Stil und Drang

Früher war ein Comeback etwas Magisches, heute kehrt anscheinend dauernd irgendjemand zurück. Warum unsere Stars nicht abtreten und wir nicht mehr loslassen können.

Ein Comeback, das seinen Namen noch verdiente: 1971 boxt Muhammad Ali nach jahrelanger Sperre im Madison Square Garden von New York gegen den unbesiegten Joe Frazier. Der gewinnt auch diesmal.

Früher war ein Comeback immer ein Ereignis, oft eine Sensation und manchmal ein kleines Wunder. Zum Beispiel als Muhammad Ali am 8. März 1971 nach jahrelanger Sperre gegen den damals unbesiegten Joe Frazier in den Ring stieg, um sich den Weltmeistertitel zurückzuholen. Ali boxte leidenschaftlich, hielt durch bis zum Schlussgong, ging kein einziges Mal zu Boden – und verlor nach Punkten. Die 15 Runden im New Yorker Madison Square Garden gelten seither als aufregendster Boxkampf des 20. Jahrhunderts. Oder als Jimmy Page und Robert Plant am 10. Dezember 2007 die Bühne der Londoner O2-Arena betraten, um zum ersten Mal seit 27 Jahren ein Konzert in der alten, der legendären Besetzung von Led Zeppelin zu geben. Zwanzig Millionen Menschen hatten damals versucht, eine Karte zu bekommen, 20 000 hatten es geschafft und machten aus dem Abend eine heilige Messe, eine Wiederauferstehungsfeier, die in die Musikgeschichte einging.

Heute feiert eigentlich immer irgendwo irgendjemand ein Comeback. Neulich erst wieder Stefan Mross aus Traunstein, der Moderator der ARD-Sendung Immer wieder sonntags. Genau sieben Tage nachdem er beim Live-Currysaucentest einer besonders scharfen Mischung nicht gewachsen war und vor laufender Kamera einen Schwächeanfall erlitten hatte, trat er im Europapark Rust wieder vor sein Publikum. »Mross feiert Comeback«, titelten die Nachrichtenportale im Internet. Er war 168 Stunden nicht auf Sendung gewesen.

Um ein Gefühl dafür zu kriegen, wer sich da jeden Tag zurückmeldet, muss man nur mal in den vermischten Meldungen oder bei Google nachlesen: Inzwischen vergeht kein Tag, ja keine Stunde, in der nicht die Rückkehr irgendeines Stars oder Stils oder Trends vermeldet wird. Vor zwei Stunden: Der Flipperautomat feiert ein Comeback. Vor zehn Stunden: Thomas Gottschalk im Gespräch für Wetten, dass . . ?-Comeback. Vor 17 Stunden: Tokio Hotel stehen kurz vor Comeback. Vor 22 Stunden: Die Adidas-Aktie auch, aber nur vielleicht. Ganz sicher ein Comeback feiern dieses Jahr Boris Becker, die Böhsen Onkelz und der Grünkohl, außerdem die Jeans mit hohem Bund, die Neunzigerjahre, der Wunderhengst Totilas und die Adilette, Sie wissen schon, diese blau-weiß-gestreifte Badelatsche aus Plastik, die bis vor Kurzem nur nikotinsüchtige Zweitliga-Trainer anhatten. Sogar über ein Comeback von Roland Koch in der Politik wurde spekuliert – genau eine Woche nachdem er als Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger Berger zurückgetreten war. Die Zeitspanne zwischen dem Verschwinden eines Phänomens und den ersten Spekulationen über seine mögliche Rückkehr wird immer kürzer. Waren es früher Jahre, sind es heute oft nur ein paar Stunden. Gut möglich, dass bald jemand sein Comeback ankündigt, bevor er überhaupt gegangen ist; Karl-Theodor zu Guttenberg schien schon kurz davor.

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Als Muhammad Ali zurückkam, entstand ein Mythos. Als der frühere Hamburger Innensenator Ronald Schill vor drei Wochen ins Big-Brother-Haus zog, ein Tsunami aus Twitter-Meldungen. Dass jemand einfach mal geht und wegbleibt, scheint nicht mehr vorgesehen. Eher ist es umgekehrt: Prominente tauchen ab, aber nur für ein Jahr, dann kommen sie zurück, indem sie den Grund ihres Rückzugs – meistens Erfolglosigkeit (Christian Wulff), eine Krankheit (Wolfgang Niedecken) oder ein Burn-out-Syndrom (Miriam Meckel) – in einem Sachbuch gewinnbringend erläutern. Wenn aber das Verschwinden zum Anlass des Wiederkommens wird, entsteht ein Perpetuum mobile des Ab- und Auftauchens, ein Kreislauf, der jeden zurück ins Licht, auf die Bühne, vor die Kamera schleudert. Alles kehrt wieder, notfalls ironisch, als Rache am Durchschnittsgeschmack, wie Harald Schmidt, der am Ende richtig stolz darauf schien, dass ihm auf Sky nur noch ein paar Tausend Leute beim Witzemachen zuschauen wollten. Es ist, als würden wir es nicht mehr ertragen, dass Phänomene und Personen ihre Zeit haben, dass alles irgendwann vorbei sein muss, damit Neues entstehen kann – oder warum soll Wetten, dass . .? zwanghaft am Leben erhalten werden, obwohl jeder weiß, dass die generationenübergreifende Samstagabendshow nicht mehr funktioniert? Wer einmal etwas war, will wieder etwas sein, notfalls irgendwas anderes, aber Rückzug ins Private, einfach mal aufstehen, essen, arbeiten, ins Bett gehen – das scheint für die meisten, die mal im Mittelpunkt standen, nicht vorstellbar.

Ein gelungenes Comeback hat bis heute etwas Erhabenes. Doch damit es gelingt, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens: Man muss vorher weg gewesen sein. Zweitens: Man muss vorher bekannt gewesen sein – und zwar nicht nur bei den zweitausend Zuschauern einer Kochdoku-Soap auf VOX. Wenn Holger Badstuber nach zwei Kreuzbandrissen wieder den Rasen der Allianz-Arena betritt, rührt uns das an, wenn Helmut Berger zusammen mit C-Prominenten ins Dschungelcamp zieht, schämen wir uns, aber beides fasziniert uns. Über ein geglücktes Comeback freuen wir uns, über ein peinliches machen wir uns lustig, alle gemeinsam sorgen sie dafür, dass der Nachrichtenfluss nicht stillsteht. Und weil im Netz inzwischen jede Zeigefingerverstauchung zur Meldung wird, muss auch jede Genesung zum Comeback stilisiert werden.

Angesichts unendlich vieler Formate, Kanäle und Online-Plattformen hat jeder die Chance, sich eine neue Frisur zuzulegen und noch mal anzugreifen. Wenn Oliver Pocher bei Sat.1 keinen Erfolg mehr hat, macht er eben bei RTL weiter. Und wenn Heidi Klum allmählich zu alt fürs Modeln wird, moderiert sie eine Model-Show. Und wenn irgendein Mädchen in dieser Model-Show nur Sechste wird, aber keine Lust hat, das Abitur zu machen, geht sie halt ein Jahr später ins Dschungelcamp, zusammen mit anderen Sechstplatzierten anderer Casting-Shows zum Promi-Dinner oder als irgendwas zu ZDFneo. Lauter kleine Comebacks, und jedes einzelne macht ein bisschen Wind. Als Mensch, der mal berühmt war, muss man heute schon sterben, um dem Kreislauf der ewigen Wiederkehr zu entgehen – und dann kommt die Facebook-Meute mit ihren R.I.P.-Texten, dann kommt die Erinnerungsindustrie mit ihren Best-of-Produkten.

Jesus Christus hat es vor 2000 Jahren vorgemacht

Jesus Christus hat es vor 2000 Jahren vorgemacht: Er ist gestorben, er war also tot, bevor er zurückgekommen ist. Und als er drei Tage später auferstanden ist, so steht es in der Bibel, hat er sich nicht feiern lassen, nein, er hat seine Botschaft verkündet und sich Richtung Himmel verabschiedet. Genau darum geht es: dass einer nicht zurückkommt aus Eitelkeit, Rastlosigkeit oder weil er den Hals nicht vollkriegt, sondern weil er noch was zu erledigen hat, und wenn es nur darum geht, die eigenen Ängste, die eigene Leere zu bannen. Es ist auch nicht so, dass man für ein gelungenes Comeback notwendigerweise über einen Gegner triumphieren muss, man kann auch gegen sich selbst antreten, aber bitte nur einmal im Leben, nicht zwei- oder dreimal und schon gar nicht immer wieder, wie die amerikanische Sängerin Cher, die vor zehn Jahren auf eine dreijährige Abschiedstournee durch die ganze Welt ging, anschließend drei weitere Jahre in Las Vegas für Touristen in Trekkingsandalen sang und genau in diesem Moment: wieder mal auf Tournee ist. Es ist nicht ganz klar, ob sie seit Jahren mehrere Comebacks hintereinander feiert oder doch nur eines, das aber sehr ausführlich. Auf jeden Fall hat sie noch mal ein paar Hundert Millionen Dollar verdient – quasi im Tschüss-Sagen. Wenn man schon zurückkommt, ist ein Comeback eine gute Gelegenheit, Charakter zu zeigen. Noch besser ist es meist nur, gar nicht zurückzukommen, wie Steffi Graf, von der man gerade deswegen, weil man nichts von ihr hört, annehmen muss, dass sie ein glücklicher Mensch ist.

In der Popkultur und der Mode wird gerade das Comeback der Neunzigerjahre gefeiert. Unter dem Titel Summer of the 90s zeigte Arte den ganzen Sommer über Dokumentationen über DJ Bobo und Nirvana, Acid House und Britpop und Naomi Campbell – und wer zwischen 1975 und 1985 geboren ist, konnte sich in die Melodien und Moden von damals einkuscheln wie in eine tröstende Wolldecke. Ob Mr. Vain von Culture Beat, das Flanellhemd von Kurt Cobain oder die Calvin-Klein-Kampagne der jungen Kate Moss – jedes Lied, jedes Bild, jede Pose förderte ein Stück der eigenen Biografie zutage, den ersten Kuss, den Moment, in dem man sich zum ersten Mal auf eine Tanzfläche getraut hat, das erste Kleidungsstück, mit dem man seine Haltung zur Welt ausdrücken wollte. Natürlich spielt Nostalgie eine große Rolle, wenn es darum geht, Musik- oder Modestile wiederaufleben zu lassen und – das natürlich auch – vermarktbar zu machen. Dass man Comebacks wunderbar am Konferenztisch planen kann, hat Adidas vorgemacht. Vor zwei Jahren nahm die Firma ihr Retro-Modell Stan Smith, einen simplen weißen Tennisschuh, von heute auf morgen vom Markt. Es gab ihn nicht mehr, in keinem Laden, in keinem Online-Shop. Ein Jahr später dann verschenkte Adidas zur New Yorker Modewoche einige Exemplare an Prominente, darunter Pharrell Williams und Gisele Bündchen, die kurz darauf in der französischen Vogue posierte, was so viel heißt wie: Sie trug den Schuh – und sonst nichts. Der Plan ging auf: Am nächsten Tag berichteten die Blogger, dann die Stiljournalisten, dann die Feuilletonisten. Auf einmal gab es das Modell wieder in ausgewählten Läden. Die Menschen standen Schlange. Der Stan Smith feierte ein Comeback.

Pop und Mode basieren auf Zyklen, die alles andere als mysteriös sind. Im Moment sind die Neunzigerjahre an der Reihe, weil die Meinungsführer des guten Geschmacks, weil also die Designer und DJs, die Feuilletonisten und Fotografen, die Musikproduzenten und Kreativdirektoren auf die Einflüsse der Zeit zurückgreifen, in der sie sozialisiert wurden und mit der sie die tiefsten Empfindungen verbinden, lange bevor sie damit beschäftigt waren, Facebook-Likes zu zählen, Bonusmeilen zu sammeln oder sorgenvoll dem Altwerden der eigenen Eltern zuzuschauen. Und ihre Altersgenossen – liquide und leicht neurotisch – lassen sich nur zu gern auf die Zeitreise ins verlorene Paradies der Kindheit mitnehmen, weil sich die Schlinge des Erwachsenenlebens ohnehin gerade enger und enger um ihren Hals zieht. Im Rückblick erscheinen die Neunzigerjahre als verschüttetes, goldenes Zeitalter, als letzte analoge Ära, in der die Beziehung zwischen Designern und Musikern zu ihren Fans zum letzten Mal persönlich war oder sich zumindest so angefühlt hat, bevor die Simultanvernetzung sie voneinander getrennt hat. Für die neue Oasis-Platte in der Fußgängerzone übernachten, das muss Gott sei Dank oder leider keiner mehr. Auf jeden Fall hat die Beschleunigung des Lebens auch die Zyklen der Erinnerung kürzer werden lassen. Die Neunzigerjahre wirken Lichtjahre entfernt, als wären sie nur ein Traum gewesen, die Lewinsky-Affäre, das Klonschaf Dolly, Beverly Hills 90210; man muss sich das mal vorstellen, vor gerade mal zwanzig Jahren kam der digitale Anrufbeantworter auf den Markt.

»Die Mode von gestern«, hat Carla Bruni schon in den Neunzigerjahren gesagt, »ist heute schon unmodisch. Und die Mode von morgen übermorgen schon passé. Es ist ganz einfach. Von verrückt zu brav und von brav zu verrückt. Von lang zu kurz und von kurz zu lang. Von eng zu weit und von weit zu eng. Und das alles kommt nicht überraschend. Es ist heute brav, weil es letztes Jahr wild war. Und morgen wird es wild sein, weil es dieses Jahr brav war.«

Das war immer so, nur hat sich die Schlagzahl erhöht. Der Takt ist schneller geworden, die Stimmung hysteri-scher, der Markt unbarmherziger. Wurde das Comeback der Schlaghose früher alle paar Jahre verkündet, wird sie heute in jeder Saison von irgendeinem Designer neu interpretiert. Noch nie gab es so viele Marken und so viele Designer mit so vielen ausgeklügelten Marketingkonzepten. Längst werden die Entwürfe nicht nur bei den Frühjahrs- und Herbstschauen in Paris, New York und Mailand präsentiert, sondern simultan und pausenlos auf Youtube oder Instagram. Längst gibt es sogenannte Pre-Collections, Zwischenkollektionen, die dafür sorgen, dass der Nachschub nicht abreißt und die Nachfrage auch nicht. Auf etwas zu warten, entspricht nicht unseren Vorstellungen. Alles muss zu jeder Zeit abrufbar und bestellbar sein, auch jede Erinnerung. Wir leben in einer Comeback-Endlosschleife, in der längst sämtliche Stile aus allen möglichen Jahrzehnten nebeneinanderher existieren. Es wird nichts mehr vergessen oder zurückgelassen, warum auch, unsere Speicher-kapazität ist unendlich. Endlich ist nur das Arsenal an Stoffen, Schnitten, Farben und Mustern, und deshalb wird wie verrückt zitiert, gehuldigt, interpretiert, kombiniert. Man kann das fantasielos finden, aber auch als große Kulturleistung betrachten, eine endliche Anzahl vorhandener Puzzleteile immer wieder neu zusammenzusetzen.

Das Neue, das wirklich Neue, ist selten. In der Popkultur und in der Mode kommt es praktisch nicht mehr vor. Umso wichtiger ist es, dass der ästhetische Kern konstant bleibt. Denn das radikal Neue hat es viel schwerer als die Variation von Bekanntem. Die Menschen und damit die Kunden sehnen sich nach Wiedererkennung. Nur so lässt sich ein Song oder ein Kleidungsstück in die eigene Biografie einflechten, nur so können sie identitätsstiftende Kraft entwickeln. Und weil es mittlerweile ein so unglaubliches Durcheinander an Marken gibt und es immer schwieriger wird, durch eine Jacke seine Weltanschauung auszudrücken, werden Tradition und Historie zum entscheidenden Distinktionsmerkmal. Warum mit viel Geld und Risiko eine neue Marke etablieren, wenn man genauso gut eine alte aus dem Dornröschenschlaf holen, einen jungen Designer davorsetzen und an eine hundert Jahre alte Geschichte anknüpfen kann? Gerade werden alte Labels und Kollektionen reihenweise neu aufgelegt. Es entstehen neue Versionen legendärer Entwürfe. Die Modezeitschriften drucken Anleitungen, wie Comeback-Trends am besten zu kombinieren sind, weil man trotz aller Nostalgie bitte nie so aussehen darf, als hätte es die letzten zwanzig Jahre nicht gegeben. Und wenn einer wie David Bowie seit Jahren kein gutes Album mehr zustande bringt, wird er eben in einer Ausstellung musealisiert, die seine alten Bühnenoutfits zeigt.

»Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen«, hat William Faulkner 1951 geschrieben. Der Satz war nie so wahr wie heute. Wir sind umgeben von Menschen und Dingen, die nicht abtreten wollen. Überraschen kann uns eigentlich nur noch jemand, der nicht wiederkommt, der verstummt, weil er zufrieden ist. Wem das gelingt, der wird zur Legende, alle anderen bleiben im Gespräch.

Foto: Fred Morgan