Die Rappelkiste

Unsere Autorin findet im Treppenhaus einen mysteriösen Karton – und darin  die Geheimformel zur Rettung des Journalismus. So kommt es ihr im ersten Moment zumindest vor ...

Es ist ein weiße Schachtel mit goldener Schrift. Sie sieht sehr edel aus. »Hochwertiges Papier«, könnte man sagen und: »moderne Typo«. Die Schachtel lag in unserem Treppenhaus. Als ich zum ersten Mal daran vorbei ging, dachte ich: Sicher das Herbstprogramm von einem Verlag. Das lass' ich links liegen. Auch wenn es für mich sein sollte. Ist eh wieder Schrott drin, Liebesgeschichten aus Cornwall, frigide Vampire und Krimis. Als ich zum zweiten Mal vorbei kam, lag das Paket immer noch da. Golden glänzte das Wort: ERFOLGSGESCHICHTEN. Nein, da greifst du nicht zu, sagte ich mir vor, die wollen dich nur ködern. Die wissen, dass du auf Geschichten stehst. Und dann hast du wieder so viel Papier zum Wegschmeißen!

Beim dritten Mal nahm ich es doch - und jetzt ist meine Zukunft gerettet. Um die war es bis dato schlecht bestellt. Sie haben vielleicht schon mitbekommen, ich bin Journalistin, und dem Journalismus geht es an die Substanz. Uns gibt es bald nicht mehr. Weil unsere Branche aus Angst vor dem Tod Selbstmord begeht. Print is over. Digital umsonst. Und Content: pff, viel zu kompliziert! Die meisten der Kollegen, die sich mal wie ich »frei« fühlten, sind keine Journalisten mehr. Sondern Politikberater, Lobbyisten oder PR-Texter, aber eher in der umgekehrten Reihenfolge. Da verdienen sie drei bis fünf mal so viel und werden nicht dauernd öffentlich beschimpft.

In dem Edel-Paket war ein Buch: die Gelben Seiten. Eintausendundacht Seiten dünn bedrucktes Papier. Darauf abertausende von Kontakten, von Aalräuchereien bis Zylinderstifte; plus Stadtpläne und Bezirksdienste und das alles noch mal englisch sortiert. Wow! Hätte mich vorgestern einer gefragt, ob ich mich noch an die Gelben Seiten erinnere, hätte ich nostalgisch geschmunzelt und gesagt: Ja, und weißt du noch, der Braune Bär und die Rote Zora?

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Zwischen Jonglierbedarf und Jugendgästehäusern entdeckte ich sogar Journalisten. Von denen, die ich in Berlin kenne, traut sich einer sogar, öffentlich zu seinem Beruf zu stehen. Auf Papier! Und mit Telefonnummer! Jeder kann ihn anrufen und sagen: »Sie, Herr SoundSo, ich hab da 'ne Leidensgeschichte, die ist von öffentlichem Interesse, vielleicht könn' Se die ma erzähln?« Ich schätze diesen Kollegen schon lang für seinen Mut und seine Haltung. Ich war schwer beeindruckt. Und blätterte den ganzen Abend in diesem wunderbaren gelben Schinken.

Für die Verpackung haben sie hundertpro (Ex-)Kollegen von mir angeheuert. Journalisten denken sich doch so was aus: »Wer durch Gelbe Seiten blättert, bekommt viel mehr als nur die vielen interessanten Inserate zu sehen«, steht da schwarz auf gelb geschrieben und: »Er blättert auch durch die vielen Tausend Erfolgsgeschichten von Unternehmen in Berlin. Wir von Gelbe Seiten würden gerne mehr davon hören!« Und deswegen solle man seine erzählen, hier. So mache man auch Werbung für sein Unternehmen. Der beste Geschichtenerzähler werde dann von einem »Redaktionsteam besucht, interviewt und fotografiert!« Und sogar honoriert!! Das ist unter Journalisten gar nicht mehr so gebräuchlich. Das Honorar gibt's allerdings in Naturalien, gesponserten Naturalien, versteht sich, anders geht das kaum mehr. Blogger werden von S*** gesponsert, Fußballer von A*** bis Z***, Reisejournalisten von T** und Geschichtenerzähler kriegen ein modernes Schreibgerät mit App und einer »persönlichen Gravur«.

Mich rührt das. Es ist herzzerreißend altmodisch. Es ist standhaft. Da glaubt jemand an was. An Informationen! An Rechereche! Manpower! An Papier! Und die Öffentlichkeit! Ob die Gelben Seiten der Ort sein werden, an dem in Zukunft die guten Geschichten gedruckt werden, die anderswo niemand mehr haben will?

Als ich die edle Verpackung meinem Sohn vermachen will, damit er darin seine Loseblattsammlungen archivieren kann - auch so ein Dino-Begriff -, fällt mir der Adressaufkleber auf der Rückseite der Schachtel auf. Die »Erfolgsgeschichten« sind für den Psycho-Coach in unserem Haus. Der, bei dem ich schon mal klingeln wollte, als ich mit meinem Beruf gehadert habe. Und eine Nachfrage beim Verlag erbringt die Info dass die Gelben Seiten auch nicht generell in diesem schicken Karton ausgeliefert werden - den bekommen nur Inserenten. Sei's drum - ich werde die Gelben Seiten im Auge behalten.