Klotellas Riesenfurz

Wenn Marken ihre Kunden massenhaft für Werbekampagnen einspannen, geht die Sache oft nach hinten los.

»Riesenfurz« heißt auf Französisch »Maxiprout«, das ist wichtig, denn diese Geschichte einer Niederlage spielt in Frankreich. Im Frühjahr 2015 lud Nutella dort seine Kundinnen und Kunden ein, auf einer Webseite Botschaften auf Nutella-Etiketten zu schreiben und dann Bilder der selbst beschrifteten virtuellen Nutella-Gläser über soziale Netze zu verbreiten: virales Marketing mit kreativem Kunden-Input. Oder, in den Worten von Ferrero Frankreich: »Dites-le avec Nutella«, sagen Sie’s mit Nutella.

Klar war, dass manche Menschen es amüsant finden würden, die weiche, braune Substanz in die Nähe von Ausscheidungsprodukten zu rücken. Dagegen aber hatte der Hersteller vorgesorgt: Wenn man zum Beispiel versuchte, das Wort »Merdella« aufs Eitkett zu schreiben, bekam man die höfliche Mitteilung, die eingegebene Botschaft widerspreche den Nutzungsbedingungen: Natürlich gefällt es Ferrero nicht, wenn seine Haselnusscreme als »Kacke« bezeichnet wird. Öffentlich, auf dem Etikett, in der typischen schwarz-roten Schrift. Oder eben als »Riesenfurz«. Oder, etwas kunstvoller, als »Anusella« oder »Cacatella«.

An dieser Stelle zündete die zweite Stufe des Debakels: Provoziert durch die Unmöglichkeit, Sauereien aufs Glas zu schreiben, zogen Hacker sich die komplette Liste der gesperrten Wörter aus dem Quellcode der Nutella-Seite und veröffentlichten sie. Die Liste ist lang und voller Synonyme für allerhand, was einem im Zusammenhang mit Nutella einfallen könnte. Übersetzt stehen darauf etwa das »Sexspielzeug«, der eher abwegige »Fettpenis«, aber auch Konkurrenzprodukte (»Twix«, »Kitkat«, »Mars«, »Gott«) und Zwanghaftes (»Hitler«, »bin Laden«, »Völkermord«). »Ich möchte dem Marketing-Praktikanten, der die Aufgabe hatte, diese Liste zu schreiben, herzlich gratulieren«, schrieb die US-Foodbloggerin L. V. Anderson, »du hast wirklich ganze Arbeit geleistet.« Was natürlich ironisch gemeint ist, denn auf der braunen Liste von Nutella steht auch alles, was das Produkt mit Übergewicht in Verbindung bringt, und alles, was mit seinen umstrittenen Rohstoffen zu tun hat: »Palmöl« (verboten), bei dessen Gewinnung in »Indonesien« (dito) viele »Orang-Utans« (jawohl) sterben müssen, also offiziell auf gar keinen Fall sterben müssen.

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Am Ende sprach niemand darüber, was für ein sympathischer Brotaufstrich Nutella sei, sondern darüber, was Nutella nicht über sich selbst lesen will – und darüber, warum auf der Liste auch die Wörter »Muslim«, »Jude« oder »lesbisch« stehen. Die Welt des viralen Marketings ist der Pausenhof einer weiterführenden Schule: Es gibt nichts, was nicht als Beleidigung missbraucht werden kann. Zumindest scheint das Nutella seinen französischen Kunden zu unterstellen, was entweder deprimierend engstirnig oder deprimierend lebensklug ist.

Es gibt auch einige andere Fälle, in denen Unternehmen Kunden dazu aufrufen, sich im Internet kreativ zu beteiligen – und in denen die Ergebnisse nicht unbedingt im Sinne der Marke sind. Carsten Rennhak, Professor für Organisationskommunikation an der Universität der Bundeswehr in München, erinnert an den Fall von Chevrolet. User hatten auf einer Webseite die Möglichkeit, Werbefilme für die US-Automarke zu gestalten und hochzuladen. Daraus seien rund 30 000 Filme entstanden, sagt Rennhak. »Aber am meisten wurden die geklickt, die den hohen Benzinverbrauch der Chevy-Modelle anprangerten.« Der Marketing-Experte spricht von einer Art »Kulturkampf«, wenn es um solche Kampagnen geht: »Sobald man Nutzer dazu einlädt, sich mit der Marke zu beschäftigen, beginnt ein Kampf um die Deutungshoheit darüber, wofür diese Marke steht. Und Nutzer fühlen sich doppelt provoziert, wenn sie das Gefühl haben, im Dienste der Marke kreativ eingespannt zu werden – und dann auch noch ihre Freiheit beschnitten wird.«

Vielleicht ist die Nutella-Megafurz-Saga aber noch grundsätzlicher zu verstehen, als Beginn einer Revolution, ein Sturm auf die Etiketten und gegen die Banalherrschaft der Marken, die sich uns immer absolutistischer anbiedern. Koffeinhaltige Erfrischungsgetränke, auf deren Etikett unser Name steht: »Mach dir und deinen Liebsten Freude auf – mit einer individuellen Coke«. Supermarktprodukte, deren Verpackungen aussehen, als wären sie von unseren Kindern für den Schulbasar gestaltet worden. Kartoffelchipstüten mit Schwarzweißfotos wie aus dem Familienalbum, und Kunden sind gehalten, die in nostalgischer Schreibschrift geschwungenen Unterschriften zu dichten: »Was denken die Ladies und Gentlemen auf unseren Chipstüten wohl gerade? Sag es uns!« Keine Ahnung, was Chips-Ladies denken, aber Kunden, die versuchen, solche Aktionen wie die von Nutella zu unterlaufen, denken garantiert vor allem: Produkte, seid doch einfach wieder das überflüssige Zeug, das wir mit einer Mischung aus Vorfreude, Resignation und schlechtem Gewissen aus dem Regal ziehen. Haltet die Klappe und versucht nicht, so nah an uns heranzukommen, als hätten wir mehr mit euch zu tun, als dass wir euch konsumieren und ihr euch dafür bezahlen lasst. Wir sind nicht befreundet. Unsere Beziehung ist rein geschäftlich. Und wenn ihr euch an uns ranwanzt, macht euch darauf gefasst, von uns verarscht zu werden: Wollt ihr unsere Schwarmintelligenz missbrauchen, bekommt ihr Schwarmanarchie.

Auch McDonald’s in Deutschland erlebt gerade, dass seine Marketingkampagne mit Nutzerbeteiligung unfreiwillig abbiegt. In der »Burger Battle« treten User aus den 16 Bundesländern gegeneinander an, Burger-Liebhaber waren eingeladen, neue Kreationen einzureichen, über die dann abgestimmt wurde. Mitte April führte mit weitem Abstand der Vorschlag von einem User namens Christopher aus Bremen, dessen Burger sich bei McDonald’s kaum zum Kassenschlager entwickeln würde. Er besteht nur aus einem Brötchen und einem Hack-Patty und heißt: »HSV Burger – hat nix drauf.«

Illustration: Sebastian Schwamm