Der Mozart unter den Texten

»Der Woody Allen des Barock«, »der Heino der Literatur«, »der Brad Pitt des Saarlands«: Solche Vergleiche haben unseren Autor sehr gestört - bis er verstand, dass es sich um Kunst handelt.

    Nachdem in meiner alten WG in der kleinen Münzwardeingasse in Wien/Mariahilf mal infolge eines Wasserrohrbruchs alles hatte aufgestemmt werden müssen und dabei der Kachelboden komplett zerstört worden war, von den Gebrüdern Schwadron hergestellte schöne Fliesen, die die zwei polnischen Handlanger, wie mir schien, mit großer Freude zertrümmerten, aber ich kann mich irren, vielleicht blutete ihnen auch das Herz dabei, besorgten sie auch gleich neue Kacheln, sie kannten die günstigen Bezugsquellen (dehnbarer Begriff), hässliche babyblaue, sie schätzten uns wohl so ein, dass Hellblau uns im Nassbereich stünde, die nächstliegende Assoziation eben, und als dann alles neu verfliest war, sahen wir das Dilemma, alles war so akkurat und langweilig, so bieder. Als ich den einen Polen, Adam sein Name, sinnloserweise natürlich, hinterher fragte, warum sie das denn so brav gemacht haben, und nicht alles schief und krumm, eine eigene Note, verstand er zunächst nicht, aber dann sah ich förmlich eine Glühbirne über seinem Kopf, und er nickte und meinte: »Ah, verstehe, wie Picasso.«

    Und als mich mal mein Stiefvater fragte, was ich denn da so bei »Mäuse« mache, meiner kleinen Band oder Simulation einer Band, weil niemand wirklich weiß, ob es uns eigentlich noch gibt, so unregelmäßig wird etwas veröffentlicht und konzertiert, wie das denn klinge, was wir da machen, wusste ich nicht recht, wie ich ihm ein Referenzsystem erklären soll, das aus Suicide und Faust, aus Celtic Frost und Magma besteht, weil man dann für diese auralen Himmelsrichtungen wieder Erklärsysteme braucht, deswegen erklärte ich abkürzend, na ja, ist halt Krach, und ich schrei dazu, das verstand er und sagte: »Ah, verstehe, wie Joe Cocker.« Für den Polen Adam waren wir die Picassos der Münzwardeingasse, auch, weil es in unserer WG ein paar Kunststudenten gab, und für meinen Stiefvater war ich eben der Joe Cocker der Mäuse.

    Als kürzlich der norwegische Schachweltmeister Magnus Carlsen seinen Titel verteidigte, stand da und dort zu lesen, er sei der Mozart des Schachs, warum er das ist, war nicht zu erfahren, beziehungsweise hab ich den Text gar nicht erst gelesen, weil ich sowohl Schach als auch Mozart für pure Zeitverschwendung halte. Ich habe dann mal nach anderen Mozarts gegoogelt, und der arme Mann scheint ein multieinsetzbarer Gebrauchsgegenstand der Referenzialität zu sein, es gibt den Mozart des Denkens (Pascal), den Mozart des Elysée (französischer Wirtschaftsminister), den Mozart des Basketballs (Drazen Petrovic), den Mozart der Massenproteste (Rudi Dutschke), den Mozart des 100-Meter-Laufens (Usain Bolt), den Mozart des Techno (Aphex Twin), den Mozart des Jazz (George Gershwin), den Mozart der Theologie (Papst Benedikt), und Jimi Hendrix ist gleich pauschal, genre-übergreifend der Mozart des 20. Jahrhunderts, offenbar für alles, was er je gemacht hat, vielleicht sogar für sein Basketballspiel.

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    Beweise bleiben die Faulpelze, die sich diese Vergleiche ausdenken, allerdings schuldig, sie glauben, wenn es gut klingt, was es ja wirklich tut, dann muss es wohl stimmen, es wird sozusagen passend geschrieben, oder passend behauptet, aber man fragt sich doch, ob das auch im Umkehrschluss gilt, wenn Aphex Twin der Mozart des Techno ist, ob dann Mozart der Aphex Twin des durchbrochenen Stils ist? Es gibt sogar einen Musikführer, der Der Mozart in uns heißt, das bedeutet wohl, dass wir entweder alle ganz tief in uns Mozarts sind oder die Milz der Mozart unserer inneren Organe ist, man könnte auch hier googeln, was wirklich gemeint ist, aber dann stößt man vermutlich auf eine sterbenslangweilige Erklärung, die die schönen Mutmaßungen entzaubert.

    Diese Vergleichstechnik nennt man Vossianische Antonomasie, sie wird eingesetzt, um Abwechslung in einen Text zu bringen, wenn der Name einer Person sonst zu häufig vorkommen müsste (Mozart ist der Mozart aller Mozarts). In verschiedenen Ressorts wie Feuilleton und Sportjournalismus haben sich spezifische Antonomasie-Vorlieben herausgebildet. Dabei wird zu wenig beachtet, dass der Informationsgehalt einer Antonomasie die Aussage eines Satzes erheblich stören kann, weil die Antonomasie ein funkelndes, kleines Kunstwerk ist und ablenkt oder gar abstößt von dem, was gesagt werden soll. Antonomasien sind nicht elegant, sondern albern. Aber auch Albernheiten können ja funkeln, wie Schmuckstücke aus einem Kaugummiautomaten.

    »Aber warum hat dein Mann dich geschlagen?« Bekannte, Freunde, Familie attackierten mich mit der Frage, als gäbe es das: einen guten Grund.


    Der Woody Allen des Barock (Jean-Philippe Rameau), der Boris Entrup der Kuhpflege (»Kuhfitterin Astrid Ostkämper legt letzte Hand an ein Rind an. Waschen, Bürsten und Schneiden lässt die Kuh-Dame geduldig über sich ergehen«, Focus, Juni 2011), der Newton des Grashalms (Charles Darwin), der Heino der deutschen Literatur, der Lionel Messi der Grill-Modelle, der Brad Pitt des Saarlands, der Günter Grass der Friseure, die Leni Riefenstahl der Volksbefragung, der Homer der Insekten, der Justin Bieber der Kreidezeit, der Helmut Kohl unter den Brotaufstrichen, die bretonische Kuh der Literatur, der Jon Bon Jovi der Schwabenschlichter, die Nana Mouskouri der Inneren Sicherheit, der Mount Everest der Masturbation, die Tuberkulose des Digitalzeitalters, der Porsche Cayenne unter den Schuhen und so weiter. Das sind alles kleine Kunstwerke und nicht erfunden, also leider nicht von mir, das stand alles genau so in der Zeitung oder online (auf umblaetterer.de werden diese kleinen Kunstwerke schon lange gesammelt), und je mehr man von diesem Zeug liest, desto süchtiger wird man danach, aber desto mehr nimmt der Wunsch ab, herauszufinden, wer sich etwa hinter dem Bruce Willis der Quartalsberichte verbirgt, ein umgekehrt reziprokes Phänomen, wie die sich selbst aufessende Neugier. Und der Gipfel wäre erreicht, wenn eine Antonomasie-Möbiusschleife entstünde, der Antonomasiker der Antonomasiker, aber auch das gab es ja schon von Gertrude Stein, die eine Rose mit einer Rose verglich, die einer Rose gleicht und so weiter, sie hat zumindest in der Floristik das letzte Wort gesprochen, das nur noch steigerbar wäre, wenn man die Rose als die Tulpe der Hyazinthen für Geranien bezeichnen würde, in einem Rhododendronfachblatt, und das wagt niemand. Oder doch?

    Es gibt die Onomatopoesie (sprachliche Nachahmung von außersprachlichen Schallereignissen), aber meines Wissens gibt es das Genre der Antonomatopoesie noch nicht, wenn ich an einer Schule für Dichtung wäre, würde ich dieses Studienfach installieren, denn Dichter sind, dieses faule Witzchen muss gestattet sein, doch auch nichts anders als Installateure. Jetzt aber zu behaupten, die Installateure seien die Dichter der Rohre, wäre zu einfach, man müsste, hier wären wir schon bei der ersten Unterrichtseinheit meiner Klasse für Antonomatopoesie, es überraschend brechen, dazu müsste man wissen, wer der Paganini der Klempner ist, der Abt des Abwassers (neues Genre: Alliterationsantonomatopoesie), die Koryphäe auf diesem Gebiet.

    Und so wie eine japanische Redensart sagt, dass Harmonie die Symmetrie der Dummen ist, könnte man sich jetzt der Dummheit resignativ ergeben, weil ja in der Resignation etwas Tröstliches liegt, und zum Anfang zurückkommen, zum Klempner Adam, der uns in der Wohnung der Picassos die Kacheln zertrümmert und ein frisches Rohr verlegt hat. Man kennt nun nicht so viele Handwerker aus Polen, hat keine Vergleichsmöglichkeiten, war Adam nun der Godzilla der Fliesen oder der Rilke der Rohre? Auch wenn Godzilla und Rilke relativ unpolnisch sind. Adam, der Walesa des stillen Örtchens, der Chopin des Abflusses, aber man verrennt sich leicht, wenn es an Parametern hapert, man überfrisst sich am Vergleich, wird so maßlos wie ein Kind, das nicht genug bekommen kann, und dann muss es kotzen, und wohin kotzt es? In Adams babyblaue Phase des Schreis von Picasso, der eigentlich von Edvard Munch ist, dem Edvard Grieg des gefrorenen Schreis, dessen, was Arthur Schopenhauer über Architektur sagte, Kafka zitierend, der über Literatur meinte, sie sei die Armbrust für die gefrorenen Äpfel auf unseren Köpfen, oder so ähnlich. Vielleicht waren die babyblauen Kacheln auch Adams Schrei nach Neuordnung der Stereotypen, ich weiß es nicht, aber glaube es, weil ich es glauben will, nämlich dass all unser Dasein doch nichts anderes ist als ein nie enden wollendes Assoziationskettensägenmassaker. Oder halt irgendwas mit Mozart.

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    Anmerkung der Redaktion:
    Der Verweis auf umblaetterer.de hat in der Printversion leider gefehlt, wir haben das nun ergänzt.

    Illustration: Andy Rementer