Werner Haases Gänse haben viele neue Abnehmer aus der Stadt gefunden - der gesteigerte Direktverkauf ist das größte Plus des neuen Geschäftsmodells.
Zweiundzwanzig Kilogramm Käse für 500 Euro. Das Geld jetzt, den Käse nach und nach. Klingt nach einem interessanten Geschäft. Alexander Agethle, der Verkäufer, weiß allerdings nicht, ob es sich für ihn einmal rechnen wird. Seine Käufer ebenso wenig. Die haben das Geld schon bezahlt, dafür haben sie »Englhörner« erhalten: vom Verkäufer entworfene Gutscheine, nach seinem Hof in Südtirol benannt. Die Käufer können die Englhörner verteilt über die nächsten zehn Jahre bei Agethle einlösen. Der Bauer wollte die Käserei renovieren, 230 000 Euro benötigt er dafür, 110 Käufer haben 150 000 Euro vorgestreckt. Den Rest hofft Agethle im Winter aufzutreiben, für die letzten Schönheitsarbeiten. Im Oktober wird in der Käserei wieder gearbeitet werden – und damit begonnen, den Kredit zu tilgen.
Sollte die Inflation im Schnitt der nächsten zehn Jahre drei Prozent betragen, könnten seine Käufer am Ende einen Gewinn von mehr als dreißig Prozent machen – Agethle wäre wohl ruiniert. Seine Kunden sind durch die feste Käsemenge in jedem Fall geschützt. Im Augenblick sieht es aber so aus, als würden die Englhörner für alle Beteiligten ein gutes Geschäft: Die Inflationsrate ist niedrig, und man kann die Englhörner inzwischen auch im Münchner Restaurant »Broeding« einlösen und im »Hotel Greif« in Mals, nicht weit von Agethles Ort entfernt. Die Englhörner sind Genussscheine, mit denen Bauern eine Art Crowdfunding betreiben; darüber hinaus haben sich die Englhörner zu einer kleinen Ersatzwährung entwickelt.
Agethle ist Kleinbauer in der Südtiroler Region Vinschgau. Auf der Wiese am Dorfeingang von Schleis landen Paraglider von den umliegenden Hängen. Der Bauernhof liegt mitten im Dorf, Agethles Vater hat ihn vor acht Jahren an den Sohn übergeben. Zwölf Milchkühe stehen im Stall, weitere zwölf aus der Nachbarschaft liefern Milch für die kleine Käserei. Zwei Kinder toben über den Hof, die Ehefrau backt das Brot selbst, die Großeltern wohnen im ersten Stock, an einer Theke kann man die Sorten Arunda, Tella oder Rims kaufen, benannt nach den umliegenden Gipfeln: Käse, der so gut schmeckt, dass die Betreiber des Münchner Restaurants »Broeding« unbedingt einmal den Produzenten persönlich kennenlernen wollten.
Der Bauer hätte es sich einfach machen können in seinem Südtiroler Idyll. Hätte weiter 1200 Kilogramm Kraftfutter pro Kuh und Jahr zukaufen können, so wie der Vater es zu tun pflegte, der so aus acht Kühen mehr Milch rausgeholt hat als jetzt der Sohn aus zwölf. Hätte zur Bank im Nachbardorf gehen können, um einen Kredit aufzunehmen. Aber Agethle hat in Florenz Agrarwissenschaften studiert, sich in Kalifornien mit den Folgen der industrialisierten Rinderzucht beschäftigt, im Kosovo beim Wiederaufbau der Landwirtschaft geholfen. Und so geht Agethle aus Überzeugung unbequeme Wege: Er kippt die Milch langsam in den Kessel der Käserei, weil er fürchtet, dass jeder Kontakt mit einer Pumpe sie belastet. Er hat das erste Volksbegehren in Südtirol gegen den Einsatz von Pestiziden angeregt, sogar gewonnen, und streitet sich deswegen auch mit dem eigenen Schwager – Agethles Schwester hat einen reichen Obstbauern geheiratet. Auch die Englhörner hat er vor allem aus ideologischen Gründen erfunden. »Die Menschen haben keine Lust mehr, in irgendwelche asiatischen Fonds einzuzahlen«, sagt Agethle. »Sie wollen die Welt im Kleinen verbessern.« Alexander Agethle glaubt daran, das mit seinem Käse zu tun. Und offenbar glauben das auch viele Kunden; manche von ihnen kommen aus Hamburg, um sich ihren Käse abzuholen, und hängen gleich einen Urlaub dran.
Werner Haase, ein Bauer im oberbayerischen Fischbachau, hatte erst mal nur einen günstigen Kredit im Sinn, als er 2010 Genussscheine in Höhe von 99 500 Euro ausgab. Die Haases hatten gerade viel Geld in den Ausbau von Ferienwohnungen auf dem Hof gesteckt und bekamen kein weiteres Geld von der Bank. Petra Wähning, eine befreundete Soziologin und Slow-Food-Aktivistin aus München, brachte sie dann auf die Idee mit den Genussrechten. 99 Menschen ermöglichten die Renovierung des Hofladens im Leitzachtaler Ziegenhof. Dass Haase über die Genussrechte auch kostenlose Mundpropaganda und bald einen ganz neuen Kundenstamm bekommen würde, ahnte er da noch nicht.
Geld gegen Naturalien – der Tausch bringt für Verbraucher und Bauern neben wirtschaftlichen auch soziale Vorteile: Städter kommen aufs Land, Bauern öffnen ihre Ställe, zeigen, wie gesund oder ökologisch sie produzieren, und binden gleichzeitig den Kunden an sich. Denn wer einem Bauern Geld geliehen hat, kauft in der Regel auch dann bei ihm ein, wenn er gerade keine Genussscheine einlöst. Werner Haase freut sich über einen gesteigerten Direktverkauf an viele neue Kunden. Petra Wähning, die Soziologin, freut sich, »dass die anonyme Geldwirtschaft ausgehebelt wird«. Aufgrund der guten Erfahrungen hat sie in München die Genussgemeinschaft »Städter und Bauern« gegründet, die auf der Homepagegenussgemeinschaft.de Investoren vermittelt und Kleinbauern bei der Ausgabe von Genussrechten berät. Die Bauern brauchen Hilfe, um für ihren Betrieb maßgeschneiderte Lösungen zu finden: Es gilt, die Länge der Kreditlaufzeit zu entscheiden und die Frage, ob nur der Zins oder auch das Darlehen mit Naturalien getilgt werden sollen. Meistens wollen die Bauern nur die Zinsen mit Milch, Fleisch oder Gemüse zahlen.
Milch und Butter
Xaver Diermayr aus Oberösterreich ist einer der ganz wenigen Spezialisten auf dem Gebiet der Genussrechte. Er betont die soziale Qualität, die Geld durch sie gewinne. Der Bauerssohn floh vom elterlichen Hof und vor dem Landleben, studierte Wirtschaft in Bayern, betreute in München bei der Hypovereinsbank Fonds im Bereich Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien, bis er dann doch den Betrieb des Vaters übernahm. Den stellt er jetzt auf biologische Landwirtschaft um und berät nebenbei Kollegen wie Agethle über das komplizierte europäische Genussrecht und wie sich die strengen gesetzlichen Auflagen erfüllen lassen; frühere Modelle wie das der »Kuhaktien« in Norddeutschland scheiterten oft an schnell zusammengeschusterteten Verträgen.
Zum Beispiel gilt in Europa für derartige Genussrechte eine Darlehensobergrenze von 100 000 Euro. Das ist selbst für einen kleinen Bauernhof wenig, und es wird auch diskutiert, die Obergrenze zu erhöhen. Alexander Agethle, der Bauer aus Südtirol, konnte die nur umgehen, weil es in Italien mit dem sogenannten Produktvorabkaufrecht eine Gesetzeslücke gibt.
Eine natürliche Grenze hat das Modell sowieso: Es hat kaum Sinn, mehr zu investieren, als man essen kann.
KUHKÄSE
Für je 500 Euro bekommen Kunden von Alexander Agethle im Laufe von zehn Jahren 110 Englhörner, die man jedes Jahr in Südtirol gegen Käse eintauschen kann. Oder in München gegen ein Abendessen im Restaurant »Broeding«. englhorn.com
MILCH
Martina und Werner Haase verkaufen im oberbayerischen Fischbachau Milch von Ziegen und Kühen, die nur Gras oder Heu aus Haases biodynamischer Landwirtschaft fressen. Bald soll ein neuer Stall gebaut werden für die Murnau-Werdenfelser-Herde, eine bedrohte Rinderrasse, die besonders gute und gesunde Milch gibt. Im Oktober startet das neue Genussrechteprojekt. ziegenhof-leitzachtal.de
TOMATEN
Der Münchner Waldgärtner Siggi Fuchs hat eine solidarische Landwirtschaft (»SoLaWi« beziehungsweise »CSA – Community Supported Agriculture«) initiiert: Die Mitglieder, im Moment etwa 125 Familien, vereinbaren zu Beginn des Jahres mit dem Gärtner, was angebaut werden soll und wie die Mitglieder bei der Ernte helfen. Siggis Lieblingsgemüse sind Tomaten. Dieses Jahr gab es fünfzig verschiedene traditionelle Sorten, von Orange Strawberry über Green Zebra bis Schwarze Kirsche. Die Mitglieder geben über die Dauer der Mitgliedschaft ein (fast) zinsloses Darlehen von je 200 Euro für neue Gewächshäuser. Dazu kommt ein Jahresbeitrag von 520 Euro, er garantiert dem Gärtner ein sicheres Einkommen ohne Zwischenhändler. Die Mitglieder bekommen von April bis November wöchentliche Ernteanteile. Die Laufzeit beträgt mindestens eine Saison von April bis November. Mit etwas Glück findet man Waldgärtner-Tomaten im Salat von »Schumann’s« Bar oder im Restaurant »Tantris«, die jeweils auch zu Beginn jedes Jahres mit Siggi ihre Vereinbarungen treffen. waldgaertner.de; Ähnliche Projekte finden sich im ganzen Bundesgebiet unter solidarische-landwirtschaft.org
BUTTER
Norbert Weißbach züchtet in Kremmen (Brandenburg) Wollschweine, Schafe und Ziegen, baut Gemüse an, sammelt und verarbeitet Wildfrüchte. Das neueste Projekt: Weißbach beweidet die umliegenden Niedermoore mit schwedischen Fjällrindern. Diese vom Aussterben bedrohte Rasse ist klein und leicht, sie zertrampelt keine empfindlichen Böden. Außerdem sind Fjällrinder die einzige für extensive Haltung prädestinierte Rinderrasse, deren Kühe viel Milch geben. Kleine Tiere geben fettere, eiweißreichere Milch als große. Weißbachs Rinder bleiben das ganze Jahr über auf der Weide, die Kälber bekommen die Milch der Muttertiere; nur das, was die Kälber nicht brauchen, soll ab dem Sommer 2015 gemolken und verarbeitet werden. Konventionell gehaltene Kälber kennen den Geschmack von Kuhmilch gar nicht. Weißbach legt Wert darauf, dass seine Investoren den Hof kennenlernen. 110 Prozent des Betrages werden über einen Zeitraum von elf Jahren in Naturalien zurückgezahlt, zusätzlich gibt es Rabatt im Hofladen. Die Stückelung ist flexibel, oft entspricht die Höhe dem Kaufpreis eines Fjällrindes, etwa 700 Euro. Man kann noch mitmachen, die Herde ist gerade im Aufbau. luchwirtschaft.de
Milch und Butter
So sieht ein Genussschein aus. Einmal im Jahr kann man ihn einlösen.
OLIVENÖL
Urte und Ralf Randel kennen den Ort Molivos auf der griechischen Insel Lesbos seit vielen Jahren. Als dort wegen der Wirtschaftskrise sogar der Schulbus für Kinder aus Bergdörfern eingespart wurde, griffen sie ein Modell auf, in dem soziale Aufgaben aus Gewinnen der Olivenölproduktion finanziert werden. Deutsche Vereinsmitglieder kaufen Ernteanteile in Höhe von 79,80 Euro, das entspricht sechs Litern Olivenöl. Es sind keine Genussrechte im strengen Sinn, aber auch hier geht es um ein Dreieck aus Geld, Naturalien und Mitverantwortung: Zehn Prozent aller Umsätze werden für soziale Projekte auf Lesbos gespendet, und über die genaue Verwendung stimmen die Mitglieder ab. Die Laufzeit beträgt ein Jahr. platanenblatt.de
HONIG
Schon sein Studium finanzierte Egbert Seibertz mit der Imkerei. Anfang der Neunzigerjahre begann er in Brandenburg als Bio-Landwirt zu arbeiten. Um den Betrieb vollständig auf Bienenhaltung umzustellen, legte Seibertz sein Genussscheinmodell auf. Beim Festlegen der Stückelung richtete sich der ehemalige Informatiker danach, wie viele Honiggläser sich gut in Pakete packen lassen. Denn die Gläser sind die Zinsen: Sechs Gläser ergeben ein halbwegs sinnvolles Paket, zwölf Gläser sind perfekt zu verschicken. Eine Besonderheit von Seibertz Imkerei sind fast zehn Hektar eigene Bienenweiden – nur selten bauen Imker das Futter für ihre kleinen Tiere selbst an. Genussscheine für 700 Euro oder 1400 Euro werden mit fünf Prozent verzinst, also mit sechs oder zwölf Gläsern Honig, die Seibertz jeweils rechtzeitig vor Weihnachten verschickt. Die Laufzeit beträgt acht Jahre. Bis Februar 2015 will Seibertz weiteres Kapital aufnehmen. imkerei.seibertz.de
GOJIBEEREN
Den Banken war Klaus Umbachs Erfahrung als Gärtner nicht genug, sie wollten Statistiken übers Goji-Business sehen. Da Umbach aber der Erste war, der die gesunden Beeren in größerer Menge in Deutschland züchtete, anbaute und vermarktete, fehlten jegliche Statistiken – Umbach gab daraufhin Genussrechte aus: ab 3000 Euro, mit vier Prozent Verzinsung in Euro sowie zehn Prozent Rabatt auf alle Produkte im Hofladen und dreißig Prozent auf Gojipflanzen. Inzwischen wachsen die Büsche und Beeren, es gibt eine eigene, besonders wohlschmeckende Sorte. Die Plantage wird erneut erweitert, außerdem ist ein Schulungsgebäude geplant. Ab diesem Oktober kann man wieder Genussscheine kaufen. biogojipflanzen.de
GEFLÜGEL
Etwa gleich viele Puten und Hühner leben auf dem Brunnenhof im schwäbischen Künzelsau. Die Landgockel sind kleiner, aber teurer. Dabei ist es viel schwieriger, eine nach strengsten Bio-Richtlinien liebevoll gemästete Pute zu kaufen als ein vergleichbares Hähnchen. Bei den ersten Genussrechten des Brunnenhofs betrug die Verzinsung in Naturalien 3,5 Prozent, im Jahr 2015 soll es eine neue Auflage geben, man kann sich jetzt schon vormerken lassen. gefluegelvombrunnenhof.de
SCHAFSKÄSE
In Langenburg fing es mit einem Hektar Land und zwei Schafen an. Die gaben Milch – genug für den ersten eigenen Käse, der auch Freunde so begeisterte, dass aus dem Selbstversorgerhof bald ein kleiner Betrieb wurde. Vor 14 Jahren legten Berit und Norbert Fischer dann die ersten Genussrechte auf. Die Erfahrungen waren gut, es gab eine zweite Runde, und jetzt läuft die dritte Runde mit einer Stückelung zu je 1000 Euro bei dreiprozentiger Verzinsung in Naturalien – ein Hofcafé soll damit finanziert werden. schafkaese.com
BOCKSHORNKLEEKÄSE UND WURST
Der Erdmannshof in Krukow (Schleswig-Holstein) liefert Käse, Fleisch und Wurst, allesamt hochgelobt, von zwei Rinderherden. Die Rinder stehen meistens auf der Weide, brauchen aber einen neuen Stall und einen modernen Melkstand. Seit Juni werden neue Genussscheine mit einer Stückelung zu 500 Euro ausgegeben. Die Rückzahlung und fünf Prozent Zins gibt es in Form von Naturalien: Käse, Wurst, Brennholz oder Rindermist. erdmannshof.de
OBST
Joel Siegel hat vor fünf Jahren sein eigenes Obstgut gegründet, in Norsingen nahe Freiburg, und bis jetzt etwa 14 Hektar Obst gepflanzt. Bis aber beispielsweise ein Apfelbaum und damit auch das eingesetzte Kapital eine nennenswerte Menge Früchte tragen, dauert es Jahre – zu lange für einen Existenzgründer ohne elterliches Hoferbe. Unterstützt bei der Betriebsgründung wurde das Obstgut durch die Regionalwert AG, die auch an vielen anderen ökologischen Projekten wie etwa dem Kindergarten-Bio-Caterer »Zwergenküche« beteiligt ist. Bei der Regionalwert AG läuft gerade eine Kapitalerhöhung, man kann also noch mitmachen. regionalwert-ag.de, obstgutsiegel.de
RIESLING
Zehn engagierte Winzer um Traben-Trarbach an der Mosel haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam extreme Steillagen zu retten. Solche Lagen werden immer seltener bewirtschaftet, denn sie machen viel Arbeit – allerdings produzieren sie auch sehr gute Weintrauben. Die Weine heißen »Bergrettung« und sind sehr gefragt, deshalb sollen 2015 neue Lagen gekauft und in das Programm aufgenommen werden. Dafür ist ein Genusscheinprojekt geplant, die Einzelheiten sind noch in Arbeit, man kann sich aber jetzt schon vormerken lassen. klitzekleinerring.de
Fotos: Daniel Delang