»Die meisten Prachtkerle sind tot«

Sein Leben lang hat Peter Bogdanovich männliche Regisseure interviewt. Keine Schauspieler, keine Frauen. Für das SZ-Magazin machte er im Jahr 2002 eine Ausnahme: Sein Gespräch mit Lauren Bacall fand in ihrem New Yorker Apartment auf der Upper West Side von Manhattan statt. An zwei Tagen, insgesamt sieben Stunden lang. Dieses Interview erschien am 16. August 2002 im SZ-Magazin. Anlässlich ihres Todes am 12. August 2014 veröffentlichen wir es erneut.

Peter Bogdanovich: Deinen ersten Vertrag als Schauspielerin hast du bei Howard Hawks bekommen.
Lauren Bacall: Ja. Charlie Feldman, ein Partner von Howard, war mein Agent, er bekam fünfzig Prozent meiner Gage. Äußerst fair, nicht wahr?

Das war typisch Hollywood.
Dass so was legal war, ist das Sensationelle daran. Ich unterschrieb einen ellenlangen Vertrag, der mir nichts gab und ihm alles. Unglaublich. Ich hab ihn aufgehoben. Aber ich bekam nichts zu spielen. Ich traf Howard immer mal – er nahm mich in seinem Auto zum Essen mit oder wohin auch immer und erzählte mir, wie er mit Carole Lombard umsprang, wie er ihr sagte: »So musst du diese Szene spielen. Du musst spielen, als wärst du ein Mann.« Wie er Rita Hayworth am Arm nahm und dies und jenes machte... Er setzte sich natürlich immer durch. Die anderen hatten Unrecht, er hatte Recht. Und von allem, was er sagte, war er felsenfest überzeugt. »Mach Sprechübungen, lies laut. Achte darauf, dass deine Stimme gesenkt bleibt. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Frau, die die Stimme hebt, wenn sie sich aufregt.«

Arbeit gab er dir erst mal keine?
Nein. Ich war ganz frustriert und wild aufs Spielen. Endlich plante Howard einen Film über Leute, die in Russland aus dem Flugzeug geworfen werden. Ich sollte ein russisches Mädchen spielen und hab mir schon mal zur Probe Zöpfe geflochten. Er hatte die blödsinnigsten Einfälle.

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Wie ist Howard auf die Idee gekommen, dich Lauren zu nennen?
Das weiß ich nicht mehr - vor dem ersten Film. Als Fotomodell war ich noch Betty. Aber diese Karriere war sehr kurz. Ich war nie ein gutes Modell.

Dein Foto für Harper's Bazaar ist dennoch sehr berühmt geworden. Wie kam es dazu?
Über Freunde bekam ich einen Termin bei Diana Vreeland, die Anfang der vierziger Jahre noch als Moderedakteurin arbeitete. Ich war ein Kind. Eigentlich glaubte ich gar nicht an mich. Meine Mutter musste mir immer Mut machen. So was sitzt tief, das kann man nicht so leicht verstecken.

Bei mir hättest du jeden Vorstellungstermin bestanden.
Ich schaffte es ja bei vielen. Aber jetzt bin ich so alt, dass es mir egal sein kann. Die Geschichte mit Harper's Bazaar hätte jedenfalls nicht besser laufen können. Zum Fototermin fuhren wir drei Tage nach Florida. Diana musste meiner Mutter versprechen, dass ich nicht mit irgendeinem Kerl durchbrennen würde. Ich war noch unschuldig, hatte keine Ahnung von Männern. Auf der Rückfahrt, es war Krieg und der Zug voller Soldaten, bekamen wir keine Liegeplätze. Diana gab sich als meine Mutter aus und behauptete, ich sei schwanger. »Vergiss nicht, wer du bist«, sagte sie zu mir. »Jetzt hast du deine Chance als Schauspielerin.«

Du bist öfter in Harper's Bazaar aufgetaucht.
Etliche Male. Diana hat viel für mich getan. »Betty Bacall, Schauspielerin« hat sie unter die Bilder geschrieben, das war ganz toll von ihr. Sie war eine faszinierende Frau. Ein Arbeitstier, sehr exzentrisch, aber eine echte Persönlichkeit. Dann haben sie mich aufs Cover gebracht.

Und so begann deine Karriere?
Jemand hat die Fotos Hawks gezeigt. »Na, vielleicht probier ich's mal mit ihr«, soll er nicht allzu begeistert gesagt haben. Ich wurde aber zu Probeaufnahmen eingeladen. Zur selben Zeit hatte ich allerdings ein Rollenangebot für Es tanzt die Göttin [1944]. Columbia brauchte eine ganze Schar von Mädels für den Film mit Rita Hayworth und Gene Kelly. Mein Onkel Charlie sagte: »Halt dich lieber an Hawks. Ein großer Regisseur.« Ich hatte nie von ihm gehört.

Howard Hawks hat dich also nur gesehen und dann entdeckt.
Nein, Charlie Feldman. Er und Hawks holten mich vom Zug in Los Angeles ab. Im selben Zug saß [der Schauspieler] Red Skelton, den ich nicht kannte, der ein Auge auf mich geworfen hatte und mir einen Antrag machte.

»Bei Humphrey Bogart dachte ich: wie langweilig.«

Hast du seinen Antrag ernsthaft erwogen?
Nein. Ich war doch noch unschuldig. Mit 19. Ich saß da und träumte. Was mache ich hier? Ich sitze in einem Schlafwagen. Ich, die ich fast nie für mich sein konnte, habe plötzlich so ein Abteil für mich allein. Jedenfalls habe ich mich für Hawks statt für Columbia entschieden. Eine Unterschrift sollte mein ganzes Leben bestimmen. In Kalifornien wurde ich in Charlie Feldmans Büro gefahren. Er war ein Charmeur, gut aussehend, immer auf einen Flirt aus, ein richtig böser Bube, aber sehr nett. Er arrangierte einen Lunch mit Howard Hawks im »Brown Derby« - einem Restaurant in Beverly Hills. Als wir schließlich gingen, sah ich mir die beiden an, wie sie über den Wilshire Boulevard schlenderten. Wenn du aus New York kommst, schlenderst du nicht, du läufst, als müsstest du dringend wohin. Die beiden also schlendern so lässig den Boulevard entlang. »Wie soll ich hier leben?«, dachte ich. Schau dir an, wie die laufen. Was sind das für Menschen? Die brauchen ja eine Ewigkeit bis zur nächsten Ecke!

Ich habe Howard nie in Eile gesehen.
Zumindest sah es nie so aus.

Er wirkte sehr kühl.
Ich würde eher sagen, kalt. Ein interessanter Mann, trotzdem. Ein wundervoller Regisseur.

Hat Hawks Probeaufnahmen mit dir zur berühmten Pfeifszene aus Haben und Nichthaben gemacht?
Das war etwas später, nachdem ich Feldman lange genug mit meinen ständigen Fragen nach einer Rolle auf den Wecker gegangen war. Ich hatte Hemmungen, Hawks zu bearbeiten, weil ich Angst vor ihm hatte, richtige Angst. Schließlich beschloss er Haben und Nichthaben [1944] zu drehen. Er sagte: »Ich möchte dich entweder zusammen mit Humphrey Bogart oder Cary Grant besetzen.« Und ich dachte: »Cary Grant, wow.« Bei Humphrey Bogart dachte ich: »Wie langweilig.« Ich hatte Casablanca [1942] gesehen. Meine Tante meinte: »Der ist ja so attraktiv!« Ich: »Wirklich? Wo hast du deine Augen? Der ist doch nicht attraktiv!« Du siehst, wie man sich irren kann.

Wie hast du Bogart dann kennen gelernt?

Eines Nachmittags traf ich ihn bei Howard, Bogie ging gerade. »Ich habe Ihre Probeaufnahmen gesehen«, sagte er. »Wir werden viel Spaß miteinander haben.« Und ich: »Ach, wirklich?« Er hat ja nicht geahnt, wie Recht er hatte. Hawks war großartig bei den Proben. Ich fand es hoch spannend, bei den Warner Brothers zu drehen.

Es war das Studio von Bette Davis.
Oh, Bette Davis! Wo ist sie? Damals hab ich sie nicht getroffen. Aber alle anderen: Errol Flynn und James Cagney. Gott, war ich beeindruckt - sogar Barbara Stanwyck habe ich kennen gelernt. Hawks sagte immer: »Werd bloß nicht wie die Stanwyck.« Und ich hätte was drum gegeben, so zu sein wie die Stanwyck. »Die hat unzählige Freunde. Bleib lieber ganz still in deinem Zimmer.« Er hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ich die Geheimnisvolle sein sollte. Aber bei meinem Charakter hielt ich so etwas nicht lang durch.

Hawks sagte mir, dass er Bogart für den Film wollte, »den ruppigsten Typ, den das Kino zu bieten hat«, und dazu ein Mädchen, das noch ruppiger, aber trotzdem liebenswert war.
Seine Methode, Regie zu führen: Du steckst ein und teilst entsprechend aus. Howard wirft dir was hin und du wirfst es zurück. »Hat jemand Feuer?« Der Kerl guckt mich von oben bis unten an und wirft mir die Streichhölzer hin. Ich fange sie auf, »danke«, und werfe sie zurück. In der Art. Howard hat den Zyniker gespielt, aber als Mensch blieb er immer er selbst. Er nahm mich damals oft mit zu Warner, wir saßen in der Kantine, und ich wartete darauf, dass die großen Stars hereinkamen. Howard sagte: »Denk dran, du heißt Lauren, und du musst sagen, das war der Name deiner Großmutter.« Er hat mir eine komplette Familiengeschichte verpasst. Er wollte mich besitzen, er wollte mit mir ins Bett, er wollte mich hinbiegen, wie es ihm gefiel. Dann kam Bogart ins Spiel und das hielt er nicht aus. Als es anfing, sagte er zu mir: »Du glaubst doch nicht etwa, dass er dich heiratet?« Und zu Bogie: »Geh lieber ins Stundenhotel.« Er war richtig bösartig. »Er ist doch mit dieser Verrückten verheiratet«, erklärte er mir, »und sie haben ständig Krach. Aber er wird sie nie verlassen.« Und ich glaubte alles.

Du hast dich also während der Dreharbeiten verliebt.
Es ist wirklich zufällig passiert. Es war eine romantische Geschichte, ein großes Abenteuer für mich. Dann war der Film abgedreht. Aber Bogie rief mich weiter an.

Hast du das Gefühl, dass Hawks dich geformt hat? Deine Rolle in dem Film und alles andere ist mit großer Sorgfalt gemacht. Wie du ausgeleuchtet bist, das war sehr überlegt.
Das war alles Howard. Ja, die Beleuchtung, wundervolles Schwarzweiß und immer ein bisschen Schatten. Oh, es war fantastisch! Was Besseres konnte man nicht verlangen. Aber er bemerkte nicht gleich, dass Bogie sich in mich verliebte. Denn er sagte zu ihm: »Dieses Mädchen ist völlig durcheinander, das reinste Nervenbündel.« Bogie wusste, wie nervös ich war, und brachte mich mit seinen Witzeleien zum Lachen, so wurde ich locker.

In späteren Jahren glaubte Hawks, dass nur deshalb etwas aus Haben und Nichthaben wurde, weil ihr euch verliebt habt.
Auch aus mir wurde etwas. Er sagte immer, weil Bogart sich in mich verliebt hat, weil Bogart mir den Film geschenkt hat.

Bogart hatte sicher nichts dagegen, dass du ihm in jeder Szene die Schau gestohlen hast.
Er war immer großzügig als Schauspieler, er glaubte nicht an diese Konkurrenzgeschichten. Die Zusammenarbeit mit ihm war wunderbar. In erster Linie war Bogie ein Mann des Theaters. Er war kein Zufallstalent, keine Charaktercharge. Seine Vielseitigkeit ist bisher kaum gewürdigt worden. John Huston war der Einzige, der das wirklich begriffen hat, daher die Vielfalt von Bogies Rollen bei ihm, und jede war eine Überraschung. Denk an den Schatz der Sierra Madre [1948]. Bogie hatte gewaltigen Respekt vor der Schauspielerei und er ist auf mein Spiel eingegangen. Er hat mir das Lampenfieber genommen – und ich hab wirklich die ganze Zeit gezittert. Wenn es am Set ruhig wurde und ich hörte »Action!«, fing ich an zu husten. Dann endlich bekam ich den Kopf nach unten und konnte aufblicken - so kam der berühmte Augenaufschlag zu Stande, durch Zufall, weil ich den Kopf nicht still halten konnte. Ich hatte fürchterliches Lampenfieber. Und das hab ich immer noch.

Dabei wirkst du so cool.
Das lassen dich die Filme glauben.

Na ja, diese Rolle in Haben und Nichthaben war ziemlich cool. Sie hat dein Image geprägt.

So ist das mit dem Kino. Sobald du einen Erfolg hast, bist du auf diese Rolle festgelegt. Du darfst nichts anderes mehr spielen, nur noch diese eine Rolle. Ich nehme an, dadurch wird man zum Star, aber das bringt einen auch um.

Das ganze alte Starsystem beruhte darauf. Auf einem gewissen Image, das man variieren konnte.
Sie glauben noch immer, dass du austauschbar bist. Jack Warner sagte: »Ich könnte aus jedem einen Star machen – irgendjemanden von der Straße holen.« Von wegen!

Was hat dir Hollywood bedeutet?
Du kannst dir ja vorstellen, wie das für ein Mädchen ist, das vom Theater träumt. Charlie Feldman nahm mich zu einer Party bei [der Journalistin] Elsa Maxwell mit, dort traf ich [den Schauspieler] Robert Montgomery. Ich war immer verknallt gewesen in Robert Montgomery. Da saß er nun, ein alter Lustmolch, und wollte meine Telefonnummer. Ich sagte: »Wirklich?« Er hat nie angerufen, aber ich hab all diese Leute kennen gelernt. Ich traf Jimmy Stewart in Uniform und Arthur Rubinstein. Diese Stars waren der echte Glamour, der Glanz des Kinos, der völlig vergangen ist. Und ich verstehe nicht, wie sie das zulassen konnten.

Als das Studiosystem in den sechziger Jahren zusammenbrach, war es vorbei. Wenn du die Leute nicht unter Vertrag hast, kannst du ihre Karriere nicht aufbauen.
Trotzdem, wenn das Geld nicht gesiegt hätte... Die Filmindustrie hätte ihre Aura bewahren können, statt einfach nur Geld zu scheffeln, statt Studiorundfahrten zu veranstalten und den Leuten zu erklären, wie die Spezialeffekte zu Stande kamen. Was soll das? Wo bleibt die Fantasie?

Howard hat immer nur gut von dir gesprochen, auch als du schon mit Bogie verheiratet warst.
Es war interessant, als ich ihn nach Bogies Tod [1957] bei einem Galadinner traf. Er kam zu mir - »Hallo, Darling, wie geht's?« - und hat mich umarmt. Er hatte sich sehr verändert. Er wollte etwas aus mir machen... Ich hätte vielleicht ein Superstar werden können, mit einer viel größeren Karriere, als ich sie hatte.

Du hast eine verdammt große Karriere gemacht.
Ja, aber nicht beim Film. Das war immer hart für mich, immer eine Schinderei. Metro-Goldwyn-Mayer wollte mich haben und Warner wollte mich nicht gehen lassen. Mit Hawks hätte ich ganz andere Möglichkeiten gehabt und in besseren Filmen spielen können.

Hat Hawks dir je gesagt, dass er eine amerikanische Dietrich aus dir machen wollte? So hab ich's von ihm gehört.
Wirklich? Ich glaube nicht, dass er bei mir so gesprächig war.

Aber er hat dir Avancen gemacht.
Nein. Das musste sein Assistent machen. Howard hätte nie eine Abfuhr riskiert. Ich fragte ihn einmal, warum in seinen Filmen immer die Frauen die Initiative ergreifen, und er sagte: »Kann es etwas Alberneres geben als einen Mann, der eine Frau anmacht?« Er hatte wirklich seltsame Vorstellungen. Deshalb sind seine Filme, was sie sind. Und er hat sich immer selbst beklaut. Mir fällt ein Satz aus SOS - Feuer an Bord [1939] ein: »Ich bin schwer zu kriegen, Steve - du musst mich nur bitten.« Bogart hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Weil du dich in ihn verliebt hast.
Weil es offensichtlich wurde.

Wann hast du gemerkt, dass es ernst wurde mit dir und Bogart? Während der Dreharbeiten zu Haben und Nichthaben ?
Vor der vierten Woche lief da gar nichts. Und er hat den Anfang gemacht. Ich ganz bestimmt nicht. Er brachte mir all die Sachen über Hollywood bei – dass du extreme Disziplin brauchst und nicht von deinem Weg abweichen darfst. »Ob du vor die Hunde gehst oder nicht, ist in dieser Stadt allen egal. Hauptsache, es bringt Presse. Am wichtigsten ist, dass man sich selbst treu ist, niemals lügt...« Klang alles nach meiner Mutter.

Hat deine Mutter ihn gemocht?
Am Anfang überhaupt nicht. Sie wollte mich von ihm fern halten und ihn von mir. Eines Nachts, um drei Uhr, klingelte das Telefon. »Ich will dich sehen. Ecke Wilshire...« und so weiter. »Wer ist das?«, fragte meine Mutter. »Was will er von dir?« – »Ich treffe mich mit ihm.« – »Bist du verrückt geworden? Der Mann ist verheiratet!« In dritter Ehe. Er hatte jahrelang Skrupel meinetwegen. Vor der Ehe sagte er: »Ich bin so viel älter. Sie wird mich verlassen. In fünf Jahren ist sie weg, sie ist ganz unerfahren.« All der Käse. [Der Schauspieler] Peter Lorre meinte dann: »Fünf Jahre mit ihr sind besser als gar nichts.« Bogie wusste, dass ich mit 19 total unerfahren war: »Ihr Leben fängt erst an, meins ist zu Ende.« Das hat er mit 45 gesagt. Leider ist es dann wirklich so gekommen. Aber er lebte mit dieser verrückten Frau, dieser Trinkerin, das war der wahre Horror. Er rief mich morgens um drei von zu Hause an und Mayo [Methot, seine damalige Ehefrau] nahm ihm den Hörer weg. »Du jüdische Schlampe! Was bildest du dir ein? Willst du seine Socken stopfen?« Ich hatte so eine Angst. Im Sommer wurde es dann ernst. Er ging auf sein Boot in Newport und ich blieb in Beverly Hills. Er fing an, mich vom Boot aus anzurufen. Da nannte er mich »Baby«. Er war umwerfend. Besser als jeder andere Verehrer, den ich je hatte. Dabei sind 25 Jahre Altersunterschied eine Menge.

Er muss sich wie zwanzig gefühlt haben.
Ja, das zwischen uns war eine Jugendliebe, eindeutig. Er hat mir wunderschöne Briefe geschrieben. Er hatte so viele Facetten, war so intelligent – und ein wenig zynisch, was das Leben betraf, aber immer er selbst. Ich glaube, aus diesem Grund ist er bis heute so populär – weil sie wussten, dass man ihn nicht kaufen konnte. Cary Grant verdiente mehr, Gary Cooper verdiente mehr. Bogart musste mit seinem üblichen Honorar runtergehen, um in Die Caine war ihr Schicksal [1954] mitzuspielen, sonst hätte er die Rolle nicht bekommen. Aber Bogie war ein Mann aus dem 19. Jahrhundert, er war am 25. Dezember 1899 geboren. Und er hat mich nicht betrogen. Keine Frauengeschichten. Solche Sachen hat er nicht gemacht.

Bei Tote schlafen fest von 1946 wart ihr noch nicht verheiratet?
Wir haben danach geheiratet. Du siehst also, es kam der Tag, da hatte Bogie Methot verlassen. Ich glaube, das war gegen Ende der Dreharbeiten zu Haben und Nichthaben – natürlich ein gefundenes Fressen für Journalisten wie Louella Parsons. Er zog ins »Beverly Hills Hotel«, ich musste mich hineinschleichen, furchtbar. Plötzlich sagte er: »Ich muss zu Mayo zurück. Ich kann nicht mit ihr Schluss machen. Die Ärzte sagen, dass es ihr schlecht geht. Sie braucht Hilfe, in diesem Zustand setzt man nicht mal einen Hund vor die Tür.« Natürlich brach ich in Tränen aus. Howard hatte Recht – er würde bei ihr bleiben. Eine Weile blieb ich also sehr reserviert. Wenig später hat er sie endgültig verlassen, das musste dann auch Howard anerkennen. Er konnte nichts dagegen tun.

Deine Unsicherheit überrascht mich. Ich habe dich immer für absolut selbstbewusst gehalten.
Da siehst du, wie man sich irren kann.

Nein, das ist gutes Schauspiel.
Das auch, aber zum Teil deshalb, weil ich mich irgendwie schützen musste. Weil ich keinen Vater hatte.

Dein Vater hat euch früh verlassen.
Er hat mich mit einem Lederriemen verprügelt. Die Gründe sind mir unklar. Er verließ uns. Mein Onkel Charlie war mein Ersatzvater und hat sich um mich gekümmert.

Bis Bogie sich um dich kümmerte.

Oh ja. Und er sah, dass ich den Dingen ziemlich ausgeliefert war.

Hat sich Bogart mit Hawks verstanden?
Ich glaube, er hat gern mit ihm gearbeitet, aber sie hätten nicht gegensätzlicher sein können. Bogies Favorit war natürlich John Huston. Sie waren das ideale Gespann. Sie stachelten sich gegenseitig an. John wollte ihn auch als Captain Ahab [in Moby Dick , 1956], aber Bogie war krank und konnte nicht.

Ich mag den wenig bekannten Film der beiden Schach dem Teufel [1954].
Oh, das ist ein Kultfilm geworden.

Hat nicht Truman Capote das Skript geschrieben, als er noch mit Bogie befreundet war?

Das war, als Bogie Truman Capote kennen lernte und sagte: »Zuerst glaubst du nicht, dass er echt ist, dann willst du ihn in die Tasche stecken und mit nach Hause nehmen.« Denn damals war Truman großartig. Er hat hart gearbeitet.

Warst du bei den Dreharbeiten dabei?
Nicht als sie in Afrika gedreht haben, weil ich da in Wie angelt man sich einen Millionär? [1953] gespielt habe. Ich hab ihn hinterher in London getroffen.

Die vielen Trennungen während der Dreharbeiten müssen schwierig gewesen sein.
Das war unsere längste. Vorher waren wir einmal zwei Wochen getrennt. Ich kam nach Rom, nachdem dort die Dreharbeiten für Die barfüßige Gräfin [1954] begonnen hatten, und blieb die restliche Zeit.

War die Presse hinter euch her?

Als wir verheiratet waren, nicht mehr. Sie freuten sich, wenn sie uns sahen, aber sie haben uns nicht belästigt. Vor unserer Heirat war das anders.

Bogart hatte auch eine Yacht.
Ja. Auf die war ich sehr eifersüchtig.

Hat es dir auf der Yacht nicht gefallen?
Ein schönes Boot, aber jedes Wochenende hinaus, das war mir zu viel. Ich wurde auch schnell seekrank. Sobald Bogie aufs Boot ging, war es, als wäre ihm eine schwere Last von den Schultern genommen. Mit dem Meer hat es seine Bewandtnis. Er hatte ein ähnliches Verhältnis dazu wie Hemingway.

»Wir flogen nach Washington, um die Regierung zu stürzen.«

Man spürt das, wenn man sieht, wie er in Haben und Nichthaben mit dem Boot umgeht.
Das war seine Welt. Das letzte Stück Freiheit auf Erden. Und das hat er geliebt.

Erinnerst du dich an die Proteste gegen den Ausschuss für unamerikanische Betätigung?
Der Ausschussvorsitzende J. Parnell Thomas war nach Kalifornien gekommen, um Gary Cooper, John Wayne und Ginger Rogers zu vernehmen. Du weißt, die suchten unter jedem Bett Kommunisten. Du kennst diese Rechtsradikalen – ein Albtraum. Schließlich beschlossen wir, nach Washington zu fahren: Gene Kelly kam mit, Danny Kaye, eine nette kleine Gruppe. Howard Hughes hatte uns ein Flugzeug zur Verfügung gestellt. Natürlich wurden wir vor dem Flugzeug fotografiert und da sah ich, dass das Flugzeug »The Red Star« hieß. Wir flogen also nach Washington, um die Regierung zu stürzen. Wir haben immer unsere Witze darüber gemacht.


Wie habt ihr das hinterher empfunden?

Es ging drunter und drüber. Danny Kaye ging zur Beichte bei einem Priester in Brooklyn, um sich vom Verdacht des Kommunismus zu entlasten. Gene Kelly sprach ebenfalls mit irgendeinem Geistlichen, um seinen Ruf zu retten. Schrecklich, wie viele Existenzen da vernichtet wurden. Die rechtsradikalen Schauspieler forderten: »Wir wollen keine Roten hier, auch keine Rosaroten.« Wir gehörten also zu dieser Kategorie. Es lebt sich viel leichter in Los Angeles, wenn man keine Wellen schlägt, immer schön nett bleibt. [Der Autor und Regisseur] Don Hartman hat einmal Sabrina [1954] in seinem Haus gezeigt, einen Tag vor der Premiere, und Bogie hatte sich wegen des Films mit Billy Wilder überworfen. Sie kamen überhaupt nicht miteinander zurecht. Das war, nachdem Billy Wilder ihn angebettelt hatte mitzuspielen, und dann behandelte er ihn wie einen Aussätzigen. Bogie hat sich darüber geärgert. Er war kein »Star«. Er wollte Respekt, aber er hatte nie einen Hofstaat, er hat all diesen Unsinn nie mitgemacht. Er hat nie jemandem nach dem Munde geredet. Er sagte immer, was er dachte. Wenn ihm eine Szene nicht gefiel, sagte er das. Bill Holden spielte in dem Film und kroch Billy Wilder ständig in den Arsch. Und dann Audrey Hepburn natürlich, in die Wilder verliebt war. Bogie war irgendwie der Außenseiter. Wir sahen also diese traurige Voraufführung und Don fragte: »Na, wie findet ihr den Film? Ist er nicht großartig? Was meinst du, Bogie?« Bogie sagte: »Ich finde, das ist gequirlte Scheiße.« Don sagte: »Ich verstehe nicht, wie du so etwas sagen kannst!« Und Bogie: »Dann frag mich nicht.« Das sagte er immer. »Wenn du meine Meinung nicht hören willst, dann frag mich nicht.«

Warum konnten sich Billy und Bogie nicht ausstehen?
Billy kam eines Morgens mit diesem schrecklichen Vers: »You sat on some glass, which rhymes with ass.« Bogie sagte: »Hat das deine achtjährige Tochter gedichtet?« Fortan hat Billy ihn schlecht gemacht. Bis an sein Lebensende hat er Bogie schlecht gemacht. Ich hab Billy eigentlich gemocht, weil ich ihn so witzig fand und so begabt. Aber er hat mich immer nervös gemacht.

Wie war es, mit Kirk Douglas zu spielen?
Da ich so wild in ihn verliebt war und ihn berühmt gemacht habe, sagte ich zu ihm: Du schuldest mir zwanzig Prozent.

Wie kam das?
Ich fuhr mit Bogie im Zug nach New York, wahrscheinlich wegen der verdammten Baseball-Meisterschaft, und wir trafen [den Produzenten] Hal Wallis im Speisewagen. Hal suchte noch Darsteller für einen Film und Kirk trat in einem Theaterstück als Laufjunge auf. Ich sagte: »Geh da mal hin, da gibt's einen Schauspieler, Kirk Douglas, der ist fantastisch, er hat nur eine winzige Nebenrolle.« Wallis verschaffte ihm tatsächlich die erste Rolle, in Die seltsame Liebe der Martha Ivers [1946]. Später wieder mit ihm zu arbeiten war sehr lustig: Der Mann ihrer Träume [1950]. Einen schlechteren Regisseur für diesen Film als Mike Curtiz hätte man nicht finden können: Von Jazz verstand der so viel wie eine Flasche Wasser. Aber Kirk war ein verdammt guter Schauspieler. Wir haben prima zusammengearbeitet. Natürlich sind wir jetzt dicke Freunde. Ich liebe Kirk. Er hat sich sehr verändert - zum Besseren. Er hatte viele Probleme.

Mit John Wayne hast du auch gedreht. In Der gelbe Strom [1955].
Kein großer Film. John war übrigens der einzige Schauspieler, den ich wirklich über Politik reden hörte. Eines Nachts im Hotel krakeelte er besoffen: »Dieser dreckige krumme Hund im Weißen Haus, dieser verdammte Demokrat.« Trotzdem kam ich gut mit ihm zurecht. Ich habe nämlich ein Problem: Ich halte mich für sehr aufgeschlossen, ich bin links und stolz darauf und ich bin ganz bestimmt Demokratin, aber mit Republikanern finde ich kaum eine gemeinsame Sprache. Doch die Chemie zwischen John und mir stimmte und das war das Interessante. Er war richtig sympathisch und dann wieder sehr unangenehm. Und eben sehr republikanisch.

Ich fand ihn immer sympathisch. Ich bin sicher, er hat dich gemocht.
Sehr sogar. Er war ein Riesenkerl mit winzigen Füßen. Daher der wankende Gang. Einmal brachte er mich nach Hause, wo Bogie uns empfing.

Ich kann mir die beiden nicht in einem Zimmer vorstellen.
Ja, es war ganz schön lächerlich. Und dann sagte er: »Ich muss nach Hause zu Pilar, sie wird mir Töpfe und Pfannen an den Kopf werfen, weil ich so spät komme.« Er stand auf und fiel über den Couchtisch, so betrunken war er. John fühlte sich unwohl in Bogies Gegenwart. Bogie war nämlich gebildet. Hochintelligent, sehr belesen. Das überraschte mich an ihm, als ich ihn kennen lernte – wie intelligent er war. Ich hatte ihn auch für einen Halbanalphabeten gehalten. Nach der Heirat sah ich, wie viel er las.

Es ist interessant, wie oft man ihn als Schriftsteller oder Regisseur besetzt hat. Die barfüßige Gräfin [1954], Ein einsamer Ort [1949].

Ja, Letzteren liebe ich sehr.

Hast du Gary Cooper gemocht, deinen Partner in Zwischen zwei Frauen [1950]?
Ein verdammt attraktiver Mann, der Mr. Cooper. Aber mit Vorsicht zu genießen. Auf der Leinwand fand ich ihn umwerfend. Er war ein Zuhörer. In dem Film hatte er den schlechtesten Dialog, den du je gehört hast, und doch brachte er ihn überzeugend rüber, und er hörte zu, wenn du mit ihm sprachst. Das ist eine ziemlich schwierige Sache. Es gibt eine Menge gute Filmschauspieler, die auf der Bühne überhaupt nicht funktionieren, einfach versagen, die am liebsten nur einen Satz pro Take hätten.

War Cooper so einer?
Der hatte mit der Bühne nichts zu tun. Alle anderen Stars, Henry Fonda, Jimmy Stewart, James Cagney – der kam sogar vom Vaudeville-Theater –, selbst Clark Gable waren Bühnenschauspieler, Bogie, Spencer Tracy. Und das waren die großen Filmstars. Ich kenne niemanden, der das heute noch schafft – Theater und Film. Niemanden, das musst du dir mal vorstellen. Vielleicht Brando, aber das war's dann.

Orson Welles hat mir erzählt, er habe Cooper mal beim Drehen beobachtet, nur drei Schritte von ihm entfernt, und sich gedacht: Das müssen die wiederholen, da passiert ja gar nichts. Dann sah er die Kopien und es war alles da.
Weil er zuhörte. Er hörte zu beim Spielen. Wie sehr wenige Menschen. Und er hatte ein großartiges Gesicht. Er hörte zu und war nachdenklich und die Kamera hielt das einfach nur fest. Denk an die Filme, in denen er spielte, den wunderbaren Film mit der Dietrich, den Lubitsch produziert hat, Sehnsucht [1936], ich liebe diesen Film. Da war er groß und in Der große Wurf [1942]. Wie der spielen konnte, seinen Zorn und all die Emotionen!

Warst du mit in Afrika, als Bogart in African Queen [1951] spielte?

Klar, die ganze Zeit. Beim Schatz der Sierra Madre war ich auch mit in Mexiko. Darauf hat er bestanden. Er wollte keine Schauspielerin, er wollte eine Frau. »Wenn du Karriere machen willst, dann goodbye.« Ich war damit einverstanden, also musste ich mit.

Hast du es gern getan?

Es hat Spaß gemacht. African Queen war natürlich eine schöne Zeit, wegen Huston und Katie [Katharine Hepburn] – ich hab sie da erst kennen gelernt. Wir sind richtig gute Freundinnen geworden. Man wird nicht auf Anhieb warm mit ihr. Aber sie war unglaublich. Und zum ersten Mal Afrika war auch fantastisch!

Das war eine schwierige Location, oder?

Bei Huston gab es keinen Drehort, der nicht schwierig war. Er hat eine Gegend im Kongo ausgesucht, weil der Fluss dort schwarzes Wasser hatte. Sie rodeten eine große Fläche im Dschungel und bauten Bambushütten, der Fußboden war nackter Lehm. Jede Nacht kamen Tsetse-fliegen, diese kleinen weißen Dinger. Flogen in den Kaffee, in die Augen, die Ohren.

Bogie und du wart doch auch mit Sinatra befreundet?
Die Freundschaft mit Frank begann nach der Geburt unserer Tochter Leslie, im August 1952. Steve ist 1949 geboren.

Stimmt es, dass dich Warner zwölfmal gefeuert hat, weil du Rollen verweigert hast?
Ich hab den Rekord gebrochen. An meinem ersten Tag bei Warner sagte Jimmy Cagney: »Wenn du es sieben Jahre bei Warner Brothers aushältst, dann kannst du die ganze Welt erobern.« Nach Jagd im Nebel - dem garantiert schlechtesten Film, in dem ich je gespielt habe, beschloss ich, dass Jack Warner nie wieder über meine Besetzung entscheiden würde. Es gibt schreckliche Geschichten über ihn. Einmal stellte er bei einem Essen einem General alle Leute vor: »Das ist Errol Flynn und das ist Bette Davis«, dann kam er zu Barbara Stanwyck. »Das ist, äh, ich weiß es nicht.«

Und »gefeuert« bedeutete?
Dass du nicht bezahlt wurdest. Ich weigerte mich, bei einem Film mitzumachen, und wurde suspendiert. Mit Drehbeginn war die Rolle neu besetzt und ein paar Tage später schickte meine Agentur einen Anwalt zu Jack Warner mit der Botschaft, dass ich nun bereit, willens und in der Lage sei, zur Arbeit zu erscheinen. Dann mussten sie die Suspendierung beenden. Es war Routine, aber schrecklich.

Nach den Warner Brothers warst du nicht mehr...
Nach den Warner Brothers habe ich nie wieder einen festen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Ich habe ein paar Filme bei Fox gemacht, aber nie für Paramount oder Columbia gearbeitet.

Wie war In den Wind geschrieben ?
Die reinste Soap.

Douglas Sirk hat dich nicht beeindruckt?
Nein, ich verstehe den Kult nicht, den man mit ihm treibt. Ich habe nicht alle seine Filme gesehen, aber mir kamen sie sehr klischeehaft vor, wie Seifenopern.

Wie war Rock Hudson?
Sehr nett. Dass er schwul war, hat niemand geahnt. Während der Dreharbeiten zu In den Wind geschrieben hat er seine Sekretärin geheiratet, Phyllis, den Nachnamen habe ich vergessen. Es ist komisch, aber ich glaube, dass Rock nur allmählich in die Schwulenszene eingestiegen ist. Ich weiß noch, dass er hinter die Bühne kam, als ich Anfang der achtziger Jahre in Die Frau, von der man spricht spielte. Ich glaube, da hatte er schon Aids. Er trug einen Schnurrbart und sah ganz anders aus. Er war ein großer, gutmütiger Kerl mit einem Doppelleben. Und wie er das geheim gehalten hat! Es kam raus, dass er Daisy Chains [»Eisenbahn«] machte und Gruppensex und Gott weiß was. Dann hat er auf Hawaii [den Schaupieler] Jim Nabors geheiratet. Ich glaube nicht, dass er als bekennender Schwuler eine solche Filmkarriere geschafft hätte. Mir kam er überhaupt nicht schwul vor.

Warum hab ich ja gesagt? [1957] hat dir Spaß gemacht. Liegt dir die Komödie mehr als das ernste Fach?
Die Komödie liebe ich, besonders die romantische Komödie. Das Seltsame ist, dass Bogie ans Haus gefesselt war, als der Film gedreht wurde.

War er da schon krank?
Ja. In seinen letzten vier Lebens- monaten kam er nicht mehr aus dem Haus. Ins Studio zu fahren und Komödie zu spielen, das war schon seltsam.

Wie lange war er krank?
Elf Monate. Anfang Februar 1956 wurde er operiert, Krebs, er starb Anfang Januar 1957.

Das muss eine schwere Zeit für dich gewesen sein.
Oh ja. Ich weiß nicht, ob du je mit einem Menschen gelebt hast, der dir nahe war und mit dem es zu Ende ging. Ich denke an den Tag, als wir zum Krankenhaus hinunter fahren wollten. Wir saßen im Auto, hiel- ten einander an den Händen und er sagte: »Ich bin mein ganzes Leben nicht krank gewesen.« Er war nie wehleidig und hatte kein Verständnis für Leute, die ständig jammerten. Also musste ich mich, was das betraf, genauso verhalten wie er. Er tat, als hätte er nur eine Erkältung oder ein kleines Virus.

Wusste er, dass er nicht mehr lang zu leben hatte?
Er wusste, dass er Krebs hatte. Aber er hat nicht darüber gesprochen und ich habe ihn nie gefragt, weil ich meinte, dass es seine Sache war, damit herauszurücken. Ein paar Wochen nach seiner Operation kam er wieder nach Hause und wir erwarteten ihn auf der Treppe. Ich stand da mit den Kindern und sie trugen ihn auf der Liege herein. »So erkennt man, ob man eine Frau hat oder ein Flittchen«, sagte er. »Man sieht nach, ob sie auf einen wartet.« Ein paar Mal konnte er in den folgenden Wochen aufs Boot gehen. Er arbeitete nicht mehr. Wir sollten zusammen in Melville Goodwin, USA. spielen und konnten es nicht wegen der Operation. Die Rolle als Seeoffizier in Des Königs Admiral wollte Bogie natürlich auf keinen Fall verpassen.

Wie war die Operation?
Die Operation war schlimm. Eine Rippe wurde entfernt, so kam man am leichtesten an die Speiseröhre heran. Bogie hatte zum Glück eine hohe Schmerzschwelle. Die Operation dauerte neun Stunden. Er hat nichts gesagt, nichts von: »Wenn irgendwas passiert, wenn irgendwas schief geht ...« Als wäre es um den Blinddarm gegangen. Aber plötzlich bestand seine Welt nur noch aus Ärzten, Krankenhäusern und Schwestern. An einem anderen Nachmittag saß ich bei ihm und er hustete. Wenn er hustete, dann richtig. Und plötzlich: Blut. Ich musste seine Eingeweide zusammenhalten, weil eine Naht am Magen gerissen war, er hatte ja noch eine zweite Operation. Er wurde also zurückgekarrt und wieder zusammengenäht. Man lernt mit der Krankheit zu leben und das wird dann zum Lebensinhalt. Ich hatte zwei kleine Kinder. Es waren also immer Kinder um ihn, nur in den letzten paar Monaten nicht, als er im Zimmer blieb, da wollte er nicht mehr, dass sie bei ihm spielten. Das ist es, was ich meine, der wahre Mut. Den hatte er. »Das ist das Los, das wir gezogen haben. Wenn es eine Niete war, müssen wir dazu stehen.«

[Die Regisseure] Richard Brooks und George Cukor haben mir gesagt, dass er kein Selbstmitleid kannte.
Richard Brooks ließ sich als angeblich guter Freund kaum blicken. Ich war richtig sauer auf ihn. George hat Bogie besucht. Am häufigsten kamen Katie und Spencer. Sie waren auch die Letzten, die ihn sahen.

Sie kamen gemeinsam.
Oh ja.

Bogie und Tracy hatten beide ihr Filmdebüt bei John Ford.
Klar. Up the River [1930]. Sie haben sich gegenseitig verulkt, aber sie haben sich respektiert. Spencer war völlig kaputt, aber ein wunderbarer Freund. David Niven kam sehr oft, auch er blieb Bogie treu. Eines Tages klingelte es, ich machte auf, da stand Jack Warner vor mir, den Hut in der Hand und so nervös, dass er ihn zerknüllte. Er wollte Bogie besuchen.

Das war wenigstens eine Geste.
Ja, interessant. Aber er war furchtbar nervös. Vielleicht dachte er, Bogie würde ihn rauswerfen.

Der einzige Film, den du in der Zeit gemacht hast, war Warum hab ich ja gesagt?
Ja. Zum Glück mit Gregory Peck, denn einen besseren Menschen kann man sich in dieser Lage nicht wünschen. Wie die Karten eben verteilt sind. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Bogie tagsüber etwas passieren könnte.

»Sinatra hatte große Ehrfurcht vor Bogie.«

Als er starb, kam es dennoch unerwartet für dich.
Ja. In der Nacht vor seinem Tod, bevor er ins Koma fiel, wollte er, dass ich an seinem Bett bleibe, nicht unter die Decke, sondern bei ihm bleibe, was ich getan habe. In der Nacht wachte er immer auf, jede halbe Stunde etwa, und drückte gegen seine Brust. Er hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Es war die Nacht zum Sonntag und am Morgen sahen wir Heut' gehn wir bummeln [1949] im Fernsehen. An dem Tag war irgendein Fest, zu dem Sinatra ging, er kam im Smoking vorbei und sagte: »Yeah, I'm going ...« Du kennst ja seine Art zu reden. Er hatte große Ehrfurcht vor Bogie. Er verstand nicht, dass ein Mann mit diesem Talent auch noch intelligent sein konnte, eine Familie hatte und nicht rumhurte. Er verstand nicht, wie jemand das schaffte, weil er nichts anderes tat als rumzuhuren. Bogie fragte den Arzt, der an diesem Sonntagmorgen kam: »Eine Nacht wie die letzte möchte ich nicht noch einmal durchmachen. Was halten Sie von meinem Zustand?« Der Arzt sagte: »Den Umständen entsprechend ist alles normal.« Und das war's. Ich machte mich fertig, die Kinder von der Sonntagsschule zu holen, gab ihm einen Kuss, sagte, ich bin gleich zurück, und als ich wiederkam, lag er im Koma. Ich brach zusammen. Dasselbe passierte mir in der Nacht, bevor meine Mutter starb.

Er lag einen Tag lang im Koma.
Einen Tag und eine Nacht. Aber ich verhielt mich so, wie es Bogie von mir erwartet hätte.

Du hast durchgehalten.
Ja. Ich wollte nicht, dass mein Leben zu Ende war. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, nur dass ich versuchen musste, weiterzumachen.

Hast du versucht, weiterzuarbeiten?
Nein. Aber komisch, dass du das fragst, weil mir [der Schriftsteller] John O'Hara ein Telegramm schickte, in dem stand: »Lass dir nicht sagen, dass es zu früh ist, wieder an die Arbeit zu gehen.« Er hatte selbst seine Frau verloren und wusste, wovon er sprach. »Es ist nie zu früh.« Natürlich fing ich wieder an und machte diesen furchtbaren Film Geschenk der Liebe [1958].

Du hast eine sterbende Frau gespielt.
Es war ein Remake von Sentimental Journey [1946].

Deshalb hast du so schnell wieder angefangen.
Du weißt, meine Karriere war immer ein bisschen ungewöhnlich.

Ja, komisch. Und sie geht immer weiter.
Ich vermute, sie geht weiter, weil ich immer an etwas arbeite. Irgendwie habe ich es geschafft, immer sichtbar zu bleiben. Natürlich, die Rückkehr auf die Bühne hat mein Leben sehr verändert.

Deine Kinder waren sehr klein, als Bogart starb.
Steve war gerade acht geworden, eine Woche vor Bogies Tod, Leslie war vier. Wir lebten nach seinem Tod ein Jahr in London. Ich nahm auch Mae mit, unsere wunderbare alte Köchin. Wir wohnten in einem hübschen kleinen Haus in Kensington und den Sommer verbrachten wir in Biarritz – so einen schönen Sommer hatten wir nie erlebt.

Gab es nicht eine Beziehung zwischen dir und Sinatra etwa um diese Zeit?
Das war da schon vorbei. Frank war immer ein Freund für mich, aber er war meistens weg, entweder drehte er oder er sang im »Fontainebleu« in Florida oder in Vegas. Irgendwann rief er mich an und sagte: »Freitag gehen wir zu Sugar Ray Robinsons Boxkampf, am Dienstag dorthin, am Donnerstag dahin.« Na toll, dachte ich, da verplant einer meine ganze Zeit. Aber ich war gern mit Frank zusammen, wir haben uns prächtig amüsiert. Wir waren richtig gute Freunde, er war witzig, er kümmerte sich um mich, außerdem war er nicht unattraktiv, damals. Aber ernst wurde es mit uns erst eine Weile später. Für den vierten Juli mietete er eine Yacht, es kamen noch etwa vier andere Paare mit, und da ging es hoch her. Wir fuhren nach Balboa, wo Frank sich betrank und natürlich eine Prügelei mit dem Kellner anfing – wie immer.

Das so genannte »Rat Pack« – das fing eigentlich mit Bogart an, oder?
Allerdings begann das mit Bogart! Weil wir eine Art Gruppe waren, die aus Bogie und mir bestand, David Niven, seiner Frau, [dem Restaurantbesitzer] Mike Romanoff und Frau, Frank, [dem Agent] Swifty Lazar. Wenn [dem Schriftsteller] Nat Benchley nach L.A. kam, war er die »Besuchsratte«.

Stammt der Ausdruck von Bogart?
Ich glaube, ich habe das aufgebracht. Ich glaube, ich sagte: »He, ihr Ratten ...« Einfach, um die Journalisten zu verulken. Das war überhaupt nichts Ernstes. Wir wollten unseren Spaß haben, die Nächte durchzechen, mehr war da nicht, keinerlei Hintergedanken. Das hat die Presse natürlich nie verstanden. Bogie war die Oberratte, Sinatra war die PR-Ratte, weil er so gut mit der Presse umging. Und ich die Höhlenmutter. Ach ja, dann gab es noch die Schatzratte und Spencer Tracy war die Ehrenratte, weil er nicht trank. Er hatte aufgehört. Als Frank nach Bogies Tod den Namen »Rat Pack« für seine neuen Freunde verwendete, war das kaum noch dasselbe. Die in Las Vegas waren ein verkommener Haufen. Das hatte nichts mehr mit uns zu tun. Die Beziehung zu Frank wurde jedenfalls intensiver. Es musste eben weitergehen. Zwei kleine Kinder, und ich wollte, dass es weiterging. Alles, was mich weiterbrachte, war gut. Frank hat mir dabei geholfen, auf seine Weise. Er war sehr aufmerksam, sehr fürsorglich, sehr liebevoll und gut zu den Kindern. Obwohl die Beziehung mit Frank ein Scheinarrangement war, wenn man's genau betrachtet. Er brachte ihnen Geschenke und wirkte albern dabei, er passte überhaupt nicht in diese Rolle. Silvester kam es zum Bruch. Plötzlich wurde er kalt wie Eis. Er hatte die unglaubliche Fähigkeit, den Vorhang fallen zu lassen, dich anzublicken, ohne dich zu sehen. Es ist ganz schrecklich, wenn man dem ausgesetzt ist.

Er hat sich plötzlich von dir abgewandt?
Eiskalt. Silvester 1958 waren wir in Palm Springs in seinem Haus. Er hat mich ein paar Tage vorher hingeschickt und wollte nachkommen, weil er noch zu tun hatte, und ich sollte die Einkäufe machen. Er gab mir eine Liste mit den Sachen, die er brauchte. Dann kam er und wir gingen mit einem Haufen seiner Freunde zum Dinner in eins der großen Restaurants. »Seht mal, diese Ausstrahlung!«, rief er und zeigte auf mich. Dann, vielleicht zwei Tage später, auf unserer Silvesterparty, benahm er sich wie ein Wilder und betrank sich. Ich war natürlich entsetzt darüber, wie schlecht er mich behandelte, und in Tränen aufgelöst. Dann sah ich ihn mehrere Wochen nicht. Eines Tages in New York, als ich ins »Regis Hotel« zurückkam, fand ich die Nachricht, dass Frank angerufen hatte. Ich reagierte nicht, aber er rief wieder an und fragte, ob ich ihn sehen wolle. Wir trafen uns und ich blieb natürlich sehr kühl. »Wann kommst du zurück?«, fragte er. Als ich wieder in L.A. war, rief er mich an. »Gehen wir aus?« Und dann machte er mir einen Antrag und klang sehr überzeugend. Und ich sagte ja. Ich hatte nicht richtig überlegt. Nein, das wäre nicht gegangen, das konnte nicht gehen. Schon weil ich es mit einer so verdammt sprunghaften Persönlichkeit nicht ausgehalten hätte.

Du warst immer noch ziemlich verletzt.
Ja. Das ist ja der Grund, weshalb ich nicht geradeaus denken konnte. Ich war nicht fähig, mich in aller Ruhe zu fragen: Moment mal, was machst du hier eigentlich? Jedenfalls hat er mir einen Antrag gemacht. Er sagte: »Komm, das müssen wir mit einem Drink begießen.« Und ich: »Klar.« Er: »Vielleicht kommt Swifty noch dazu.« Swifty Lazar hatte gerade nichts vor, also kam er dazu, wir setzten uns an den Tisch und jemand wollte ein Autogramm von mir. »Unterschreib mit deinem neuen Namen«, sagte Frank. Er sah gar nicht gut aus, dieser Name.

Betty Sinatra?

Puh, klingt das nicht schrecklich? Swifty lachte natürlich los, er hielt das Ganze für einen grandiosen Scherz. Frank musste zu seinem Auftritt nach Florida und Swifty ging mit mir ins Theater. In der Pause, als ich von der Toilette kam, sah ich Swifty mit [der Klatschkolumnistin] Louella Parsons reden und hab mir nichts dabei gedacht. Natürlich hatte ich zu niemandem ein Wort über meine Verlobung mit Sinatra gesagt. Swifty war der Einzige, der es wusste. Nach dem Theater brachte Swifty mich nach Hause und auf dem Weg holte er sich die Morgenzeitung, die vor dem Drugstore lag. Ich schaue nur so aus dem Fenster und sehe die dicke Schlagzeile des Los Angeles Examiner: »Bacall und Sinatra: Brautpaar«. Swifty war ein richtiger Scheißkerl. Am nächsten Tag rief Frank mich an: »Ich komme gar nicht mehr aus meinem Zimmer raus. Draußen ist alles voller Presse. Vielleicht sollten wir uns eine Weile nicht sehen.« Ich: »Okay.« Das war das letzte Mal, dass ich mit ihm gesprochen habe. Ein paar Jahre später bin ich ihm bei irgendeinem Anlass in Palm Springs begegnet, er sah mich - und nichts. Wie eine Wand. Er war so verdammt kalt.

Du warst auch sehr verletzt.
Verletzt? Ich war am Boden zerstört!

»Mir ist, als hätte ich viertausend Leben gelebt.«

Um über einen solchen Schicksalsschlag wie mit Bogart hinwegzukommen, braucht man, wie es heißt, mindestens sechs oder sieben Jahre.
Bei mir dauerte es länger. Vier Jahre nach Bogies Tod habe ich Jason [Robards] geheiratet, da war ich immer noch nicht drüber hinweg. Am besten hat es David Niven beschrieben. Weil David ganz unerwartet seine erste Frau verloren hatte, Primmie, die Mutter seiner beiden Söhne. Es passierte bei einem Spiel. Kennst du das Spiel, wo einer aus dem Zimmer geht und die anderen denken sich etwas aus, was man erraten muss, wenn man wieder reinkommt? Das spielten sie in Davids Haus in Benedict Canyon, das Bogie und ich später gekauft haben, und Primmie ging aus dem Zimmer. Im Dunkeln irrte sie sich in der Tür und stürzte die Kellertreppe hinab und war tot. David sagte: »Du kommst nie drüber hinweg. Du vergisst es nie. Was aber passiert, hängt wie ein Bild zehn Jahre an derselben Stelle, und eines Tages bist du in der Lage, das Bild an eine andere Stelle zu hängen. Du hast das Bild nach wie vor, aber du kannst damit leben, dass es nicht mehr da ist, wo es immer war.« Ist das nicht eine gute Beschreibung? Mir ist, als hätte ich viertausend Leben gelebt. Wahrscheinlich stimmt das auch. Wenn du an alles zurückdenkst und überlegst, wie viele Leute du kanntest, wie viele Orte. Ich meine, an alles, was mit Bogie verbunden ist, erinnere ich mich, als wäre es gestern passiert.

Etwa fünf Jahre hast du keine Filme gemacht. 1959 bis 1964.

Ende 1959 kam ich aus England zurück und bin in Goodbye Charlie am Broadway aufgetreten. Das war der Anfang meines Theaterlebens.

War das Stück ein Erfolg?
Ich war der Erfolg. Den Autor, George Axelrod, haben sie fertig gemacht, aus der Stadt gejagt. Ich habe mit den Filmen aufgehört, weil ich mein Leben nach New York verlegt hatte. Dort war meine Mutter. Und ich wollte weg aus L.A.

Wie bist du Jason Robards begegnet?
Ich habe ihn auf einer Silvesterparty bei Lee Strasberg getroffen. Kein Feuerwerk, nichts. Er begrüßte mich nur und schaute mich an. Du kennst diesen Blick, den Männer draufhaben.

Wie würdest du den Blick beschreiben?
»Du bist nicht übel.«

Also eine Taxierung, die du bestanden hast.
Ja, Test bestanden, vorerst.

Du hingst damals ein bisschen in der Luft.
Das ist richtig. Entwurzelt, würde ich sagen. Aber wenn, dann waren meine Wurzeln in New York, weil dort meine Mutter lebte, und wo sie war, wollte ich auch sein. Dann kam die Silvesterparty nach Goodbye Charlie 1960: Rex Harrison rief mich am nächsten Tag an und sagte: »Das Letzte, woran ich mich erinnere, bist du mit Jason Robards. Du hast mit ihm gesprochen und er hat dir mit seiner Zigarre ein Loch ins Kleid gebrannt.« – »Aber ich habe nichts gemerkt«, sagte ich. Es war lustig. Als ich in Goodbye Charlie spielte, spielte Jason in Puppenstube, einem Stück von Lillian Hellman. Wir standen nur einen Block entfernt auf der Bühne.

Ich hab ihn in dem Stück gesehen. Er war brillant.
Auf der Bühne war er immer brillant. Privat, das war eine ganz andere Geschichte. Wir schickten uns Botschaften – meine Garderobiere kannte seine Garderobiere – und eines Abends nach der Vorstellung trafen wir uns. Er war damals verheiratet und ich wusste es nicht einmal. Mit dieser unsichtbaren Frau, die Ehe war noch gar nicht alt. Er war nicht der Treueste, musst du wissen. Und auch nicht der Nüchternste. So also entwickelte sich die Sache. Mal lief es, mal nicht, und dann war es vorbei, weil er trank. Dann wieder machte er sich Gedanken wegen seiner Kinder aus erster Ehe. Da hatte ich mir was geangelt!

Dann hast du in Die Kaktusblüte am Broadway gespielt.
Ein Riesenhit. Ich hatte die besten Kritiken. Das Stück war fantastisch.

Ich bin Anfang der sechziger Jahre nach Kalifornien gezogen. Das hab ich also verpasst.
Und das wagst du mir jetzt zu sagen?

Den Film hab ich auch nie gesehen.
In den Film würde ich nicht gehen. Ingrid Bergman. Komödie konnte sie überhaupt nicht.

Der Film war kein Erfolg.
Er war schlecht.

Aber du hattest einen Erfolg nach dem anderen am Broadway.
Der Einstieg ins Musical [mit Applause] war eine große Sache, ein Höhepunkt in meinem Leben. Die Kaktusblüte lief bis 1968. 1969 begannen die Proben für Applause.

Wie lief Applause?
Sie wollten ein Musical aus Alles über Eva [1950] machen und jemand fragte, ob die Bette-Davis-Rolle nicht etwas für mich wäre. Ob ich Musical-Erfahrung hätte. Ich sagte: »Nein, hab ich nicht.«

Du warst immerhin ein Fan von Bette Davis. Hat dich das nicht gereizt?
Es war ein großer Wendepunkt meiner Karriere, ein Höhepunkt. Die spannendste Periode meiner Karriere. Und so viel Erfolg wie mit Applause hatte ich auch noch nie gehabt. Weil das Musical ein alter Traum von mir war. Das Musical ist meine Welt. Ich bin keine Sängerin, ich habe 13 Jahre Tanz studiert und ich wusste, dass ich was draufhatte. Ich hatte immer gewollt, aber ich wusste nicht, ob ich konnte. Also sagte ich zu. Bei Keith Davis, dem wundervollen Stimmtrainer, hatte ich für Die Kaktusblüte Stunden genommen, um meine Stimme zu trainieren. Wenn du vom Film auf die Bühne kommst, musst du neu sprechen lernen. Sonst kriegst du Kehlkopfentzündung und deine Stimme bleibt weg.

In den Filmen von Hawks hast du auch gut gesungen.
Ich weiß, aber das waren Aufzeichnungen, die konnte ich so lange verbessern, bis alle Schwachstellen weg waren. Auf der Bühne musst du nicht nur singen, sondern auch sprechen. Achtmal die Woche.

Singen und Sprechen stellen völlig unterschiedliche Anforderungen an eine Stimme.
Die Stimmbänder werden unterschiedlich beansprucht. Das musste ich alles erst lernen. Ebenso Jazz-tanzschritte und all das Zeug. Bevor wir in die Proben einstiegen, brachte ich mich auch körperlich sechs Monate lang in Höchstform. Zwischendurch hatte ich einen Unfall, einen Teilbänderriss im Knie, und ging zu diesem großartigen Arzt, der mir eben nicht sagte, dass ich mein Knie sorgsam trainieren musste. Mein zweiter Unfall geschah auf der Bühne, bei Applaus.

Wie passierte das?
Eine Tanznummer während der Vorstellung, die ganze Reihe Jungs tanzte hinter mir, ich machte einen Ausfallschritt, das Knie knickte weg, und ich stürzte. Die Tänzer dachten, ich sei nur ausgerutscht. Natürlich doppelter Bänderriss. Aber ich hab keine Aufführung ausgelassen.

Hast du Stützbänder getragen?
Nein, Pflaster. So schnell gebe ich nicht auf. Ich bin ein Profi und bin stolz darauf. Und habe keine Geduld mit Leuten, die nicht so sind.

Vor der Premiere von Applause wurdest du von Robards geschieden.
Ja. Im September 69 begannen wir mit den Proben und verließen New York. Meine Mutter starb im August, kurz vor meiner Abreise. Über ihren Verlust bin ich nie hinweggekommen. Manche Dinge verwindet man einfach nicht. Aber zur Premiere, die im März 1970 war, kamen wir aus Detroit zurück. Da bekam ich meinen ersten Tony Award. Den zweiten bekam ich für Die Frau, von der man spricht. Das war 1981.

Eine Bühnenversion des Films von 1942 mit Katharine Hepburn und Spencer Tracy.
Ist das nicht verrückt? Erst spielte ich Bette Davis' Rolle, die immer meine Heldin war, dann die von Katie Hepburn, mit der ich befreundet bin.

Hat sie dich in der Rolle gesehen?
Sie spielte damals in Coco, während ich in Applause spielte, und wir wurden beide für den Tony nominiert. Ich ging zu ihrer Premiere, als wir noch probten, nur um zu sehen, wie sie war. Eine Sängerin war sie nicht. »Ich hab die perfekte Stimme«, sagte sie allerdings zu mir. Jedenfalls rief sie mich vor der Tony-Verleihung an: »Hör zu. Ich gehe nicht hin. Also sei so gut und nimm das Ding für mich entgegen.« – »Klar, Katie, mach ich gern.«

Und du hast ihn gewonnen.
Ich hab ihn gewonnen. Sie schickte mir am nächsten Tag ihr Foto. Sie ist Malerin, musst du wissen, sie malt gut, bildhauert. Alles das ist lange her. Die Frau, von der man spricht ist lange her. Ich habe bis Ende 1974 in Applause gespielt, bis ich Mord im Orient-Express [1974] in England spielte.

Wie war es mit Robert Altman und Der Gesundheitskongress [1979]?
Der Film hat riesigen Spaß gemacht. Bob Altman rief mich an und erzählte mir seine Idee: Ich sollte [Präsident] Eisenhower spielen, Glenda Jackson sollte [Vizepräsident] Adlai Stevenson sein. Eine tolle Idee und genau zur richtigen Zeit - als Reagan 1980 für die Präsidentschaft kandidierte. Bob sagte: »Du spielst eine 82-jährige Jungfrau.« Na, fein. Einer meiner großen Sätze - ich lag im Bett - war: »Ich hatte noch nie einen Orgasmus.«

Nach der Scheidung von Robards hast du euren gemeinsamen Sohn Sam immer mitgenommen.
Überallhin. Wir waren uns sehr nahe.

Wie war es bei Diamonds [1999] mit Kirk Douglas, nach all den Jahren?
Es war der erste Film nach seinem Schlaganfall. Er ist unglaublich. Ich habe Kirk mit 16 kennen gelernt. Ich weiß, wie eitel er war, was für ein Macho, was für ein Schürzenjäger er war. Bei dem Hubschrauberabsturz 1991 wurde seine Wirbelsäule gestaucht. Sein Hubschrauber kollidierte mit einem Flugzeug, und er verstand nicht, wieso der Pilot und der Kopilot des Flugzeugs umkamen, er aber diese jungen Kerle überlebte. Dann hatte er auch noch diesen Schlaganfall. Er ist ein Phänomen. Ich hatte meine Bedenken, ob er kräftig genug war für den harten Job. Aber er beruhigte mich. »Na, hör mal!«, sagte er. Ich sagte: »Okay« und spielte die Puffmutter.

Die hast du auch schon mit John Wayne gespielt.
Ich bin die geborene Puffmutter. Kirk und ich, wir haben uns amüsiert, wir sind gute Freunde geworden, was mich sehr froh macht. Ich mag seine Frau, sie ist wunderbar zu ihm. Ich mag auch seinen Sohn Michael, obwohl ich nichts weiter mit ihm zu tun habe.

Kirk kann wieder gut sprechen.
Ja, aber es strengt ihn an. Er lernt, er macht seine Übungen. Für den Film musste er wirklich arbeiten, denn das ist zwei Jahre her. Jetzt übt er immer noch. Er lässt sich nicht unterkriegen. Ich glaube, er hat viele Schmerzen. Es gibt eine Szene in Diamonds, da beschreibt er, wie er sich auch im Leben fühlt. Er spielt einen Mann, der einen Schlaganfall hatte. Zuerst, sagte er mir, wollte er nicht mehr aus dem Haus gehen und niemanden sehen, er bekam Depressionen und dachte an Selbstmord. Er hat viel durchgemacht. Und nun ist er 85, läuft, so Gott will, noch immer umher und nimmt an allem teil.

Wie war der Lars-von-Trier-Film, in dem du gerade gespielt hast? [Der Schauspieler] Ben Gazzara erzählte mir, du warst sehr lustig beim Drehen.
Ich sagte: »Hier bin ich. Ich hatte keine Ahnung, dass ich meine Karriere als Komparsin beenden würde.« Aber so war es. Mehr passierte da nicht. Ich sagte: »Lars, das hast du doch alles für die Katz gedreht.« Er: »Wart's ab.« Du musst wissen, es gab nämlich kein Make-up, kein nichts. Nur eine ärmliche Stadt in Amerika, die Dogville heißt. Alles ein bisschen düster. Aber er ist faszinierend. So habe ich noch nie gearbeitet. Du weißt nicht, wann du im Bild bist. Und die Aufnahmen macht er selbst! Er läuft herum, mit der Kamera auf der Schulter. Eine spannende Methode, aber natürlich anstrengend.

Hast du dir Gedanken darüber gemacht, was aus Hollywood oder dem Theater geworden ist?
Eigentlich denke ich nicht viel an die Vergangenheit. Ich gehöre nicht zu denen, die ständig in ihren Erinnerungsalben blättern und davon träumen, wie es früher war. Wenn man so darüber spricht, wie wir jetzt, denke ich plötzlich: Oh Gott, all diese Leute! Ich habe kein Gefühl für die Jahre. Manchmal sehe ich ein altes Foto von mir und dann denke ich: So hast du mal ausgesehen? Die Leute sagen mir: »Du siehst noch immer genauso aus.« Ach wirklich? »Ich kann dir mal was zeigen, dann wirst du deine Meinung ändern.«

Du siehst noch immer aus wie du selbst.
In den Zeiten der kosmetischen Chirurgie kann ich da wirklich von Glück reden, Gott sei Dank. So viel von der Vergangenheit steckt in dem, was ich heute bin. Meine Mutter hat einen großen Anteil daran, dann kam Bogie, der überhaupt den größten Anteil daran hat. Und mein Onkel Charlie. All diese Menschen haben mein Leben verändert. Ich weiß sehr gut, dass Freundschaften das Wichtigste überhaupt sind.

Gibt es Dinge, die du bereust?
Ich halte mich damit nicht auf, aber es gibt Dinge, die ich bereue. Am meisten bereue ich wahrscheinlich, dass ich mein Haus verkauft habe. Das hätte ich nicht tun dürfen.

Du meinst das Haus in Los Angeles?
Das Haus in Benedict Canyon hätte ich nicht verkaufen sollen - aber ich habe es getan. Ich ärgere mich, dass ich auf meine Finanzberater gehört habe. Darüber hinaus ... bereue ich manches, klar, aber ich glaube, im Ganzen hätte ich nicht viele Dinge anders gemacht, weil aus dieser Melange das entsteht, was dich ausmacht und wie du lebst und wer du bist und wer deine Kinder sind und deine Freunde ... Ich wünschte, Bogie hätte immer weitergelebt. Aber dann hätte ich Sam ja nicht. Ich wünschte, ich hätte mich besser mit Jason verstanden. In den letzten Jahren, endlich, kam ich gut mit ihm zurecht, trotz seiner neuen Ehefrau [Lois O'Connor]. Ein Albtraum. Aber sie findet sich großartig.

Deine Beziehung zu Jason hat sich also später gebessert?
Ja. Wir haben uns immer gemocht und vieles miteinander geteilt. Wir hatten schöne Zeiten zusammen - wenn er nüchtern war.

Und wenn nicht?
War es schrecklich. Wenn die Zeiten weniger gut waren, hielt ich mich an die guten und beschloss, dass es Zeit war zu gehen.

Du hast nie wieder geheiratet.
Ich werd dir was sagen: Ich habe selten einen Mann getroffen, mit dem ich auch nur essen gehen wollte, geschweige denn zum Standesamt. Ich meine das ernst. Ich muss meine Geschichten mal sortieren - du weißt schon. So viel Auswahl gibt es da nicht. Die meisten Prachtkerle sind tot. Mit einem meiner Altersklasse würde ich nicht ausgehen, weil die so verdammt langweilig sind. Männer sind so eitel und so langweilig. Sie wollen 18-jährige Mädchen, die ihnen zu Füßen liegen und ihnen erzählen, wie toll sie sind. Nein, ich glaube, es wäre nett, etwas gemeinsam zu haben, nicht immer allein zu sein, aber ich bin lieber allein als mit manchen Leuten zusammen, die ich kenne. Und ich beneide keine meiner Freundinnen. Ich möchte nicht mit ihren Männern verheiratet sein. Ich sehe mir das an und sage: Gott sei Dank kann ich nach Hause gehen.

Tut es dir weh, Bogart im Film zu sehen, oder freust du dich?
Beides. Ich sehe ihn und denke daran, wie viel Freude wir miteinander hatten. Ich sehe ihn und denke, wie schrecklich es ist, dass er nicht länger leben durfte, erleben durfte, wie seine Kinder erwachsen wurden – sie waren noch so klein. Dass er mit 56 krank wurde, das fand ich unfair, weil er wirklich ein außergewöhnlich guter Mensch war. Er hatte den besten Charakter, den ich je erlebt habe. Er lebte wirklich nach den Zehn Geboten, obwohl er nicht zur Kirche ging. Er geriet in die Sauforgien der zwanziger Jahre, mit den illegalen Kneipen und fdem Spaß, den das brachte, und allmählich ... aber dann war er mit Mayo Methot verheiratet, einer Alkoholikerin. Ein Alkoholiker war er nie, aber gesoffen hat er, Junge, Junge! Das waren keine goldenen Zeiten für ihn. Aber sein Charakter, seine Werte, seine Maßstäbe haben ihm geholfen, die Zeit mit Mayo durchzustehen.

Seinen Charakter spürst du auch in seinem Werk.
Er war ein Mann mit Klasse.

Diese Art von Amerikanern scheint es nicht mehr zu geben.
Nein. Und diese Art von Amerika auch nicht mehr.