Hier gibt es nichts zu sehen

Der deutsche Fotograf Günter Standl schärft den Blick auf jene Geräte, die den Blick aller Touristen versperren: die Aussichtsfernrohre.

Höchstwahrscheinlich kannten die Urmenschen das Wort »Standortvorteil« nicht, aber zu nutzen wussten sie ihn durchaus schon. Sie kletterten auf Bäume, um den Feind früh genug zu sichten, oder stiegen mal eben auf einen Maulwurfshügel, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Mit dem Aufkommen des Fremdenverkehrs kam der Aussicht eine neue, bedeutungsvollere Rolle zu, man erfand hilfreiche Sachen wie den Aussichtspunkt, die Aussichtsplattform oder den Aussichtsturm. Der moderne Tourismus schließlich brachte die ultimative Sichthilfe hervor: das Aussichtsfernrohr.

In seiner kostenpflichtigen Variante heißt das Gerät nüchtern Münzfernrohr, im Englischen hingegen hat man ihm einen geradezu anmutig klingenden Namen gegeben: coin-operated binocular. Das Prinzip ist simpel: Geld rein, Blick frei. Auf die Idee, die Dinger im Kontext ihrer jeweiligen Landschaft zu fotografieren, kam Günter Standl, aus Laufen an der Salzach stammender Bildjournalist mit Schwerpunkt Reise und Architektur, vor etwa zehn Jahren in Bangkok. Dort drängte sich eine Menschentraube hinter der Glaswand eines mehrstöckigen Einkaufszentrums um ein Münzfernrohr, um die Skyline der Stadt zu bewundern. Das hätten sie ohne den Guckkasten besser und billiger haben können.

Darüber wunderte sich Standl und auch über seine anschließende Beobachtung: »Als die Menschen weg waren, wurde das Fernrohr zur Skulptur.« Seitdem lichtet er Münzfernrohre auf seinen Reisen durch die Welt immer wieder als solche ab. Liebgewonnen hat er sie auch wegen der enormen Vielfalt ihrer Bauart. Manche ähneln Flugabwehrgeschützen, einige sehen aus wie besonders gruselige Beispiele aus der Gerätemedizin, andere erinnern an ein Mikrofon, vor das sogleich Billie Holiday treten könnte. Eines, das aus Castelo de Vide in Portugal, ist sogar selbstgebastelt.

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Ihren Zweck, dem Beobachter sozusagen das »Best of« der Landschaft zu zeigen, erfüllen sie nie. Denn sie verengen den Blick und stanzen ein Loch in das Panorama, das sich dem Touristen in seiner ganzen Pracht darböte, träte er nur zwei Meter zurück. So wird der Wald zum Baumstamm, das Gebirge zum Felsbrocken, der See zur Wasserlache und der Himmel zum blauen Nichts. »Die Natur braucht sich nicht anzustrengen, bedeutend zu sein«, sagte der Schweizer Schriftsteller Robert Walser. »Sie ist es.«

Fotos: Günter Standl