Da seh' ich rot

Seit kurzem regeln in einigen Städten lesbische Ampelfrauen den Verkehr. Die AfD schäumt, unsere Autorin aber träumt von noch kontroverseren Ampelfiguren.

Die AfD hat mich auf eine super Idee gebracht. In einigen Städten, Hamburg, München, Wien, hängen jetzt ja Schwule und Lesben im öffentlichen Raum rum. Auf Ampeln. Wenn man es nicht gesehen hat, kann man es sich kaum vorstellen. Wie wollen die homosexuelle Paare als Piktogramme darstellen?, habe ich gedacht. Ohne dass es zu öffentlichen Ärgernissen kommt.

Aber jetzt haben wir die Bescherung. Zum Christopher Street Day vor einigen Wochen wurden Schablonen vor die Fußgängerampeln gehängt und mirnichtsdirnichts gaben zwei Frauen oder zwei Männer eng umschlungen, Händchen haltend oder mit klopfenden Herzen Signale im Straßenverkehr. Eine wegweisend schöne Kreation der faszinierenden Piktogramm-Kunst.

Ampeln sind dafür wie geschaffen. Denn jeder Mensch, unabhängig von Sprache und kulturellem Background, soll mit einem Blick verstehen, was gemeint ist. Deswegen heißen Ampeln ja auch Ampeln. Das Wort kommt nicht etwa, wie oft behauptet, von der lateinischen »ampulla«, Ölflasche. Nein, Ampel kommt von »amplificare«: erweitern, vergrößern!

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Und genau das ist der Sinn der schwul-lesbischen Ampelpaarungen: den Horizont menschlicher Fantasien und Formationen zu erweitern. Gäbe es den Ost-Ampelmann nicht, den man in Berlin sogar auf Tassen und Taschen kaufen kann, kein Touri würde uns noch glauben, dass es an dieser Stelle mal einen anderen deutschen Staat gab. Jetzt, wo wir bald wieder ein Schloss haben. In Brandenburg gibt es im öffentlichen Raum sogar noch Relikte realsozialistischer Emanzipation: die Ampelfrauen. Die allerdings, unter Piktogrammierern gesprochen, wie die Ampelmänner einer gewissen Mordernisierung bedürften. Die Frauen tragen noch immer Zöpfe und die Männer Hüte. Andernorts gibt es Reiter-Ampeln, Fahrrad-Ampeln und Ampel-Koalitionen, und das ist auch okay so. Es ist Vielfalt und Vielfalt ist Leben.

Die AfD ist natürlich gegen die Genderfizierung des Verkehrs. Auf Ampeln, vermutlich aber auch generell. Sie warnt vor Ablenkung im Verkehr »wenn durch Bilder Assoziationsketten geschaffen werden«. Das - das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen - ist tatsächlich eine ganz große Gefahr! Bilder schaffen irre Assoziationen! Deswegen sind sie auch so geil. Man kommt auf wilde Ideen. Die das Bestehende sprengen und Freiheit und Abwechslung schaffen.

Die bei der AfD sind allerdings ganz schön ausgefuchst. Geradezu perfide. Sie argumentieren nämlich zudem, sowohl in Hamburg als auch in Berlin-Lichtenberg: dass sich »muslimische Mitbürger« durch schwule und lesbische Ampelmännchen und -frauen »beleidigt fühlen beziehungsweise eigene Piktogramme fordern« könnten. Perfide ist das deshalb, weil sich die AfD ja sonst einen Dreck um die Gefühle »muslimischer Mitbürger« schert.

Der Vorschlag ist aber auch eine wunderbare Steilvorlage für die Freisetzung assoziativer Ideenketten. Ich hätte gern: Ampelpiktogramme für Familien, verheiratete und unverheiratete und alleinerziehende und Opas mit Enkel. Ampelpiktogramme für gute Freunde. Für: Mein alter Nachbar wird von seiner Pflegerin mit Kopftuch über die Straße geleitet. Und für: Mein Ex-Freund und sein muslimischer Mitbürger warten knutschend auf Grün.

Die von der AfD müssen dann halt die ganze Zeit stehen bleiben. Am Straßenrand. Und versauern. In einer drögen Welt ohne freie Assoziationen. Weil, sie fühlen sich ja nicht angesprochen. Wenn Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, Frauen mit Kopftüchern, Männer mit Turbanen, offene Beziehungen, Regenbogen-Familien und all die unverheirateten Patchwork-Familien von rot auf grün umschalten. Für die muss dauernd rot sein. Und das ist gut so.

Foto: DPA