Tausendmal berührt

Silbermond sind zurück - der letzte erfolgreiche Vertreter des Typus »Gitarrenband mit Frontfrau«. Was ist ihr Geheimnis? Die Suche nach einer Erklärung führt unseren Autor zur Apotheken-Umschau.


Silbermond haben ein neues Album, und nein, das sind nicht die mit der »perfekten Welle« oder der »geilen Zeit«. Das waren Juli. Liegt aber nah dran: Beide Bands hatten im selben Jahr, 2004, ihren Durchbruch, bei beiden Bands trugen die Gitarristen enge T-Shirts und Seitenscheitel, bei beiden Bands sang eine Frau auf deutsch. Bei Silbermond hießen die Hits aber zum Beispiel »Symphonie«. Oder »Das Beste«, ein Song, der übrigens auch heute noch jedes Jahr auf hunderten deutschen Landhochzeiten gespielt wird (einfach mal auf Youtube schauen).

Silbermond jedenfalls hat man damals mit Juli und den ebenfalls gerade sehr neuen Wir sind Helden gerne in den Marketing-Schuber »Gitarrenband mit Frontfrau« gesteckt. Aber während keine der anderen Gruppen heute noch Nennenswertes von sich hören lässt, spielen Silbermond im kommenden Jahr unter anderem in der Olympiahalle München, in der TUI Arena Hannover, der Barclaycard Arena Hamburg, der Sparkassenarena Kiel, der SAP Arena Mannheim und der Hanns-Martin-Schleyer-Halle Stuttgart. Das sind dieselben, in denen auch Adele und Helene Fischer auftreten. Die Band ist also elf Jahre nach ihrem Durchbruch nicht nur immer noch da - sie ist auch beliebter denn je. Warum?

Zunächst fällt auf, dass sich Silbermond auch nach Best-of-Album und fünf Millionen verkauften Platten sehr treu geblieben sind. Das neue Album, es heißt »Leichtes Gepäck«, enthält immer noch den gleichen solide gegossenen Poprock mit Texten aus dem Kanon der deutschen Alltagsbefindlichkeit. Die Songs handeln von unnötigem Konsum (»eines Tages fällt dir auf / dass du 99 Prozent nicht brauchst«), von dem Fluch der ständigen Erreichbarkeit (»entferne Akku und SIM / kein Telefon fragt nach ‘ner Pin«) und immer wieder vom Mut zum Abenteuer (»mit feurigem Wind statt Furcht im Rücken / lass' die Angst vorm Scheitern nicht meine Chancen zerpflücken«). Silbermond singen, heute wie vor zehn Jahren, von Themen, bei denen sich viele Leute Rat und Mut erhoffen. Das ist clever.

Gleichzeitig behandeln sie diese Alltagsthemen auf maximal zugängliche Art. Die Worte bedeuten fast immer genau das, was im Lexikon steht, und wenn Metaphern vorkommen, sind sie so mundgerecht geschnitten, dass jeder sie spätestens beim zweiten Hinhören versteht (»Wenn ich noch das Netz such' / suchst du schon das nächste Seil«). Die Platte ist also im ganz wörtlichen Sinn »leichtes Gepäck«, ein Stück schlüsselfertiger und völlig ironiefreier Popmusik, die sich Themen widmet, die jeden irgendwie beschäftigen, und für jedes davon immer gleich eine kleine Lösung anbietet. Eine Art musikgewordene Apotheken-Umschau. Und die hat nicht zufällig 20 Millionen Leser.

Die Frage nach dem sagenhaften Erfolg beantwortet das noch nicht ganz, dafür hilft ein Blick in die musikalische Nachbarschaft. Was die Mischung aus Zugänglichkeit und offen ausgestellter Befindlichkeit angeht, bewegen sich Silbermond nämlich geschickt an der Grenze zwischen Gitarrenpop und, ja, doch: Schlager. Interessant ist dabei, dass Silbermond diese Grenze nie überschreiten, sie lackieren die Emotionen in ihren Songs nicht luftdicht zu wie Helene Fischer - sie verrätseln sie aber auch nicht poetisch wie, sagen wir, Tocotronic. Und genau das dürfte der Unique Selling Point sein: Silbermond rühren nie die ganz süße Sehnsuchts-Soße an, aber sie stellen sich auch nicht kantig in den Raum und riskieren Unverständnis. Diese Mittendrin-Haltung kann man sogar am Albumcover ablesen: Schwarz gefärbte Haare und ein Rocker-Hut, aber keine sichtbaren Tätowierungen. Dafür immer noch das rührende alte Sternchen-Logo, das seit zehn Jahren so aussieht wie ein Wandtattoo im Mehrfamilienhaus. Und so erklären sich dann auch die vielen Brautpaare auf Youtube, die mit feuchten Augen im Gemeindesaal zwischen Alleinunterhalter und Nachtischbüffet »Das Beste« hören: Es ist die unmissverständliche Gebrauchsanweisung für die große Liebe, serviert von Silbermond, der Band der großen deutschen Mitte.

Erinnert an: Angela Merkel
Wer hört das? Die schweigende Mehrheit.
Was dem Album gut tun würde: Nix, das Konzept ist 1-A-wasserdicht.

Foto: Harald Hoffmann/Sony