Ein Freilichtmuseum des Kommunismus

Transnistrien ist ein Land, das es eigentlich gar nicht gibt. Am Rande von Europa gelegen, befindet es sich seit über zwei Jahrzehnten im politischen Schwebezustand. Die Fotografin Julia Autz verbrachte zwei Monate in dem bettelarmen Land.

Name: Julia Autz
Alter: Geboren 1988 in Heidelberg
Ausbildung: Kommunikationsdesign-Studium mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule Darmstadt
Wohnort: Heidelberg
Homepage: juliaautz.com

SZ-Magazin: Obwohl Transnistrien mitten in Europa liegt, ist es ziemlich unbekannt. Wie entstand die Idee, dorthin zu reisen?
Julia Autz: Das war Zufall. Ich habe lange nach einem Thema für meine Diplom-Arbeit gesucht und über Transnistrien gelesen. Ich selber hatte davor noch nie etwas über das Land gehört, obwohl es so nah ist. Aber ich fand es spannend.

Transnistrien ist ein De-Facto-Regime und international als Staat nicht anerkannt. Hatten Sie Probleme bei der Einreise?
Nein, alles hat gut geklappt. Man braucht kein Visum, die Einreisegenehmigung ist erstmal nur einen Monat lang gültig. Danach kann man sich wieder eine neue holen. Ich hatte schon Angst, dass meine nicht verlängert wird. Man weiß ja nie, wie sehr man beobachtet wird; die Überwachung durch den KGB ist schon sehr stark. Ich wusste also nie, ob die irgendetwas Auffälliges finden.

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Haben Sie sich unsicher gefühlt?
Nein, unsicher nicht. Wegen meiner Kamera war ich anfangs schon vorsichtig, in diesem fremden Land, in dem ich die Sprache nicht beherrsche und die Leute nicht einschätzen konnte. Aber es ist nichts passiert, ich konnte mich überall frei bewegen.

Was reizt Sie an dem Ort?
Transnistrien wird immer als das »Freilichtmuseum des Kommunismus« bezeichnet. Und ich hatte wirklich das Gefühl, die Zeit dort sei stehen geblieben. Außerdem ist es interessant, dass es die Grenze zwischen dem russischen und dem europäischen Kulturkreis markiert. Und die Diskrepanz zwischen der älteren und der jüngeren Generation dort fand ich interessant.

Wer sind die Menschen auf Ihren Fotos? Fremde?
Teilweise waren es Fremde, die ich einfach auf der Straße traf. Mit denen konnte ich oft kein Wort reden. Manchmal waren es aber auch Leute, die ich über Bekannte kennenlernte. Die habe ich dann oft in ihren Wohnungen fotografiert. Es gibt da dieses Foto von dem Mädchen, das auf dem Dach raucht. Das war auch so ein Zufall. Eigentlich hatte es den ganzen Tag in Strömen geregnet und ich wollte gar nicht mehr rausgehen. Irgendwann kam dann aber doch noch die Sonne und ich bin losgezogen. Das Mädchen stand mit einer Freundin vor einem Hochhaus. Erstmal habe ich vorsichtig gefragt, ob ich ein Bild machen kann, dann waren die so nett, dass sie mich mit aufs Dach nahmen. Geredet haben wir über den Google Translator.

Das Land liegt an einer Grenze: auf der einen Seite bemüht sich Moldawien um einen Beitritt zur EU, auf der anderen Seite fühlen sich viele Bewohner der Ukraine vor allem Russland zugehörig. Hatten Sie den Eindruck, dass Transnistrien »zerrissen« ist?
Dort wollen eigentlich alle den Anschluss an Russland. Putin wird als großer Volksheld gefeiert und mit dem Westen kann man nicht viel anfangen. Ich glaube, 90 Prozent der Leute möchten zu Russland gehören.

Waren die Menschen Ihnen gegenüber deswegen skeptisch?
Sie waren eher neugierig, vor allem die Jugendlichen. Für die war ich total interessant. Beispielsweise war ich einmal zu Besuch in einer Schule. Der dortige Englischlehrer erzählte den Schülern, wo ich schon überall einmal gewesen war. Für Europäer oder Deutsche eigentlich ganz normale Reiseziele, für die Kinder war das aber wirklich etwas Besonderes. Ihre erste Frage war dann, ob ich schon einmal in Disneyland gewesen sei. Viele von denen haben natürlich kein Geld zum Reisen oder gehen wenn dann nach Odessa, Moskau oder irgendeinen Ort in der Region.

Der Transnistrien-Konflikt ist bis heute ungelöst, gilt aber als »eingefroren«. Kam Ihnen das Leben dort auch eingefroren vor?
Ich hatte schon das Gefühl, dass alles eingefroren ist. Wie gesagt, die Zeit dort scheint stehen geblieben zu sein. Es passiert einfach nicht viel. Vor allem für die Jugendlichen ist das schwierig, da sie wirklich extrem isoliert sind. Ich habe auch keine Familie getroffen, die nicht zerrissen ist. Irgendein Familienmitglied geht immer monatsweise nach Moskau oder St. Petersburg, um Geld zu verdienen. Der Durchschnittslohn in Transnistrien liegt bei 150 Euro.

Sie wollten herausfinden, »wie es ist, in einem Staat zu leben, der nicht anerkannt ist«. Und, wie ist es denn? Macht es überhaupt einen Unterschied?
Ja, ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht. Beispielsweise haben die meisten Leute dort zwei bis drei Pässe. Mit ihren transnistrischen Pässen können sie nicht reisen, also eigentlich gar nichts anfangen. Auch die Universitätsabschlüsse werden international nicht anerkannt. Grundsätzlich hatte ich einfach das Gefühl, dass man den Leuten die Ungewissheit über ihr Land und ihre Zukunft anmerkt.

Gab es ein einschneidendes Erlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ja, es war am 9. Mai. An diesem Tag findet in Tiraspol immer eine große Parade statt. Als ich dort fotografierte, kamen plötzlich Leute vom KGB zu mir und sagten, ich solle aufhören. Bestimmte Dinge in Transnistrien darf man nicht fotografieren, Gebäude vom Militär oder der Regierung zum Beispiel. Auch Soldaten nicht. An diesem Tag war es aber eigentlich erlaubt. Die KGB-Leute erkannten aber sofort, dass ich nicht von ihnen war und befahlen mir, die Bilder zu löschen. Gott sei Dank hatte ich jemanden dabei, der mit ihnen geredet hat, damit ich weitermachen konnte. Danach fühlte ich mich die ganze Zeit beobachtet. Später ging ich dann in ein Zelt, in dem viele Veteranen saßen und tranken. Wir stießen gemeinsam an. Als ich die Männer fotografierte, kamen die KGB-Leute erneut. Wieder hat mir jemand aus der Situation raus geholfen, später erfuhr ich jedoch, dass die zwei Soldaten, mit denen ich getrunken hatte, den KGB gerufen hatten. Die waren misstrauisch geworden. Das hat mich ziemlich überrascht. Im Nachhinein tat es denen aber leid, sie luden mich und eine Freundin auf eine Tour ein. Wir fuhren zusammen nach Bender, zur Festung Tighina. Im Museum nebenan schenkten sie mir eine Tabakbox und der eine sogar den Gürtel seiner Uniform. Es war ein schöner Tag, obwohl er so schlimm angefangen hatte.

Fotos: Julia Autz