Folge 30: Der Elternabend

Seit nicht nur zwei, sondern vier Erwachsene ihre Kinder erziehen, trifft sich unsere Kolumnistin regelmäßig zum Elternabend. »Gemeinsames Essen« lautet der Tarnname. Allerdings hat sie einen guten Grund, den Fluchtreflex zu unterdrücken.

Die Bananen werden braun. Jemand hat eine von ihnen angeritzt, Mama, Louise, Martha steht auf der Schale, darunter ein Herz. Es ist Vaterwoche und ich mag keine Bananen, vielleicht sollte ich sie den Nachbarn bringen. Seit ich Teilzeitmutter bin, muss ich mehr entscheiden. Wohin mit den Bananen? Wann sollten 13-Jährige eigentlich schlafen? Musikhören beim Hausaufgaben machen? Bisschen Bier? Quatsch. Wenigstens alkoholfreies? Nö. Kino an einem Mittwochnachmittag? Noch eine Stunde Internet?

Ich muss entscheiden, was ich für pädagogisch sinnvoll halte, um es mit Jan und Anna und Hannes zu besprechen. Wir versuchen, Wohl und Entwicklungsmöglichkeiten unserer Kinder zu synchronisieren, indem wir gemeinsam Regeln aufstellen, Werte definieren, Haltungen einnehmen. Das ist jedenfalls Plan, deshalb treffen wir uns. Es sind kleine Elternabende, die sich von den großen darin unterscheiden, dass meist Alkohol getrunken wird und Anna sie leichthin »gemeinsame Essen« nennt.

Ich kenne niemanden, der ein entspanntes Verhältnis zu Elternabenden hat. Das Phänomen wurde hinreichend beschrieben. Es lässt sich so zusammenfassen: Man möchte gehen, darf aber nicht. Auch mein Fluchtreflex ist ziemlich ausgeprägt. Zu den Elternabenden in der Schule komme ich spät und gehe mit den ersten. Ich schweige und beobachte, mein Herz klopft schnell. Manchmal schwitze ich. So wie die bin ich nicht, denke ich und will mich abgrenzen. Ich schäme mich fremd. Bin aufgeregt und langweile mich. Ich denke mir Lebensläufe aus. Stelle mir vor, wie Mutter S. Sex hat. Oder Vater M.. Es ist schlimm. Dabei sind manche Diskussionen ganz in Ordnung. Und bis auf ein paar schreiende, vermeintlich durchgreifende Väter gehen alle klug miteinander um. Warum also fliehen?

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Weil ich unwiderruflich drinhänge. Ich bin hier für mein Kind. Und was die anderen Eltern erzählen, geht mich etwas an. Das denke ich, während ich Hannes zuhöre, wie man die Fritzbox programmiert, damit unsere Kinder nachts nicht mehr im Internet surfen können. Donnerstagabend, wir sind bei Jan und Anna, Thema heute: Mediennutzung. Anna ist genervt, sie würde die Smartphones und Tablets am liebsten aus dem Fenster werfen. Jan vermittelt. Ich schweige. Jeder steckt in seiner Rolle. Hannes erzählt, wie er als Kind dies und das erlebt hat. Und weil es auch ein bisschen gemütlich ist, so am offenen Holzofen zu sitzen darf er ausreden. Es ist schon zehn. Ich bin mit dem Rad gekommen. Draußen ist es sicher kalt, ich bin müde.

Elternabende, jetzt auch im eigenen Wohnzimmer. Als wir noch zu viert lebten, konnte ich erlauben und verbieten, was und wie ich wollte. Ich musste mich nicht absprechen, vieles ergab sich wortlos. Ich habe nie Ratgeber gelesen, nie debattiert, immer aus dem Bauch heraus entschieden, und ich finde, meistens richtig. Nun hat sich meine Familie zu einer Erziehergemeinschaft vergrößert, manches muss basisdemokratisch entschieden werden, es macht mich wahnsinnig. Aber ich bin gezwungen herauszufinden, was ich mir für meine Töchter wünsche. Damit bin ich einverstanden.

Illustration: Grace Helmer