Folge 36: Frauentag

Beim ersten Kind dachte unsere Kolumnistin, wer bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordert, hat das Muttersein nicht verstanden. Heute, viele Jahre nach dem zweiten, wäre ihr ein besoffen gestochenes Tattoo weniger peinlich.

Weltfrauentag, mein Telefon blinkt und ich lese, was Politiker und Verbände im Namen der Frauen fordern. Gleichberechtigung. Raus aus der Teilzeitfalle. Mütter müssen schneller wieder Vollzeit arbeiten. Müssen wir das? Wir müssen die Strukturen schaffen, die es uns möglich machen frei zu entscheiden, wie viel wir arbeiten wollen. Ist wohl so gemeint, ich fühle mich trotzdem bevormundet. Wie meine Halbschwester, sie ist 26. Sie möchte Kinder bekommen, irgendwann, und dann wird sie so lange Zuhause bleiben wie sie will. Dafür wird sie sich rechtfertigen müssen, glaubt sie. Vor mir zum Beispiel, merke ich, als ich versuche, sie prophylaktisch vom Glück des Arbeitens zu überzeugen.

Nach 106 internationalen Frauentagen und unzähligen politischen Versuchen ringen wir immer noch um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als wären wir nicht verzweifelt, nicht laut genug. Aber dann fällt mir meine Schwester ein, die erst mal gar nichts vereinen will. Wir werden nie einheitlich kämpfen, denke ich, es geht hier nicht ums Wahlrecht, sondern darum, wie wir Mutter sein wollen. Und das will jede Frau auf ihre Weise.

Ich bin viele Mütter gewesen. Zuerst die Dreijahresmutter: Ich habe Martha umsorgt und Lieder summend in die Welt eingeführt, bis sie in den Kindergarten kam. Abends habe ich Püppchen gefilzt. In dieser Zeit las ich das Interview mit einem Soziologen, der behauptete, die Mutter-Kind-Bindung werde nicht geschwächt, wenn die Mutter vor Ablauf der Dreijahresfrist sich anderen Dingen widme. Ich schrieb einen empörten Leserbrief, der abgedruckt wurde. Ein besoffen gestochenes Tattoo wäre mir weniger peinlich.

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Nach der Geburt meines zweiten Kindes mochte ich nicht mehr so oft summen, ich wollte studieren und fand Fremdbetreuung ganz okay. Geht’s der Mutter gut, geht es dem Kind gut, habe ich unseren Kinderarzt zitiert, bevor ich abends losgezogen bin. Ich habe mich langsam von dem jahrhundertealten Mutterbild emanzipiert, das unsere Gesellschaft prägt und uns bis heute ein schlechtes Gewissen anbietet. Ich hatte das Ideal übernommen wie die Ikea-Regale meines Kinderzimmers, die ich lange normal und dann sehr hässlich fand.

Nein, ich muss nicht ständig präsent sein. Heute weiß ich, ich muss Vollzeit arbeiten, um eine gute Mutter zu sein. Hätte mir jemand das erzählt, während ich Frau Holle filzte, ich wäre sicher ärgerlich geworden. Es wird noch Jahre dauern, bis meine Halbschwestern an dieser Stelle nicken, ich lasse sie in Ruhe. Vielleicht möchten sie auch Vollzeitmütter sein. Dass sie das dürfen, das fordere ich hiermit. Auch wenn ich es sehr schade fände, auf zwei zu verzichten, die mit uns dafür kämpfen, dass Familie praktischer wird. Denn heimlich weiß ich wie jede Mutter auch: Mein Lebensmodell ist schon ziemlich genau das Richtige.

Illustration: Grace Helmer