Gelb regiert die Welt

Senf wird immer schicker - und vielseitiger: Jetzt darf man ihn sogar trinken. Ein viel zu lang unterschätztes Lebensmittel, zu dem wir hier dringend auch noch unseren … na, Sie wissen schon.

Jetzt also Senf. Nach Grillsaucen, nach Salz, nach Essig, Öl, Reis, Gin und Kaffee wird nun auch der Senf veredelt: Gourmet-Senf bei Dallmayr mit ganzen Senfkörnern, die auf der Zunge aufplatzen, Mango-Estragon-Senf im Bioladen, Ahornsirupsenf aus Kanada oder Senf-Ketchup von Martin Pouret aus dem französischen Orléans. Immer aufwendiger, immer exotischer, auch immer geheimnisvoller. Charles Schumann, der Münchner Barbesitzer, geizt nicht mit den Rezepturen für seine weltweit berühmten Cocktails, das Geheimnis seines selbst angerührten Senfs zum Tatar verrät er nicht. Nur so viel: Unter ordinären scharfen Löwensenf rührt er Kapern, Chili, Essiggurken und eben »ein paar Kräuter«, die er partout nicht nennen mag.

Es gibt viele, die den Senf jetzt als Geschäftsidee entdecken. Alle zwei Wochen wird ein neuer Senfmüller - so heißen jene, die den Senf machen - bei Stefan Weiß, dem Chefeinkäufer von Dallmayr, vorstellig, viele sind Quereinsteiger, die erst seit Kurzem mit Plastikeimern in der Garage hantieren. Stefan Weiß setzt seit Jahren auf dieselbe Senfmühle im Münchner Umland, um die Körner zu mahlen. Wie die heißt, gibt er nicht preis.

In Deutschland wurde schon immer viel Senf gegessen, Tafelsenf, mittelscharf und scharf, süßer Senf in München, sehr viel mehr gab es nicht. Kaum zwanzig Jahre ist es her, dass Dijon-Senf etwas bekannter wurde, nur wird in Dijon seit fünf Jahren gar kein Senf mehr produziert. Dijon-Senf bezeichnet nur mehr eine Herstellungsart, nicht den Herkunftsort, er kommt heute aus Polen, Tschechien und der Türkei.

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In Deutschland wird das unscheinbare Wildkraut mit gelber Blüte auf langem grünem Stiel schon lange nicht mehr angebaut. Deutsche Senffirmen importieren ihre Saat meist aus Kanada. Marktführer sind immer noch die großen Namen: Thomy, Händlmaier und Bautz’ner im Osten. Inzwischen gibt es aber allerorten kleine Senfmanufakturen mit exotischeren Aromen von Apfel über Papaya bis Whisky. Münchner-Kindl-Senf aus Fürstenfeldbruck wird häufig unter den Allerbesten genannt, aber Senf ist auch eine Glaubensfrage. Manchem geht es mit dem Senf wie mit seinem Lieblingsfußballverein: Man bleibt ein Leben lang dem Geschmack treu, der einem aus der Kindheit vertraut ist.

Der Verbrauch hat sich in fünfzig Jahren mehr als verdoppelt und steigt weiter an. Auch die Varianten nehmen zu: Senfeis und Senfpraline waren ja zu erwarten nach der Modekombination Chili-Schokolade. Doch Senfsauce zu Nudeln? Wird mit Crème fraîche oder Sahne angedickt, dazu etwas Zitronensaft, Pfeffer und Schnittlauch. Sogar Metzger experimentieren mit Senf: In Stuttgart werden Weißwürste mit vorab eingespritztem Senf verkauft. Trinken kann man ihn auch: in der Bloody Mary mit Meerrettich; und - gegen den Kater am nächsten Morgen - in der Prairie Oyster mit Olivenöl, rohem Eigelb, etwas Tabasco, Salz, Pfeffer und einem Ketchup-Senf-Gemisch, alles aus der Cocktailschale.

Senf ist gesund, das weiß man schon länger. Senf konserviert, mariniert und ersetzt Salz, vor allem wenn man - wie das berühmte Londoner Restaurant »Zuma« - noch Sojasauce unterrührt. Senf schützt sogar vor Krebs, das will die Uni Freiburg 2011 herausgefunden haben: Ab zwei Teelöffeln pro Tag, je schärfer, desto gesünder. Freilich kann Senf auch süchtig machen. Mit Sicherheit stimmt auch, dass einige Leute Bratwürste nur wegen des Senfs essen. Senf hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Sein Image hinkt der jüngsten Entwicklung zum ernstzunehmenden Lebensmittel allerdings hinterher. Senffarbene Kleidung gilt nach wie vor nur unter älteren Männern und Globetrottern als tragbar, und in der verbreiteten Redensart wird Senf immer noch als Unsinn desavouiert, obwohl wir ihn doch alle so lieben.

Installation: Sebastian Haslauer; Foto: Michael Breyer