Sohn Quatsch

Unsere Autorin ist fasziniert von Unge, Deutschlands wohl bekanntestem Youtuber. Doch nicht aus demselben Grund wie ihr Sohn.

Neulich dachte ich noch: Nagottseidank, es ist noch nicht Hopfen und Malz verloren, aus deinem kleinen Sohn wird noch mal was Gescheites. Er hatte über seinen Freund gelacht, der wolle nämlich von Beruf »Youtuber« werden. Mein Sohn will Fußballer werden oder Sänger oder Regisseur, wobei sich von selbst versteht, dass da hinten immer ein –star dran hängt. »Youtuber« fand er dann doch nicht gescheit. Obwohl er Ungespielt, Dner und Paluten natürlich auch kennt und saucool findet. Und weiß, dass man als Youtuber saumäßig viele Fans hat. »Aber«, fragte er sich, »verdienen die auch Geld?«  Ungespielt, auch Unge genannt, hat mehrere hunderttausend Fans, äh, Follower, und ist einer der beliebtesten Video-Blogger Deutschlands. Im echten Leben heißt er Simon Unge und hat sich von der Firma, die ihn mal mit zwei Kanälen vermarktet hat, los gesagt. Ähnlich wie Prince, ein Star, den ich verehre. Den meine Söhne aber genau so wenig (aner-)kennen wie ich The Youtuber formerly known as Ungefilmt.

Mein Sohn hat mir Videos von ihm gezeigt. Unge ist ein sympathischer Dauerquassler mit Dreadlocks, der mal mit seinen Freunden, alle von Beruf Youtuber, auf Longboards von Sylt nach Neuschwanstein fuhr. 39 Tage, 1.300 Kilometer, minutiös per Video-Selfie dokumentiert. Ungespielt wirkte dabei wie ein Sportmoderator, nur dass er all seine eigenen Züge und Schritte auf dem Board, dem Weg ins Bett und zum Supermarkt in Sachsen selbst kommentierte. Wie mein Sohn, wenn er gegen sich selbst Tipp-Kick spielte und dabei Messi, Ronaldo und Fritz von Thurn und Taxis in einer Person war.  Das Longboard hat mein Sohn dann von mir bekommen. Weil ich es cool fand, wie die netten jungen Menschen in ihren Sommerferien kreuz und quer durch die Pampa rollten.  Ein Superstar wurde Unge bei meinem Sohn aber durch Minecraft. Wenn er von der Schule nach Hause kommt, geht er erst mal an meinen Computer und guckt dann Unge beim Minecraft-Spielen zu. Ja, ich fand das anfangs auch eigenartig, und meiner Mutter habe ich es so erklärt: »Minecraft ist ein Computerspiel, bei dem man Welten bauen kann. Dein Enkel hat da mal ein Haus gebaut, ein architektonisches Meisterwerk im Dschungel, Oscar Niemeyer wäre vor Neid erblasst. Dann hat er außen rum noch Landwirtschaft betrieben, er hatte Herden mit Kühen, Schafen und Hühnern. Die hat er stundenlang gejagt.« Dass man auf Minecraft auch anderen, anthropomorphen Figuren hinterherjagt um sie zu töten, habe ich lange selbst nicht mitbekommen. Und der Großmutter verschwiegen. Ihr aber erklärt, dass es die Lieblingsbeschäftigung ihres Enkels sei, Unge beim Minecraft-Spielen zuzusehen und zu hören, wie er jeden seiner Schritte kommentiert. Jeden. »Fritz von Thurn und Taxis ist dagegen ein Schweiger«, habe ich gesagt. Unge sagt so Sachen wie: »Boah! Nice! Jetzt bin ich komplett dia!« (Das heißt, er ist jetzt Diamant, ein wertvoller Aggregat- und Seinszustand in der Minecraft-Welt).

Das Problem ist in der organischen wie in der virtuellen Welt immer dasselbe: Dem Fantum ist eine gewisse Obsessivität immanent. Wenn er könnte, würde mein kleiner Sohn tagelang Unge beim Ballern und Quasseln zugucken. Und leider nicht beim Longboardfahren durch die sächsische Pampa. Was mir, weil ich so altmodisch bin, lieber wäre. Also muss ich ihn immer wieder loseisen. Was er nicht versteht. Also versucht er, seiner Mutter den Youtuber mit ihren eigenen Werten schmackhaft zu machen. Er sagt: »Der ist so nett und er isst sogar vegan! Und, Mama, guck mal, der hat seiner Mami zum Muttertag eine Message geschickt, aus Costa Rica.« Ich war angetan. Nicht nur von dem lieben Muttergruß. Sondern auch, dass Unge mit seinen Youtuber-Freunden jetzt eine Weltreise macht. Und natürlich jeden seiner Schritte über den costaricanischen Strand für uns kommentiert. Ich habe mir das angeschaut, während mein Sohn ungeduldig hinter mir stand. Natürlich wollte er lieber Unge beim Shooten auf Minecraft zuschauen.  Und ich frage mich: Ist das Longboard-Getoure und Weltgereise nur eine Ablenkung? Ein Vorwand? Ein perfider Trick, um ahnungslose Mütter und Großmütter zu besänftigen? Während auf einem anderen Kanal, im Hotelzimmer am schönsten Strand, doch wieder nur Minecraft gespielt wird?Ich werde meinem Sohn auf keinen Fall verraten, dass man damit sehr viel Geld verdienen kann.

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