»Ich stelle mir immer Leserinnen vor«

Früher schrieb Nick Hornby über Fußball und Pop - heute gilt er als einer der wenigen Autoren, die gut aus weiblicher Perspektive schreiben können. Ein Gespräch über Frauen.

Ein gefeierter Star, der Menschen auf der ganzen Welt zum Lachen bringt - trotz seines manchmal missmutigen Humors. Links daneben: der Autor Nick Hornby.

Foto: Rick Pushinsky

SZ-Magazin: Herr Hornby, Sie waren mal ein ziemlicher Jungs-Autor, jetzt sind Sie auf einmal so ein Frauenversteher. Was ist los?
Nick Hornby: Mit Jungs-Autor meinen Sie meine ersten Bücher …

Ja, Ihre größten Bestseller. Fever Pitch handelte von Fußball, High Fidelity von Popmusik und Ex-Freundinnen. Aber dann kam About A Boy, da haben Sie versucht, die Perspektive einer alleinerziehenden Mutter einzunehmen, How To Be Good ist aus der Sicht einer traurigen Ehefrau geschrieben. Wie kam das?
Eigentlich durch Zufall. Bei How To Be Good wollte ich jemanden beschreiben, der langsam vom Zyniker zum guten Menschen wird. Die Logik der Idee erforderte, dass ich die Geschichte aus weiblicher Sicht erzähle.

Wieso?
Mir schien es viel wahrscheinlicher, dass ein Mann ein Zyniker ist. Ich wollte, dass im Buch die andere Hälfte des Paares erzählt, wie sich alles verändert. Also musste ich, um den Mann beschreiben zu können, aus der Sicht der Frau schreiben.

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Und das konnten Sie einfach so?
Nein, ich habe mich damit am Anfang auch überhaupt nicht wohl gefühlt. Aber als ich fertig war mit dem Buch, hatte ich den Mann ganz gut beschrieben – und wusste nicht, ob ich überhaupt noch irgendwas über junge Männer zu sagen habe. Ich werde ja auch älter. In A Long Way Down ging es dann um zwei Männer und zwei Frauen. Ich habe mich wie befreit gefühlt, dass ich über beide Geschlechter schreiben kann.

Noch in High Fidelity klangen Sie wie jemand, dem die Frauen ein völliges Rätsel sind.
Dabei war das ein Buch, das auch viele Frauen gelesen haben. Der Witz ist ja: Fever Pitch, das Fußballbuch, hat zunächst wirklich nur Männer interessiert. Aber dann haben die Männer ihren Frauen das Buch gegeben und gesagt, hey, so ist das mit mir und dem Fußball, lies mal, vielleicht verstehst du dann, warum ich am Samstagnachmittag immer weg muss.

Und so hat das dann mit High Fidelity auch funktioniert?
Auf jeden Fall bin ich in beiden Fällen so an die Sache herangegangen, als sei da etwas, was ganz grundsätzlich mal erklärt werden muss. Erst Fußball. Dann männliche Emotionen. Und das setzt ja eine Leserschaft voraus, die tatsächlich Erklärungsbedarf hat.

Haben Sie sich beim Schreiben Leserinnen vorgestellt?
Das Lustige ist, ich habe mir sowieso immer Leserinnen vorgestellt. Ich hatte nämlich damals eine Lektorin. Die ersten beiden Menschen, die meine Bücher lasen, waren also meine Frau und die Lektorin. Das hat mein Schreiben mit Sicherheit beeinflusst. Aber irgendwann habe ich gemerkt: Es ist viel spannender, nicht nur für Frauen zu schreiben, sondern auch über sie.

Warum genau?
Weil sie im Leben viel mehr Zwängen unterliegen. Sehr viele Männer können doch in ihrem Leben so ziemlich das machen, was sie wollen. Sehr viele Frauen können das nicht. Und je komplizierter, je konfliktreicher die sozialen Bedingungen sind, denen eine Romanfigur ausgesetzt ist, desto interessanter wird das, was man schreiben kann.

Sie sprechen von den Zwängen, denen Frauen ausgesetzt sind, glauben aber, es sei wahrscheinlicher, dass Männer Zyniker werden. Warum?
Ich habe den Eindruck, dass ich ständig von Männern umgeben bin, die ziemlich griesgrämig und maulig sein können. »Das ist Mist, jenes ist Müll, das da ist totaler Dreck, und hör mir doch auf mit dem Scheiß …« Die Frauen, mit denen ich in meinem Leben bisher zu tun hatte, kommen mir viel offener vor, viel mehr bereit, sich mit der Welt da draußen wirklich zu beschäftigen.

Wie erklären Sie sich das?
Es fängt damit an, dass Frauen jahrhundertelang weniger Freiheiten hatten, sie mussten sich zu Hause um die Kinder kümmern. Dann erkämpften sich die Frauen ihre Freiheiten und merkten, dass sie es Stück für Stück weiter als ihre Mütter schaffen. Erfolg in vielen kleinen Schritten. Deswegen gehen sie heute, würde ich behaupten, mit mehr Leidenschaft an die Dinge heran.

Gleichberechtigung gibt es trotzdem noch nicht. Frauen kriegen weniger Geld im Beruf, werden seltener befördert …
Leider wahr.

Also wären doch Frauen prädestiniert, als Zyniker durchs Leben zu gehen.
Aber Frauen haben eine realistischere Weltsicht, deswegen sind sie der Welt gegenüber nicht so beleidigt. Männer träumen ewig vor sich hin, und irgendwann kommt der Punkt, an dem sie einsehen müssen, dass sie vielleicht nicht ganz so viel erreichen, wie sie immer dachten. Das macht sie zynisch. Aber wissen Sie, ich kann natürlich auch ganz falsch liegen, und manchmal falle ich sicher auch
auf Vorurteile herein. Aus irgendeinem Grund assoziiere ich Zynismus nun mal mehr mit Männern als mit Frauen.

Haben Sie sich je gewünscht, eine Frau zu sein?
Oh. Äh …

Für einen Moment zumindest?
Nein. Trotzdem würde ich natürlich gern mal am eigenen Leib erfahren, wie es wohl wäre.

Gibt es etwas Bestimmtes, was Sie gern einmal aus Sicht einer Frau erleben würden?
Sex.

Warum?
Weil ich mir das viel weniger vorstellen kann als alles andere. Abgesehen von der Geburt eines Kindes natürlich. Obwohl … auch die würde ich gern erleben. Aber ich hätte eine Heidenangst davor.

Viele Männer scherzen gern, sie würden Frauen nie verstehen. Um das Mysterium Frau ging es auch in Ihren früheren Büchern. Jetzt sind Sie 57 Jahre alt. Was haben Sie über Frauen so weit gelernt?
Dass es gar kein Mysterium gibt.

Echt?
Ja. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass die Geschlechterunterschiede völlig übertrieben werden. Das sind größtenteils nur bedeutungslose Klischees, endlos wiederholt von einer riesigen Industrie, die damit ihr Geld verdient.

Welcher Industrie?
Nur ein Beispiel: Frauenzeitschriften. Gehen Sie in den Laden, schauen Sie sich die Titelseiten an. Da gibt es immer mindestens eine Geschichte, in der es darum geht, Männer zu verstehen, geschickter mit ihnen umzugehen oder so was. Die Behauptung, dass es da Geheimnisse geben könnte, die zu lüften wären, verkauft Zeitschriften. Oder denken Sie an diesen Bestseller Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Es ist doch immer die gleiche Leier: Die dort, wir hier, alles rätselhaft, wie können wir sie endlich durchschauen? Lächerlich. Reine Geschäftemacherei.

»Es macht mich wahnsinnig, dass es so viele selbstgerechte Autoren gibt, die sich selbst für die Größten halten«


Sie haben jetzt das Drehbuch für den Film Wild geschrieben. Da geht es um eine Frau, die sich allein auf eine extrem anstrengende Wanderung durch Amerika macht, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen.
Ja, ich vermute, den Auftrag hat man mir gegeben, weil ich schon mal irgendwas mit Büchern und Frauen gemacht habe. Dabei bin ich wirklich kein Frauendurchschauer, mir fallen höchstens ab und zu Sachen auf, mehr nicht. Und überhaupt, die Geschichte gab es als Buch, das war ein Bestseller, ich musste nur die Filmfassung daraus machen.

Das Frauenverstehen scheint jetzt aber Ihr Job zu sein. Stört Sie das?
Nein, mich stört gar nichts. Mir geht es bestens. Früher eher Männerthemen, jetzt eher Frauenthemen. Eine Geschlechtsumwandlung, haha. Kein Problem.

Gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Autoren und Autorinnen?
Ich weiß nicht, wie es in Deutschland aussieht, aber in England ist es erschreckenderweise so: Die Männer gelten als die seriösen Autoren und die Frauen gelten als die trivialen Leichtgewichte. Es macht mich wahnsinnig, dass es so viele selbstgerechte Autoren gibt, die sich selbst für die Größten halten, während viele Autorinnen grad mal so am Rand des literarischen Lebens herumstolpern. Dabei fühle ich mich den Autorinnen näher, ich mache schließlich genau das, was ihnen immer zugeschrieben wird: Ich befasse mich mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich halte das für eines der wichtigsten Themen, über die man überhaupt schreiben kann.

Es gibt auch viele Autorinnen, die mit solchen Themen viele Bücher verkaufen.
Aber von männlichen Kritikern werden sie dafür kleingemacht. Und die Männer posaunen rum, hoho, aufgepasst, ich bin sehr seriös – und werden prompt ernst genommen! Der erfolgreichste Autor der Welt ist Joanne Rowling. Dicht gefolgt von der Frau, die Fifty Shades of Grey geschrieben hat. Und trotzdem – männliche Kritiker sind immer total erleichtert, wenn sie das, was die beiden machen, als »leichte Muse« abtun können.

Alte Frage: Wäre die Welt eine andere, wenn mehr Frauen an der Macht wären?
Ich glaube, Politiker sind in ihrer Arbeit so eingeengt von Zwängen, von Notwendigkeiten und Interessen, dass ihr Geschlecht fast keine Rolle mehr spielt.

Die Briten haben Erfahrungen mit Margaret Thatcher, wir haben Angela Merkel, in den USA könnte Hillary Clinton Präsidentin werden.
Ja genau, Thatcher! Gutes Beispiel. Die Frau war so darauf aus, härter und unbeirrbarer als jeder Mann zu sein, dass es überhaupt niemandem etwas gebracht hat, dass sie als erste Frau in dieser Position eigentlich eine historische Figur war. Ich habe die Thatcher-Zeit gehasst, ich habe ihren konservativen Unsinn gehasst, diese ganze Ära war grauenhaft. Aber mit Hoffnungsträgern ist es ja das Gleiche, nehmen Sie Obama: Als er ins Amt kam, dachte jeder, die Welt muss einfach besser werden, wenn dieser Mann Präsident wird – und dann binden ihm sein Amt und die Weltpolitik so sehr die Hände, dass er fast nichts von dem machen kann, was er sich vorgenommen hat.

Sehen Sie einen grundsätzlichen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Humor?
Nein.

Nein?
Nein. Wenn ich mir Tina Fey und ihre Serie 30 Rock ansehe, könnte ich nicht sagen, was an ihrem Witz speziell weiblich sein sollte. Ich bewundere sie, ich finde sie großartig und schlau. Aber sie könnte auch ein Mann sein, oder?

Na ja, es ist schon weiblicher Humor.
Wieso?

Sie sieht Dinge, auf die ich als Mann nie käme.
Nein, sie sieht Dinge, auf die Sie nie kämen, weil sie viel schlauer ist als Sie.

Hm. Stimmt.
Haha, sehen Sie?

Beruhigend, dass Sie gern lachen. Die englische Zeitung The Guardian hat mal gefragt: »Warum ist Nick Hornby immer so unglücklich?«
Das haben die geschrieben? Ich bin überhaupt nicht unglücklich.

Wie kommen die dann darauf?
Die verwechseln mich mit meinen Figuren. Passiert ja ständig. Die verstehen nicht, dass High Fidelity nicht von mir handelt, sondern von einer fiktiven Figur. Aber ich habe mich daran gewöhnt, dass ich immer irgendwas genannt werde. Mein erstes Buch ist vor 22 Jahren erschienen. Da wurde ich der Fußballtyp genannt. Drei Jahre später war ich der Typ mit den Männergefühlen. Jetzt kommen Sie und halten mich für einen Frauenversteher. So geht das immer weiter.

Kann man doch ganz gut hinnehmen, wenn man damit immer so erfolgreich ist, oder?
Klar, ich freue mich über Zuspruch. Aber meine ersten Bücher waren vor allem deshalb erfolgreich, weil damals viel zusammenkam: eine bestimmte Stimmung in der Populärkultur, ein breites Interesse an Fußball und britischer Lad-Kultur … Es waren nicht meine Bücher allein, es war die Gesamtsituation. Deshalb wurden sie Bestseller. Mir war klar, dass alles danach im Vergleich normaler sein würde, eine Nummer kleiner. Man muss eben weitermachen. Aber man darf nicht erwarten, dass die Konstellation noch einmal irgendwann so günstig sein wird.

Immerhin werden Sie bis heute die Stimme einer Generation genannt.
Lächerlich!

Nick Hornby
Der Londoner, 57, gilt als einer der wichtigsten britischen Gegenwartsautoren. Gerade ist sein neuer Roman »Miss Blackpool« erschienen, nächste Woche kommt der Film »Der große Trip - Wild« ins Kino, zu dem Hornby das Drehbuch geschrieben hat. Hornby ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Söhne. Aufgrund der Erfahrungen mit seinem ersten Sohn, einem Autisten, hat Hornby eine inzwischen bedeutende britische Hilfsorganisation für autistische Kinder gegründet.