Der Unvollendete

Das einstige Leichtgewicht Guido Westerwelle hat sich zum seriösen Staatsmann gewandelt. Kommt gut an, im Ausland wie zu Hause. Nur die Freunde in seiner angeschlagenen Partei sehnen sich nach den alten Zeiten, als Westerwelle der meistgehasste Politiker war. Warum?

Es ist heiß in Ghana, diese extreme tropische Hitze, in der Europäer sich nur noch in Zeitlupe bewegen. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass man glaubt, warmes Wasser zu atmen, einigen Damen der Delegation sind die Frisuren explodiert. Unter Palmen, hinter flammendrotem Hibiskus und Feuerakazien im Vorgarten des Goethe-Instituts an Accras Kakramadu Road, steht so überraschend wie fitzcarraldohaft ein schwarzer Bechstein-Flügel. Eine junge, sehr schöne Ghanaerin in engem Rock und blumenbedruckter Seidenbluse hat ihr prachtvolles Haar im Nacken zusammengebunden, bewegt sich ganz sanft zu den ersten Klavierakkorden und singt mit weichem Alt. Sie singt »Sah ein Knab ein Röslein stehn«.

Vor dem Flügel in der Sonne steht der deutsche Außenminister. Ein Mann von 51 Jahren, schlank, dunkler Anzug aus leichtem Tuch, weißes Hemd, hellgelbe Krawatte, seriöse Kasten-Brille, die Haare gepflegt und Außenminister-grau. Blond, mit den noch blonderen Buben-Strähnchen des Spaßwahlkampfes ist ja schon lange Vergangenheit.

Die Mädchen und Jungen des ghanaischen Chors singen den Refrain, ohne ein deutsches »ö« wirklich zu können, leicht swingend, zweistimmig und gänsehauterzeugend innig: »Roslein, Roslein, Roslein, rot. Roslein auf der Heiden«.

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Der deutsche Außenminister nimmt mit der linken Hand die Brille ab und wischt mit dem angewinkelten Mittelfinger der rechten Hand kurz unter beiden Augen. Eine Sekunde später hat er wieder sein Guido-Westerwelle-lässt-sich-nicht-in-die-verletzte-Seele-gucken-Gesicht.

Die Botschafterin hat ihm nachts noch ein Moskitonetz besorgt. Er schläft nicht mit Klimaanlage, er muss fit und gesund bleiben. Heute Morgen um halb sechs, als alle anderen noch in ihren gegen die Malaria-Mücken gnadenlos tiefgekühlten Zimmern lagen, ist er am Strand von Accra schon gejoggt mit seinen Sicherheitsbeamten, in kurzen Hosen, Sporthemd, Sonnenbrille.

Guido Westerwelle läuft den Außenminister-Marathon. Im doppelten, vielleicht im dreifachen Wortsinn, vielleicht ist das jetzt auch der lange Lauf zu sich selbst. Man kann nach 30 Jahren in der Politik ja auch verloren gehen auf dem Weg vom Spaßguido zum Zampano der Erregungsdemokratie, vom Talkshow-Dauersitzer, Beinahe-Populisten und Möllemann-zu-spät-Ausbremser, der seine kleine FDP immer wieder über die Wahrnehmungsschwelle gehoben hat, zum Retter dieser FDP, vom Großhelden der neoliberalen Verirrung zum meistgehassten Politiker des Landes.

Als er, beim Wechsel ins Außenministerfach, die alten Westerwelle-Etiketten gerne abgeworfen hätte, sind sie an ihm kleben geblieben. Er wird die Bilder nicht mehr los, die er von sich erschaffen hat. Und, ja, die Geschichte hat das Zeug zu einer Tragödie.

Am Abend zuvor im Garten der deutschen Botschaft hat er eine Rede gehalten, englisch, frei, etwas zu perfekt. Er wirkt, wenn es groß und offiziell wird, immer angestrengt, wie einer, der auf überhaupt gar keinen Fall einen Fehler machen möchte. Sehr deutsch. Ganz anders als jetzt, wenn er den jungen Leuten im Atrium des Goethe-Instituts erklärt, warum ein Deutscher seiner Generation so zurückhaltend ist mit Kriegseinsätzen.

Accra in Ghana, Kapstadt und Pretoria in Südafrika, dann Maputo in Mosambik. Treffen mit Außenministern, Regierungschefs, Abschluss von Wirtschaftsabkommen, die Chinesen waren längst schon überall. Führungen durch Townships und Hilfsstationen für HIV-infizierte Mütter, Hafenrundfahrt, Treffen mit Start-up-Gründern und Mathematikstudenten. Nach der Landung in Tegel soll es dann gleich weitergehen: die Schweiz, Israel, Algerien, USA, Afghanistan. Wieder mal drei Wochen, in denen Guido Westerwelle nur zum Gepäckwechseln zwischendurch eine Nacht zu Hause in der Mommsenstraße sein wird. Der Airbus mit der Aufschrift »Bundesrepublik Deutschland« ist sein zweites Zuhause. Ob er ein wenig übertreibt, jetzt im zweiten Anlauf?

Und was war das da am Flügel beim Roslein-rot? Tränen? Rührung? »Ja, das hat mich berührt«, sagt er. Und: »Vielleicht war es auch die Sonne. Ich stand da ja im Gegenlicht. Sagen wir: beides.«

Im Flugzeug vertauscht er Sakko und Krawatte gegen eine dunkelblaue Strickjacke von Ralph Lauren mit braunen Lederpatches auf den Ellenbogen. Dann dürfen auch mal Journalisten nach vorne kommen zu Gesprächen. Er ist locker, witzig, nett und unterhaltsam, als habe er mit dem Anzug auch die Außenminister-Spannung abgelegt. Auf die harmlose Frage, was er eigentlich plant, falls es schiefgeht mit der Wiederwahl im September, sagt er allerdings: »Machen Sie mal das Band aus …«

Das ist ganz anders als Guido Westerwelle früher. Es hat sich etwas geändert zwischen Journalisten und Politikern. Und daran sind nicht die Politiker Schuld. »Ja, stimmt«, sagt er, »man wird unglaublich vorsichtig. Und das ist nicht unbedingt nur gut.«

Öffentlich hat er jetzt viel über die Fehler gesprochen, die er in der Anfangsphase gemacht hat. Die Sache mit dem BBC-Journalisten, den er gebeten hat, Deutsch zu sprechen. Die »spätrömische Dekadenz«. Die Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat zum militärischen Eingreifen in Libyen, die mit Merkel gemeinsam beschlossen war, aber an ihm hängen blieb. Hat denn immer nur er Fehler gemacht? Niemand sonst? »So bin ich erzogen worden: nicht die Schuld bei anderen suchen.«

Er wirkt ganz im Reinen mit sich, wenn er so etwas sagt. Er sagt aber auch: »Hätten wir fünf Prozent weniger gehabt, wäre es leichter gewesen. Bei 14,6 wollten plötzlich viele Hunde den Hasen jagen.« Er sagt: »In einer Situation, in der Sie unter größtem Druck und massivem Beschuss sind, passieren Ihnen Dummheiten und Fehler, Fehler, die dann die Ursache sind für noch größeren Beschuss.« Vergangenheit. Schulterzucken. »Das Leben wird nach vorne gelebt und nach hinten verstanden.«

Es gab offensichtlich auch gar kein schwarz-gelbes Projekt.

Der Minister und sein Büro, das er zuweilen wochenlang nicht betritt, wenn er im Ausland unterwegs ist. Die Wand hinter seinem Schreibtisch schmückt ein Gemälde der Berliner Künstlerin Sabina Sakoh.

Wer über Guido Westerwelle nachdenkt, muss sich an immer den gleichen dürren biografischen Einzelheiten entlanghangeln, die er früher preisgegeben hat. Wie er, als er acht Jahre alt war, nach der Scheidung seiner Eltern beim Vater blieb, zum Speckpfannkuchen mutierte und das Gymnasium nicht schaffte. Wie er dann im zweiten Anlauf von der Realschule zurück aufs Gymnasium ging. Auch, welche Kränkungen und Erfahrungen er sich dabei abgeholt hat, vor allem bei den 68er-Lehrern und verwöhnten, gegen alles protestierenden Bürgerkindern. Ein Detail wird dabei gerne übersehen: Als zweite Fremdsprache wählte er damals Latein, Leistungskurs. So kompensiert Guido Westerwelle Minderwertigkeitskomplexe: Euch werde ich es noch zeigen.

Ganz entspannt ist der öffentliche Außenminister, wenn es um Kunst geht. Wenn er zum Beispiel im Vorzimmer des mosambikanischen Ministerpräsidenten Alberto Vaquina ein wenig warten muss und an der Wand die wild-roten Menschenmassen-Gemälde von Malangatana entdeckt. »Schauen Sie sich das an. Wahnsinn«, sagt er dann, »Hieronymus Bosch, afrikanisch, modern.«

Guido Westerwelle sammelt Kunst, zeitgenössische, gegenständliche deutsche Kunst vor allem. Außerdem hat er eine These, die er hier in den afrikanischen Löwenstaaten wieder bestätigt findet, überall auf seinen Reisen hat er das beobachtet, in Lateinamerika, Vietnam, Armenien, China: »In dem Augenblick, in dem sich eine Mittelschicht herausbildet, entsteht auch ein aufregender Transformationsprozess bei der zeitgenössischen Kunst.« Er verändert sich, wenn er über Kunst spricht. Er setzt das auch ein, so wie andere Politiker über Fußball sprechen oder Witze erzählen. Kunst ist allerdings interessanter.

Die Startbahn in Maputo ist zu kurz, um vollgetankt nach Berlin zu starten. Deswegen gibt es noch eine Zwischenlandung in Daressalam. Und Zeit zum Nachdenken. Darüber, wie er es nur geschafft hat, die Regel zu zertrümmern, dass ein Außenminister immer hohe Beliebtheitswerte hat.

Westerwelle war die FDP. Es war der dritte Anlauf. Es hatte schon so ausgesehen, als würde es nie etwas werden mit der Regierungsbeteiligung im Bund, er war schon fast Prinz Charles. Dann hat er seine Partei zum höchsten Wahlsieg ihrer Geschichte geführt, 14,6 Prozent, Hans-Dietrich Genscher hatte Tränen in den Augen am Wahlabend im September 2009. Und Guido Westerwelle wurde Außenminister, der jüngste, den die Republik je hatte. Zwei Jahre später jagt seine Partei ihn vom Hof. Was für ein Absturz. Und was für ein Lehrstück.

Man kann bei der Vorbereitung auf einen neuen Job alles richtig machen. Man kann sein Englisch aufpolieren, ins Ausland reisen, vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Grundsatzreden halten und, wenn man Guido Westerwelle ist, sogar für die Fotografen einen Globus über die Straße tragen lassen. Und trotzdem kann dann alles falsch laufen.

Weil er nicht runtergekommen ist von der hohen und lauten Schlagzahl des Führers einer kleinen Oppositionspartei. Er ist Innenpolitiker geblieben. Hat die 14,6 Prozent persönlich genommen und als imperatives Mandat begriffen: versprochen – gehalten. Hat den vorsichtigen Rhythmus der Union unter Angela Merkel nicht verstanden. Zwei Geschwindigkeiten, zwei Temperamente, zwei Temperaturen. Und das in Zeiten, in denen die Regierungschefs die Außenpolitik selber übernommen haben.

Wenn man im Februar 2010 im Kanzleramt den Namen Westerwelle sagte, verdrehten alle nur noch die Augen. Er hat immer so Ausbrüche, hieß es. Er nimmt alles persönlich. Auf welchem Trip ist der eigentlich?

Es gab offensichtlich auch gar kein schwarz-gelbes Projekt. Angela Merkel wollte einfach in Ruhe weiterregieren, jetzt halt mit der FDP. Vielleicht wollte sie die FDP auch kleinhalten, viele in der Union hatten Angst, wenn die noch stärker werden, passiert mit uns vielleicht, was mit der SPD durch die Linke passiert ist.

Und draußen der große Nachwahl-Katzenjammer. Schon während der Koalitionsverhandlungen fand man niemanden mehr, der überhaupt zugab, FDP gewählt zu haben. Es war, als würden die eigenen Wähler Guido Westerwelle übel nehmen, dass sie ihm das neoliberale Zeug noch einmal geglaubt haben, als es in der Finanzkrise schon längst entzaubert war. Und Journalisten, die schon über die neue liberale Bürgerlichkeit gegrübelt hatten, schrieben jetzt ihre Guido-Bashings.

Parteien reagieren hart auf Misserfolg. Und verschieden: Wenn Merkel angegriffen wurde, war bis mittags einer aus der Union zur Stelle, der sie verteidigt hat. Wenn Westerwelle Fehler machte, war bis mittags einer aus der FDP da, der genau analysierte, was er wieder falsch gemacht hatte. Als dann auch noch Horst Köhler zurücktrat, war die Koalition eigentlich am Ende. Das war viel ernster, als die Öffentlichkeit es wahrgenommen hat.

Im Auswärtigen Amt fand man in dieser Fehlstart-Zeit immer jemanden, der bereitwillig über seinen Minister herzog. Vielfliegender Dilettant. Solche Sachen. Scheint Stil des Hauses zu sein: Ist der Minister erfolgreich, waren wir es. Wenn nicht, ist er ein Idiot. Sie schenkten ihm ein kleines Büchlein, in dem sie die wichtigsten Redewendungen auf Englisch zusammengestellt hatten. Und erzählten das nach draußen.

Steinmeier hat Englischunterricht genommen, Joschka Fischer auch. Der durfte ja überhaupt immer alles, Steine werfen, Turnschuhe tragen, dick werden, dünn werden, heiraten, noch mal heiraten, immer wieder. Ihm haben sie alle seine Rollenwechsel abgenommen vom Straßenkämpfer zum Groß-Staatsmann. Westerwelle kommt nie aus dem Guidomobil. Das muss bitter sein für jemanden, dessen Erzrivale Joschka Fischer heißt.

Deswegen ist es auch so komisch, wenn man Guido Westerwelle in seinem Außenminister-Amtszimmer am Werderschen Markt besucht und über diesen Fußboden läuft, der bei jedem Schritt ein wenig nachgibt. Ein fast lautloses, aber mit dem Fuß deutlich zu fühlendes Fischer-war-auch-schon-hier-Plopp. Als ob man über tote Frösche läuft.

Joschka Fischer hatte sich Terrakotta-Fliesen legen lassen, völlig unpassend in diesem Dreißiger-Jahre-Bau der ehemaligen Reichsbank, in dem später Zentralkommitee und Politbüro der SED untergebracht waren. Steinmeier hat einen sachlich anthrazitfarbenen Teppich über die Toskana-Verirrung legen lassen. Dieser Teppich hat sich inzwischen abgehoben und zeichnet die Fliesen zu ihren Rändern hin mit kleinen Buckeln nach: Plopp, plopp.

Westerwelle hat das alles so gelassen und nur seine Kunst reingehängt: Großformate von Sabina Sakoh und Ulf Puder. Und Immendorffs, mutig goldgerahmt. Das spielt geschmackvoll mit den Türen und Beschlägen des Dreißigerjahre-Baus.

Hinter dem Schreibtisch steht eine schwere Bronze-Skulptur, ebenfalls von Immendorff. Man kann sie auseinandernehmen in zwei nicht ganz gleiche Teile. Sie heißt: »Alter Ego«.

Alter Ego Außenminister. Gleich nach dem finalen FDP-Parteitag ist Westerwelle ins Flugzeug nach Marokko und hatte ein »sehr befreites Gefühl, jetzt nur noch Außenminister zu sein«.

Außenminister zum Zweiten also. Noch einmal richtig. Noch einmal neu erfunden. Keine Talkshows, keine Innenpolitik, keine FDP, eine neue Brille, neue Berater und Sprecher, zwei neue Staatssekretäre. Emily Haber, die Staatssekretärin, ist schon ewig mit Merkels außen-politischem Berater Christoph Heusgen befreundet. Die telefonieren zweimal am Tag. Sie haben ihm die Marktlücken gefunden, die eine europa- und weltpolitisch so ins Zentrum gerückte Kanzlerin lässt: Afrika, Lateinamerika, Asien, die neuen Kraftzentren der Welt. Er hat sich sein internationales Netzwerk aufgebaut. Das läuft jetzt alles. Wenn man den Umfragen glaubt, dreht es sich auch langsam: Schon 48 Prozent sind mit ihrem Außenminister zufrieden bis sehr zufrieden.

Er macht das trotzdem nicht ganz so dick wie Joschka Fischer mit seiner Freundin Madeleine Albright.

Guido Westerwelle und seine südafrikanische Amtskollegin Maite Nkoana-Mashabane, die er während seiner fünftägigen Afrikareise in Pretoria traf. (Foto: dpa)

Westerwelle und Merkel veranstalten keine Windhundrennen wie Steinmeier und Merkel: Wenn die dahin fährt, muss ich aber vorher auch noch dahin. Und wenn zu Beginn des Wahlkampfes der amerikanische Präsident Obama kommt, darf Guido Westerwelle ihn am Flughafen Tegel abholen. Die Kanzlerin und ihr Außenminister reden, telefonieren und simsen viel. Sie gehen öfter miteinander essen, als die Öffentlichkeit das wahrnimmt. Die werden sich auch noch lange nach ihren politischen Ämtern im »Cassambalis« treffen.

Und die FDP? Hat er zwischendurch nicht oft gedacht, na, ihr könnt es ohne mich aber auch nicht besser? »Nein, das habe ich nicht. Ist auch keine Art von mir«, sagt er. Innenpolitisch eisern die Klappe halten, vor allem über seine Nachfolger in der FDP, das scheint das große Latinum dieses zweiten Anlaufs zu sein. Auch wieder ein Leistungskurs.

Und trotzdem. Noch ein anderer Versuch: Hat er denn mal gedacht, dass vieles auch einfach an latenter bis offener Homophobie in diesem Land lag, an Vorurteilen und Hass gegen Homosexuelle? »Das habe ich nicht gedacht. Das ist der Fall gewesen.«

Dann erzählt Guido Westerwelle von dem SPD-Bürgermeister, der noch in der Wahlnacht den Agenturen sagte: Ich will nicht von einem Schwulen im Ausland vertreten werden. Davon, was für ekelhafte E-Mails und Briefe er bis heute bekommt. Vom traditionellen Neujahrskonzert im Auswärtigen Amt, das eine der gesellschaftlichen Spitzenveranstaltungen in Berlin ist. Als zum ersten Mal auf der Einladung stand »Außenminister Dr. Guido Westerwelle und Michael Mronz bitten …«, da haben ihn tatsächlich viele beiseite gezogen: Ich stehe ja total hinter euch. Aber das mit der Karte muss ja vielleicht nicht sein.

Guido Westerwelle und Michael Mronz hatten sich alles genau überlegt. Sie wollten Zeichen setzen. Es ist ja das erste Mal für Deutschland, Europa und die Welt. »Also haben wir überlegt: Wo fahren wir zusammen hin? Welche Aufgaben übernimmt Herr Mronz? Ein ›Herz für Kinder‹? Als wir dann nach Lateinamerika geflogen sind, gab es den sehr ungerechten Vorwurf, er sei aus geschäftlichen Gründen mitgefahren.«

Zwei ganze Wochen wurde das in den deutschen Medien gegeigt. Dann kippte es, wie die Neue Zürcher Zeitung sehr fein beobachtet hat, »lautlos weg ins große schwarze Loch der Skandale, die nie welche waren«.

Rückflug nach Berlin mit Guido Westerwelle. Hintergrundgespräch. Jetzt darf auch mal nach Innenpolitik gefragt werden. Aber erst mal geht es noch nicht um Wahlen, sondern um Wale, um Whale Watching mit Hillary Clinton. Der Außenminister zieht sein iPhone heraus und zeigt Fotos. Sie haben sich da auf so einem Moby-Dick-Holzboot gegenseitig an den Gürteln festgehalten, um sich hinauszulehnen und den Wal zu berühren. Die amerikanische Außenministerin, das ist das Witzige, ist nicht zu erkennen, nur eine Frau im grünen Friesennerz von hinten mit blauer Weste und der Buckel vom Wal. Es ist aber Hillary. Er hat sie festgehalten und fotografiert. Er ist offensichtlich stolz darauf, wie gut er sich mit ihr versteht. Er macht das trotzdem nicht ganz so dick wie Joschka Fischer mit seiner Freundin Madeleine Albright.

Dann Innenpolitik. Und wieder eine Verwandlung. Wenn es um Wahltaktik geht, um Wahlchancen, um Merkels Amtsbonus, die Steuerpläne der Grünen, kommt Guido Westerwelle richtig nach vorne und denkt nicht lange über seine Sätze nach. Das macht ihm Spaß. Da ist er in seinem Element. Da ist er wieder der, der das vorzeitige Ende von Rot-Grün nach der NRW-Wahl vorausgesagt und die 14,6 Prozent geholt hat.

Innenpolitik, Wahlkampf, das ist seine wahre Herzenskompetenz. Oder?

»Die habe ich in der Außenpolitik auch. Aber in der Außenpolitik wäge ich jedes Wort noch genauer. Auch in der Innenpolitik gibt es Ärger, wenn man mal danebenlangt. Aber in der Außenpolitik in dieser jetzigen Phase mit so vielen Konflikten hat das noch eine andere Bedeutung. Also wäge ich und überlege sehr viel genauer.«

Und wie soll dann Wahlkampf gehen? Wird das nicht dem Außenminister schaden? »Meine Vorgänger haben auch Wahlkampf gemacht.«

Und wie wird das funktionieren? Die Parteifreunde sagen: Hau mal rein, Guido. Und die Spitzenbeamten im Auswärtigen Amt sagen: Bloß nicht? »Vielleicht sage ich im Eifer des Galopps auch mal was, was dann zu wahlkämpfig war für den Geschmack einiger. Ich werde schon darauf achten, dass das Karo nicht zu klein wird.«

Auf dem 2. Außenhandelstag Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf vor ein paar Wochen hat er schon mal vorsichtig ausprobiert, wie man von der Außenpolitik geschickt in den Wahlkampf kommt. Er erzählt dann von der größten Baustelle der Welt, der Erweiterung des Panamakanals, über den es eine Volksabstimmung gab. Achtzig Prozent waren dafür. »Dann war ich gerade in Singapur, da werden drei Hochhäuser in fünf Jahren an einer Stelle gebaut, wo vorher nicht einmal Land war, nur Wasser.«

Jetzt muss er nur noch die Kunstpause machen und sagen: »Wenn ich bei uns an Bahnhöfe und Flughafen denke …« Und schon hat er sie alle. Nachher im Auto sagt er: »Man kann diesen kollektiven Knoten richtig platzen spüren.« Die Nummer werden wir also bestimmt noch oft hören in den nächsten Wochen.

Und wenn es trotzdem nicht klappt? Wenn Schwarz-Gelb nicht wiedergewählt wird? Dann war es das mit Guido Westerwelle. Ein Unvollendeter wie Strauß und Lafontaine. Wenn aber die FDP wieder in die Regierung kommt und wenn sie gleich viele Ministerposten besetzen kann … Wenn, wenn, wenn.

Wenn Westerwelle zum Kulturfrühstück in Bonn einlädt, kommen 900 Gäste, mehr als bei jedem anderen der FDP-Wahlkämpfer. Der Spiegel glaubt schon, »er scheint sich zum Wahlkampfmagneten der FDP zu entwickeln«. Politik hat ja gelegentlich einen Sinn für klappsymmetrische Ironie. Am Ende, wer weiß, wird Guido Westerwelle noch seine alten Slipper ins Haus der Geschichte stellen, mit der bösen 18-Prozent-Sohle nach oben. Am besten neben die Turnschuhe von Joschka Fischer.

Fotos: Andreas Nestl