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Die SPD will ihre Mitglieder befragen, ob sie mit einer Großen Koalition einverstanden sind. Könnte man die Genossen dann nicht auch noch ganz andere Fragen entscheiden lassen?

Wenn dermaleinst in ferner Zeit die Verhandlungen über die Bildung einer Großen Koalition (kurz: VerüdiBieGroKo) beendet sein werden, werden die einzelnen ihr möglicherweise angehörenden Parteien das Verhandlungsergebnis billigen oder nicht. In der CSU geschieht das durch spontanen Entschluss Horst Seehofers, in der SPD im Rahmen einer groß angelegten Mitgliederbefragung. Die CDU wartet ab, was die beiden anderen Parteien entscheiden, und schließt sich dem daraufhin an.

Natürlich ist von diesen drei Wegen jener der SPD am weitaus sympathischsten. Eine breite, wochenlange Debatte, danach innerhalb von zwei Wochen eine Abstimmung per Briefwahl mit frankiertem Rückumschlag, dann eine kraftvolle Entscheidung: wunderbar! Man kann sagen, dass die Zukunft unseres Landes in den Händen der 470 000 SPD-Mitglieder liegt, ja, die Generalsekretärin Nahles teilte mit, wenn sich nur etwa 93 000 dieser Menschen an der Wahl beteiligten, knapp zwanzig Prozent also, sei diese gültig.

93 000 - das sind erstaunlich wenig, bedenkt man, dass unser Land 80 Millionen Einwohner hat. Andererseits hat der Deutsche Bundestag jetzt nur 631 Mitglieder, das sind noch viel weniger, da ist 93 000 doch eine beeindruckende Zahl, etwa so viele Menschen, wie der Stadtbezirk Miraflores der peruanischen Hauptstadt Lima Einwohner hat. Aber man stelle sich vor, in Miraflores würde über das Ergebnis der VerüdiBieGroKo abgestimmt - das wäre mir nicht recht. Was versteht man in Miraflores vom Mindestlohn?! Da ist die SPD deutlich kompetenter.

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Überhaupt ist ja die Frage: Empfiehlt sich die SPD mit ihrer Methode nicht für andere Aufgaben? Könnte man die Basis der Partei nicht als Entscheidungszentrum auch in ganz anderen Fragen benutzen? Als eine Art Rat der Weisen? Sollte man nicht überhaupt generell alle zu entscheidenden Probleme den SPD-Mitgliedern vorlegen? Jeder ringt doch jeden Tag mit irgendetwas: Soll ich heiraten? Mit Heinrich ins Bett gehen? Mir lila Schuhe kaufen? Urlaub auf Malle machen oder in Griechenland?

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Die Partei könnte so etwas wie der Bezugspunkt der Entschlusslosen und innerlich Unsicheren in Deutschland werden. Bei Horst Seehofer und der CSU müsste man befürchten, schon eine halbe Stunde später wieder einen anderen Beschluss zu bekommen, bei der CDU erhielte man, wie gesagt, vielleicht gar keinen - ein SPD-Entscheid aber stünde fest gemauert, von der Basis abgesichert, auf Jahre hinaus gültig. Man kann ja nicht alle fünf Minuten 470 000 Leute um eine neue Abstimmung anhauen. Die SPD wäre der Fels in der Brandung unseres Lebens, und gefiele uns eine ihrer Entscheidungen nicht, müssten wir zurücktreten und irgendwie was Neues anfangen. Das muss Sigmar Gabriel ja auch, wenn das Ergebnis der VerüdiBieGroKo abgelehnt wird.

Selbstverständlich könnte man nicht mit jeder Banalität an die komplette SPD-Basis herantreten, die 470 000 wären nur für die großen Fragen des Lebens (Umzüge, Hochzeit, Kinder, berufliche Veränderungen) zuständig. Für Mikro-Probleme müsste es Ausschüsse geben, innerhalb von Sekunden entscheidende, ortsnahe Gremien interessierter Genossen, die man mit einer SPD-App auf dem Smartphone erreichen würde. Die Frage »Fettarme Milch oder nicht?« würde von einer Art Schnellgericht beantwortet, das Thema »Ich ringe schon seit zehn Minuten mit mir: Soll ich mir heute Abend noch eine Grillwurst gönnen?« vom Nachtdienst der örtlichen sozialdemokratischen Basisgruppe »Genossen, Genuss und Gesundheit«. Mag sein, dass dies alles dem einen oder anderen nicht gefällt. Aber man darf doch in diesem Modell nach wie vor auch selbst Entscheidungen fällen, jedenfalls solange die Partei-Basis nicht dezidiert dagegen Stellung bezieht. Wem's immer noch nicht passt, der kann ja in die SPD eintreten.

Illustration: Dirk Schmidt