen auf den von Nastrapsy synchronisiert. Am kommenden Freitag, am siebten Tag ihrer Trächtigkeit, soll Nastrapsys Embryo entnommen und Paula übertragen werden.

»Man darf das nicht übertreiben – sonst wird man die Rechung dafür bezahlen müssen«

Paula ist ein Pferd mit starkem Mutterinstinkt, ruhigem Gemüt und einem Becken, groß genug für viele Trächtigkeiten: eine vorbildliche Empfängerstute. Sie gebiert problemlos und gibt genug Milch. Schon fünf fremde Araberfohlen hat sie ausgetragen und aufgezogen. Die Rasse tut bei der Leihmutterschaft unter Pferden aber nichts zur Sache: Tierärzte haben schon American Quarter Horses, also Westernpferde, von Haflingern austragen lassen, Zebras von Pferden, Esel von Zebras, Warmblüter von Kaltblütern. So wie auf dem Zuchthof Galneder im oberbayerischen Taufkirchen, 250 Kilometer von Stöckles Gestüt entfernt: Für den Dressurnachwuchs der bayrischen Warmblutstute Piacetta steht dort Kaltblutstute Havanna bereit; ein größeres Becken hat keine andere Pferderasse zu bieten. Vor einer Woche hat sie Piacettas Fohlen geboren. Seine genetische Mutter Piacetta, die in der Box nebenan lebt, interessiert sich nicht für das Fohlen. Dafür aber Havanna, das Kaltblut, das sich nun sechs bis zwölf Monate hingebungsvoll um den Nachwuchs kümmern wird, auch wenn die gemütliche Leihmutter dem Bewegungsdrang des kleinen Dressurfohlens kaum hinterherkommt.

Erstmals 1890 gelangen britischen Forschern Embryonentransfers bei Kaninchen; heute übertragen Züchter Embryonen bei Rindern, Schweinen, Pferden. Seit 2004 zählt die reiterliche Vereinigung FN Embryonentransferfohlen unter Warm-blütern, 2012 waren es in Deutschland 478, deutlich weniger als in Argentinien, Brasilien oder den USA, wo Tausende dieser Fohlen zur Welt kommen, Poloponys, Springpferde, Showpferde. Zwar gibt es bislang noch kaum Studien über Leihmutterschaft bei Tieren, aber der Einfluss der Empfängerstute scheint minimal zu sein. Die Tierärzte des Schweizer Nationalgestüts in Avenches etwa befragten die Besitzer von Embryotransferfohlen nach Eigenschaften und Entwicklung ihrer Pferde. Sie konnten keinen Einfluss der Leihmutter auf Sozialverhalten, Bewegungsdrang oder Nervosität der Tiere feststellen. Ähnliches fanden auch die britischen Forscher heraus, die einen Zebra-Embryo von einer Pferdestute austragen ließen: Das kleine Zebra ließ sich von seiner braven Pferdemutter nicht beeinflussen und blieb ein unzähmbares Wildtier. Nur die Größe der Gebärmutter der Leihmutter scheint sich auf das Geburtsgewicht des Fohlens auszuwirken. »Aber auch das wächst sich nach einigen Monaten aus«, so Birgit Kolberg, Fachtierärztin für Fortpflanzung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die vor etwas mehr als elf Monaten den Pferdeembryo von Piacetta in die Gebärmutter der Kaltblutstute Havanna übertragen hat.

Siebter Tag der Trächtigkeit von Superstute Nastrapsy, ihr Schweif ist mit Mullbinden umwickelt, Stöckles Frau Inge steht mit langen Plastikhandschuhen hinter dem Pferd. Bis zum achten Tag der Trächtigkeit schwimmt der Embryo, ein Zehntel Millimeter groß, frei in der Gebärmutter und kann mit Flüssigkeit ausgespült werden. »Das macht besser meine Frau«, sagt Karl-Heinz Stöckle. Drei Liter Infusionslösung füllt sie mit einem millimeterdünnen Schlauch in die Gebärmutter, durch einen Filter läuft die Flüssigkeit wieder ab. Früher versuchte man dieses Ausspülen auch bei Frauen, die bereit waren, eine befruchtete Eizelle zu spenden. Das Problem: Wird der Embryo nicht erfolgreich ausgespült, bleibt die Trägerin schwanger. Bei Pferden kein Problem. »Ist uns auch schon passiert«, sagt Karl-Heinz Stöckle. »Dann trägt die Mutterstute ihr Fohlen eben selbst aus.«

Das Ausspülen der Gebärmutter ist so gut wie schmerzlos, Nastrapsy braucht kein Beruhigungsmittel. Während Inge Stöckle den Schlauch in die Gebärmuter einführt, sagt sie: »Man muss vorsichtig durch den Uterus – und vor allem: keimfrei!« Zur Ablenkung hebt Pferdepflegerin Marie den Futterkorb zu Nastrapsys Maul, die Stute fängt an zu fressen. Nach dem Ausspülen muss der Filter unter dem Mikroskop nach dem Embryo abgesucht werden: War die Stute trächtig, erkennt der Züchter eine mikroskopisch kleine glasige Zellkugel. Mit einer dünnen Spritze und weichem Schlauch kann er sie in die Gebärmutter der Leihmutter übertragen, ähnlich wie bei einer künstlichen Besamung.

Stöckle besitzt vier Leihmutterstuten, die jederzeit bereitstehen, ein Fohlen seiner Zuchtstuten auszutragen. Trotzdem kommt es vor, dass er die Zyklen der Empfängerstuten nicht mit denen der Mutterstuten synchronisieren kann. »In so einem Fall setze ich meine Embryonen in den Zug«, sagt er. Ein Embryo, eingelegt in Nährlösung, lebt auch außerhalb des Körpers weiter, etwa 24 Stunden – genug Zeit für eine Reise. Zum Beispiel zu Zuchtstationen wie Keros in Belgien oder ins holländische Animal Embryo Center, die sich auf die Vermietung von Empfängerstuten spezialisiert haben. Hunderte Stuten leben dort, deren Zyklen per Computer überwacht werden. Jeder Züchter kann seine Embryonen zu ihnen schicken und austragen lassen. Andere Züchter frieren ihre Embryonen für einen späteren Transfer ein. In Brasilien, den USA und Holland existieren bereits Embryobanken, bei denen Züchter eingefrorene Wunschembryos für Empfängerstuten kaufen können.

Ein Embryonenschutzgesetz wie beim Menschen gibt es bei Tieren nicht: Weder Laich noch Eier noch ungeborene Säugetiere genießen rechtlichen Schutz. Der Tierschutz beginnt beim geborenen Tier und endet mit seinem Tod. Dieses Gesetz sagt, dass keinem Tier grundlos Schmerz zugefügt werden darf. Die einzelnen Zuchtverbände empfehlen, welche Formen der Reproduktionsmedizin für welche Pferderasse angewendet werden soll und welche nicht: Kaum etwas läuft in der Zucht heute noch natürlich, die wenigsten Züchter lassen ihre Stuten per Natursprung decken, und auch eine Befruchtung mit Tiefgefriersperma zählt schon als künstlicher Eingriff. Wenige Zuchtverbände, etwa der Araber-Weltverband WAHO, lehnen bestimmte Eingriffe der Reproduktionsmedizin wie zum Beispiel die In-vitro-Fertilisation ab, das Absaugen der Eizellen und Befruchten außerhalb des Körpers. Den Embryonentransfer erlauben fast alle Zuchtverbände, wenn er in den Zuchtpapieren mit dem Hinweis »ET« kenntlich gemacht wird.

»Verdammt«, sagt Stöckle, als er den Filter über sein Mikroskop gebeugt absucht. An diesem Tag hat er kein Glück: In Nastrapsys Gebärmutter ist kein Embryo gewachsen. Noch gibt es keinen Test, mit dem Stöckle prüfen könnte, ob eine Stute bis zum siebten Tag tatsächlich trächtig ist: In dieser frühen Phase schüttet der Körper noch kein Hormon aus. Die Tierärzte vom Keros-Gestüt in Belgien haben herausgefunden, dass sie eine Stute durchschnittlich dreimal befruchten und spülen müssen, bis sie einen Embryo finden. Wurde der ausgespülte Embryo aber einmal erfolgreich in eine Leihmutter übertragen, nistet er sich mit achtzigprozentiger Sicherheit ein.

Die Stimmung im Stöckle-Stall ist gedrückt. »Man braucht viel Glück in diesem Beruf«, sagt Stöckle, setzt sich auf eine Bank in die Mittagssonne und schaut seinen Pferden beim Grasen zu. »Wir können das Spiel des Lebens nicht steuern. Nur ein klein wenig am Rad drehen.« Die Möglichkeit des Embryonentransfers wird die Zucht nicht groß verändern, schätzt Stöckle, sie bedeutet nur Zeitgewinn. Dafür ist das Ganze auch viel zu teuer: Züchter werden sich nur bei sehr wenigen, wertvollen Tieren dafür entscheiden. »Die künstliche Besamung hat die Zucht stärker verändert. Und die EU«, sagt er. Seitdem können Züchter Samen ihrer besten Hengste problemlos durch die Länder schicken.

Aufgeben wird Stöckle nicht. Ein paar Wochen wird er seinen Stuten nun Ruhe gönnen: »Man darf das nicht übertreiben – sonst wird man die Rechung dafür bezahlen müssen«, sagt er. Dann aber wird er es wieder versuchen: Bis der Superstar endlich trächtig ist und Paula nach elf Monaten ein kleines Kuckuckspferd zur Welt bringt.

Fotos: Alexandra Vogt