Völlig losgelöst

»Tech Wear«, also Kleidung mit Technik drin, ist derzeit das Lieblingsthema der Modeleute. Auch die Bundeskanzlerin möchte vorne dran sein und probierte am »Girls Day« eine intelligente Jacke an, in der sie allerdings keine gute Figur machte. Was nicht an ihr lag.

Wie schaffen es Politiker anderer Länder eigentlich, nicht ständig auf solchen Fotos zu landen? Allein von der Bundeskanzlerin gibt es eine endlose Galerie von Bildern an vorderster Heimatfront: Angie mit Käsewürfel in der Hand auf der grünen Woche, mit Matjeshering im Rachen bei der Schiffstaufe in Sassnitz, im blauen Kittel im Siemens-Werk. Von Claudia Roth will man jetzt gar nicht anfangen. Obama sieht man höchstens mal mit Bierkrug oder Blumengirlande um den Hals. Alles, was optisch noch basisnäher wäre, wird vom Protokoll oder dem First Stylist wahrscheinlich sofort vernichtet oder von der NSA aus dem Netz gefischt.

Neulich hat Angela Merkel beim »Girls Day« im Kanzleramt also brav eine High-Tech-Jacke fürs Foto übergezogen. Der Girls Day soll Mädchen für Technik und naturwissenschaftliche Berufe begeistern, da ist Merkel als Physikerin natürlich ein Top-Testimonial, sicherlich auch persönlich hochmotiviert. Außerdem gehört die Jacke in die Kategorie »Wearables«, der intelligenten, fortschrittlichen Kleidung von morgen. Sie hat einen eingebauten Kilometerzähler, leuchtet im Dunkeln und vibriert, wenn das Telefon klingelt. Kurzum: Mit so einem Ding am Leib ist die Bundeskanzlerin endlich mal wieder ganz weit vorn.

Zu ihrer Verteidigung muss man sagen: Dass sie damit keine besonders gute Figur macht, liegt nicht an ihr. Weder am ewigen Hosenanzug darunter, auch nicht an der Körperform, ausnahmsweise nicht mal an der Frisur. Es liegt vor allem an der Jacke selbst. Wahrscheinlich ist sie nur ein Prototyp, ein Vorführmodell, das Design noch nicht ausgereift. Doch wahrscheinlich wird es auch am Ende kaum besser. Denn das größte Problem mit vielen „Wearables“ ist noch immer, dass sie so scheußlich aussehen, dass die meisten die Technik zum Anziehen dann doch lieber nicht anziehen wollen.

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Legendär sind die Google-Glasses, die bei Diane von Fürstenberg schon 2013 auf dem Laufsteg präsentiert wurden, und selbst dort wie ein schlechtes Star-Trek-Gimmick wirkten. Nicht einmal die Applewatch hat es geschafft, richtig abzuheben. Statt die inneren Werte »smart« in gutes Design zu integrieren, sehen die meisten Sachen stur nach Funktionskleidung aus, um sofort zu signalisieren: »Achtung! Hier steckt total viel Technik drin!« Weil’s sonst womöglich keiner für funktionstüchtig hält, wenn das Teil auch noch gut aussehen würde. Das soll es bei Frauen ja mitunter auch geben, dass die Verpackung bitte nicht zu gut sein darf, wenn es noch um Inhalte gehen soll.

Wearables und High Tech in der Mode sind übrigens auch der Grund, warum das Thema der diesjährigen Mega-Mode-Ausstellung im Metropolitan Museum of Art »„Manus x Machina« heißt. Im Gegensatz zu Merkel, die sich ihre Smart-Jacke immerhin nicht selbst aussuchen konnte, kamen zu der Eröffnungsgala vergangene Woche in New York die meisten Stars vollkommen freiwillig grauenhaft verkleidet.

Sängerin Taylor Swift und Schauspielerin Brie Larson in mottogerechter Kleidung

Beim Stichwort Technik werden offensichtlich alle ästhetischen Synapsen sofort lahmgelegt. Kim Kardashian, Zayn Malik, Taylor Swift, Lady Gaga – nahezu die Hälfte erschien mit möglichst viel Metall am Körper. Alte Robocop-Logik. Gut sah das bei den meisten nicht aus. Nach viel Inhalt allerdings auch nicht.

Wird getragen von: Angela Merkel und anderen Early Adoptern
Das sagt der Entwickler: Unglaublich was dieses Ding alles kann!
Das sagt der Träger: Kann man dieses Ding auch zumachen?
Typischer Instagram-Kommentar: Beam me up, Angie!

Foto: Reuters, AFP