»Viele Sänger sind verwundert, dass es mich gibt«

Jana Frank ist ganz oben angekommen - und arbeitet trotzdem unten: Als Opernsouffleuse hilft sie den Darstellern der Salzburger Festspiele, wenn denen gerade die Worte fehlen. Ein Besuch im Kasten.

Jana Franks Arbeitsplatz: der Souffleurkasten - hier in der Deutschen Oper in Berlin. Weiß ein Sänger nicht weiter, hilft sie ihm mit Blicken und Gesten.

SZ-Magazin: Frau Frank, dass es im Theater Souffleusen gibt, weiß jeder; dass aber auch in der Oper souffliert wird, kaum einer. Woran liegt das?
Jana Frank: Vielleicht, weil mich kaum je ein Zuschauer hört, denn hinter mir – aber vor dem Publikum – sitzt das Orchester. Und das ist lauter als ich. Mir geht es ja gerade darum, die Magie für den Zuschauer nicht zu stören. Vielleicht ist jedoch auch mein Beruf besonders absurd, denn je besser man ihn ausübt, je dezenter man agiert, desto weniger wird man bemerkt – und desto eher gerät man in Vergessenheit.

Wer vergisst Sie denn?

Mein Beruf ist selbst bei Leuten vom Fach kaum im Bewusstein verankert. Darum steht bei einigen Opernhäusern meine Position auf der Kippe; viele müssen sparen und denken sich: Auf die können wir doch verzichten. Viele junge Sänger sind verwundert, dass es mich überhaupt gibt. Im Gesangsstudium ist mein Beruf kein Thema. Im Gegenteil: Da die Konkurrenz unter jungen Sängern so stark ist und sie einen hohen Perfektionsanspruch haben, fragen sie sich bei meinem Anblick: Soll das heißen, ich kann meine Partie nicht gut?

Und dann verpassen sie prompt vor Aufregung ihren Einsatz, und Sie müssen einspringen und vorsingen?
Ich singe eigentlich nie. Ich spreche die ersten Worte der Gesangsphrasen in Richtung Bühne und unterstreiche das mit Blicken und Gesten.

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Und was machen Sie, wenn ein Sänger einen kompletten Aussetzer hat?
Das kommt ganz, ganz selten vor. Aber einmal war bei einem Sänger während einer
Barockarie plötzlich alles weg. Text, Melodie, alles. Ich konnte hampeln und strampeln, wie ich wollte, er hat es nicht gemerkt, sondern sich an den Tisch gesetzt. Das Orchester spielte weiter – die Musik wird ja nie abgbrochen – und irgendwann hat er den Einstieg wiedergefunden.

Wie hat das Publikum reagiert?
Das hat gar nichts mitbekommen. Man muss bedenken: Gefragte Sänger singen heute den Rigoletto an der Met in New York und morgen in einer völlig anderen Inszenierung in Hamburg. Dann übermorgen den Troubadour in Mailand. Der musikalische Duktus dieser beiden Verdi-Opern ähnelt sich. Das kann schon mal zu Irritationen bei den Sängern führen.

Das sind die Momente, in denen Ihr Beruf besonders wichtig ist, oder?
Vor allem ist Oper ein komplexer Mechanismus und ein höchst anspruchsvolles Metier – Sänger müssen auf das Orchester, die Musik, ihren Partner, ihre Stimme hören, auf den Dirigenten und auf ihre Einsätze achten, ihren Text beherrschen. Dann stolpern sie vielleicht über etwas auf der Bühne, was da nicht hingehört. Ich habe Hochachtung vor den Sängern. Sie sollen jede Unterstützung bekommen, die sie kriegen können.

Das heißt, Sänger begreifen im Lauf der Jahre sehr wohl, wie gut es ist, dass es Sie gibt?
Ich denke schon. Im Arbeitsalltag, der sehr anstrengend ist, geht das recht zügig. Und viele internationale Stars haben im Vertrag stehen, dass eine Souffleuse zur Verfügung steht.

Sie soufflieren im Sommer nun zum dritten Mal bei den Salzburger Festspielen. Die wollen also nicht auf Sie verzichten?
Oh nein. Salzburg ist ein sehr souffleusenfreundliches Terrain. Dieses Jahr souffliere ich bei Schuberts Oper Fierrabras, vergangenes Jahr habe ich bei den Meistersingern von Nürnberg, souffliert, vor zwei Jahren bei der Zauberflöte. Im normalen Opernbetrieb probt man morgens ein neues Stück, hat abends Vorstellung und zwischendurch eventuell eine kurzfristig anberaumte Umbesetzungsprobe. In Salzburg aber bin ich nur für eine Oper zuständig.

Ihr Platz ist im Kasten auf der Bühne?

Ja, in der Mitte der Bühne, bei der Rampe, ist im Bühnenboden ein kleiner Raum eingelassen. Dort sitze ich auch am liebsten, das hat sich in der Praxis bewährt, über Jahrhunderte. Aber es kommt heutzutage auf das Bühnenbild an: Ich kann genauso auf der Seitenbühne in einer der Gassen sitzen, ich kann einen Turmaufbau im Orchestergraben haben, der mit dunklem Stoff verkleidet ist. Ich saß schon, wenn auch nicht in Salzburg, in der ersten Reihe, sodass der Zuschauer neben mir fragte: »Na, schon was schiefgegangen?« Da habe ich gesagt: »Och, wenn Sie nichts bemerkt haben, ist wohl auch nichts passiert.«

Wie sieht es in einem Souffleurkasten aus?

Er ist gerade groß genug für eine Person. Ich gehe über die Unterbühne hinein, mehrere Stufen hoch. Ich habe einen Stuhl, ein Pult für meinen Klavierauszug, eine Lampe und den Monitor, damit ich den Dirigenten sehe. In der Pause mache ich oft Entspannungsübungen für Nacken und Schultern. Meine Haltung während der Vorstellung ist ja sehr einseitig: immer nach oben schauen.

Sitzen Sie in Salzburg auch im Kasten?
Bisher noch nicht. In der Felsenreitschule bekam ich einen offenen Aufbau im Orchestergraben, ein Podest mit einem kleinen Paravent herum. Und souffleusenfreundlich wie sie in Salzburg nun mal sind, hat mir die Technik dort sogar Schlaufen gebastelt, damit ich meine Wasserflasche aufbewahren kann.

Es ist ganz wichtig, Zuversicht und positive Energie zu verbreiten. Da kann ich viel Sicherheit und Halt geben.

So souffliert Jana Frank bei den Salzburger Festspielen: im Dirndl. Aus Spaß, Vorschrift ist das nicht.

Welche Gesten machen Sie, um einem Sänger etwas zu signalisieren?
Wenn jemand zum Beispiel etwas langsamer werden soll, gestikuliere ich beschwichtigend. Wenn er schneller sein könnte, lasse ich meine Hand rotieren – oder ich schnipse mit den Fingern, um auf einen Einsatz hinzuweisen.

Und das verstehen alle Sänger?

Das ist internationales Souffleusenrepertoire. Nur hinschauen sollten sie. Wenn die Sänger im entscheidenden Moment nicht zu mir sehen, kann ich nichts machen. Aber bei Neuinszenierungen bin ich von der ersten Probe an dabei. Ich kenne die musikalische Struktur der Oper und das Eigenleben der Inszenierung. Und so entwickle ich mit den Sängern ein Sensorium. Natürlich spielt auch Vertrauen eine große Rolle. Anfangs spreche ich sehr viel Text, reduziere im Lauf der Proben, aber problematische Stellen spreche ich immer ein.

Was machen Sie, wenn ein Sänger krank wird und ein anderer in eine laufende Inszenierung einspringt?
Ich versuche, vorher mit ihm zu reden, wo es schwierig werden könnte, wo er vielleicht Hilfe braucht, und während der Vorstellung gebührt ihm meine besondere Aufmerksamkeit. Und natürlich kenne ich die fiesen Stellen der jeweiligen Partie.

Was sind typische Stolperstellen?
Strophen. Die sind für Sänger was ganz Heikles. Genau da denkt das Publikum, das ist
doch einfach: eine Strophe, dann der Refrain, dann die nächste Strophe. Aber die Sänger kommen leicht durcheinander – die Melodie wiederholt sich, der Text nicht. Sie wissen nicht genau, war ich jetzt schon an der Stelle oder kommt die erst später? Dann gebe ich, kurz vor dem entsprechenden Einsatz, das entscheidende Stichwort hinein.

Sie vermitteln also auch Sicherheit?
Ja. Es ist ganz wichtig, Zuversicht und positive Energie zu verbreiten. Nehmen Sie eine Wagner-Oper. Da haben die Sänger im letzten Drittel von Tannhäuser oder Tristan und Isolde noch mal extrem anspruchsvolle Partien zu singen, aber sie sind erschöpft, ihre Konzentration lässt nach. Da kann ich viel Sicherheit und Halt geben.

Gibt es auch männliche Souffleure?
Ja, aber viel weniger.

Woran liegt das?

Vielleicht weil es immer noch als sehr weiblich angesehen wird, sich zurückzunehmen und jemand anderen zum Glänzen zu bringen. Männliche Souffleure kommen häufig vom Dirigieren oder sie sind Instrumentalisten. Ich selbst war Sängerin, kann mich also gut in Sänger einfühlen. In jedem Fall sind gute Souffleusen sehr gesucht.

Könnten Sie auch bei einer italienischen Oper soufflieren?
Ja. Ebenso bei einer französischen oder englischen. Nur bei russischen Opern muss ich passen, auch, weil ich nicht kyrillisch lesen kann. Doch auch das ist das Besondere an den Salzburger Festspielen: Dort werden meist Souffleusen engagiert, deren Muttersprache die Originalsprache der Oper ist.

Was würden Sie machen, wenn Sie überraschend bei einer Janáček-Oper einspringen und auf Tschechisch soufflieren müssten?

Vielleicht gibt es ein Coaching, das das Opernhaus organisiert. Wenn nicht, würde ich Kollegen um Hilfe bitten, beispielsweise Muttersprachler aus dem Opernchor; und ich würde so oft wie möglich die Oper auf CD anhören und im Klavierauszug mitlesen, um Text und Aussprache zu verinnerlichen.

Viele Sänger singen in einer Sprache, die sie nicht sprechen. Ist das schwierig für Sie?
Manchmal schon. Natürlich erarbeiten Sänger ihre Partie mit einem Korrepetitor. Aber Muttersprachler können bei einem Rezitativ oder bei Dialogen improvisieren, wenn sie den genauen Wortlaut vergessen haben. Das bemerkt das Publikum kaum. Sänger, die sich den Text der Oper nur phonetisch erarbeitet haben, können das nicht. Oder sie sind über die Textabweichungen des Kollegen irritiert. Es kann auch vorkommen, dass ein amerikanischer Korrepetitor mit einer koreanischen Sängerin eine deutsche Oper einstudiert – mitunter mit exotischen Ergebnissen. Der ganze herrliche Wahnsinn der Oper!

Was machen Sie dann?
Bemerke ich das bei den Proben, biete ich meine Hilfe an. Die Sänger haben ja ein geschultes Ohr, darum erzielen sie schnell gute Ergebnisse. In jedem Fall braucht man in meinem Beruf starke Nerven, Gelassenheit, Achtsamkeit und Humor. Manchmal komme ich mir vor wie die Personenschützerin eines Top-Politikers: Man ist ständig hoch konzentriert, und selbst wenn man nicht sicher ist, ob sich in der Hecke was bewegt, schießt man mal rein.

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Jana Frank war Tänzerin und sieben Jahre im Theater des Westens in Berlin engagiert. Sie machte dann eine Ausbildung zur klassischen Sängerin, ging auf Konzerttourneen, bis der Eiserne Vorhang fiel und gut ausgebildete Sänger aus dem Osten auf den Markt drängten, die die Preise unterboten. Da es keine Ausbildung für Souffleusen gibt, bewarb sie sich auf eine Stelle als Opernsouffleuse, sprach vor, wurde engagiert. Ihr Weg führte über Hagen, Duisburg, Düsseldorf, und weil sie zu den Besten ihres Fachs zählt, wurde ihr Traum vor drei Jahren Wirklichkeit: ein Engagement bei den Salzburger Festspielen. Diesen Sommer souffliert sie dort bei der Schubert-Oper Fierrabras.

Fotos: Oliver Helbig