Der Detailist

Mit Präzision und Gespür für diskreten Luxus hat der Designer Tomas Maier aus dem Label Bottega Veneta eine Weltmarke gemacht. Im Interview erklärt er, warum er sich trotzdem nie fragt, was sich gut verkaufen könnte.

TOMAS MAIER Modemacher Geboren 1957 in Pforzheim, Waldorf-Schüler. Ging mit 20 nach Paris, wo er zunächst als Designer für Guy Laroche, Sonia Rykiel und Hermès arbeitete. 2001 übernahm die Gucci Group das Label Bottega Veneta und engagierte Maier als Chefdesigner. Dort baute er den einstigen Lederwarenhersteller zur globalen Luxusmarke auf. Seine Strategie: keine Logos oder Etiketten, das »Produkt muss für sich sprechen«. (Foto: Corbis)

SZ-Magazin: Herr Maier, Sie haben 2001 das heruntergewirtschaftete Luxuslabel Bottega Veneta übernommen. Seitdem stieg der Umsatz jedes Jahr – bis zur aktuellen Rekordmarke von 945 Millionen Euro. Können Sie erklären, warum Menschen in harten Zeiten Ihre sündhaft teuren Ledertaschen, Möbel und Ihre Mode kaufen?
Tomas Maier:
Wer heute Geld ausgibt, investiert es in Gegenstände, die schön sind und der Zeit widerstehen. In Dinge, die Sie nicht nur besitzen, sondern vielleicht auch weitergeben können. Unsere Kunden sollen sagen, »oh, das ist aber schönes Leder – und so gut verarbeitet!« Ein gutes Produkt wirbt für sich selbst. Dann muss man auch nicht diesen It-Bag-Unfug betreiben, bei dem Stars viel Geld dafür bekommen, dass sie eine Handtasche in die Kamera halten. Für so dumm lässt sich heute kaum noch ein Kunde verkaufen.

Profitieren Sie davon, dass Reiche ihren Wohlstand nicht mehr zeigen wollen?
Wahrscheinlich. Ich persönlich finde zurückhaltenden Geschmack immer die bessere Alternative, egal wie die Zeiten sind. Sie wollen doch nicht jedem zeigen, dass Ihr Jacket 1250 Euro gekostet hat. Es reicht zu wissen, dass Sie perfekt angezogen sind und sich darin wohlfühlen. Jedes Mal, wenn Sie es tragen, macht es Ihnen Freude. Deswegen ist es sein Geld wert – nicht weil andere Menschen wissen, wie viel es gekostet hat.

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Sie wollen also die Marke für die bescheidenen Reichen sein?
Unsere Kunden fangen nicht gerade erst an, Geld für schöne Dinge auszugeben. Die haben schon dies und das erlebt, vielleicht ein paar Fehler gemacht. Die wissen genau, was sie wollen.

Aber wie jede Luxusmarke eröffnen auch Sie Shops in Russland, in China – in neureichen Märkten mit frischem Geld.
Ich war zuletzt auf einigen Veranstaltungen in Russland und habe dort unglaublich distinguierte Menschen kennengelernt. Fantastisch aussehende Frauen, großartige Schönheiten, die wundervoll zurückhaltend und kultiviert angezogen sind. Die sind weit über den Punkt hinaus, wo sie mit Marken angeben wollen. Menschen mit gutem Geschmack gibt es selbstverständlich überall.

Obwohl Sie global agieren, legen Sie Wert auf lokales Handwerk. Sie bilden sogar selber Fachkräfte aus.
Inzwischen arbeiten etwa 3000 Menschen bei Bottega Veneta, aber wir können nicht so viel herstellen, wie wir absetzen könnten, weil wir keine guten Leute mehr finden. Deswegen haben wir die »Schule für Lederhandwerk« ins Leben gerufen. Etwa 60 Prozent der Absolventen fangen anschließend bei uns an.

Überall in Europa sind junge Leute ausbildungs- und manchmal sogar perspektivlos. Wie kann es da sein, dass Sie über Personalmangel klagen?
Junge Menschen scheinen zu denken, dass Handwerk keine Zukunft hat. Ich halte das für Idiotie, denn gute Handwerker werden seltener und ihre Arbeit dadurch wertvoller.

Ist das nicht auch eine Spätfolge davon, dass Modefirmen Teil von börsennotierten Unternehmen geworden sind, die alles weggespart haben, um den Shareholder Value hochzutreiben? Auch Bottega Veneta gehört zu 100 Prozent der französischen Holdinggesellschaft Kering, die auch Firmen wie Gucci, Saint Laurent und Puma unter ihrem Dach versammelt.
Trotzdem geht es bei Bottega Veneta viel um soziale Verantwortung. Wir wollen die ganze Region Venetien fördern. Wir haben ein Programm für arbeitslose Frauen entwickelt, die Schwierigkeiten haben, zurück in den Job zu finden – wenn sie über 45 Jahre alt sind, will sie niemand mehr einstellen. Wir haben nach Fukushima ein Austauschprogramm mit japanischen Studenten gestartet. Derzeit planen wir, afrikanische Lehrlinge auszubilden, damit sie später eigene Betriebe in ihren Heimatländern gründen können. Gleichzeitig haben wir an unserem Stammsitz in Vicenza eine wunderschöne Fertigungsstätte eröffnet und dabei besonderen Wert auf gute Arbeitsbedingungen gelegt.

»Machen Sie es gut – und dann machen Sie es noch schön.«

Hört sich fast so an, als wollen Sie die aus der Mode gekommene deutsche Idee der sozialen Marktwirtschaft einführen.
Ich bin sehr für diese Idee, und ich bin nicht allein. Das geht weit über mir los, davon spricht sogar unser Holding-Vorstandsvorsitzender François-Henri Pinault andauernd. Wenn unser Wachstum nicht durch den Verkauf gebremst wird, sondern durch die Produktionskapazitäten, brauchen wir gute Leute für weiteren Erfolg.

Sie pendeln beruflich zwischen den USA und Italien, sind andauernd unterwegs – beurteilen Sie die ganze Welt aus der Sicht des Designers?
Ich kann durch keine Tür gehen, ohne dass mir der Knauf auffällt. Als ich hier in Mailand kurz nach der Eröffnung im wunderschönen »Bulgari«-Hotel übernachtete, habe ich mich über das Frühstücksgeschirr geärgert: Die Ränder der Untertassen ragten quasi senkrecht nach oben, sodass der Löffel reinrutscht, wenn man die Kaffeetasse an den Mund führt. Man muss also jedes Mal, wenn man die Tasse wieder absetzen will, die Zeitung herunternehmen und den Löffel erst zurückschieben. Ich bin der festen Überzeugung, Design muss in erster Linie funktionieren, dann wird es auch erfolgreich sein. Machen Sie es gut – und dann machen Sie es noch schön. Ganz egal, ob Sie eine Waschmaschine oder ein Auto bauen.

Ist das nicht anstrengend, alles auf sein Aussehen und seine Funktion hin analysieren zu müssen?
Es ist halt einfach so. Ich werde manchmal gefragt: Woher nimmst du deine Ideen? So als könnte man sich Inspiration irgendwo im Museum holen und seine nächste Kollektion danach gestalten. So läuft das nicht. Inspiration kann man nicht suchen, die kann einen nur finden. Ich sehe mir entsetzlich viel an. Ich bin interessiert an Film, Literatur, Malerei, Bildhauerei, Kunst ganz allgemein. Ich finde vieles spannend, was mir im Alltag begegnet. Wenn ich an etwas hängen bleibe, dann wird das fast obsessiv. Ich sehe ein Haus und will wissen, wer es gebaut hat und für wen. Ich recherchiere über einen Künstler, und das führt mich zu einem anderen Künstler oder ganz an-deren Personen einer anderen Epoche.

Sie sind erst mit über 40 Jahren als Designer bekannt geworden. Hat Sie das davor bewahrt, im durchgedrehten Modezirkus den Kopf zu verlieren?
Sicher. Und ich halte mich immer noch fern von dem ganzen Wahnsinn. Ich versuche, meine Sache leise zu machen, den Dingen Zeit zu geben und sie auch über die Zeit wirken zu lassen. Als ich mit Anfang 20 nach Paris umsiedelte, hat mir ein Freund ein Kissen geschenkt, auf dem gestickt stand: »Easy come, easy go.« Das habe ich als Motto verinnerlicht. Allerdings auch in dem Sinn, dass Dinge, die zu leicht sind, auch leicht wieder verschwinden. Man muss schon Arbeit investieren, um etwas haltbar zu machen, damit es einen Wert bekommt. Man muss auch Opfer bringen.

Kennen Sie den österreichischen Filmemacher Michael Haneke?
Ich bin ein großer Fan von ihm. Ich halte Haneke für einen der besten Regisseure der heutigen Zeit. Seine Filme sind unglaublich gut, Das weiße Band war spektakulär. Liebe war atemberaubend. Und Funny Games – was für ein Schrecken.

Haneke nervt seine Requisiteure bis zur Totalerschöpfung, bis der richtige Lichtschalter gefunden wurde, der dann nachher nur klein am Bildrand zu sehen ist. Seine Arbeitsdefinition lautet: »Das Maß des künstlerischen Werts ist die Genauigkeit.« Kommt Ihnen das bekannt vor?
Damit stimme ich völlig überein, auch wenn ich mich nicht für einen Künstler halte. Ich hasse Hektik, aber ich habe auch etwas gegen Nachlässigkeit. Ich arbeite präzise, Schritt für Schritt. In der Firma sind alle unter Spannung, es gibt keinen, der sagt: »Entschuldigung, hat nicht geklappt.« Das wäre inakzeptabel. Wenn ein Laden am 1. Januar um 11 Uhr öffnen soll, egal wo auf der Welt, dann öffnet er.

Für einen italienischen Betrieb hört sich das sehr deutsch an.
Italiener sind sehr harte Arbeiter, wie die Deutschen, das passt gut zusammen.

Derzeit gelten doch gerade die Italiener als etwas nachlässig, im europäischen Vergleich.
Das ist ein Klischee. Natürlich ist es in Rom anders als in Mailand, von Sizilien ganz zu schweigen. Aber wissen Sie was: Die Süditaliener sind auch in der Lage, hervorragende Arbeit zu leisten – und sie brauchen dringend die Möglichkeiten dazu. Anstatt weiter in Norditalien zu investieren, sollten die Firmen in den Süden gehen. Die Lohnkosten sind niedrig und es gibt ausgezeichnete Handwerker.

Da Sie so viel Wert auf Handwerk und Individualität legen: Wie verträgt sich das mit dem Männer-Parfüm, das Sie nun anbieten? Es wird vom Kosmetikriesen Coty hergestellt, der vom »Balenciaga«- bis zum »Lady Gaga«-Duft weit mehr als 200 Lizenzmarken im Portfolio hat.
Gerade weil Coty so groß ist, verfügen sie über Spezialisten und haben Zugriff auf die besten Leute. Ich durfte mit Daniela Andrier zusammenarbeiten – sie ist ein Weltstar unter den Parfümeuren. Sie wurde in Heidelberg geboren, keine 80 Kilometer von meinem Geburtsort Pforzheim entfernt. Ich mag Danielas Haltung: Sie findet, dass zu viele Düfte gemacht werden, die nur auf Zielgruppen ausgerichtet sind, mit einer zu kurzen Lebensdauer. Sie kreierte gemeinsam mit Antoine Maisondieu, einem weiteren Spitzenparfümeur, maßgeblich unseren Duft.

Angeblich wechseln gerade Männer ihren Duft nicht gerne, wenn sie erst mal einen gefunden haben. Deswegen wehen vielen Herren die Achtzigerjahre noch in Form von »Cool Water« hinterher.
Mir sind Menschen sympathisch, die stets den gleichen Duft benutzen, weil man sie dann mit diesem Geruch assoziiert.

Aber wie wollen Sie diese Männer locken?

Ich ziele nicht in die Breite, weil ich den ganzen Marketing-Ansatz ablehne, bei dem man sich zuerst fragt, was sich wohl gut verkaufen würde. Ich will das Gegenteil: etwas Besonderes, so einzigartig wie möglich, je spezieller, desto besser. Etwas, was die Zeit überdauert. Damit versuchen wir zu verführen, wen wir verführen können. Und der Rest? Nun, ich kann nicht jeden glücklich machen.