Die letzte Kränkung

Aufgrund der jüngsten Diskussionen darüber, was Satire kann/muss/darf/soll, stellte sich unser Kolumnist die Frage: Wie reagiert man stilvoll auf Beleidigungen? Er fand viele hilfreiche Tipps - und hat jetzt sogar ein paar Ratschläge.

Heute wollen wir einer zunehmend drängenden Frage nachgehen: Wie gehe ich in einer Welt, in der nicht mehr nur Autofahrer, sondern selbst Präsidentschaftskandidaten und Fernsehmoderatoren in noch vor Kurzem undenkbarer Weise einem Hang zu persönlicher Herabsetzung anderer nachgeben, stil- und sinnvoll mit Beleidigungen um?

Den Umgang mit Kränkungen muss der Mensch ja im Laufe des Lebens mühsam erlernen. Schon die eigene Geburt empfindet mancher als Affront, lässt sie in ihm doch das Gefühl zurück, die eigene Mutter habe ihn, seiner Gegenwart überdrüssig, nicht im schützenden Inneren behalten wollen, sondern dem Gleißen eines Kreißsaales ausgeliefert, auch der Ungeschicklichkeit eines nervösen Unbekannten, der sich »Papa« nennt. Man wehrt sich mit Geschrei. Später im Kindergarten warten jene groben Gestalten, die selbst für einen ordentlichen Insult zu blöd sind und »Uhrensohn« rufen, wenn sie einen sehen. Man wehrt sich mit dem Klassiker: »Selber, selber, lachen alle Kälber …«

Nur die wenigsten entwickeln ihre Fähigkeiten mit der Zeit auf die Höhe jener Schlagfertigkeit, von der in einer gemeinhin Lady Nancy Astor (der ersten Frau, die im britischen Unterhaus einen Platz einnahm) und Winston Churchill zugeschriebenen, in Wahrheit jedoch viel älteren Anekdote die Rede ist, der zufolge sie zu ihm sagte: »Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift in den Tee mischen.« Worauf er nach kurzem Blick auf die Dame antwortete: »Wenn Sie meine Frau wären, würde ich ihn trinken.«

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Und auch nicht jeder verfügt über die Entschlossenheit und den so harten wie kahlen Schädel Zinédine Zidanes, der seinem Gegenspieler Materazzi im WM-Finale 2006 den Kopf in den Solarplexus rammte, als der seine Schwester eine »Nutte« genannt hatte.

Was tun? Durch die Presse geht der Fall eines Mannes, der von einem Fernsehkünstler in einem Gedicht … Nun, jeder kennt die Sache. Der Betroffene wehrt sich mit einer Anzeige, doch wurde in diesem Zusammenhang bekannt, dass er bereits an die zweitausend Prozesse laufen hat, in denen er mit rücksichtsloser gerichtlicher Verfolgung gegen kleinste Kleinigkeiten vorgeht und sich damit in einem Maße als kränkbar erweist, dass man ihm auf der Stelle die Lektüre von Die Macht der Kränkung des Gerichtspsychiaters Reinhard Haller ans Herz legen möchte, hierin insbesondere das Kapitel Kränkung als Chance.

»Kränkungen«, schreibt Haller, »können der Selbsterkenntnis dienen, indem sie uns auf unsere sensiblen Stellen, auf verborgene Verletzungen und wunde Punkte hinweisen.« Jeder, der sich gekränkt fühle (und unserem Mann geht es immerzu so), solle den Zustand zur Selbstreflexion nutzen: Was ist mit mir, dass mich bisweilen auch Kleinigkeiten so treffen? Haller empfiehlt, den Kränkungsprozess zu analysieren, was einem (da man dazu beiseite tritt und das Geschehen verlässt) Souveränität verschaffe, »ein Vorteil im Machtspiel, welches ein Kränkungsprozess immer ist«. Auch solle man »in die Haut des Kränkenden schlüpfen«, sich einfühlen, Muster wie Schweigen, Zorn, Rachegefühle, ja, die ganze »Kränkungsspirale« verlassen, vielleicht auch fremde Kulturen betrachten: »Die Sorgen und Nöte anderer Menschen relativieren die eigenen Kränkungsprobleme.« Oberstes Ziel: Gelassenheit und Verzeihen mit entsprechend positiven Auswirkungen auf Bluthochdruck, Kopfschmerz, Muskelverspannungen. »Solange wir unversöhnlich sind, bleiben wir gefangen und geben den Verletzenden einiges an Macht über uns, zu viel an Bedeutung und Einfluss.«

Man kann als Gekränkter lernen aus dem Geschehenen, sein eigenes Leben verbessern, wenn man es richtig macht. Vielleicht muss man sich dazu Zeit nehmen, um der Lektüre und dem Nachdenken Raum zu geben, beruflich etwas kürzer treten vielleicht.

Aber gerade das muss, zumal in diesem Fall, kein Nachteil sein, für niemanden.

Illustration: Dirk Schmidt