In der Falle

Die Bettritze ist einer der größten Irrtümer der Designgeschichte. Findet jedenfalls unsere Autorin. Eine Abrechnung.

Diese Geschichte dreht sich um Liebe und Hass. Um Liebe, weil die Geschichte im Bett spielt. Und um Hass, weil eben jenes Bett, zumindest meines, eine Ritze in der Mitte hat.

An allem ist meine Mutter schuld. Sie ist in Fragen praktischer Haushaltsführung mein verlässlicher Ratgeber, auch damals, als ich ein neues Bett kaufen wollte. »Auf jeden Fall zwei Matratzen!«, sagte sie. »Der Mann ist ja viel schwerer und braucht einen anderen Härtegrad. Bei einer durchgängigen Matratze mit einem Härtegrad liegt der Schwerere tiefer, und der Leichtere rollt rüber!« Gleiches bestätigte der Mann im Bettenladen – ich darf also nicht allein meiner Mutter einen Vorwurf machen. Der Bettenverkäufer schwor außerdem, dass es durchgängige Matratzen in Übergröße, die mir vorschwebten (2 mal 2,20 Meter) nicht ernsthaft gebe, man müsste sie kompliziert bestellen und hätte am Ende Probleme mit dem Transport und mit dem Wenden. Man müsse nämlich Matratzen auch mal wenden. Außerdem brauche man bei dieser Größe zwei Lattenroste – und da gehörten eben zwei Matratzen drauf. Ich kaufte also zwei Matratzen in verschiedenen Härtegraden. Seitdem ist die Ritze da, und seitdem ist neben der Liebe auch der Hass in mein Schlafzimmer eingezogen.

Denn ein Bett mit Ritze benimmt sich wie ein Gebirge. Auch wenn man jeden Tag aufs Neue die Matratzen zusammenschiebt und mit Spannbetttüchern zu fixieren versucht: Der Abgrund ist da. Ganz sicher stürzt einer pro Nacht die Schlucht hinab. Meistens bin es ich, die mit verrenktem Nacken am Morgen aus dem Tal kriecht.

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Das Ehebett, das einen daran erinnert, ein Leben zu zweit gewählt zu haben – und genau dort verläuft eine Grenze? Und dazu mitten durch die Mitte!

Natürlich haben wir alle Tricks versucht: Es gibt lange Schaumstoffwürste, die, würde man Aufschnitt draus machen, wie ein »T« aussähen. Man klemmt sie in die Bettritze. Diese Dinger haben nicht nur fürchterliche Namen (Liebesbrücke, Ritzenfüller), sie funktionieren auch nicht: Sie drücken sich so fest in die Ritze, dass die Kluft einfach noch ein bisschen dramatischer wird. Zumindest aber habe ich beim Bestellen dieses nutzlosen Dings bei einem Online-Kaufhaus gelernt, dass Menschen, die wie ich das Problem mit der Ritze haben, auch gern das Buch Fire & Ice 3 kaufen. (Gelernt habe ich dabei übrigens auch, dass man Menschen, die andauernd wissen wollen, ob man endlich schwanger sei, landläufig als »Bettritzen-Spion« bezeichnet. Aber das nur am Rande.)

Wir haben es auch mit einem sogenannten Matratzen-Topper versucht. Das sind dünne, puffig-fluffige Matratzen, die man als durchgängige Auflage auf die Matratzen legt. Bringt überhaupt nichts. Der Topper wird an der Stelle der Ritze ganz dünn und drückt sich herrlich wehrlos ganz tief in die Ritze – dorthin, wohin auch schon die Liebesbrücke verschwunden ist.

Was tun? Man könnte es mit einem Klettverschluss in der Mitte versuchen. Oder einen Spanngurt um die Matratzen schnüren. Man könnte dieses unlösbare Problem aber auch wie das des Gordischen Knotens behandeln, zur Lösung das Bett kurz und klein schlagen und an seiner Stelle ein Futon auf den Boden legen.

Oder aber man akzeptiert einfach, dass diese zwar marginale, trotzdem unüberwindbare Grenze da ist. Kuschelt sich abends auf die eigene Seite und liest das Buch des Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann Lob der Grenze, das einem laut Klappentext beibringen soll, dass es »ohne Grenzen kein Miteinander, ohne Differenz keine Erkenntnis gibt: Wer als Mensch wissen will, wer er ist, muss wissen, von wem er sich unterscheidet. Und wer das Risiko sucht, muss wissen, wann er die Sicherheit verlässt«. Man könnte dabei zustimmend brummen und mit der Hand über die Grenze wandern, die Hand des anderen drückend.

Man könnte auch Hannah Arendt zur Hand nehmen, und so kommen wir wieder auf die Liebe zurück: In ihrer Dissertation über den Liebesbegriff bei Augustinus wird die Liebe »amor« betrachtet als ein Prozess des Andauernd-den-anderen-haben-Wollens, als ewiger Drang nach Vereinigung. Wenn man den anderen aber hat, stellt sich sofort die Furcht ein, ihn zu verlieren – was wiederum die Liebe kaputt macht. Im Arendt’schen – beziehungsweise augustinischen – Sinne könnte die Bettritze also die Lösung für eine dauerhafte Liebe sein: Weil man den anderen nie ganz haben kann, kann man ihn am Ende auch nie verlieren.

Am Ende bleibt als Lösung nur, sich mit der Bettritze auszusöhnen, so wie es ganz normale Menschen tun, die anderen ihr Leid im Internet klagen. Und vielleicht dem Ganzen noch andere, eher praktische Vorteile abgewinnen. Vorschläge machen viele, die das gleiche Problem haben wie ich (welch ein Trost!). Nach Hasstiraden auf die Ritze liest man auf Seiten wie »Frag Mutti« oder »Gute Frage« immer auch versöhnliche Worte: Da gibt es etwa eine Mutter, die ein Bügelbrett in die Ritze klemmt, damit sie nicht immer die Füße ihres Kindes im Gesicht hat. Eine andere schreibt: »Ich wüsste gar nicht, wo ich die Fernbedienung deponieren sollte, wenn die Ritze nicht wäre.« Am besten gefällt mir aber folgender Vorschlag, Erkenntnis eines Menschen, der sich »Metalazzy« nennt: »Ich hab eher das Problem, dass immer der untere Arm beim Kuscheln im Weg ist, und da bin ich froh, diesen in der Ritze versenken zu können!«

Foto: Markus Burke