Das Beste aus aller Welt

Was kann es Schöneres geben, als an einem Sonntag in einer kleinen Kabine zu stehen und zu wählen? Nichts! Außer man hat das Glück, wie unser Kolumnist, an gleich zwei Sonntagen hintereinander wählen zu dürfen.

Dies sind nun großartige Tage für mich: Zuerst waren da die Wahlen zum bayerischen Landtag, jetzt kommen die zum Bundestag. Eine langsame Steigerung. Wir konnten ja hier in Bayern, zum Aufwärmen sozusagen, sogar noch Bezirkstage wählen, weitgehend unbedeutende Parlamente, sagen manche. Aber dann habe ich gelesen, die Bezirkstage seien unter anderem für die Verwaltung der psychiatrischen Krankenhäuser zuständig, und für deren Zustand sollte man sich schon interessieren, man kann ja in Bayern ohne Weiteres mal sieben Jahre in der Psychiatrie verbringen; bei Gustl Mollath waren es sogar noch einige Monate mehr.

Ich liebe es, zu wählen. Schon Samstagabend schlafe ich mit einem freudigen Gefühl ein, und am Sonntag gehe ich keineswegs gleich morgens ins Wahllokal, ich hebe mir das auf bis zum frühen Abend. Erstens will ich dieses Gefühl so lange wie möglich genießen: Heute habe ich etwas Großes vor, heute wird es noch auf mich ankommen. Irgendwo habe ich gelesen, die Spitzenpolitiker wüssten schon gegen Mittag, wie die Wahlen ausgingen, besonders ausgefeilte Umfrage- und Hochrechnungs-Techniken sorgten dafür. Das möchte ich unterlaufen: Sollen sie sich schon in Sicherheit wähnen, sollen sie glauben, sie wüssten Bescheid - kurz vor 18 Uhr kommt Herr Hacke und wählt etwas gänzlich Unerwartetes, dann müssen sie neu nachdenken. Ich bin ja nicht der Einzige, der es so macht, ich kenne Millionen, die das so handhaben. Also freut euch nicht zu früh, am Sonntag!

Was ich gar nicht verstehe: wie man nicht zur Wahl gehen kann. Menschen sind wegen ihres Kampfes fürs allgemeine Wahlrecht ins Gefängnis geworfen worden, man hat sie gefoltert und umgebracht. Und dann kommen Leute und sagen, sie hätten keine Zeit oder sie wüssten nicht, was sie wählen sollen, oder sie könnten sich nicht entscheiden. Oder es sei doch sowieso egal. Das ist dekadent.

Meistgelesen diese Woche:

Wenn es irgendwie geht, mache ich keine Briefwahl. Daheim am Küchentisch zu wählen, das ist meine Sache nicht. Es ist irgendwie würdelos. Ich will im Wahllokal vom Wahlvorstand begrüßt werden, man gibt mir einen Stapel Papier, dann ziehe ich mich zurück und mache meine Kreuze, schön in Ruhe, auch wenn sie draußen drängeln. Wir haben so wenige Rituale, den Kirchgang gibt es kaum noch, die Stammtische werden immer weniger, im Grunde ist da nur der Fußball. Und die Wahlen eben.

Übrigens: herrlich altmodisch, oder? Papier, abgeknabberte Bleistifte, die viel zu engen Kabinen. Man könnte das alles längst elektronisch machen, aber man tut es nicht - warum? Weil es zu wichtig ist! Die wirklich wichtigen Dinge finden nach wie vor auf Papier statt, deswegen glaube ich auch, dass es immer Zeitungen und Bücher geben wird. Wenn es drauf ankommt, wollen die Leute Papier. Also ich jedenfalls. Würde die Wahl mit Hilfe von Bildschirmen stattfinden, hätte ich irgendwie Angst, dass unterwegs einer dran rumfummelt - und plötzlich ist Wladimir Putin mit 99 Prozent der Stimmen zum Gemeinderat in Tuntenhausen gewählt worden. Nur weil da jemand was durcheinandergebracht hat.

In letzter Zeit hieß es öfter, der Wahlkampf sei langweilig gewesen. Mag sein, dass ein paar Journalisten das so empfunden haben und es gleich zum allgemeinen Empfinden erklärt haben, das ist nun mal ein Berufsstand, der sich gern für den Mittelpunkt der Welt hält. Die meisten Leute sehen das erstens nicht so, und zweitens wären sie froh, wenn es so wäre. Was kann einem Land Besseres passieren als ein langweiliger Wahlkampf?! Spannende Wahlkämpfe gibt es in Griechenland, Italien, Spanien, nun ja. Wir sind dann eben in diesem Jahr mal ein langweiliges Land, dem Himmel sei Dank! Hatten auch schon spannende Zeiten, es waren nicht die besten. Mann, ich freu mich auf Sonntag! Halb sechs ungefähr, vielleicht auch erst Viertel vor, ich komme bestimmt.

Illustration: Dirk Schmidt