Rage against the coffee machine

Seit Jahren wird jeder Milchkaffee, den unsere Autorin bestellt, mit Schaummalerei verziert. Das war erst nett und hat dann genervt. Jetzt scheint es den Baristakünstlern an den Kragen zu gehen.

(Foto: dpa)

Es gab mal eine Zeit ohne Milchschaum, da trank man einfach Kaffee, schwarz oder weiß. Es war bitter, aber irgendwie ging’s. Bis sich eines Tages, es muss zu Anfang des dritten Jahrtausends gewesen sein, die Schleusen öffneten und unsere Straßen mit Milchschaum überzogen. Heute lebe ich in der Milchstraße, an manchen Vormittagen ist das Kopfsteinpflaster bedeckt von einer Schicht, es flufft und schmatzt, und da rein sind lauter wahnsinnig niedliche Bilder eingerührt: Blätter, Farne, Gesichter, Herzen.

Plötzlich konnte man in »Latte-Art-Tutorials« die Gestaltung der Milchschaumoberfläche von espressobasierten Getränken lernen. Manche schulten um: Der Schauspieler, der früher mal Benny in der Lindenstraße war, ist jetzt Barista in seinem Café. Der Milchschaum wurde zu einer Metapher, ähnlich wie die Bionade. Wir lebten im Bionade-Biedermeier. Und überall: Schaum drüber.

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Jeder Trend, wenn er nur massiv genug rüber kommt, erzeugt irgendwann eine Gegenwehr. So kam es auch zu Maschinen- und den Bilderstürmern. Sie machten kaputt, was sie kaputt machte. Ich glaube, so ist das jetzt auch mit dem Milchschaum. Das Ende der Milchschaum-Ära wird gerade durch eine Raserei besiegelt. Es ist ein Video, das in den letzten Tagen bei Facebook kursierte, aufgenommen in einem Coffeeshop in Canberra. Die Revolte kommt von Down Under: Ein Mann beginnt langsam Milchschaum in eine Tasse einzugießen, setzt kurz an zur Latte Art - schüttet dann aber zu viel Milch hinein, saut mit der Hand noch in der Tasse und in der großen Kaffeepfütze rund um die Tasse rum: fertig ist die Anti-Latte-Art.

Ich habe es bislang etwa zwei Dutzend Male angeschaut und war über mich selbst verwundert: Wie ich darauf starrte, es wie ein Pawlowscher Hund immer wieder anklickte und Lachsalven verschoss. Es hatte einen eindeutig aggressiven Unterton. Ich habe es dann meinen Kindern gezeigt. »Check ich jetzt nicht«, hat mein Sohn gesagt und auf das Video gestarrt. So ist das mit kulturellen Konnotationen. Nicht-Milchschaum-Geschädigte verstehen nicht, wie erlösend es ist, einem Barista dabei zuzuschauen, wie er Latte Art splattert.

Fast fünf Millionen Menschen haben sich den Rage against the Macchiato jetzt schon angeschaut. Wir leben offenbar alle in einem Milchschaumuniversum - und haben es satt. Ich sage jetzt nichts zu den Flüchtlingen. Obwohl mir sehr danach wäre. Vielleicht hängt das eine ja doch mit dem anderen zusammen, die Schaumwelt und die Welt da draußen.