Glück im Spiel

In der DDR bastelte Renate Müller Puppen für Kindergärten, nach der Wende wollte keiner mehr etwas von ihr wissen. Heute werden ihre Tiere weltweit in Galerien ausgestellt. Wieso? Das erklärt sie am besten mal selbst.

SZ-Magazin: Frau Müller, seit fast fünfzig Jahren entwerfen Sie im thüringischen Städtchen Sonneberg Spielzeug, nun werden Sie seit einigen Jahren von einer New Yorker Galerie vertreten. Wie kam es dazu?
Renate Müller: Das kam aus heiterem Himmel. Die beiden Chefs der Galerie hatten bei einem Händler in Köln alte Tiere von mir gesehen, wussten aber nicht, wo die herkamen. Ein Jahr lang haben sie nach mir gesucht, 2009 haben sie mich schließlich in Sonneberg besucht und gesagt, dass sie meine Viecher gern in ihrer R 20th Century Gallery ausstellen wollen, die auf zeitgenössisches Design spezialisiert ist.

Und wie haben Sie reagiert?
Oh Gott, habe ich gedacht! Dass ich als kleines DDR-Kind mal in New York ausstelle, hätte ich mir nie träumen lassen.

Hat´s Ihnen dann trotzdem Spaß gemacht?
Das war Wahnsinn. Bei der Eröffnung im Herbst 2010 war die Galerie krachvoll. Da kamen so viele interessierte Leute – also, ich bin gar nicht wieder geworden. Im kommenden Frühjahr habe ich die nächste Ausstellung in der New Yorker Galerie. Ungefähr vierzig zum großen Teil neu gestaltete Spielobjekte sollen da gezeigt werden, außerdem wird es einen Bereich geben, wo Kinder spielen können. Meine Tochter Bettina und ich sind jetzt schon schwer dabei, wir machen ja alles von Hand. Gerade haben wir verschiedene Schildkröten in Arbeit; bevor Sie gekommen sind, haben wir Stoff aufgesteppt und Leder gestanzt.

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Im vergangenen Herbst waren Sie sogar Teil der Ausstellung »Century of the Child« im New Yorker Museum of Modern Art. Was wurde dort von Ihnen gezeigt?
Neben einem Vintage-Nilpferd vor allem ein baukastenähnliches Sitz- und Spielelementesystem, das ich 1985 für das Pionierhaus in Oberhof gemacht habe. Als Auszeichnung habe ich damals das »Bienchen« vom Pionierhaus Oberhof bekommen. Und jetzt war’s im MoMA.

Was hat sich durch New York für Sie verändert?
Meine Tiere sind nicht mehr nur normales Spielzeug, sie gelten jetzt als Design-Objekte. Früher standen die Nashörner und Nilpferde in den Behinderteneinrichtungen der DDR, jetzt stehen viele als Design-Liebhaberstücke bei wohlhabenden Amerikanern im Wohnzimmer.

Von Anfang an haben Sie für Ihr Spielzeug dieselben Materialien verwendet: Rupfen, also ein haltbares Jutegewebe, und Leder. Wie sind Sie auf diese Kombination gekommen?
Über Helene Haeusler, meine Lehrerin an der Fachschule für Spielzeug in Sonneberg. Sie war vom Bauhaus beeinflusst, einfache Formgebung und Naturmaterialien waren ihr Ideal. Sie hatte ihren Studentinnen schon Ende der Fünfziger Zuckersäcke mitgebracht, aus denen die ersten mit Holzwolle gestopften Rupfentiere entstanden. In Sonneberg, wo sich alles ums Plüschtier drehte, war dieses Material eine Provokation. Als ich 1964 mein Studium begonnen habe, hat es mir gleich zugesagt.

Schon Ihren Eltern gehörte eine Spielzeugfabrik. Was wurde dort hergestellt?
Hauptsächlich Puppen und Plüschtiere. Aber mein Vater hat erkannt, dass man auch mal neue Wege gehen muss. Er hat zugestimmt, als uns Frau Haeusler den Ankauf von drei Studentenarbeiten vorschlug, um sie in Kleinserie aufzulegen. Diese Muster – das Nashorn, die Ente und den kleinen Würfel – habe ich zur Produktionsreife gebracht, auf der Leipziger Herbstmesse 1967 haben wir die ersten beiden Nashörner gezeigt. Da kamen gleich mehrere Ärzte an und bemerkten, dass sich diese Tiere gut für die Arbeit in der Kinderpsychiatrie oder Kinderorthopädie eignen würden. Das war der Anfang.

Worin liegt der therapeutische Wert Ihres Spielzeugs?
Materialkontraste, also unterschiedliche Oberflächen, die ertastet werden wollen, Anregungen zum Greifen und Turnen, Möglichkeiten zum Aufrichten, Belastbarkeit. Meine Entwürfe sind jeweils für ein halbes Jahr in drei verschiedenen Kinderkliniken und therapeutischen Einrichtungen erprobt worden, unter Beobachtung von Ärzten, Psychologen und Physiotherapeuten. Erst danach wurde das Zertifikat »Therapeutisch wert-voll« erteilt.

Haben Sie sich ganz auf therapeutisches Spielzeug spezialisiert?

Nein. Bis 1972 habe ich jedes Jahr etwa zwanzig Exponate für unsere Plüschtierkollektion entworfen, aber eben auch zwei bis drei neue Rupfentiere. Da entstanden Nilpferd, Krokodil, Schaukelwal, Schildkröte und viele andere Modelle, die bis heute gefragt sind. 1972 wurde unsere Firma allerdings verstaatlicht, auf einmal hießen wir VEB Therapeutisches Spielzeug Sonneberg.

Wie geht man damit um, wenn einem der Betrieb weggenommen wird?
Mein Vater hat einen Schlaganfall bekommen und sich nicht mehr davon erholt.

Und Sie? Wie haben Sie reagiert?
Was sollte ich machen? Ich war jung, hatte zwei kleine Kinder. Anfangs konnte ich meine Sachen weitermachen, 1976 wurden allerdings die ganzen kleinen Spielzeugbetriebe zum Kombinat Sonni zusammengefasst und man hat mir untersagt, meine Kollektion weiterzuentwickeln.

Was mussten Sie stattdessen tun?
Zum Beispiel Tabellen mit internationalen Sicherheitsbestimmungen erstellen. Dass ich kein Spielzeug mehr entwerfen durfte, hat mich schon gewurmt. Deshalb habe ich die Mitgliedschaft im Künstlerverband der DDR beantragt. Als ich dort aufgenommen wurde, konnte ich beim VEB Sonni aufhören und in die Selbstständigkeit gehen. Bis zum Ende der DDR habe ich 17 Spielplätze entworfen und eigenhändig gebaut, das hat mir auch viel Spaß gemacht.

»Das muffige Tier kann man doch Kindern nicht in die Hand geben! «

Renate Müller, Spielzeug-Designerin: 1945 geboren, wuchs Renate Müller »auf der Arbeitsplatte« der elterlichen Spielzeugfirma im thüringischen Sonneberg auf, der 1912 gegründeten H. J. Leven KG. Sie studierte an der Sonneberger Fachschule für Spielzeug und machte sich ab 1967 einen Namen mit therapeutischen Spieltieren, 1972 jedoch, nach der Verstaatlichung der elterlichen Firma, wurde sie aus dem Betrieb gedrängt. Bis zum Ende der DDR arbeitete sie als freischaffende Künstlerin. Seit der Wende stellt sie in ihrer eigenen Werkstatt wieder Spieltiere her, inzwischen assistiert von ihrer Tochter Bettina. Spät bekam sie ein bisschen was vom Weltruhm ab, ihre Tiere wurden im Museum of Modern Art in New York gezeigt.



Was geschah mit Ihren Rupfentieren?
Die wurden vom Kombinat Sonni bis zur Wende weiterproduziert – oft in minderer Qualität. Fast alle DDR-Kindergärten hatten irgendwann Tiere von mir, es ging aber auch viel in den Westen; die Etiketten »Made in GDR« wurden einfach abgetrennt. Schon Ende der Siebziger hat uns mein Cousin aus Hamburg ein Foto gezeigt: Da war das Nashorn in einer Illustrierten zu sehen, zum Preis von 499 Westmark!

Haben Sie in der Wendezeit gleich den Entschluss gefasst, wieder mit dem Spielzeugmachen anzufangen?
Von einem Tag zum anderen wurden alle staatlichen Aufträge storniert, die ich für Kindergärten und Behinderteneinrichtungen hatte. Plötzlich stand ich vor dem Nichts. Was lag näher, als sich zu fragen: Mensch, das Kombinat Sonni macht dicht, was wird denn aus deinen Schnitten? Über die Treuhand in Suhl habe ich den Betrieb meiner Eltern dann rückübereignet bekommen. Inklusive unserer Original-Maschinen und meiner Original-Schnitte. Mit denen arbeite ich heute noch.

Dann müssten Sie eigentlich gut gerüstet gewesen sein für die neuen Zeiten: im Osten verwurzelt, im Westen beliebt.
Kein Mensch wollte etwas von mir! Im Osten haben sich alle Plaste-Spielzeug aus dem Westen geholt. Und im Westen kannte man vielleicht meine Tiere, aber nicht mich als Designerin. Die Wende kam 1992 bei der Nürnberger Spielwarenmesse. Plötzlich stand ein Japaner, Herr Tadashi Tsujii, vor meinem Stand, der gesagt hat, dass er seit zehn Jahren in einer Behinderteneinrichtung mit meinen Tieren arbeiten würde. Sein Händler in Westdeutschland habe ihm aber nie verraten, wo die Sachen hergestellt werden! Herr Tsujii war bis 2009 mein Hauptabnehmer. Der hat die Viecher voll in meinem Sinne an den Mann gebracht: In erster Linie hat er Kindergärten und Behinderteneinrichtungen beliefert, zu einem moderaten Preis.

Inzwischen werden für alte Renate-Müller-Originale mehrere Tausend Euro gezahlt.
Ich muss ehrlich sagen: Das entzieht sich meiner Logik. Ich restauriere viele alte Tiere, zum Beispiel wenn jemand möchte, dass ich ein Familienerbstück aufarbeite, okay. Aber wenn Leute für tausend Euro bei Ebay so ein altes Ding kaufen und es mir dann zum Restaurieren schicken wollen, sage ich oft: Das muffige Tier kann man doch Kindern nicht in die Hand geben!

Sie sind jetzt 67. Wie lange wollen Sie weitermachen?
Solange ich kann. Und solange mein Material noch reicht. Der Rupfen, den ich hier habe, stammt noch aus der DDR-Weberei in Weida. Das VEB Kombinat Sonni hatte kurz vor der Wende zum Glück noch mal eine große Charge weben lassen, die ich kaufen konnte. Diesen Stoff in derselben Qualität zu bekommen ist heute völlig unmöglich.

Hat die Tatsache, dass Sie in der DDR lebten, auf irgendeine Art Ihr Design beeinflusst?
Heute betrachte ich es im gewissen Sinne als Vorteil, dass wir so abgeschnitten lebten, weil wir gezwungen waren, unseren eigenen Weg zu finden. Wenn mal einer heimlich einen Spielzeug-Katalog eingeschleust hatte, haben wir uns darauf gestürzt – aber in der Regel festgestellt, dass die Designer im Westen auch nur mit Wasser kochen.

Was macht gutes Design aus?
Für mich muss Design eine Funktion haben. Wenn Sie meine Tiere anschauen, werden Sie sehen, dass es kein Zufall ist, wo die Lederelemente sitzen: an den Stellen, wo die höchste Belastung ist. Oder da, wo das Kind hingreifen soll. Ich kann gar nicht funktionsfrei denken.

Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, als Sonneberg ein Zentrum der Spielwarenindustrie war. Jetzt gehören Sie zu den Letzten, die hier noch Spielzeug machen.
Ja, das finde ich sehr traurig. Ich brenne für unsere Spielzeugtradition. Aber die ist schon fast verloren gegangen.

Warum sind gerade Sie übrig geblieben?
Schwer zu sagen. Es hängt wohl damit zusammen, dass ich mich für dieses Material und die Art der Gestaltung im Innersten entflammt habe. Für mich gibt es weiterhin nichts Schöneres, als morgens die Tür zu meiner Werkstatt aufzuschließen.

Fotos: Andreas Lux