»Er war ein Benz, ich bin ein VW Käfer«

Gleicher Name, gleicher Beruf - und inzwischen singt er auch die gleichen Lieder: Frank Sinatra Jr. über die Bürde und das Glück, im langen Schatten seines Vaters zu leben.

Frank Sinatra Junior
wurde 1944 in Jersey City, New Jersey, als zweites Kind von Nancy Barbato und Frank Sinatra geboren. Juniors ältere Schwester Nancy war Sängerin und wurde mit »These Boots are Made for Walkin’« bekannt, die jüngere Schwester Tina war Filmproduzentin. Frank Sinatra Junior studierte auf dem College Musik und war Pianist, bevor auch er Sänger wurde.
(Foto: Andrea Kauffman Entertainment, Inc)

Ein grauer Winterabend in Atlantic City, der Spielerstadt zwei Autostunden südlich von New York. Frank Sinatra junior lebt in Los Angeles, aber er hat an der Ostküste zu tun – und nun ein wenig Zeit, hatte seine Managerin Andrea nach vielen E-Mails gesagt. In der Lobby des »Borgata Hotel Casino« stehen einige Roulettetische zwischen Hunderten von Einarmigen Banditen. Viele Paare spielen an den Automaten, zwei alte Männer fahren im Elektro-Scooter durch die Reihen. Im Kasino darf man rauchen – in einem Land mit strengen Rauchergesetzen. Der Klimaanlage wird Sauerstoff beigemischt, damit die Spieler nicht so schnell müde werden. Andrea holt mich in der Lobby ab, sie fürchtet, auf mehr als eine Stunde Interview habe Sinatra keine Lust. In der Suite sind Häppchen angerichtet. Die Sonne ist gerade untergegangen, Sinatra junior trägt gemütliche Filzschuhe und hat spürbar gute Laune. Andrea verabschiedet sich mit Kopfschmerzen, Dascha, Sinatras Freundin, entschwindet in den Nebenraum. Einmal singt er eine Zeile an diesem Abend, er klingt wie sein Vater. Später, als Sinatra junior zum Abendessen im Restaurant des »Borgata Hotels« einlädt, ist der Vater selbst über die Lautsprecher zu hören.

SZ-Magazin: Herr Sinatra, war Ihr Vater darüber glücklich, dass Sie Musiker wurden?
Frank Sinatra Jr.: Ich habe ihn nie gefragt. Aber jede Wette, dass er es nicht war.

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Wie kommt man als Sohn eines der erfolgreichsten Sänger des vergangenen Jahrhunderts nur auf die Idee, selbst Sänger zu werden?
Ich bin da eher zufällig reingeschlittert. Ursprünglich war ich Pianist, habe am College Musik studiert und spielte mit einer Band in Disneyland und kleinen Bars. Eines Abends tauchte unser Sänger nicht rechtzeitig auf, er war betrunken. Der Bandleader meinte, ich solle ihn ersetzen. Wieso ich?, fragte ich, ich bin nur der Pianist! Aber er ließ nicht mit sich reden. So wurde ich mit 18 Jahren schweren Herzens Sänger und blieb dabei. Von irgendwas musste ich ja leben. Am liebsten hätte ich nur Songs und Filmmusik komponiert. Davon träumte ich als Junge.

Immerhin nahmen Sie als Sänger sieben eigene Platten auf.
Die Nachfrage nach Frank-Sinatra-Junior-Platten ist gering. Man könnte ruhig behaupten: Es gibt überhaupt keine, gab es nie. Ich habe gearbeitet, aber meine Arbeit hat mich nie zu dem gemacht, was ich erfolgreich nennen würde. Erfolg ist was anderes.

Ihre Stimme war zumindest gut genug, um von ihr leben zu können.
Ich bitte Sie, wir schreiben das Jahr 2015. Wie gut jemand singen kann, spielt überhaupt keine Rolle. Eine Menge guter Sänger da draußen kämpfen um jeden einzelnen Job, den sie nur ergattern können, während irgendwelche Rock- und Rapbands Millionen verdienen. Als ob die Welt vergessen hätte, was Qualität bedeutet. Jetzt wird man mir vorwerfen, ich sei befangen, weil ich nicht die Meinung teile, Musik hätte erst mit Michael Jackson begonnen. Die Musik, die ich mit meiner Big Band mache, stammt aus einer anderen Zeit: George und Ira Gershwin, Orchester mit Gesang, Streichern und Bläsern, am liebsten vierzig Mann stark. Nein, ich konnte mehr schlecht als recht von meiner Musik leben. Meistens habe ich die komplette Gage an meine Band weitergereicht.

Hat Ihr Vater Sie bei Ihrer Berufswahl unterstützt?
Er hat mir die Ausbildung gezahlt, aber darüber hinaus hat er mich nicht unterstützt. Er hat allerdings auch nie versucht, es mir auszureden. Er sagte: Du bist ein Mann, entscheide selbst.

War der Name Sinatra Fluch oder Segen für Ihre Karriere?
Wir sind, was wir sind.

Wäre es mit einem anderen Namen einfacher gewesen?
Keine Ahnung. Wenn ich wiedergeboren werde, wie das einige Menschen glauben, dann werde ich es herausfinden.

Haben Sie unter dem Namen gelitten?
Gelegentlich. Wenn man von einem Zwanzigjährigen erwartete, so gut zu sein wie ein Fünfzigjähriger mit dreißigjähriger Bühnenerfahrung.

Gehen Ihnen die Vergleiche mit Ihrem Vater immer noch auf die Nerven?
Ich hatte sie lange satt, als ich jünger war und unduldsam wie alle jungen Leute. Jetzt bin ich 71, stehe seit 53 Jahren auf der Bühne und muss niemandem mehr etwas beweisen. Fragen Sie nur.

Ihre Stimme, sagt man, wird mit zunehmendem Alter der Ihres Vaters immer ähnlicher. Haben Sie die Lieder Ihres Vaters schon in jungen Jahren gesungen?
Solange er lebte, immer nur eines pro Auftritt. Erst nach seinem Tod 1998 sang ich seine Lieder in einer eigenen Show. Sie hieß »Sinatra singt Sinatra« und sollte sein Leben würdigen. Ich dachte an zwölf, maximal 18 Monate, in denen wir auf Tournee gehen würden. Aber die Zugkraft meines Vaters hat mit seinem Tod kaum nachgelassen. Wir wurden immer wieder gebucht. Das gefällt mir, ich bin sehr stolz darauf.

Sie treten zum Beispiel bei Silvestergalas auf, wie jüngst in Palm Springs, wo Ihr Vater lange gelebt hat. Wie groß ist Ihre Band?
Zum Kern gehören acht Leute, zur größten Besetzung vierzig, je nachdem, in welcher Stärke man uns engagiert. Anlässlich Sinatras hundertstem Geburtstag gehen wir ab Mai wieder auf Tournee. Wir starten in Südkalifornien. Hier in Atlantic City haben wir an den Videos für die Show gearbeitet.

Ihr Vater trat oft in Atlantic City auf.
Er hat die Stadt geliebt, er stammte ja aus New Jersey. Heute ist hier nur noch im Sommer was los. Die Leute haben zu viele Kasinos gebaut und sich ihr eigenes Grab geschaufelt.

Ihr Vater spielte Black Jack. Spielen Sie?
Gelegentlich, ein bisschen. Ich bevorzuge allerdings Roulette, da hatte ich immer mehr Glück.

Frank Sinatra war für Hits wie My Way weltberühmt und hat mehr als 150 Millionen Platten verkauft. Auch Jazzmusiker verehrten ihn. Miles Davis nannte Ihren Vater den größten Jazzsänger des vergangenen Jahrhunderts. Wie erklären Sie sich seinen Erfolg?
Sinatra war ganz bestimmt der beste Sänger für die Art Musik, die er sang. Er hat sie sein ganzes Leben lang weiterentwickelt und kultiviert. Aber er war auch ein exzellenter Musiker und außerdem ein überzeugender Schauspieler, der dem Publikum seine Texte und Geschichten auch verkaufen konnte.

Man sagt, er war ein geborener Entertainer, auch im Privatleben.
Ach. Ich weiß gar nicht, was das bedeuten soll.

Jemand, der es liebte, seine Freunde vom Rat Pack um sich zu versammeln und sie gut zu unterhalten. Es wurde nie langweilig mit Ihrem Vater.
Er mochte das gute Leben. Er genoss die kleinen Freuden und traf sich immer gern mit Freunden aus aller Welt auf einen Drink. Er war ein guter Gastgeber, und ich hoffe, das bin ich auch. Dascha haben Sie vorhin ja schon kennengelernt. Dascha, bitte komm und bring unserem Gast einen Drink. Ein Freund hat mir gerade eine Flasche Wodka nachträglich zum Geburtstag geschenkt.

Haben Sie gefeiert?
In meinem Alter gibt es keinen Grund dafür. Und probieren Sie diese wunderbare Salsa mit den Gurken. Entschuldigen Sie, ich habe den ganzen Tag an dem Video gearbeitet und noch nichts gegessen.

Was hat Ihren Vater zum Star gemacht, zur Legende?
Das Publikum. Die Leute haben seine Art, Musik zu machen, gut aufgenommen, und später auch seine Art, Filmrollen zu spielen. Männer vor Sinatra sangen sehr sanft, sehr romantisch, man nannte sie Crooner, Schnulzensänger. Seltsamerweise hat man Sängerinnen nie so genannt. Rudy Vallée sang jedenfalls in den Zwanzigerjahren durch ein Megafon, Mikrofone gab es da noch nicht; er sang: »Oh, I’m just a vagabond lover.« Vallée war der erste Schnulzensänger. Ein anderer hieß Russ Columbo, er sah ähnlich gut aus wie Rudolf Valentino und ist ähnlich jung gestorben. Als nächstes kam Bing Crosby, der größte Crooner der Dreißiger.

Bing Crosby war das große Vorbild Ihres Vaters.
Richtig. Aber Sinatra hörte alle drei und kombinierte ihre markantesten Eigenschaften zu einem Gesang, der nach keinem von ihnen klang.

Haben Sie die Musik Ihres Vaters als kleiner Junge gemocht?
Ich entdeckte seine Musik für mich erst, als er mit Orchester spielte. Vor 1953 noch nicht, da war er selbst noch Schnulzen-sänger und seine Musik so lieblich wie ein Keks, das Orchester begleitete ihn nur. Ab 1953 wurde es Teil der Show und sorgte für echte Dramatik auf der Bühne, ich spürte, dass da musikalisch etwas ganz Neues entstand. Das war Nelson Riddle zu verdanken, Sinatras Komponist und Bandleader. Ich habe einiges von ihm gelernt und durfte später selbst mal mit ihm arbeiten.

Neben seiner Stimme machten Ihren Vater noch andere Qualitäten zum Star: Er hatte Charisma, er sah gut aus. Als er jung war, fielen einige Mädchen tatsächlich in Ohnmacht, wenn sie ihn sahen. Männer in aller Welt kopierten seine Art, einen Hut zu tragen.
Natürlich besaß er Starqualitäten und Charisma. Aber das lässt sich schwer definieren. Charisma ist eine Art Magnetismus, entweder man hat ihn oder nicht.

Marlene Dietrich, der man auch eine Affäre mit Ihrem Vater nachsagte, nannte ihn den Mercedes unter den Männern.
Nein, das Zitat lautete etwas anders. Sie kam aus einem seiner Konzerte und ein Journalist rief ihr die Frage hinterher, ob es mit Sinatras Stimme wirklich so weit her sei. Sie drehte sich um, schaute den Journalisten so finster an, wie nur sie es konnte, und antwortete: Sinatra ist der Mercedes-Benz der Unterhaltungsbranche. Das war das größte Kompliment, das sie ihm machen konnte.

Welches Auto sind Sie?
Ich bin ein Volkswagen, ein VW Käfer. Mein Vater kostete viel Geld, ich bin das Sparmodell. Der Käfer war das meistverkaufte Auto der Welt. In Kalifornien sieht man ihn an jeder Kreuzung.

Denken Sie viel an Ihren Vater?
Oh ja, besonders jetzt, wo ich für das Video seine Karriere Monat für Monat durchgehe. War viel los in seinem Leben.

Wie oft denken Sie an ihn?
Jeden einzelnen Tag. Oft geht es mir so, dass jemand etwas sagt, was mich an ihn erinnert. Aber das ist nichts Ungewöhnliches. Alle Kinder denken an ihre Väter.

Denken Sie denn an Ihre Mutter genauso oft?
Ja, ich rede sogar jeden Tag mit ihr, Nancy lebt noch. Sie ist 98, hat nie geraucht, selten getrunken und war nie dick. Und sie hatte nie Angst vor Ärzten. Sie lebt allein in Los Angeles, mit einer Haushaltshilfe. Nur Auto fährt sie nicht mehr, sollte sie auch nicht, ich fahre sie jetzt herum.

Sie waren sieben Jahre alt, als Ihre Eltern sich trennten. Haben Sie als Kind Ihrem Vater die Schuld an der Scheidung gegeben?
Natürlich gab ich ihm die Schuld, aber wie sollten kleine Kinder die Probleme ihrer Eltern beurteilen? Jahre später sah ich die Dinge dann etwas anders. Mein Vater war ein Mann mit allen Stärken und Schwächen, die Männer so haben können.

Haben Sie ihm verübelt, dass er das war, was man einen Frauenheld und Schürzenjäger nennt?
Nein. Ich möchte mich nicht zum Richter über den Lebensstil eines anderen Mannes aufschwingen. Es gibt sicherlich Leute, die das Gleiche von mir behaupten würden. Wie sollte ich jemanden für eine Schwäche verurteilen, die ich mit ihm teile? Ich gestehe: Auch ich war ein Schürzenjäger, ich liebe die Frauen immer noch. Ich bin ein Mensch.

Wie war die Beziehung zu Ihren Stiefmüttern?
Ava Gardner, in deren Gesellschaft ich mich zwei- oder dreimal befand, war reizend zu mir, und ich werde sie niemals vergessen. Sie war eine geplagte Seele, die 1990 mit nicht einmal siebzig Jahren einen Schlaganfall erlitt.

Die dritte Frau Ihres Vaters war dreißig Jahre jünger als er und ist sogar ein Jahr jünger als Sie. Dean Martin sagte nach der Hochzeit Ihres Vaters mit Mia Farrow, er trinke Scotch, der älter sei, als sie es damals war.
Ich habe sie nur zweimal persönlich erlebt, da war sie ebenfalls sehr nett zu mir. Auch mit Barbara, seiner letzten Frau, hatte ich keine Probleme.

Mia Farrow wurde jüngst zitiert, nicht Woody Allen sei der Vater ihres Sohnes, sondern Frank Sinatra. Haben Sie Ihren angeblichen Bruder kennengelernt?
Ach, nein, das ist auch Blödsinn. Mia Farrow wurde von einem sensationsgeilen Vollidioten interviewt, der sie fragte, ob sie nach der Scheidung von Sinatra noch Kontakt gehabt hätten, und sie spielte in ihrer Antwort auf das alte Gerücht an: Natürlich, wir haben ja einen gemeinsamen Sohn. Der Journalist hat nicht verstanden, dass sie ihn auf den Arm nahm, und die Antwort ernst genommen. Sie wollte doch nur herausfinden, wie dumm er wirklich war.

Ihre Mutter Nancy Barbato war die Jugendliebe Ihres Vaters, 1939 heiratete er sie. Hat sie ihm vergeben, dass er sie verlassen hat?
Ich habe meine Mutter nie gefragt. Diese Frage hielt ich immer für zu intim. Es sind ihre Gefühle, ich möchte ihre Intimsphäre nicht verletzen.

Wie oft haben Sie Ihren Vater nach der Scheidung gesehen?
Sehr selten. Manchmal kam er noch in Bel Air vorbei und schaute sich mit uns Laurel und Hardy im Fernsehen an, bei Ihnen heißt die Serie Dick und Doof. Er war ständig unterwegs. Auch davor haben wir schon wenig von ihm mitbekommen. Seine Konzerte konnten wir nur während der Sommerferien besuchen, wir gingen ja zur Schule. Und bei den Proben durften wir nie dabei sein, wir hätten zu viel Krach gemacht. Wir erlebten ihn meist nur irgendwo zwischen einer Probe nachmittags und dem ersten Auftritt abends. Manchmal sind wir unter dem Klavier eingeschlafen.

Immerhin durften Sie ihn 1953 zur Oscarverleihung begleiten, als er für seine Nebenrolle in Verdammt in alle Ewigkeit ausgezeichnet wurde. Der Film bedeutete sein Comeback nach drei Jahren völliger Erfolglosigkeit.
Damals war ich zehn. Er nahm Nancy, meine ältere Schwester, und mich mit, Tina war noch zu jung. Nach seinem Comeback, von 1954 bis 1965, drehte er oft zwei, drei, manchmal vier Filme pro Jahr, zwischen den Dreharbeiten nahm er etliche Platten auf und ging auf Tournee.

Wie kommt es, dass Ihre beiden Schwestern Nancy und Tina in Ihren Biografien schrieben, Ihr Vater sei sehr präsent gewesen?
Er hat jeden Tag angerufen und mit uns allen dreien gesprochen, solange wir jünger waren. Jeden einzelnen Tag, wenn er irgendwo auf Tournee oder bei Dreharbeiten war.

Nur wenige Kinder dürften so viel Verständnis für einen abwesenden Vater aufbringen.
Das Showbusiness ist sehr nachtragend. Solange das Publikum nach dir verlangt, muss man die Jobs nehmen, wie sie kommen. Wenn mich junge Schauspieler bei Angeboten um Rat gefragt haben, lautete meine Antwort stets: »Hör zu, mein Junge, nimm den Job an, solange du ihn bekommst. Wenn das Telefon nicht mehr klingelt, wird die Ruhe ohrenbetäubend sein.« Mein Vater nahm das Telefon immer ab. Die Unterhaltungsindustrie ist erbarmungslos. Eine Haltbarkeit von zehn Jahren gilt beim Film schon als großartig. Die Musikproduzenten suchen ständig auf der ganzen Welt nach neuen Gesichtern. Viele der berühmtesten Sänger von vor zehn Jahren sind heute vergessen. Sinatra konnte sich sechzig Jahre halten, das ist eine unglaubliche Zeitspanne. Und er hat in dieser Zeit jede Menge talentierter Leute gesehen, deren Licht von einem Augenblick zum anderen ausging.

»Ich ziehe es vor, mit meinem Kopf zu kämpfen.«

Frank Sinatra mit den Schauspielerinnen Lauren Bacall (links) und Kim Novak, 1956.(Foto: dpa)
Würden Sie Ihren Vater einen guten Vater nennen?
Das war er, auch wenn er in meiner Kindheit selten da war und wir uns nicht nahe standen. Aber sobald ich ein Problem hatte, rief ich an, hinterließ eine Nachricht, und er rief zurück: Du brauchst meinen Rat? Okay, hier ist er. Ich konnte mit jedem Problem zu ihm kommen. Jederzeit, er ignorierte mich nie. Mit meinem Sohn halte ich das genauso. Mike ist 28 Jahre alt, er spricht fließend Japanisch und arbeitet in Japan als Englischlehrer. Meinen Rat kann er immer haben, entscheiden muss er selbst. Wir sind Freunde.

In einer der vielen Dutzend Biografien über Frank Sinatra heißt es, er sei ein sehr zärtlicher Vater gewesen.
Die Legendenbildung bei berühmten Leuten ist ärgerlich. Man sollte die Legende von der wahren Person trennen können. Wer Sinatras Legende umarmt, verliert den Mann aus den Augen. Er war ein normaler Mensch mit guten und schlechten Seiten.

Welche schlechten Seiten hatte er?
Wenn jemand ihn geärgert hat, wurde er schnell ungeduldig. Später hat er das dann bedauert.

Er war als Hitzkopf bekannt und hat einige Schlägereien angezettelt. An Klatschreporter musste er einige Male Schadenersatz zahlen.
Wenn jemand ihm schief von der Seite kam, hatte er das, was man in den Straßen New Yorks ein sizilianisches Temperament nennt. Das hat ihm einige bittere Momente beschert. Ich verliere nicht gern die Fassung, das ist kontraproduktiv und wenig hilfreich. Ich ziehe es vor, mit meinem Kopf zu kämpfen. Möchten Sie noch einen Drink?

Danke, ich setze eine Runde aus. Hat Ihr Vater auch bei seinen Kindern die Geduld verloren?
Natürlich hat er das. Wie alle Eltern. Wenn wir uns schlecht benahmen, verlor er die Fassung.

Hat er Sie geschlagen?
Wenn ich als kleiner Junge etwas angestellt oder falsch gemacht hatte, hat er mir den Hintern versohlt, ja.

Bing Crosby soll seine Kinder regelrecht verprügelt haben.
Ich habe die Gerüchte gehört. Keine Ahnung, ob sie stimmen. Ich bin mit den vier Crosby-Jungs aufgewachsen, sie waren ständig bei uns zu Hause, keiner der Jungs hat mir so etwas erzählt. Jetzt sind sie schon alle tot. Unsere Familien hatten ja die Gemeinsamkeit, einen Weltstar zum Vater zu haben, und Bing Crosby war wirklich einer der Größten, er war brillant. Aber die Crosby-Jungs hatten zudem das Handicap, dass ihre Mutter gestorben war, als sie noch sehr jung waren. Das muss sehr hart gewesen sein. Wie die wahre Beziehung zwischen Bing und seinen vier Jungs war, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ich bin kein Kinderpsychologe. Jede Familie hat mit ihren eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wenn meinem Vater etwas nicht gefiel, ließ er uns das mit Sicherheit wissen. Manchmal schlug er uns, aber ich habe ihn nie unfair oder grausam erlebt. Kinder müssen eben erzogen und diszipliniert werden.

Ihr Vater war für seine Disziplin und Akribie bei Plattenaufnahmen bekannt. Es heißt auch, er rauchte eine Menge, inhalierte aber nie – aus Angst um seine Stimme.
Das stimmt auch nicht. Er rauchte wenig, aber natürlich inhalierte er. Er nahm ein paar Züge und drückte die Zigarette schnell wieder aus. Später dann hat er kaum mehr geraucht.

Auf der Bühne ließ er sich doch immer mit Zigarette und Whiskeyglas blicken?
Zigaretten und Whiskey waren zuletzt nur mehr eine Requisite. Die letzten Jahre, die er auf der Bühne stand, arbeitete ich ja als sein Orchesterleiter. Eine Menge Leute ärgerten sich über seine Zigaretten. Schon wegen der Brandschutzbestimmungen. Sie haben ihn dennoch gewähren lassen.

Sind etwa auch die vielen Trinkergeschichten um Ihren Vater reine Erfindung?
Nein, natürlich hat er getrunken. Er mochte es, ich trinke auch gern. Sie kennen den Satz von Winston Churchill? Jemand fragte ihn, ob er eine Ahnung habe, wie viel der Alkohol ihm raube. Seine Antwort: Ich darf Sie beruhigen, junger Mann, ich habe vom Alkohol weit mehr bekommen, als er mir jemals nehmen kann. Mein Vater brauchte den Alkohol zur Entspannung.

Sie haben nach 1988 sieben Jahre lang für Ihren Vater gearbeitet. Hat er Ihnen den Job gegeben, weil er das Gefühl hatte, Ihnen etwas zu schulden?
Er hat mir überhaupt nichts geschuldet. Er hat mich zur Schule geschickt, mir ein Dach über dem Kopf gegeben und zugesehen, dass ich nie hungrig war. Er hat hart gearbeitet, um meine Schwestern, meine Mutter und mich zu versorgen. Und es war ein gutes Leben für ihn und auch für uns und seine Ex-Frau. Es war eher so, dass ich das Glück hatte, ihm etwas zurückgeben zu dürfen. Jeder Sohn hat das dringende Bedürfnis, seinem Vater etwas zurückzugeben. Ich half ihm, als er Hilfe brauchte.

War die Zusammenarbeit für Sie als Sohn schwierig?
Er hat mich hier in dieser Stadt gefragt, ob ich sein Orchesterleiter werden wolle. Dabei wurde ich nicht engagiert, um das Orchester zu dirigieren, die hätten das auch ohne mich gekonnt. Ich wurde geholt, um ihn zu dirigieren. Er ging auf die achtzig zu, er brauchte Hilfe und konnte die nur von jemandem annehmen, der ihm nahe stand. Sieben Jahre lang sah ich ihn jeden Tag. Sah, wie er jeden Tag älter wurde, ein Stückchen mehr nachließ.

Sie mussten ihm auf der Bühne öfter soufflieren.
Ja. Er vergaß die Texte bisweilen. Irgendwann las er vom Teleprompter ab, aber bald konnte er immer schlechter sehen. Er brauchte mich, und ich war glücklich, dass ich ihm helfen durfte. In dieser Zeit kam ich ihm auch so nah wie nie zuvor.

Auf Tournee mit Ihrem Vater lernten Sie die ganze Welt kennen.
In keinem anderen europäischen Land wurde er so verehrt wie in Deutschland. Die Welt kannte ich schon, weil ich mit meiner eigenen Band überall dahin getingelt war, wo man uns hören wollte. Ich war in 81 Ländern, einige davon existieren gar nicht mehr. Rhodesien etwa. In Japan habe ich sechs Monate gelebt.

Als Sie eine kleine Rolle in einem Film mit Sammy Davis Jr. spielten, einem der besten Freunde Ihres Vaters?
Ja, Ende der Sechzigerjahre. Mein Vater hat schon gegen Rassismus gekämpft, als das noch nicht sehr populär war. Die Fünf-ziger waren eine schwere Zeit für unser Land. Ich mochte Sammy Davis auch gern.

Wer hat eigentlich die Urheberrechte an den Liedern geerbt, die Ihr Vater mitgeschrieben hat?
Jedenfalls niemand aus der Familie. Vor langer Zeit, 1959, hat mein Vater am Lake Tahoe in Nevada ein Kasino gekauft, gemeinsam mit seinem damaligen Manager, der aber mit der Zeit das Interesse daran verlor. Es kam zu Reibereien, bis schließlich mein Vater beschloss, den Manager aus dem Kasino herauszukaufen und ihm zum Tausch sämtliche Urheberrechte an seinen Songs zu überlassen. Das war natürlich ein furchtbarer Fehler.

Am Lake Tahoe wurden Sie mit 19 Jahren auch gekidnappt.
In der Gegend, ja.

Können Sie darüber inzwischen sprechen?
Geht schon, das ist jetzt mehr als fünfzig Jahre her. Damals war es natürlich eine traumatische Erfahrung, eine Waffe an den Kopf gedrückt zu bekommen und gefragt zu werden, ob man die Botschaft versteht. Wie meine Entführer mit mir umgingen, zeigt, was für erbärmliche Feiglinge sie waren.

Man sagt, Ihr Vater sei ein sehr emotionaler Mensch gewesen, während Sie immer eher vernünftig, rational reagieren.
Wer sagt das?

Bill Zehme, ein amerikanischer Moderator und Autor der Sinatra-Biografie mit dem Titel: My Way oder die Kunst, einen Hut zu tragen. Er schreibt, Sie hätten sich die Details Ihrer Entführung so gut eingeprägt, dass es der Polizei später leicht fiel, Ihre Kidnapper aufzuspüren. Auch Ihr Vater hat immer gesagt: Junior ist viel klüger als ich.
Meine Erinnerungen haben der Polizei sicherlich geholfen. Aber mein Vater hätte in dieser Situation genauso überlegt gehandelt. Ich war ein paar Stunden so gelähmt vor Angst, wie viele es wären. Aber die Angst erschöpft sich irgendwann, und der Verstand meldet sich allmählich wieder.

Hat die Entführung das Verhältnis zu Ihrem Vater eher gestärkt oder geschwächt?
Sie hatte überhaupt keinen Einfluss auf unsere Beziehung.

Haben Sie Ihrem Vater nicht insgeheim übelgenommen, keinen seiner Bodyguards gehabt zu haben?
Sicherheitsleute hatte er selbst doch auch nur in Ausnahmesituationen, etwa wenn er nach Hoboken in New Jersey ging, wo er aufgewachsen war. Meinen Vater traf keine Schuld.

Haben Sie sich wirklich entschuldigt, nachdem er für Sie das Lösegeld in Höhe von 240 000 Dollar gezahlt hatte?
Nein. Die Entführung fand im Dezember 1963 statt, wir hatten kurz zuvor noch alle gemeinsam Thanksgiving gefeiert. Meine Mutter war damals eine blühende Frau Anfang vierzig. Nach der Entführung war sie sichtlich gealtert und abgemagert und völlig ausgezehrt. Als die Polizei mich nach drei Tagen nach Hause brachte und ich sah, wie mitgenommen sie war, sagte ich: Es tut mir leid. Ich sagte es nicht zu meinem Vater. Aber ist das nicht irre? Fünfzig Jahre sind vergangen, und ich muss mich immer noch rechtfertigen und meine Worte erklären.

Wer kam auf die Idee, Ihnen zu unterstellen, Sie hätten Ihre eigene Entführung inszeniert, um Aufmerksamkeit für Ihre Karriere als Sänger zu bekommen?
Der Verteidiger der Angeklagten. Zuvor hatte er versucht, mich als Homosexuellen darzustellen, der den Angeklagten gefolgt war, weil er sich von ihnen sexuell angezogen fühlte. Als das nicht funktionierte, versuchte man es mit der Publicity-Masche. Die Jury hat das nicht einen Augenblick geglaubt.

Hatten Sie nach der Entführung Angst, dass so etwas jederzeit wieder passieren könnte?
Nicht besonders, aber ich habe mich anschließend mit Selbstverteidigung beschäftigt, Bücher gelesen, Kurse belegt. Ein Lehrer hat mir beigebracht, wie man jemanden mit bloßen Händen tötet, nur für den Fall, dass es noch mal zu so einer Situation kommen sollte. Ich lernte das nicht unbedingt wegen der Angst, aber meine Mutter hätte das kein zweites Mal durchgestanden. Prüfen Sie mal Ihr Aufnahmegerät. Ich habe es gerade mit Spinat gefüttert. Schmeckt gut, sollten Sie auch probieren.

Sind Sie froh, dass Ihr Sohn kein Sänger geworden ist?
Ich bin froh, dass er sein Schicksal selbst bestimmt.

In den USA leisten sich nur Spielkasinos noch große Orchesterabende.
Und einige wenige Symphoniehallen mit Abonnenten. Niemand will Musiker mehr bezahlen. An den Highschools gibt es auch keinen Musikunterricht mehr. Wir erziehen ein Volk von Idioten.

Haben Sie nie bereut, Musiker geworden zu sein?
Gelegentlich, wenn meine Leute aus der Band mal wieder an einem College unterrichten mussten, hat es mich geschaudert, dass wir so schlecht über die Runden kamen. Aber ich habe nichts anderes gelernt. Eigentlich bereue ich nur, nach der Musikschule nicht noch ein französisches Konservatorium besucht zu haben. Bei Madame Boulanger. Erfolg und Ruhm darf man nicht überbewerten. Albert Einstein hat 1930 seinen Freund Charlie Chaplin zur Premiere von Lichter der Großstadt begleitet. Nach dem Film stiegen sie in ihre Limou-sine, und die Fans warfen sie beinahe um vor Begeisterung. Einstein bekam es mit der Angst zu tun, Chaplin lächelte und winkte. Einstein fragte: »Charles, was hat das zu bedeuten?« Chaplin antwortete nur: »Nichts, Albert, nichts.« Eine bezaubernde Geschichte, wenn sie denn stimmt. Man darf die Vergötterung des Publikums niemals ernst nehmen, so wunderbar diese Liebe auch sein mag. So hat das Sinatra jedenfalls gehalten. Diese Weisheit ging vielen anderen Stars ab, die zu sehr an ihren eigenen Ruhm geglaubt haben und ihn für wahr und wichtig hielten. Welch ein Irrtum.