Die Filme mit Tom Hanks in der Hauptrolle haben weltweit 8,2 Milliarden US-Dollar (rund 6,1 Milliarden Euro) an der Kinokasse eingespielt. Er ist damit noch vor Tom Cruise, Harrison Ford oder Johnny Depp der erfolgreichste Schauspieler aller Zeiten.
SZ-Magazin: Mister Hanks, welche prägenden Erlebnisse haben Sie eigentlich zu dem Mann gemacht, der Sie heute sind?
Tom Hanks: Sie halten sich nicht lange mit einfachen Fragen auf, oder?
Unsere Zeit ist knapp bemessen. Ich hätte auch ein paar Fragen zu Ihrer Frau Rita, wenn Sie die zuerst beantworten möchten …
Okay, okay, ich verstehe. Ich wuchs unter anderen Umständen auf als viele meiner Freunde. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich vier war. Beide haben danach wieder mehrmals geheiratet – ich hatte also viele Stiefväter und -mütter. Aber wissen Sie, warum diese Zeit prägend für mich war?
Weil Sie damit beschäftigt waren, zwischen Ihren Eltern, Stiefvätern und -müttern nicht die Orientierung zu verlieren?
Nicht ganz. Ich hatte wahnsinnig viel Transit-Zeit.
Transit-Zeit?
Nach der Trennung lebten meine Eltern zwar beide in Kalifornien, aber die Distanz zwischen der Wohnung meines Vaters in Oakland zur Wohnung meiner Mutter in Red Bluff betrug etwa 280 Kilometer. Mit dem Bus dauerte eine Fahrt mehr als fünf Stunden. Vergessen Sie nicht, wir reden hier über die Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts.
Sie fuhren als Kind 280 Kilometer allein mit dem Bus?
Nicht als Vierjähriger, aber später als Jugendlicher. Für meine Eltern war ich ab etwa elf, zwölf Jahren alt genug, um diese Reisen allein zu unternehmen. Mein Vater brachte mich zur Station, löste die Fahrkarte und setzte mich in den Bus. Am Ziel holte mich meine Mutter ab.
Fünf Stunden sind eine lange Zeit für einen Elfjährigen.
Ja, ich hatte viel Zeit zum Grübeln.
Worüber haben Sie gegrübelt?
Ich habe mich in eine imaginäre Welt begeben, habe den anderen Reisenden beim Reisen zugesehen, mir Geschichten zu den Leuten überlegt, denen ich gegenübersaß, ihre Gesichter studiert. Manche redeten mit mir, haben mir ihre Geschichte erzählt. Das waren zwar nur Leute in einem Bus, sie gehörten nicht zur Familie, doch für diese fünf Stunden waren sie meine Begleiter.
Schöne Kindheitserinnerungen?
Mehr noch. Es war eine wachrüttelnde Zeit. Die Zeit, in der ich gelernt habe, zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß zu unterscheiden. Ich habe damals viel über das Menschsein erfahren. Kaum etwas hat mich mehr geprägt als diese Busfahrten.
Existierten also zwei Tom Hanks – der eine saß im Bus, träumte vor sich hin, entwickelte imaginäre Biografien über Fremde, der andere lebte mal beim Vater und mal bei der Mutter?
Ja, so könnte man das beschreiben.
Fühlten Sie sich im Bus manchmal einsam?
Ja. Es gab Momente, in denen ich die Zeit im Bus genossen, mich selbstbewusst und sicher gefühlt habe. Und es gab Zeiten, in denen ich verwirrt war und auch Angst hatte. Erst später habe ich verstanden, welche äußeren Einflüsse mich entweder das eine oder das andere fühlen ließen. Verstehen Sie, was ich meine?
Nicht ganz.
Ich habe beides gefühlt: Mal war ich lediglich allein, fühlte mich dabei aber gut. Das andere Mal war ich auch allein, spürte aber eine schmerzliche Einsamkeit. Doch der Punkt ist: Ich habe – vor allem im Hinblick auf die Schauspielerei – lange gebraucht, um zu verstehen, dass ich diese Erfahrungen auf der Bühne nutzen konnte.
Forrest Gump (1994) zählt inzwischen zu den Hollywood-Klassikern. Hanks schreibt als etwas einfältiger Kerl, der das Herz am rechten Fleck hat, Geschichte.
Sie hatten eine Art Aha-Moment?
Ja, aber eben erst ein paar Jahre später. Ich war schon am College und arbeitete gerade mit dem Theaterregisseur Vincent Dowling zusammen. Eine meiner ersten Rollen, Der Kirschgarten, ein Stück von Anton Pawlowitsch Tschechow: Ich verstand es nicht wirklich, grübelte nach dem tieferen Sinn, versuchte meine Unsicherheit zu überspielen. Dowling spürte das. Er kam auf mich zu und sagte etwas, was ich nie vergessen werde: »Tom, alle großen Stücke handeln von der Einsamkeit des Menschen.« In dem Moment machte es klick! Das war mir vorher nicht bewusst. Plötzlich erinnerte ich mich an alles, was mich je bewegt hatte: an Fernsehserien, Filme oder Theaterstücke. Ich dachte: Ja, das ist es!
Der Schlüssel zu Ihrer Schauspielkunst liegt also darin, dass Sie sich der positiven wie negativen Einsamkeit bewusst wurden, die sie selbst als Kind und Jugendlicher erlebt haben?
Für mich war jede Rolle immer ein Kampf zwischen dem Alleinsein und dem Einsamsein. Ein Mensch, der allein ist, ist allein. Ein Mensch, der einsam ist, ist auch allein. Aber die äußeren Einflüsse, die einen Menschen dazu bringen, sich allein oder einsam zu fühlen, können total unterschiedlich sein. Das habe ich unter anderem auf diesen Busfahrten gelernt. Nehmen Sie nur Hamlet und Richard III. Beide fühlen sich allein gelassen. Beide sind jedoch auf unterschiedliche Weise in diese Lage geraten.
Viele der Figuren, die Sie in der Vergangenheit gespielt haben, litten jeweils an unterschiedlichen Arten von Einsamkeit: Sam Baldwin in Schlaflos in Seattle ist ein in sich gekehrter Witwer, Andrew Beckett in Philadelphia ist der ausgestoßene aidskranke Rechtsanwalt, der um sein Recht vor Gericht kämpfen muss, Captain John Miller in Der Soldat James Ryan ist eigentlich Grundschullehrer aus der Provinz, fühlt sich dann jedoch einer selbstmörderischen Rettungsmission verpflichtet. Sie suchen sich diese Drehbücher gezielt aus?
Ja, das sind die Drehbücher, zu denen ich mich hingezogen fühle. Sie handeln meist von diesem Spannungsverhältnis: Alleinsein versus Einsamkeit.
Alle diese Figuren haben aber noch etwas anderes gemeinsam: Es handelt sich durchwegs um durchschnittliche Typen, die in schwierigen Momenten entweder emotional oder physisch über sich hinauswachsen müssen. Welche Eigenschaften muss eine Filmfigur mitbringen, um für Sie auf der Leinwand als Held zu funktionieren?
Die zentrale Frage, die ich mir vorher immer stelle, lautet: Funktioniert die Story auch ohne großes Tamtam? Eine geradlinige Geschichte, mehr braucht es nicht.
Was macht einen gewöhnlichen Mann zum Helden?
Für mich ist ein Held jemand, der persönliche Ängste oder Ziele ignoriert, für andere in die Bresche springt und dabei sein Leben aufs Spiel setzt. Im Zweiten Weltkrieg gab es viele Soldaten, die nach ihrer Rückkehr gefeiert wurden, aber die Veteranen, mit denen ich für die Rolle in Der Soldat James Ryan gesprochen habe, sagten: Die wahren Helden sind nie zurückgekehrt.
In Ihrem neuen Film Captain Phillips spielen sie den Frachterkapitän Richard Phillips, dessen Schiff 2009 von somalischen Piraten angegriffen wurde. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Phillips bewahrte damals seine Crew vor weiteren Übergriffen, die Piraten nahmen ihn allerdings mehrere Tage als Geisel. Ist er für Sie ein Held?
Er selbst würde das nie von sich behaupten. Kein wahrer Held sagt, dass er einer ist. Was Richard für mich allerdings zum Helden macht, ist die Tatsache, dass er trotz dieser Erfahrung auch heute noch als Kapitän zur See fährt. Andere hätten den Job aufgegeben.
Wie begegnet man als Leinwandheld einem echten Helden?
Als ich Richard das erste Mal traf, sah er sich zu Hause gerade ein Basketballspiel im Fernsehen an. Er lag auf der Couch, in Jeans und T-Shirt, keine Schuhe, nur Socken. Ich habe mich dazugesetzt und wir haben uns zusammen das Spiel angesehen.
Ohne miteinander zu reden?
Wir haben anfangs kaum ein Wort gewechselt.
Sie haben ihn beobachtet – wie früher die Menschen im Bus?
Wir haben schnell gemerkt, dass wir beide eine Sache gemeinsam haben: Wenn ich drehe, lebe ich für etwa drei, vier Monate in einer skurrilen Umgebung, dem Filmset. Richard fährt für etwa die gleiche Zeit zur See. Wenn wir beide aber nach Hause kommen, liegen wir gern auf der Couch. Mir geht’s nach einem Dreh übrigens immer so: Am liebsten lümmle ich dann zu Hause auf der Couch, schaue mir ein Basketballspiel im Fernsehen an und mache sonst nichts.
Hatten Sie als Jugendlicher eigentlich einen persönlichen Helden, zu dem Sie aufgeschaut haben?
Ich hatte nie ein Vorbild. Aber mit zwölf Jahren, damals im Bus, war ich fasziniert von Robert F. Kennedy. Er war zu der Zeit Präsidentschaftskandidat. Als er 1968 erschossen wurde, fühlte sich das an wie ein brutaler Schlag in den Nacken.
Muss man zwölf sein, um einem Helden bedingungslos zu huldigen?
Nein. Schauen Sie sich nur die Comic-Superhelden an: Batman, Superman. Es sind sicher nicht nur Kinder, die sich diese Filme im Kino gern ansehen.
Aktuell im Kino: Captain Phillipps. Ein Frachter wird von somalischen Piraten gekapert. Der angegraute Hanks spielt den Kapitän des Schiffs, Richard Phillips.
Warum suchen wir so gern nach einer besseren Ausgabe von uns selbst?
Ich glaube, wir suchen nach der Gewissheit, in der all der Bullshit ausgespart wird, der uns sonst im Leben einzwängt. Uns gefällt die Tatsache, dass eine bestimmte Geschichte nur ein bestimmtes Ende haben kann. Das macht uns glücklich. Dabei ist es immer das gleiche Ritual: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!
Das personifizierte Gegenteil eines Helden ist der Feigling. Dem US-Präsidenten Barack Obama wurde vor einigen Wochen Feigheit vorgeworfen, weil er nicht gegen Syriens Herrscher Assad in den Krieg gezogen ist.
Ein Feigling, Obama? Lassen Sie uns den Konflikt genauer anschauen: Da ist auf der einen Seite ein Kerl namens Assad, der chemische Waffen gegen sein eigenes Volk eingesetzt hat. Ohne Zweifel eine moralische Gräueltat. Richtig?
Richtig.
Derselbe Typ hat zuvor schon Bomben auf sein eigenes Volk abgeworfen. Richtig?
Augenscheinlich, ja.
Dann gibt es auf der anderen Seite mehrere Rebellengruppen, die ebenfalls unschuldige Menschen töten und sich gegenseitig umbringen, weil sie unterschiedliche politische Ziele verfolgen. Korrekt?
Ja.
Nun, ich glaube, ein weiser Mann agiert in einem so komplizierten Fall zurückhaltend.
Sie halten Obama für weise, weil er in Syrien bisher keine Bomben eingesetzt hat?
Ja, Präsident Obama hat eine hervorragende Haltung in diesem Konflikt bewahrt, wenn das Ergebnis seiner Politik lautet: Wir nehmen Assad unter Mithilfe der Russen seine chemischen Waffen weg. Ich halte das für moralisch beachtenswert und zudem für sehr, sehr smart.
Muss sich ein Held nicht immer auf eine Seite schlagen?
Nein. Manchmal ist es klüger, zurückzutreten und abzuwarten. Betrachten wir es historisch: Einer der größten Präsidenten der USA war Franklin D. Roosevelt. Er hat Entscheidungen hinausgezögert, manchmal bis ins Unendliche. Warum? Weil es nicht immer offen auf der Hand lag, welcher Weg für das Land der beste war.
Roosevelt hat die USA erst nach dem Angriff Japans auf Pearl Harbor in den Zweiten Weltkrieg geführt. Mehr als zwei Jahre nach Adolf Hitlers Einmarsch in Polen. Vielleicht hatte er dafür gute Gründe. Aber in der Zeit, in der man zurücktritt und abwartet, sterben anderswo Unschuldige. Das gilt auch für Syrien.
Das ist leider wahr. Aber viele stellen sich diese Konflikte so vor wie die Welt des klassischen Theaters, wo das Stück fein säuberlich in drei Akte aufgeteilt ist. Applaus und Ende. Aber so einfach ist das nicht. Wir leben nicht in der Welt des klassischen Theaters. Zum Mut eines Helden gehört manchmal auch seine Zurückhaltung.
So wie Sie die US-Präsidenten Roosevelt und Obama beschreiben, charakterisieren viele Deutsche ihre Kanzlerin Angela Merkel. Ihre hervorstechenden politischen Eigenarten sind das Abwarten und Taktieren.
Wirklich?
Ja, die Deutschen lieben sie für ihr zögerliches Handeln in der europäischen Staatsschuldenkrise. Halten Sie Angela Merkel demnach auch für weise?
Ich kenne mich zu wenig mit deutscher und europäischer Politik aus, um das zu beurteilen. Aber es gibt natürlich nicht nur männliche Helden. Haben Sie Stieg Larssons Millennium-Trilogie gelesen?
Ja.
Ist die Hauptfigur Lisbeth Salander nicht eine moderne Heldin? Sie geht unbeirrt ihren Weg.
Ja, aber ihr fehlt die Fähigkeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen und sie wird getrieben von einer unbeschreiblichen Furcht.
Das stimmt. Sie ist der wohl einsamste Mensch der Welt.
Wir haben noch gar nicht über Ihre Frau Rita und jenen Moment an der Kreuzung in New York City gesprochen.
Welchen Moment meinen Sie?
Den Moment, in dem Sie an der Ampel standen, ihre Hand hielten und zu ihr sagten, dass sie sich nicht zu ändern braucht, um mit Ihnen zusammen zu sein. In einer Welt von Schwarz und Weiß gibt es wohl nichts, was heller und glänzender weiß leuchtet als so ein Liebesbekenntnis.
Ich glaube, jeder Mensch kann sich glücklich schätzen, wenn er so einen Moment erlebt. Die Liebe ist eine Reise, die man ohne Angst antreten muss, und ohne Bedingungen zu stellen.
Manchmal gerät sie aber zu einer Reise mit vielen Hindernissen, oder?
Sicher, aber man darf am anderen nichts ändern wollen; man muss ihn so nehmen, wie er ist. Du kannst nicht sagen: Hey, ich hätte vielleicht gern, dass du dies oder das an dir änderst, dich so oder anders verhältst. Das funktioniert nicht. Du musst dich entscheiden: entweder ganz oder gar nicht.
Aus Ihrem Mund klingt das fast schon wie ein heroischer Akt.
Nein, ich würde sagen: Es war damals meinerseits eher ein seltener Moment der Klarheit.
Tom Hanks
Bevor Thomas Jeffrey Hanks, 57, im Jahr 1988 seine zweite Ehefrau Rita Wilson heiratete, konvertierte er ihr zuliebe zum griechisch-orthodoxen Glauben. Wilson ist griechischer Abstammung. Hanks trägt deshalb am linken Handgelenk immer ein dunkles Stoffband mit einer akzentuierten Marienfigur auf einem silbernen Kreuz. Für seine Hauptrollen in Philadelphia (1993) und Forrest Gump (1994) erhielt Hanks zwei Mal in Folge einen Oscar. Das gelang vor ihm nur Spencer Tracy. Hanks wurde seit 1988 fünf Mal als bester Hauptdarsteller für den Oscar nominiert und sieben Mal für einen Golden Globe (vier Auszeichnungen). Damit gehört er zu den erfolgreichsten Schauspielern der vergangenen 25 Jahre. Derzeit ist Hanks im Film Captain Phillips (Regie: Paul Greengrass) in den deutschen Kinos zu sehen.
(Fotos: dpa)