»Man muss nicht alles bereden«

Die Schauspieler Frederick Lau und Kida Ramadan sind beste Freunde. Der eine ist 25, der andere 38. Der eine hat deutsche Wurzeln, der andere libanesische. Der eine spielt »Sonne« im Kinoerfolg Victoria. Der andere gibt oft den Drogendealer. Zusammen sprechen sie über ihre Freundschaft     


Kida Ramadan hat schon etliche Tassen Cappuccino getrunken, als Frederick Lau um die Ecke biegt. Es ist zwölf Uhr, die verabredete Zeit. Lau sieht verschlafen aus. Die beiden umarmen sich.

Kida Ramadan Hey Freddy, noch nicht so lange auf, oder?
Frederick Lau Doch, aber ich muss sofort was essen. Mich hat der Rasenmäher geweckt. Ich dachte, Mann, die Nachbarn sind ja wieder früh dran, und hab mich umgedreht, um weiterzuschlafen. Aber irgendwie gings nicht. Also gucke ich aus dem Fenster und sehe meine Frau den Rasen mähen. Da bin ich runter und hab übernommen.
Ramadan Dann brauchst du was Kräftiges. Englisches Frühstück. Oder iss gleich zu Mittag.

Sind Sie füreinander so was wie großer Bruder, kleiner Bruder?
Ramadan Es spielt keine Rolle, wer älter ist. Freddy ist im Herzen viel älter, als in seinem Pass steht. Wir sind auf einer Wellenlänge.
Lau Kida ist schon manchmal weiser als ich. Er hält mich davon ab, Mist zu bauen.

Wie macht er das?
Lau Wenn wir nachts unterwegs sind und ich noch nicht nach Hause will, fragt er mich: Freddy, warum? Dann schickt er mich heim.
Ramadan Wenn ich ein Auto habe, bringe ich ihn.

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Würden Sie sich als beste Freunde bezeichnen?
Ramadan Hätten wir uns früher getroffen, hätten wir uns die Arme aufgeritzt und wären Blutsbrüder geworden. Das war ein Erkennen: Ich wusste sofort, wie er tickt. Und ich wusste, er weiß, wie ich ticke.
Lau Wenn wir zusammen irgendwo sitzen, fühlt sich das gut an. Manchmal verbringen wir einen ganzen Tag im Café, reden eine Stunde nichts, einer liest die Zeitung, andere Leute kommen dazu, aber zwischen uns fühlt es sich niemals an, als müsste einer was bringen oder was sagen.

Wie haben Sie sich gefunden?
Ramadan Wir haben uns auf einer Premiere kennengelernt. Dann bekam ich ein Drehbuch geschickt, las es und dachte, es wäre schön, wenn Freddy mitspielt. Ich habe ihm dreimal geschrieben. Beim dritten Mal habe ich geschrieben: Dicker, treffen wir uns jetzt oder nicht? Dann haben wir uns getroffen, bei einem Billig-Italiener in Schöneberg, auf der Mitte zwischen Steglitz, wo er wohnt, und Kreuzberg, wo ich wohne.
Lau Von da an haben wir uns eigentlich jeden Tag gesehen. So oft es ging. Man wundert sich schon, wenn der andere drei Tage nichts von sich hören lässt. Dann kommen SMS: »Ich vermisse dich.«
Ramadan Wenn sein Handy den ganzen Tag aus ist, mache ich mir Sorgen.
Lau
Dann kriege ich um acht Uhr am nächsten Morgen einen Anruf: Alles in Ordnung bei dir?
Ramadan Wir sind immer in Kontakt. Schicken uns Fotos über WhatsApp. Wir können uns nicht so oft sehen, wie wir wollen. Wir haben ja beide auch zu tun.

Der Film, in dem Sie beide dann mitgespielt haben, heißt Ummah – Unter Freunden. Sie spielen zwei völlig unterschiedliche Typen, wissen extrem wenig voneinander – und doch entsteht eine tiefe Freundschaft. Geht das überhaupt?
Lau Ich glaube, dass man ziemlich schnell spürt, ob jemand gut für einen ist oder nicht, auch ohne dessen Vergangenheit zu kennen. Manchmal hörst du den ersten Satz eines Menschen und weißt, ob er zu dir passt oder nicht. Man spürt seine Loyalität und weiß, dieser Mensch will mir Gutes.
Ramadan In Ummah gibt es eine Szene, da stehe ich vor meinem Laden und gucke nach rechts und nach links die Straße hinunter, weil ich nicht glauben kann, dass ich meinen Freund verloren habe. Als ich im Kino saß und die Szene sah, habe ich Angst gekriegt, so real war das für mich. Ich habe mich nicht getraut, nach rechts zu gucken, wo Freddy saß.

Der französische Philosoph Montaigne schrieb in einem Essay Über die Freundschaft über seinen Freund Etienne de la Boétie und sich: »Wir fühlten uns so miteinander verbunden, dass wir von Stund an ein Herz und eine Seele waren.« Klingt fast wie Liebe.
Ramadan Das hat er gut gesagt. Ich glaube, bei uns war es auch Liebe auf den ersten Blick. Ohne Übertreibung.
Lau Als ich erfahren habe, dass Kida für den Deutschen Filmpreis nominiert wurde, bin ich ins Bad gegangen und habe geweint. Meine Frau kam hinterher, ich hab sie angeguckt und gesagt, Mensch, Kida ist nominiert für den Deutschen Filmpreis. Kida! Ich stand da und sagte zu meiner Frau, ich bin so glücklich, verstehst du das?

Versteht sie das?
Lau Sie weiß, was er für mich ist.

Sind Ihre Frauen eifersüchtig auf Ihre Freundschaft?
Ramadan Meine Frau sagt manchmal: Du magst Freddy mehr als mich. Mein Sohn nennt alle meine Freunde Freddy.  
Lau Es gibt niemanden, dem ich so viel gönne wie Kida. Und ich mache mir auch Sorgen um ihn. Kida streut so viel Salz auf sein Essen. Ich nehme ihm das Salz weg, stelle es woanders hin und sage, bitte, nimm nicht so viel Salz.
Ramadan Freddy und Annika, seine Frau, haben mir zum Geburtstag Meersalz geschenkt.
Lau Weil das gesünder ist.
Ramadan Das hört sich so an, als hätten wir ständig Grund, uns um den anderen Sorgen zu machen, als müssten wir aufeinander aufpassen. Aber meistens geht es uns ja gut. Wir chillen zusammen. Wir sitzen nebeneinander, gucken in den Garten und machen nichts.

Wie viel Ehrlichkeit gehört zu einer Freundschaft? Und wie viel davon verträgt sie?
Ramadan Wir wissen viel voneinander, aber wir sprechen das nicht unbedingt an. Weil der eine dem anderen nicht wehtun möchte.
Lau Wir wissen selber, was unsere Schwächen sind. Ich muss da nicht in die Kerbe hauen.
Ramadan Man will seinen Kumpel nicht in die Ecke drängen.
Lau Es muss auch nicht alles beredet werden. Man weiß, der andere hat Mist gebaut. Man sieht sich am nächsten Tag, guckt sich an, und nach einer Minute ist es vorbei. Ich habe keine Lust, Kida Vorwürfe zu machen.
Ramadan Mein Bruder hat viel Mist in seinem Leben gebaut. Das habe ich immer über andere gehört. Ich habe ihm nie ins Gesicht gesagt, was ich wusste. Aber ihm war klar, dass ich alles wusste. Auch Freddy und ich reden nicht über Probleme. Wir diskutieren nie. Nur über Fußball. Er ist Dortmund-Fan, ich von Bayern München. Wenn Dortmund verliert, rufe ich ihn einen halben Tag nicht an.
Lau Ich wills auch nicht hören. Da gehe ich nicht ran.

Freunde sind auch ein Korrektiv. Kritisieren Sie sich nie gegenseitig?
Ramadan Doch, natürlich. Er sagt mir, wie ich was besser machen kann in der Arbeit. Oder wenn ich was anhabe, was nicht so gut aussieht.
Lau Aber die Kritik bezieht sich eigentlich nicht aufs Leben und auf die Person an sich.
Ramadan In vielen Dingen sind wir sowieso einer Meinung. Außer beim Fußball. Wir waren auf einer Premiere in München eingeladen, und ich dachte, passend zur Stadt ziehe ich mal mein Bayern-Trikot an. Freddy weigerte sich, mit mir in dem Trikot zur Premiere zu gehen. Ich habs ausgezogen. Für ihn. Hätte man mir 10 000 Euro gegeben, ich hätts nicht ausgezogen.
Lau Man muss Achtung voreinander haben. Auch vor all dem, was anders ist am anderen.
Ramadan Und einander alles gönnen.
Lau Er ist mein Freund, den ich nicht verändern will. Wenn man anfängt, Menschen verändern zu wollen, stimmt was nicht mehr.

Wie wichtig ist Distanz für eine Freundschaft?
Lau Die haben wir automatisch, durch unsere Familien. Kida hat fünf Kinder und eine Frau. Ich bin auch verheiratet, und meine Tochter ist jetzt 14 Monate alt. Zu Hause, in der Familie, ist man ein anderer Mensch als in der Freundschaft.
Ramadan Da trägt man die Verantwortung. Man ist diszipliniert und fürsorglich. Zusammen sind wir wie Kinder. Ich meine, Freddy ist locker zu Hause, ich bin auch locker zu Hause, aber miteinander sind wir freier.
Lau Ich bin gern zu Hause, aber da ist ein anderer Teil von mir gefordert. Den Teil lasse ich zu Hause, wenn ich mich mit Kida treffe. Ich gebe die Verantwortung ab, sozusagen, und lasse mich fallen. Mir kommt es vor, als wären wir zwei Vögel, die auf einem Strommast sitzen und zusammen in die Welt gucken. Wir erzählen uns, was wir gerade im Kopf haben. Wir können ja gar nicht ernst sein.

Was muss eine Freundschaft aushalten?
Ramadan Freundschaft muss nichts aushalten. Wenn man sich vertraut.
Lau In einer Freundschaft muss man sich geborgen fühlen. Man muss sich nichts beweisen. Man steht füreinander ein. Oder man lässt es. Ich bin da schon rigoros. Ich wäre enttäuscht, wenn ich hören würde, dass Kida was Schlechtes über mich gesagt hätte.
Ramadan Richtige Freunde triffst du in deinem Leben vielleicht drei. Alles andere sind Bekannte. Oder gute Bekannte. Aber keine Freunde.

Gibt es keine Konkurrenz zwischen Ihnen?
Ramadan Im Sommer, bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises, hat ja Victoria sechsmal gewonnen. Irgendwann hatte jeder seine Lola, der Regisseur, die Hauptdarstellerin, nur Freddy hatte noch keine. Ich dachte, jetzt gerät er unter Druck. Ich glaube, ich war so aufgeregt wie er. Sein Erfolg ist auch mein Erfolg.
Lau Ich würde nie etwas auf Kida kommen lassen. Ich will ihm nur das Beste.
Ramadan Das ist so eng wie Familie. Für Freddy würde ich alles tun. Das ist auch verpflichtend. Ich könnte mir nie vorstellen, mit Freddy eine Woche Streit zu haben. Das geht einfach nicht. Ich hab Kumpels, mit denen rede ich drei Jahre nicht, wenn was war. Mit Freddy kann ich das nicht. Wir streiten uns schon auch. Aber eher kurz, über Kleinigkeiten. Am nächsten Tag rufe ich Freddy an und sag, na, wo biste? Da bleibt nichts zurück. Ich kann ihm nichts übel nehmen.
Lau Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt: Ich kann Kida auch nichts übel nehmen. Und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, bei ihm anzurufen und zu sagen: Es tut mir leid.

Wann ist für Sie eine Freundschaft beendet?
Lau Ein Freund hat mal gegen meine Vorstellung von Loyalität verstoßen. Dem habe ich die Freundschaft gekündigt, Nummer gelöscht, das ganze Programm. Wenn man befreundet ist, dann weiß man, was man tut und was man lässt.

Kommt es vor, dass sich einer von Ihnen nicht genügend vom anderen beachtet fühlt?
Ramadan Wir haben beide Familie und Arbeit, wir haben jeder unser Leben. Wenn er dreht, kann er nicht. Wenn er fertig ist, freut er sich auf seine Frau und seine Tochter. Aber zwischendurch schickt er mir eine WhatsApp, unser Kontakt bricht nicht ab. Ich käme nie auf die Idee, ihm vorzuwerfen: Ich hab dich jetzt eine Woche nicht gesehen, du hättest dich ja mal melden können.
Lau Wir mäkeln nicht aneinander rum. Der andere kann so sein, wie er will, das ändert am eigenen Leben nichts. Es gelten andere Ansprüche an eine Freundschaft als an eine Ehe.
Ramadan Sagen wir es so: Wir führen eine offene Freundschaft.

Wie begrüßen Sie sich?
Ramadan Manchmal küssen wir uns. Manchmal machen wir nur eine Faust. Wenn ich ihn lange nicht gesehen habe, umarme ich ihn. Wenn er was Tolles gemacht hat, umarme ich ihn länger.

Für die Freundschaft, wie Sie sie führen, ist Autonomie genauso wichtig wie Verbundenheit. Können Sie sich vorstellen, mehr zu teilen?
Ramadan Wir sind nicht die Typen, die zusammen einen Laden aufmachen.
Lau Der würde auch nicht laufen.
Ramadan Mein Traum wäre: Freddy und ich als Tatort-Kommissare. Dicker, das wärs. Echte Freunde.
Lau Tatort – ich weiß nicht.
Ramadan Freddy spielt nicht gern Polizisten.
Lau So was wie die Drei ??? wäre lustig. Hobbyermittler.
Ramadan Es kommt ja ständig vor, dass man mich in einem Film besetzt und dann fragt: Hör mal, kannst du den Frederick Lau mal fragen, ob er mitspielt?
Lau Die wissen, ich mache das, damit wir Zeit miteinander verbringen können. Zuletzt haben wir einen Kurzfilm zusammen gemacht, er hat den Vater meiner Freundin gespielt. Es war ziemlich hart, ihm in die Augen zu gucken und nicht zu lachen. Wir haben denselben Humor.

Haben Sie gemeinsame Pläne? Und braucht eine Freundschaft so etwas?

Lau Ich würde gern mit Kida verreisen. Das meiste erleben wir eigentlich getrennt voneinander – wir drehen oder sind mit unseren Familien unterwegs. Zusammen was zu erleben, fünf Tage unterwegs zu sein, das wär schön. Wir würden uns gut verstehen. Ich kenn ja Kida, der schläft auch sehr gern. Als wir in Frankfurt gedreht haben und jeder sein eigenes Zimmer hatte, haben wir trotzdem in einem Zimmer geschlafen.
Ramadan Wir haben denselben Fernsehgeschmack. Wir gucken Shopping Queen und lachen uns kaputt.
Lau Man teilt einfach gern Momente. Aber er schnarcht wie ein Berserker.
Ramadan Wir haben einen Deal: Ich warte, bis er eingeschlafen ist.
Lau Manchmal geht das schief. Dann schüttle ich ihn und sage, gib mir noch mal zehn Minuten.

Fotos: Julian Baumann, Styling: Samira Fricke