Was die Existenz Gottes angeht, gibt es ja unterschiedliche Ansichten: Die einen sagen so, die anderen sagen so, und dann gibt es die ganz anderen, die in seinem Namen mit Maschinenpistolen morden. Ich persönlich bin von der Existenz Gottes insofern fest überzeugt, als ich ihn persönlich kenne. Bisweilen treffe ich ihn am Flaschencontainer oder im Bio-Markt. Wir trinken dann einen Kaffee zusammen oder sitzen gemeinsam auf einer Parkbank. Manchmal werfen wir auch kleine Steine in die Isar und schauen ihrem Verschwinden zu.
Gott ist ein älterer Herr, etwa zwanzig Milliarden Jahre alt, schätze ich. Einmal hat er mir lachend erzählt, er habe mehr als sechs Milliarden Jahre gebraucht, bis er sich zum Urknall entschließen konnte. »Was für eine Grübelei!«, rief er. »Und dann das hier!« Er machte eine vage Armbewegung, die kahlen Bäume umfassend, den Anti-Rutsch-Splitt auf dem Bürgersteig und die Mauer zum Friedhof. Es liegt etwas Soigniertes, aber nicht übermäßig Korrektes in seiner Erscheinung: ein schmales, scharf konturiertes Gesicht, die weißen, immer noch vollen Haare vielleicht einen Tick zu lang, ein müder Zug um die (aber doch wachen) Augen, älterer grauer Wollmantel, Lederhandschuhe, jedenfalls im Winter.
Nein, er ist nicht stolz auf das, was er geschaffen hat. Die Sache sei ihm irgendwann entglitten, sagt er oft unvermittelt, er habe die Übersicht verloren, sich in Details verstrickt. »Nehmen Sie den Schmetterling! Ich war wirklich gut in Form, als ich den Schmetterling machte. Aber dann hatte ich den Gedanken, das Schöne, das der Schmetterling – sagen wir jetzt einfach mal – doch vielleicht repräsentiert, wäre vielleicht noch viel schöner, wenn es bedroht wäre. Wenn es also etwas richtig Fieses gäbe, etwas, was uns durch seine schiere Existenz erst deutlich macht, was Schönheit wirklich bedeutet.«
Er seufzte.
»Das war doch nicht blöd, oder?!«, rief er. »Dass das Schöne erst wirkt, wenn man weiß, dass es nicht selbstverständlich ist. Sondern in Gefahr! Stimmen Sie zu?«
Er seufzte wieder.
»Jedenfalls schuf ich die Wespe. Wissen Sie, was Wespen mit den Raupen von Schmetterlingen tun? Sie machen sie bewegungsunfähig, sie töten sie nicht, sie lähmen sie nur mit Stichen von chirurgischer Präzision. Warum? Damit sie ihre Eier auf ihnen ablegen können und der Wespennachwuchs nach dem Schlüpfen frisches Fleisch vorfindet. Verstehen Sie? Die Wespenkinder fressen ein lebendes Wesen langsam auf!«
Er starrte zu Boden.
»Und wer ist dafür verantwortlich?! Ja, ja, aber ich konnte mich der Faszination meiner eigenen Arbeit nicht entziehen. Darauf muss man ja mal kommen: Was die Wespe tut, ist sehr ausgefeilt – und böse. Andererseits gehorcht sie nur einem Instinkt. Und den hat sie von mir. – Ich hätte die Wespe nicht machen sollen. Aber ich war berauscht von mir selbst.«
Nach einer langen Pause sagte er: »Das können Sie nicht verstehen. Niemand kann es verstehen. Niemand weiß, was es bedeutet, Gott zu sein. Manchmal war ich wie von Sinnen. Manchmal weiß ich selbst nicht mehr, welcher Teufel mich geritten hat.«
Solche Gespräche führe ich also hin und wieder mit Gott, wobei: Gespräche? Eigentlich redet nur er. Neulich steigerte er sich in Melancholie und Verzweiflung so hinein, dass er einfach nicht von dem Gedanken lassen konnte, was für eine Idiotie es gewesen sei, das menschliche Leben so zu konstruieren, wie er es getan habe, es also mit der Geburt beginnen zu lassen und zu einer Anhäufung von Wissen, Können, Gefühl zu führen, bisweilen zu unerhörter Zartheit, unbegreiflicher Fähigkeit, größtem Witz – und dann einfach brutal auszulöschen.
Er war echt fertig. Und der Tag, an dem dies geschah, bitte, können Sie sich das vorstellen?, ja, das war der Tag, an dem ich in meiner Hilflosigkeit angesichts dieses Ausbruchs stumm tröstend meine Hand auf Gottes Schulter legte …