Wenn Sie über Ostern im Stau stehen und fluchen, dass Millionen andere Deutsche auch an genau den gleichen Tagen ins Grüne/in den Süden/nach Hause wollen, dann habe ich einen Tipp für Sie: Besuchen Sie mich mal in Los Angeles. Danach werden Sie das bisschen Verkehr zuhause entspannt beiseite meditieren.
Los Angeles hat nämlich gerade den ersten Platz gewonnen: Wir sind offiziell die amerikanische Stadt, in der es am meisten Stau gibt. Juchu! Stau-Spitzenreiter! Eine neue Studie vom Institut Inrix hat uns zu den unangefochtenen Siegern erklärt: Jeder Angelino steht pro Jahr 81 Stunden im Stau.
Damit schlagen wir Washington (75 Stunden), New York (73 Stunden) und Chicago (mickrige 60 Stunden). Ich denke, dass wir damit auch im internationalen Vergleich erstklassig dastehen. (Das meine ich ganz unironisch.)
Deutschlands Spitzenreiter Stuttgart (73 Stunden) kann immerhin mit New York mithalten, aber eben nicht mit dem Wahnsinn von Los Angeles. Nur die Snobs in London müssen immer noch eine Nasenlänge voraus sein: Die Londoner stauen sich jedes Jahr im Durchschnitt 101 Stunden; das machen die mit links. Aber wenn Los Angeles so weiter wächst, knacken wir die Marke auch noch.
Los Angeles hat es geschafft, auf 18 Millionen Menschen anzuwachsen, ohne ein funktionierendes öffentliches Nahverkehrs-Netz anzubieten. Die Frage, ob man für eine Recherchefahrt dreieinhalb Stunden in drei verschiedenen Bussen oder eine Stunde im eigenen Auto sitzen möchte, beantwortet sich von selbst.
Es ist immer besonders nett, wenn Freunde und Kollegen aus Deutschland zu Besuch kommen und unbedarft nachmittags um 5 vorschlagen, man könne doch vielleicht zum Dinner nach Hollywood fahren. Ach, wie köstlich, da können wir dann im Auto Fast Food aus dem Drive-in essen und kommen im Restaurant vielleicht gerade noch rechtzeitig zur Nachspeise an.
Man muss in Los Angeles alles rund um den Verkehr planen. Zwischen 11 Uhr und 2 Uhr nachmittags hat man Chancen, einigermaßen pünktlich ans Ziel zu kommen. Ebenso spät nachts und morgens vor 5. Alles dazwischen zählt als Rush Hour.
Wer das Nummer-eins-Erlebnis richtig auskosten will, der nimmt den Freeway 101. Der ist offiziell der längste Parkplatz Amerikas. Die Lösung für den Stau ist natürlich in Amerika nicht, dass man das Fahrrad nimmt, sondern dass man den 101 von acht auf zehn Spuren erweitert. Damit verteilt sich der Stau dann breiter. Wer den 101 zur Arbeit nehmen muss, schlägt sogar die Londoner: 133 Stunden Stau im Jahr. Pro Person!
Wer Spitzenreiter im Stau ist, der hat natürlich auch beim Parken den Bogen raus.
Mein erstes Konzert in der Hollywood Bowl war ein umwerfend beeindruckendes Erlebnis, nicht nur weil Lady Gaga eine grandiose Bühnenshow hinlegte, sondern weil ich keine Ahnung hatte, wie in Los Angeles Parken geht: In das Open-Air-Theater passen 17.000 Besucher, von denen die meisten mit dem Auto kommen. Um diese Autos alle unterzubringen, werden riesige Betonwüsten geöffnet, in denen man für 20 Dollar parken kann. Je dichter, desto besser. Nein, nicht wie bei uns mit markierten Parkplätzen und Durchfahrten: Jeder parkt Nase an Nase, Seitentür an Seitentür, Kotflügel an Kotflügel, Stoßstange an Stoßstange. Damit mehr reinpassen. Die Genialität dieser Methode erschließt sich einem dann erst am Konzertende: Wenn nämlich alle gleichzeitig aus der einzigen Ausfahrt wollen. Und wenn der Vordermann, der einen eingeparkt hat, beschließt, statt zum Auto erst noch auf drei Absacker in die Bar zu gehen, stehen Sie da nachts auf dem Parkplatz und kommen bis um 2 Uhr morgens nicht weg. Dafür können Sie dann beim Warten nochmal drei Stunden Gaga im Autoradio hören.
Denken Sie daran, bevor Sie in Deutschland einen Falschparker als Nachtwächter beschimpfen. Der Wahnsinn hat in Amerika Methode.
Zusammen sind die Amis im letzten Jahr 8 Milliarden Stunden im Stau gestanden. Genau, Sie sehen die Dimension: In der gleichen Zeit fahren die Deutschen 4 Milliarden Mal nach Italien.
In dem Sinne: Gute Fahrt!
Foto: Getty Images/Edwin Beckenbach