Romantischer Stoff

Secondhand-Ware verkauft sich besonders gut, wenn sie Preloved Fashion genannt wird – also Mode, die schon mal geliebt wurde. Entscheidend ist, von wem.

Hatte sich Sankt Martin anders gedacht, geht aber auch so: Am liebsten wird getragen, was andere schon gemocht haben. Mantel von Céline; Jeans beide von Levi's.

Es sind die Mitteilungen an die Verkäufer, die zeigen, was sich verändert hat beim Handel mit gebrauchter Kleidung im Internet. »Danke für die Lederjacke«, steht da zum Beispiel, »ich werde sie mit in den Urlaub nach Kopenhagen nehmen. Freu mich drauf.« Die Käuferin erzählt der Verkäuferin, was sie mit der Jacke erleben möchte, die sie ihr gerade abgekauft hat? Dass sie mit ihr verreisen wird, und auch noch, wohin? Ist das nicht eigenartig? Schon. Aber es ist die logische Stufe einer Entwicklung – nämlich eines Kaufprozesses, der immer persönlicher geworden ist.

Und so fing es an: Seit ein paar Jahren entstehen mehr und mehr Internetseiten, auf denen gut erhaltene, gebrauchte Ware verkauft wird. Genauer: jene Sachen, die ganz vorn hingen im Kleiderschrank, deren Waschgang man immer überwacht hat, um sie gleich an der Waschmaschinentür entgegenzunehmen und hinüberzuretten auf einen Bügel. Besonders beliebt ist kleiderkreisel.de mit 8,5 Millionen Mitgliedern und neunzig neu eingestellten Fotos pro Minute.

Denn beim Kaufen gebrauchter Kleidung ist heute nicht mehr wichtig, möglichst billig zu kaufen, sondern etwas, was zwar getragen wurde, aber dabei besonders geschätzt und gepflegt. Beim neuen Vintage-Shopping geht es um die Aura des Kleidungsstücks. Und deswegen heißt das Kaufen gebrauchter Kleidung jetzt auch nicht mehr secondhand, sondern previously loved. Es geht also um Sachen, die schon mal geliebt wurden. Die Internetseiten, auf denen derlei gebrauchte Kleidung gehandelt wird, heißen dementsprechend auch secondglam oder Preloved Fashion. Mehr als zwanzig Start-ups mit diesem Geschäftsmodell sind in den vergangenen drei Jahren entstanden. Inzwischen gibt es sogar eine Metasuchmaschine für geliebte Ware: prelovedfashionchecker.com. Im Internet ist so ein Vergleichsportal ein sicheres Zeichen dafür, dass eine Idee es geschafft hat.

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Und das Entscheidende an dieser Idee ist nicht das Produkt. Dass Menschen ihre abgelegte Kleidung weiterverkaufen, ist ja nicht neu. Aber beim Secondhand-Shopping ging es um den Käufer, um den, in dessen Hand das Kleidungsstück übergeht, um die zweite Hand, den neuen Besitzer. Im Secondhand-Laden um die Ecke erfuhr man nicht, wer die Vorbesitzerin des Kleides ist, das man gerade kauft, sie blieb anonym, irrelevant. Preloved Fashion aber definiert das Kleidungsstück über die Person, die es verkauft, die es schon getragen und geliebt hat.

Auf Internetseiten wie kleiderkreisel.de kann man die Waren nach mehreren Kriterien vorsortieren lassen – auch nach bestimmten Mitgliedern. Kaufen von Freundinnen, das ist das Versprechen. Die Portale sind gleichermaßen Blog und Social-Media-Account wie auch klassischer Marktplatz. Auf Tictail etwa bekommt jede Verkäuferin eine Internetadresse mit ihrem Namen. Je persönlicher das Verkaufsumfeld, umso besser läuft das Geschäft.

Die Verkäuferinnen erzählen deshalb nicht bloß vom Kleidungsstück, sondern auch von sich: Sie posten Fotos von ihrer Wohnzimmereinrichtung, ihrem Mittagessen und ihrem neuesten Lieblingsausflugsziel. Wie man sich früher über die Musik, die man hört, definiert hat, so tut man es heute über die Produkte, mit denen man sich umgibt. Auf den Fotos der Verkaufsseiten sieht man die Verkäuferinnen auch immer mit dem Kleidungsstück posieren: ein Selfie mit Sideboard aus hellem Holz im Hintergrund, darauf eine Betonvase mit blühenden Tulpen, ein besticktes Kissen in Wolkenform. Ach ja, und man darf annehmen, dass die junge Frau mit den Sommersprossen im Dekolleté jenen Jumpsuit trägt, den sie zum Verkauf anbietet, aber so genau weiß man es nicht, denn das Bild endet unter der Brust. Egal. Darum geht es ja nicht.

Das Selfie verortet das angebotene Kleidungsstück in einem zielgruppenrelevanten Umfeld. Nie zufällig liegt der französische Bildband im Hintergrund, sieht man die Flasche eines bestimmten Getränks, bestimmten Schmuck, eine besondere Wanddeko oder die Farbe der Nägel. Ein Selfie ist eine Komposition, das Ich wird platziert im durchkuratierten Alltag: eine Selbstdarstellung in Codes. Und wenn sich die potenzielle Käuferin in all den Codes wiedererkennt, ist der Jumpsuit doch wohl etwas für sie. Also gleich kaufen.

Und dass das Kleidungsstück auch mal vier Euro mehr kostet als neu im Geschäft, ist dann auch nur logisch. Denn man zahlt für die Marke immer mit, das ist bei Adidas oder Apple ja genauso. Nur ist die Marke hier nicht mehr ein Konzern, sondern die Vorträgerin. Eine sorgsam ausgewählte Bezugsgröße, die den Überfluss ordnet. Ihre Glaubwürdigkeit ist kaufentscheidend.

Modeblogger haben daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Sie bekommen Kleidung von Firmen geschenkt, um sie mit ihrer Persönlichkeit zu adeln, authentisch und nahbar zu machen. Bringt man heute ein Produkt auf den Markt, tritt man nicht in Verhandlung mit Kaufhäusern, sondern man legt einen Onlineshop an und verschickt das Produkt an bekannte Modeblogger. Wenn die das Teil in ihre Garderobe integrieren und davon ein Bild posten, ist das heute mehr wert als eine Erwähnung in einem Modemagazin.

Diese Personalisierung von Kleidungsstücken führt hin und wieder zu Artikelbeschreibungen, die klingen wie ein Tagebucheintrag: »Habe diese Lederjacke in Austin gekauft, und sie hat mich treu begleitet auf meiner Reise durch die USA.« Hier bedeutet previously loved also previously travelled the world. Und das funktioniert. Die Abenteuerjacke geht innerhalb von 18 Stunden weg. Obwohl es sicher schlauer wäre, eine Lederjacke secondhand von irgendjemandem aus Herne zu kaufen, dem sie zu eng war und dessen Kleiderschrank sie deswegen nicht einmal verlassen hat. Aber so eine lahme Geschichte kauft einem natürlich kein Mensch ab.

Foto: Mirka Laura Severa; Styling Almut Vogel