Geld stinkt nicht? Allen Wittman und Andrew Masters lachen laut über diesen ältesten aller alten Sätze: »Natürlich stinkt Geld! Es riecht nach Liquid Ass!« Das muss man den beiden wohl lassen. Liquid Ass, wörtlich übersetzt »Flüssig-Arsch«, ist ein Spray, das absolut grauenhaft stinkt, es ist der mit Abstand meistverkaufte Scherzartikel bei Amazon USA, erfunden von Wittman und Masters. Wie genau der Reichtum der beiden riecht, kann man in der Produktbeschreibung lesen – wenn man kein Problem mit Pfuibäh-Worten hat: Laut Auskunft der Erfinder riecht Liquid Ass wie »fauliger Arschritzen-Gestank mit Noten von totem Tier und frischer Kacke«.
Unappetitlich, ja, aber eben genau der Sinn der Sache. Zugleich ist die Geschichte von Wittman und Masters eine Heldensaga amerikanischen Unternehmergeistes: Mit der richtigen Einstellung kann man selbst dann noch Scheiße zu Gold machen, wenn sie einem bis zum Hals steht.
Und das kam so: Vor 15 Jahren arbeiteten die beiden in der Konstruktionsabteilung eines Lastwagenherstellers in Indiana. Der Firma ging es schlecht, den beiden war klar, dass sie ihre Arbeitsplätze bald verlieren würden. »Wir waren schon dabei, Ingenieure aus Indien einzuarbeiten«, erzählt Wittman, »unsere Abteilung sollte dorthin ausgelagert werden.« Das Verhältnis zu den Vorgesetzten war entsprechend mies, der Wunsch nach Rache wuchs von Tag zu Tag.
In dieser Situation erinnerte sich Wittman an den Stinkstoff, dessen Rezept er als Schüler zufällig entdeckt hatte. Seine Eltern hatten ihm einen Chemiebaukasten geschenkt, der kleine Allen war bald der meistgefürchtete Stinkbomben-Bauer der Highschool, wenn nicht ganz Ohios. »Andrew glaubte mir erst nicht, was das Zeug ausrichten kann«, sagt Wittman. Doch dann sah Andrew Masters, wie sein Kumpel mit ein paar Spritzern das ganze Großraumbüro lahmlegte. Die Ingenieure rannten aus ihren Arbeitskabinen, schauten in jede Ecke, drehten Mülleimer um und diskutierten verzweifelt, woher der bestialische Gestank kommen könnte. In diesem Moment fragte Masters: »Mann, können wir das Zeug nicht irgendwie verkaufen?« Plötzlich war da ein Plan B.
Sie kündigten, holten ihr Erspartes von der Bank und begannen mit 36 000 Dollar Startkapital, beruflich Stunk zu verbreiten. Sie produzierten den Stoff in Serie, nannten ihn Liquid Ass – und warteten. Das war 2005. »Manchmal trudelte nur eine Bestellung pro Woche ein«, sagt Masters. »Und am schlimmsten war: Wir mussten in unserem Produktionsraum auch essen, Lunch auswärts war noch nicht drin.«
Heute ist das anders. Den Durchbruch schafften sie, indem sie Gratisproben an Radiosender schickten, Morning-Show-Moderatoren sind für alberne Themen dankbar. Und als Howard Stern, der Superstar der US-Radio-Talker, Liquid Ass regelmäßig in seiner Show einsetzte, um Menschen hereinzulegen, ging es richtig los. Heute verdienen Wittman und Masters weit mehr Geld als ihre Vorgesetzten damals in der Lastwagenfirma.
Mit denkbar wenig Arbeit: Alle zehn Tage rühren die beiden den Gestank in ihrer »Ass-Factory« an, einer kleinen Werkstatt in North Carolina. Jeweils 200 Liter auf einmal, die sie dann in Handarbeit in kleine Sprühflaschen füllen. Woraus genau sich Liquid Ass zusammensetzt, verraten sie nicht, es soll ein Geheimnis bleiben wie das Coca-Cola-Rezept. An Produktionstagen kommen sie spät nach Hause, an anderen Tagen arbeiten sie nur etwa eine Stunde, um die Fläschchen für Preise ab acht Dollar zu verschicken. Den Rest der Zeit spielt der 46-jährige Wittman Schlagzeug, während Masters, vier Jahre älter, in der Natur von North Carolina herumstreift – sie haben ihre Produktion dorthin verlagert, einfach nur, weil es ihnen besser gefällt als in Ohio. »Ich muss mich immer noch jeden Morgen kneifen«, sagt Wittman. »Es ist ein gottverdammter Traum«, sagt Masters, dann folgt wieder ein Lachen aus den Tiefen zweier Kehlen.
Wie stark die Menschen auf den Geruch reagieren, lässt sich in den mehr als 3000 Kundenbewertungen bei Amazon nachlesen: »Riecht, als hätte es am Vorabend ein ganzes Football-Team am Taco-Stand übertrieben«, schreibt einer begeistert, ein anderer meint: »Wie ein Eimer voll mit Urin, Kotze, Durchfall und einem Waschbären-Kadaver, der eine Woche lang bei 35 Grad in der Sonne stand.« In diesen Bewertungen beschreiben die Käufer nicht nur den Geruch, sondern auch all die kleinen und großen Gemeinheiten, die sie mit Liquid Ass angestellt haben. So entsteht online ein Kompendium der Perfidie. Liquid Ass wird in Aufzügen versprüht, auf Tanzflächen von Hochzeitsfeiern, auf Kopfkissen von Schwiegermüttern. Teilnehmer eines Bibelcamps landen im Krankenhaus (nicht wissend, dass die Flüssigkeit völlig ungefährlich ist), Schulen werden evakuiert, in manchen Bürogebäuden reißen verzweifelte Hausmeister Deckenverkleidungen heraus und entkernen ganze Toilettenräume. Und es gibt auch Eltern, die die Zimmer ihrer pubertierenden Kinder mit Liquid Ass einnebeln – damit diese auf der Suche nach der Quelle des Gestanks endlich mal wieder aufräumen. Unter all den Fieslingen finden sich auch Menschen mit Gewissen. Sie hätten es nicht übers Herz gebracht, das Zeug zu benutzen, schreiben sie: »Das ist kein Scherzartikel, sondern eine Waffe.«
Aber es gibt auch Möglichkeiten, Liquid Ass sinnvoll einzusetzen. Die Substanz hilft in den USA, Katastrophenübungen und Einsatzsimulationen für Soldaten und Sanitäter realistischer zu machen. Es heißt, Liquid Ass komme dem Gestank sehr nahe, den eine Person mit geplatzten Gedärmen verströme, etwa nach einem Bauchschuss. Und weil dieser Geruch bei den ersten Malen so schockierend ist, dass manche Helfer aus der Fassung geraten oder sich übergeben müssen, bereitet man sie nun entsprechend vor.
Zudem, erzählt Allen Wittman, hätten sie neulich von progressiven Verhaltenstherapeuten gehört, die Liquid Ass bei ihrer Arbeit mit Drogensüchtigen verwenden. »Wir wissen noch nicht genau, wie das funktioniert, aber das Geschäft nehmen wir natürlich gerne mit.«
Auch Wittman hat eine neue Verwendung gefunden. »Seit ich von dem Kerl gelesen habe, der wegen Rasens angehalten wurde, habe ich immer eine Flasche im Auto.« Angeblich durfte der Mann ohne Strafe weiterfahren, weil die Polizei Mitleid hatte – er hatte sich schlimm in die Hose gemacht und wollte nur schnell nach Hause. Aber das eigene Auto verseuchen, um sich die paar Dollar für das Knöllchen zu sparen? »Ich merke natürlich immer noch, dass Liquid Ass echt nicht gut riecht«, sagt Wittman, »aber im Grunde habe ich mich daran gewöhnt.«
Fotos: Frank Bauer; Natalie Neomi Isser