Ein Mann mit Brüchen

Mads Mikkelsen spielt Serienkiller und Bond-Bösewichte - und ist trotzdem mehr als nur ein Action-Star. Ob das mit seiner Ausbildung in Ausdruckstanz zu tun hat?

SZ-Magazin: Sie drehen gerade die zweite Staffel der Serie Hannibal und spielen ihn: den berühmten, charmanten Killer und Psychopathen Hannibal Lecter. Kostet Sie das Überwindung?
Mads Mikkelsen: Null. Er ist einer der glücklichsten Menschen, die ich je dargestellt habe. Er ist so zufrieden mit seinem Leben, nichts beunruhigt ihn oder bringt ihn durcheinander. Normalerweise spielt man Figuren mit Problemen. Er hat absolut kein Problem. Er ist ein Genießer. Er ist helle, in jeder Hinsicht: weil er intelligent ist und weil er das Leben schön findet. Also, ich mag ihn sehr.

Auf einem Filmstill sieht man Sie essen, drunter steht: »It’s nice to have old friends for dinner« – es ist schön, alte Freunde zum Essen (da) zu haben. Trifft das Ihren Humor?

Na, ist schon eine ziemlich gute Zeile, finden Sie nicht? Ich würde sagen, mein Humor ist in etwa so schwarz. Vielleicht noch schwärzer.

Spielen Sie deshalb so gern harte Typen in blutigen Filmen?

Die spiele ich, weil es um was gehen muss. Filme, in denen Menschen glücklich sind und viel Obst essen, geben nichts her.

Stimmt es, dass Sie nach Ihrer Rolle als Bösewicht Le Chiffre in Casino Royal dem Pokerspiel verfallen sind?
Ich habe nun wirklich nicht James Bond gebraucht, um das Pokern zu entdecken. Ich spiele mit meinen Freunden, seit ich zwölf bin. Anfangs um wenig Geld natürlich, später um mehr. Als wir klein waren, haben wir Five Card Draw gespielt, dann Texas Holdem. Wir spielen, wann immer es geht.

In diesen Tagen sind Sie als Michael Kohlhaas im Kino zu sehen und reiten ununterbrochen. Mögen Sie sich in solchen Rollen: ein Mann, ein Pferd?
Auf einem schönen Pferd sieht man immer ganz gut aus, finde ich. Ich bin schon viel in Filmen geritten, ein halbes Jahr allein für King Arthur. Aber bei Michael Kohlhaas war es schwieriger, denn die Tiere waren sehr kostbar und nicht kastriert. Und ein Hengst ist ein anderes Pferd als ein Wallach oder eine Stute. Ein Hengst ist kaum zu bändigen.

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Sind Sie inzwischen ein guter Reiter?
Ich bin kein Naturtalent, aber ich bin ganz gut geworden. Das habe ich gerade bei den Dreharbeiten zu einem Western festgestellt, The Salvation. Die Pferde waren unfassbar freundlich und gut ausgebildet. Mit dem kleinen Finger konnte ich sie aus dem fliegenden Galopp zum Stillstand bringen. Sie waren so leichtgängig wie ein Fahrrad. Es ist schon ein tolles Gefühl, auf einem Pferd zu sitzen, das macht, was du willst.

Was hat Sie, außer dem Reiten, an Michael Kohlhaas, einer fast mittelalterlichen Figur, gereizt?
Ich kannte die Novelle von Kleist nicht. Aber als ich sie gelesen habe, fand ich sie radikal, und ich mag Radikalität. Daraus können schlimme Dinge entstehen, aber auch hochinteressante, banal wird es jedenfalls nie. Und das Thema ist doch für alle Ewigkeit aktuell. Das klassische Dilemma: Was ist gerecht? Wie weit kannst du gehen im Namen der Gerechtigkeit? Ist es immer richtig, Gerechtigkeit zu wollen? Heute würde das allerdings niemand mehr so aufschreiben wie Kleist.

Wie würde man das heute aufschreiben?
Der Mann würde sich in kleinen, sehr nachvollziehbaren Schritten verändern, damit der Zuschauer nicht aufhört, ihn zu mögen und sich mit ihm zu identifizieren. Aber Kohlhaas riskiert alles. So hat Kleist ihn angelegt, und so versteht ihn auch Annaud de Pallières, der Regisseur. Er wollte testen, ob man immer noch mitgeht mit so einem.

Können Sie sich mit ihm identifizieren?

Leicht. Ich verstehe ihn voll und ganz. Die Pferde sind sein Leben. Seine Familie natürlich auch. Aber er ist in der Lage, seine Prinzipien über sein Leben und seine Familie zu stellen. Ich bin ein großer Verfechter von Gerechtigkeit und kann da auch stur sein, im Kleinen wie im Großen. Meine Welt teilt sich auf in gut und böse, richtig und falsch. Und ich kann zu weit gehen in meinem Streben nach Gerechtigkeit.

Wie sieht das aus, wenn Sie zu weit gehen?
Das erzähle ich Ihnen nicht. Das wird vielleicht eines Tages in meinen Memoiren auftauchen. Wenn ich neunzig bin.

Sie haben acht Jahre Ausdruckstanz gemacht, bevor Sie Schauspieler wurden. Mussten Sie sich dumme Sprüche anhören, weil Tanzen unmännlich ist?
Sie meinen wie in Billy Elliot? Ich habe anfangs gar nicht erzählt, dass ich tanze. Ich komme aus einer Arbeitergegend in Kopenhagen, da wäre das nicht so gut angekommen. Später hab ich es den Jungs aus dem Viertel so verkauft, dass ich der einzige heterosexuelle Mann unter hundert Frauen bin. Das fanden sie sehr einleuchtend.

Haben Sie die wichtigsten Tanzfiguren noch drauf, körperlich?
Nicht wirklich, einen Purzelbaum könnte ich jetzt vorführen, so Zeug. Meine Gelenkigkeit ist verloren gegangen, die müsste ich mir wieder antrainieren. Das würde vielleicht einen Monat dauern. Aber das zu bringen, was ich in Höchstform beim Tanzen gekonnt habe, würde einiges mehr als einen Monat dauern. Man hat eine Kraft als Tänzer, die man durch kein anderes Training der Welt bekommt.

» Ich weiß, dass wir geboren sind und sterben werden.«

Kritiker schreiben über Sie: Wenn er nur geht, sieht es aus, als hätte er sich was dabei gedacht. Verdanken Sie diese Körperlichkeit dem Tanzen?
Ich denke ja. Durch das Tanzen weiß ich, dass jede Rolle, die man spielt, eine ganz eigene Körperlichkeit hat, die sich aus ihrem Charakter und ihrer Psyche ableitet.

Pina Bausch, die Erfinderin des Tanztheaters, hat gesagt, sie sei nicht interessiert daran, wie jemand sich bewegt, sondern was ihn bewegt.
Super Satz. Man muss darüber nachdenken, was einen Menschen bewegt, um zu erkennen, mit welcher Energie man ihn spielt. Manche sind langsam und schwer, andere sind schnell und ungeduldig. Das kommt aus der Figur heraus, es ist nichts, was man sich für die Figur ausdenkt.

In Michael Kohlhaas gibt es ausgedehnte Szenen, in denen Sie kein Wort sagen. Ist das nicht langweilig für einen Schauspieler?

Gar nicht. Man kann im Film so viel ohne Worte sagen. Nicht weil es leichter ist. Weil es besser ist. Ich liebe Worte und Sprache, Hannibal ist a talking machine. Aber wir müssen aufpassen, dass wir dem Publikum nicht ständig erklären, was wir tun, wie das im Fernsehen der Fall ist. Das ganze Gequatsche ist schrecklich anzusehen und schrecklich zu spielen. Haben Sie Die Jagd gesehen?

Da spielen Sie einen Kindererzieher, der plötzlich zu Unrecht des Kindesmissbrauchs verdächtigt wird.

Da gibt es einen Streit zwischen meinem besten Freund und mir beim Weihnachtsgottesdienst. Am selben Abend kommt er rüber, mit Friedensbrandy und Essen. Im Drehbuch stand ein ziemlich langer Dialog, in dem wir einander erklären, warum wir uns verhalten haben, wie wir uns verhalten haben. Wir haben das probiert und es fühlte sich total falsch an. Am Ende haben wir kaum gesprochen. Und doch war klar, dass er sagen wollte, tut mir leid, und ich sagen wollte, ist okay, ohne dass wir es getan haben. Denn im Film kann man sehen, was passiert: Die Kamera soll, zusammen mit dem Schauspieler, die Geschichte erzählen. In Bildern – anders als in der Literatur, in der Musik, und anders als in der Wirklichkeit sowieso.

Der Regisseur von Die Jagd, Thomas Vinterberg, hat gesagt, es sei nicht nur ein Film über Missbrauch, sondern auch einer über die Krise des dänischen Mannes. Welche Krise meint er?

Der kastrierte Mann, ja, ich weiß. Weil er eben nicht jagen und trinken darf, sondern mit dominanten Frauen auf Elternabenden sitzen muss. Ich bin da mit Thomas nicht auf einer Linie. Ich habe den Mann auch nicht so gespielt. Diese Substory interessiert Thomas vielleicht gerade, und ich respektiere das, aber ich empfinde nicht so. Bei einem Film über die schwachen Männer Skandinaviens wäre ich nicht an Bord, ist mir zu langweilig. Und wenn Ihre Frage sein soll, ob ich glaube, der nordische Mann sei kastriert: nein, gar nicht. Ich finde höchstens, dass wir politisch zu korrekt geworden sind.

Was meinen Sie damit?
Jede Frau in Dänemark möchte ihr Baby im Café stillen. Und darum wird gerade ein Gesetz erlassen, dass es überall erlaubt sein muss, zu stillen. Das ist doch irre.

Ist Stillen nicht überall erlaubt?
Ein Cafébesitzer konnte seine eigenen Regeln aufstellen und sagen, er möchte das nicht. Jetzt geht das nicht mehr. Weil so viele Frauen in Dänemark das Gefühl haben, sie brauchen zum Stillen einen Caffè Latte und das Recht darf ihnen niemand verwehren. Sind das die Probleme, mit denen wir es zu tun haben? Diese Art von Feminismus finde ich tatsächlich besorgniserregend. Warum so wütend? Die Mehrheit der Menschen geht doch entspannt mit stillenden Müttern um. Aber auch wenn manche Frauen so überreagieren, denke ich nicht, dass alle Frauen Miststücke sind. Und ich empfinde es als Katastrophe, dass Männer und Frauen weltweit immer noch nicht dieselbe Bezahlung für dieselben Jobs bekommen. Das muss sich ändern, dafür muss man kämpfen.

Mit einer Quote?

Ich finde es nicht dramatisch, wenn in Skandinavien nur dreißig Prozent der Filme von Frauen gedreht werden. Ich würde es schlimm finden, wenn schlechte Filme gedreht würden, weil jeder zweite Film von einer Frau sein muss. Ich mag diese Regelungen nicht, die keinen Raum lassen für die freie Entscheidung. Wenn man acht Filme produzieren kann und die besten Ideen sind von acht Frauen, dann sage ich doch nicht Nein zu vier Frauen, die Hälfte der Filme muss von Männern realisiert werden. So läuft das nicht. Aber ich sehe auch nicht, dass der dänische Mann gerettet werden muss.

Sind Sie immer so im Reinen mit sich, wie Sie gerade wirken?

Ich bin Realist. Ich weiß, dass wir geboren sind und sterben werden. Dazwischen können wir eine Menge Spaß haben oder sehr frustriert sein. Vielleicht bin ich spät genug Schauspieler geworden, um zu verstehen, dass es mich zufrieden macht, etwas zu tun, was mich interessiert. Und nicht, berühmt zu werden. Aber ich kann auch sehr unzufrieden sein.

Womit zum Beispiel?
Mit dem Leben, mit der Politik, mit meiner Arbeit. Wie jeder andere auch. Und ich kann mich da reinsteigern, auf ganz ungesunde Art. Was ich nicht mehr mache: Ich bin nicht mehr ständig auf der Suche nach etwas. Das macht unglücklich.

»Life is what happens to you when youre busy making other plans.«

So lernt man ihn bald kennen: mit Bart und grauem Schopf in der Rolle des Pferdehändlers »Michael Kohlhaas«, nach der Novelle von Heinrich von Kleist.

Wonach haben Sie gesucht?
Ich kenne so viele Leute, die alles Mögliche betreiben, um ihrem Leben einen übergeordneten Sinn zu verleihen. Sie werden ihn nicht finden. Es gibt ihn nicht. Im Leben geht es um die Gegenwart, um den Alltag: Du unternimmst was mit deinen Kindern, treibst Sport, trinkst mit deinen Freunden Bier, bist mit deiner Frau zusammen. »Life is what happens to you when youre busy making other plans«, hat John Lennon gesagt. Daran glaube ich. Das ist nicht immer einfach. Aber es ist auch nicht schlimm, einen Tag zu verschwenden. Ich versuche, nicht zu unzufrieden zu sein mit dem Leben.

Die Suche nach einem Sinn im Leben führt aber auch zu großen Entwicklungen und Entdeckungen.
Ich sage nicht, dass die Leute mit nichts zufrieden sein sollten. Natürlich sind Neugierde und Entdeckergeist toll. Das ist ja das Leben. Aber man sollte nicht versuchen, seine Identität in der Suche nach dem Besonderen zu finden. Ich sehe immer wieder Leute, die denken, den anderen einen Schritt voraus zu sein – und traurig und einsam sind. Wer ständig nach den großen Antworten sucht, verlangt zu viel vom Leben.

Ist das eine Haltung, die Sie auch Ihren Kindern beibringen?

Vielleicht versuche ich unbewusst, es ihnen beizubringen. Einfach weil ich so lebe, wie ich lebe. Wir als Familie sind füreinander da, wir stehen zueinander, beschützen uns, wir trösten uns, und wir genießen das alles sehr. Aber wir führen jeder unser Leben und am Ende des Tages muss jeder seine Entscheidungen treffen und seine eigenen Probleme lösen.

Sie haben zwei Kinder, Ihre älteste Tochter ist zwanzig. Lebt Sie noch bei Ihnen?

Zwei Wochen noch.

Sind Sie einer von den Vätern, die nicht loslassen können?
Nein, ich bin stolz auf sie. Ich finde sie cool. Klar werde ich sentimental, wenn ich in den Bücherkisten stöbere, ein Buch hochnehme und mich daran erinnere, wie ich es vorgelesen habe. An unseren Kindern sehen wir, wie die Zeit vorüberfliegt. Besonders wir Schauspieler sind ja sehr gut darin, in den Spiegel zu schauen und zu sagen: Ach, schön, siehst super aus, nichts passiert.

Haben Sie Angst vor dem Alter?
Nein, mir geht’s gut. Ich mache viel Sport. Sport machen und Sport gucken, das sind meine Hobbys. Zum Glück leistet mir mein 14-jähriger Sohn dabei Gesellschaft. Wir gucken Tour de France, 24 Stunden Le Mans, die Winterolympiade, wir gucken Dart, Snooker, alles. Ich ignoriere das Alter, gehöre aber nicht zu denen, die sagen, ich möchte nicht 120 werden. Ich fände es super. Ich könnte 300 werden.

Wovor haben Sie denn Angst?
Vor allem, nur nicht dem Alter. Und ich weiß nicht, wie ich meine Ängste in den Griff kriegen soll. Ängste stehen ja mit den Dingen in Verbindung, die man am meisten im Leben liebt: Kinder. Wenn etwas mit ihnen ist, reagiert man irrational. Also sind meine größten Ängste an meine Familie gekoppelt. Um mich selbst habe ich keine Angst. Nie. Man könnte sich ja den ganzen Tag Dinge ausdenken, vor denen man zu Recht Angst hätte. Aber dazu tendiere ich nicht. Irgendetwas wird eines Tages dazu führen, dass mein Leben zu Ende geht.

Mads Mikkelsen
Bevor Mikkelsen, geboren 1965 in Kopenhagen, als Schauspieler Dänemarks größter Star wurde, war er acht Jahre lang professioneller Tänzer. Eine seiner ersten Filmrollen spielte er in Nicolas Winding Refns Actionfilm »Pusher«. Mit Susanne Bier drehte er »Open Hearts« und »Nach der Hochzeit«, gerade verkörpert er zwei alte Bekannte: den deutschen Helden Michael Kohlhaas (ab 12.9. im Kino) und den Psychopathen Hannibal Lecter (US-Serie). Mikkelsen ist seit 1987 mit der Choreografin Hanne Jacobsen verheiratet, das Paar hat zwei Kinder.

Fotos: afp, face to face