Penile Bettflucht

Statt im Bett machen 12 Prozent der Deutschen am liebsten Sex auf der Hollywoodschaukel. Aber wie soll das gehen? Unser Autor hat eine überraschende Erklärung.

Manche Sex-Umfrage gibt für einen kurzen Moment tiefen Einblick in die psychische Verfasstheit der Bevölkerung, vulgo Volksseele. Zum Beispiel: Deutschland im weit angebrochenen 21. Jahrhundert, an der Schwelle zu allerhand neuen Zeitaltern, und Millionen von Menschen sehnen sich nach Sex auf der Hollywoodschaukel. Dieses Faktum wirft zwei Fragen auf. Wenn man unter dreißig ist: Sex auf der Hollywood-, äh, bitte, was ist das? Und wenn man über dreißig ist: Wie soll das denn gehen?

Aber der Reihe nach. Ein Online-Einrichtungsportal hat 1.000 Deutsche nach den »beliebtesten Möbelstücken für Sex« befragt. Diese Frage ist an sich unpräzise, aber aufgrund der Ergebnisse unterstellen wir, dass es sich um Möbelstücke handelt, auf denen und nicht mit denen die Deutschen am liebsten Sex haben, denn »Bett« ist auf Platz 1. Allerdings nur bei 40 Prozent: penile Bettflucht. Mit 25 Prozent recht gut platziert: die »Küchenplatte«, womit vermutlich die Arbeitsplatte in der Küche und nicht die Käse-, Schlachte- oder Kuchenplatte gemeint ist. Die Hollywoodschaukel schließt das Feld der beliebten Sexmöbel zwar eher nach unten ab, aber 12 Prozent Zustimmung, das ist ja heutzutage praktisch Volksparteigröße, in vielen Landkreisen Ostdeutschlands läge eine hypothetische Hollywoodschaukel-Partei deutlich vor der SPD.

Die Hollywoodschaukel wurde vor etwa hundert Jahren in England erfunden, ihren Siegezug durch die sexuelle Imagination der Deutschen begann sie aber erst in den Fünfzigerjahren. Im angloamerikanischen Sprachraum heißt sie »porch swing« (USA), Veranda-Schaukel, oder »garden swing« (GB), nur in Deutschland wird sie Hollywood-Schaukel genannt. Vermutlich, weil sie so etwas Weltläufiges, Lässiges, unangestrengt Multifunktionales ausstrahlt. Vor der Hollywoodschaukel kannte man in deutschen Gärten nur schwere Stahlmöbel oder Holzklappstühle, in denen man sich ständig die Finger klemmte, denn die kleinen Sünden bestrafte der liebe Gott sofort, und wenn es nur die Sünde war, draußen zu sitzen und nichts zu tun. Die Hollywood-Schaukel nun hatte nicht nur bunte Muster, heitere Paspeln und Plastikfransen, sie erlaubte einem auch, bei leichtem Regen und starkem Sonnenschein draußen zu sein, denn sie hat ein verstellbares Dach, sie war und ist eine Art Cabrio unter den Gartenmöbeln.

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Und dann natürlich die Schaukelfunktion, die es einem erlaubt, auch langweiligsten Gesprächen im Verwandten- und Bekanntenkreis noch etwas Dynamisches, einen gewissen Ereignischarakter abzutrotzen. Vor allem aber stand die Hollywoodschaukel in den Sechziger und Siebziger Jahren für Erfolg und Lebenskunst: Wer eine Hollywoodschaukel hatte, hatte es geschafft, denn er besaß nicht nur einen Garten oder eine Veranda, sondern auch die aufreizende Unverschämtheit, sich seines Wohlstands und seiner Freizeit nicht zu schämen.

Man kann also davon ausgehen, dass die 12 Prozent der Deutschen, die angeben, dass sie am liebsten auf der Hollywoodschaukel Sex haben, keine besitzen, sondern in Wahrheit eine erotische Nostalgie ausleben. Auf einer Hollywoodschaukel ist außer Plaudern und Rauchen (Lord, Attika, Ernte 23) fast gar nichts möglich, schon Trinken gerät zum komplizierten Kunststück, bei dem man verschiedene physikalische Gesetze zur Trägheit und Impulserhaltung verinnerlichen und gegeneinander abwägen muss, um sich den Persiko nicht übers Nylonhemd zu schütten.

Wie also soll Sex auf der Hollywoodschaukel gehen? Die Sitz- bzw. Liegefläche ist schmal, die Aufhängung fragil, die Destabilisierung durch hochfrequente Schaukelbewegung immens. Sex auf der Hollywoodschaukel kann nur funktionieren, wenn man die Teilnehmerzahl begrenzt auf eine Person. Aha, na klar: Von Sex mit Partner war ja auch gar nicht unbedingt die Rede in der Sexy-Möbel-Umfrage. Und das erklärt auch, warum einem beim Online-Versandhändler zur Hollywoodschaukel unter »Wird oft zusammen gekauft« eine Schutzhülle angeboten wird, »mit Reißverschluss zur Öffnung der Vorderseite«. Von wegen »perfekter Schutz gegen Staub, Regen, Rost und Grünalgen«: Endlich Ruhe, endlich allein!

Illustration: Joe Webb