»Putzen ist wie Meditation«

Nicole Karafyllis erforscht das Saubermachen. Sie erklärt, was es mit Scham zu tun hat – und warum man eigentlich ohne Handschuhe putzen soll.


SZ-Magazin: Sie sind Philosophin und haben ein Buch über Ihre Leidenschaft für das Putzen geschrieben. Viele Deutsche empfinden Putzen als Qual und beschäftigen nach Möglichkeit eine Putzhilfe. Warum putzen wir so ungern?

Nicole Karafyllis: Das stärkste Argument gegen das Selber-Putzen ist die Zeitverschwendung. Natürlich hat jemand, der um neun Uhr abends aus dem Büro kommt, keine Lust mehr zu putzen. Aber die Leute machen sich etwas vor, wenn sie sagen, sie möchten statt zu putzen lieber etwas Sinnvolles tun, zum Beispiel Sport.

Stimmt das denn nicht?
Fragt man genauer, was sie wirklich machen während der drei Stunden, in denen die Putzfrau da war, haben die meisten keine Antwort. Die Putzfrauen werden oft nicht allein in der Wohnung gelassen, sondern kommen, wenn jemand zu Hause ist. Lustig finde ich auch, wenn die Leute sagen, sie müssten noch aufräumen, weil die Putzfrau kommt. Die brauchen dann viel länger, um die Wohnung für die Putzfrau vorzubereiten, als sie fürs Putzen selbst bräuchten. Das hat weder mit Zeitersparnis noch mit Freiheit zu tun, sondern nur mit neuen Zwängen.

Woher kommt der Widerwille gegen das Putzen dann wirklich?
Da passiert eine Menge unbewusst. Beim Putzen werden wir mit Staub konfrontiert. Wir haben eine tiefe Abneigung gegenüber Staub, denn zu Staub werden wir alle mal. Man könnte sagen, dass der Staub uns an unsere eigene Endlichkeit erinnert. Das ist unangenehm. Über die Jahrhunderte hat sich dieses schwierige Verhältnis auch in der Sprache manifestiert. Wenn es im deutschen Sprachgebrauch ums Disziplinieren oder um Bestrafung geht, sind die Wörter eng mit dem Putzen verbunden: Jemanden abbürsten, jemandem die Fresse polieren. Oder verkloppen, darin steckt das Wort Teppichklopfer.

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Ist das schlechte Image des Putzens auch der Grund, warum Putzhilfen so schlecht bezahlt werden?
Putzhilfen werden nicht so schlecht bezahlt. Um die zehn Euro Stundenlohn ist in Städten durchaus möglich, das ist mehr, als viele Friseure bekommen. Interessant ist, dass bei älteren Leuten oder in Singlehaushalten die Putzfrau die Rolle der Gesellschafterin übernimmt, da geht es nicht nur ums Zeitsparen, sondern um soziale Kontakte. Aber weil Schmutz bei uns nichts Ehrenvolles hat, sind die Menschen, die mit Schmutz zu tun haben, immer eher unten in der Gesellschaft angesiedelt. Da geht es den Putzfrauen wie der Müllabfuhr.

Bevor Gäste kommen, wird oft besonders intensiv geputzt. Also aus Scham?
Wir putzen, weil wir uns wohlfühlen wollen. Es ist ein Zeichen von Höflichkeit, den Gast in eine saubere Wohnung zu bitten. Aber wer sich mit dem Saubersein beschäftigt, muss anerkennen, dass es vorher mal schmutzig war. Und da kommt das Schämen ins Spiel. Diese Scham ist eine speziell im deutschsprachigen Raum verbreitete Haltung, die ihre Ursprünge im Pietismus hat. Schmutz hat eben viel mit dem eigenen Körper zu tun – und deshalb mit Schuld, weil der Körper als sündig angesehen wird. Das geht aus der Körperverachtung hervor, die in den Ursprüngen des Christentums liegt. Es trägt aber natürlich niemand Schuld am Schmutz. Er entsteht einfach, rein physikalisch. Und man muss wissen, dass der Dreck in der Wohnung kein Straßendreck ist, den man von draußen mit hinein gebracht hat, sondern größtenteils aus Hautschuppen besteht, die wir Menschen permanent unbemerkt verlieren.

Schmutz war ja auch lange Zeit ein Gesundheitsrisiko.
Ja, auch deshalb stehen Schmutz und Putzen mit Angst in Verbindung. Aber bei uns braucht keiner Angst vor dem Dreck zu haben. Davon geht kaum mehr eine Gesundheitsgefahr aus. Allerdings gibt es einen Widerspruch. Auf der einen Seite wird sehr viel Desinfektionsmittel verwendet, auf der anderen Seite werden die einfachsten Zusammenhänge in Bezug auf Hygiene nicht beachtet: Heute lauert im Privathaushalt die einzige Gefahr im Biomüll. Wenn der über Tage an einem warmen Platz lagert, oft unter der Spüle, dann macht sich eine mikrobielle Mischung breit, die ziemlich ungesund ist. Eigentlich müsste man sich immer, wenn man den Biomüll berührt hat, die Hände waschen. Aber die Leute ekeln sich stattdessen zum Beispiel vor der völlig harmlosen Mehlmotte.

Finden Sie es nicht widerlich, wenn es in der Müslipackung krabbelt?
Nein, gar nicht. Wenn wir Mehlmotten haben, empfinden wir das als Katastrophe, als persönliches Scheitern oder Versagen. Aber biologisch gesehen sind Mehlmotten nicht so schlimm. Man wirft die Packung weg, und es hat sich erledigt. Diese Tiere sind kein Indikator für die hygienischen Verhältnisse. Es reicht, im Sommer das Fenster zu öffnen, schon fliegen sie rein.

Gibt es eine tolle wirklich neue Erfindung auf dem Putzmittelmarkt?
Die Zusammensetzung der Mittel ist seit Jahrzehnten gleich: Tenside, Kondens- und Duftmittel sind immer enthalten. Nur die Konzentration wird aggressiver. Wenn man ohne Handschuhe putzt, merkt man das. Seit zehn Jahren muss man einfach Handschuhe tragen, weil die Mittel die Haut kaputtmachen. Dabei ist Putzen ohne Handschuhe viel schöner.

Auch wenn Sie die Haare aus dem Duschabfluss ziehen müssen?

Ja, es sind ja meine eigenen oder die von jemandem, den ich liebe. Das ekelt mich überhaupt nicht. Das Putzen mit den Handschuhen nimmt das Sinnliche und ist unpraktisch. Man kann auch nicht so gut kratzen. Putzen bedeutet ja auch immer, etwas zu lösen.

»Glanz steht für die Sehnsucht der Menschen nach einem großbürgerlichen Lebensstil mit viel Silber und lackierten Holzmöbeln.«

Nicole Karafyllis
ist Professorin für Philosophie an der TU Braunschweig. Sie hat auch Biologie studiert und putzt gern - ideale Voraussetzungen, um das wissenschaftlich bisher kaum beachtete Thema Putzen zu untersuchen. (Foto: Peter Pohl)

Die meisten Mittel sind zum Einsprühen und Abduschen gedacht. Wo muss man denn noch kratzen?
Die Putzmittelindustrie vermittelt das Bild, dass der Dreck uns bedroht, sie will, dass wir uns bewaffnen, und verkauft uns Sprühpistolen. Das Versprechen lautet: Ich kann aus der Distanz den Schmutz einsprühen, und er löst sich dann, ganz ohne Anstrengung, von allein. Dabei warnen Armaturenhersteller, dass die scharfen Mittel die Beschichtung der Armaturen zerstören. Dann glänzt es – aber die Bakterien sind immer noch da. Diese Mittel funktionieren wie Make-up. Hartnäckigen Schmutz bekommt man immer noch am besten mit der Wurzelbürste weg. Wir vertrauen dem Glanz zu sehr.

Wie kommt das?

Glanz steht für die Sehnsucht der Menschen nach einem großbürgerlichen Lebensstil mit viel Silber und lackierten Holzmöbeln. Das steckt seit Generationen in uns. Auch der Geruch der Putzmittel täuscht unsere Sinne: Egal ob es wirklich sauber ist – allein der Duft von Zitronen bedeutet Reinheit. Das ist kulturell geprägt, weil schon die Oma mit Zitronensäure putzte. Auch die Römer haben mit Zitrone geputzt. In Südamerika ist Chlor mit dem positiven Reinheitsgefühl verbunden, deshalb mischt man dort in alle Putzmittel etwas Chlor. Europäer finden den Geruch von Chlor eher unangenehm.

Kaum jemand redet offen übers Putzen oder tauscht Erfahrungen aus. Können die Leute überhaupt noch richtig putzen?
Es wird viel Geld für hochwertige Dinge aus guten Materialien ausgegeben, aber keiner weiß, wie man sie pflegt. Da werden teure Dekorationsobjekte aus Zinn gekauft, und beim Putzen zerstört man sie. Oder: Momentan wollen doch alle mit Naturmaterialien bauen und wohnen. Ein Bad aus Schieferstein gefällt vielen. Was die Leute aber nicht wissen: An einer rauen Steinoberfläche bleibt der Schmutz stärker hängen als bei glatten Fliesen. Wenn man dann das falsche Putzmittel verwendet, macht man die teuren Oberflächen auch noch schnell kaputt. Ein Reiniger aus Essig lässt ein Marmorfensterbrett sehr schnell traurig aussehen, weil der Kalk aus dem Stein gelöst wird.

Do-it-yourself boomt, es wird gestrickt, gebastelt und gewerkelt, was das Zeug hält. Vielleicht bekommt durch diesen Trend auch das Selberputzen ein besseres Image?
Das Problem ist, dass beim Putzen nichts entsteht, so wie beim Gemüseanbau oder beim Stricken. Aber, und darauf möchte ich unbedingt aufmerksam machen: Das Selberputzen ermöglicht uns eine der wenigen Pausen von diesem Dauernd-produktiv-sein-Müssen. Selbst das Kochen ist ja jetzt schon normativ aufgeladen, man darf fast gar nicht mehr Spaghetti kochen, weil es gar so langweilig ist und einen als unkreativ auszeichnet. Wer es esoterisch mag, könnte Putzen als eine Art Meditation bezeichnen. Weil die Dinge, die einen umgeben, ganz bewusst wahrgenommen werden, denn zum Saubermachen muss ich sie regelmäßig anfassen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich als Philosophin wissenschaftlich mit dem Putzen zu beschäftigen?
Mein Fachgebiet ist Technikphilosophie, da lag es irgendwann auf der Hand, Putzen als Kulturtechnik zu untersuchen. Es gibt Fachbücher über das Schreiben, Kochen oder das Handwerk, aber nichts übers Putzen. Hinzu kam, dass bei mir zu Hause ein Balkon angebaut wurde und ich damals häufiger geputzt habe als sonst. Dabei habe ich darüber nachgedacht, was ich hier eigentlich tue und warum ich mich schon so oft vor Freunden dafür rechtfertigen musste, dass ich es wirklich gerne tue.

Wie haben Sie das Putzen dann erforscht?
Ich habe viele Interviews geführt – mit Putzfrauen, aber auch mit Kollegen und Studenten.

Studenten, die putzen?
Eben nicht. Man kann wirklich empirisch nachweisen: Je höher der Bildungsgrad, desto schlechter putzen die Leute.

Wird man bei diesem Thema nicht ein bisschen schief von den Kollegen angeschaut?
Nein, schließlich arbeiten ja einige selbst an Themen wie der Philosophie des Fußballs oder des Angelns. Ich mache mich mit dem Buch über das Putzen auch ein wenig darüber lustig, dass wir Philosophen immer häufiger als Lebenshilfe-Ratgeber gesehen werden.

Interessieren sich auch Ihre männlichen Kollegen für das Thema?

Es gibt in der Philosophiegeschichte oft Anekdoten, dass Männern beim Abwaschen die besten Gedanken gekommen sind, zum Beispiel dem Physiker Niels Bohr. Ich hoffe, dass auch im Zeitalter der Geschirrspüler den Männern noch was einfällt. Interessant, dass mich immer nur Frauen fragen, ob Putzen ein weibliches Thema sei. Männer fragen das nie.

Vielleicht, weil Frauen meistens den Haushalt machen und deshalb auch putzen?
Ja, aber wenn Männer putzen, dann sehr systematisch. Sie sehen die Verschmutzung als wissenschaftliches Problem an, als Herausforderung: Wie bekomme ich das Ding jetzt sauber? Sie brauchen auch viel länger als Frauen und putzen oft gründlicher. Und verwenden hauptsächlich Spezialmittel oder kaufen sofort einen Kärcher-Hochdruckreiniger. Frauen putzen mit Universalreiniger. Männer fokussieren, Frauen haben eher den ganzen Haushalt im Blick. Das schlägt sich bis in die Wahl des Putzmittels nieder.

Kochsendungen haben dafür gesorgt, dass auch Männer zugeben, dass sie Spaß am Kochen haben. Vielleicht könnte eine Putzshow das Putzen populär machen?
Das wäre toll. Aber ich bin ganz froh, dass wir keine Putzshows haben. Bevor man als Ergebnis eine ordentlich geputzte Wohnung zeigt, würden wahrscheinlich völlig vermüllte Wohnungen von Menschen gefilmt, die wirklich psychische Probleme haben. So etwas kann man im Fernsehen längst sehen, aber davon hat niemand etwas. Wenn man in eine Buchhandlung schaut, findet man allerdings auch kaum Putzratgeber. Obwohl wir alle putzen müssen.

Putzen ist ja auch einfach mühsam, vielleicht will sich deshalb kaum jemand damit befassen?
Glaube ich nicht. Schauen Sie sich doch um, wie sich die Leute im Garten abrackern. Aber am Ende wächst, gedeiht und blüht halt alles. Man ist glücklich, die Nachbarn loben einen. Bei einem gut gewischten Fußboden ist das offensichtlich nicht der Fall. Wer heutzutage gründlich putzt, hat in unserer Gesellschaft ein Anerkennungsproblem.