Feierabend

Auch Barkeeper gehen mal was trinken. Acht von ihnen verraten ihre Lieblingsbars.

    Charles Schumann
    Schumann’s Bar, München

    2000 Bars gibt es in Tokio, die meisten findet man nicht, so versteckt liegen sie, oft auf irgendeinem Geschoss in einem ganz normalen Wohnhaus. Klein sind sie, die Mieten sind ja unglaublich, in der Regel muss man Sitzgeld zahlen, damit man einen Platz nicht über Gebühr beansprucht. Und alt sind viele japanische Barkeeper, dagegen bin ich noch richtig jung. Wenn ich einen treffe, sage ich: »Ganbatte« – das heißt: Halt durch! Meine Lieblingsbar ist die von Hisashi Kishi. Mit fünfzig ist er vergleichsweise jung. Mein Japanisch ist immer noch schlecht, Kishi spricht kein Englisch, trotzdem bin ich mit ihm befreundet. Wir verstehen uns ohne viele Worte. Seine Bar liegt im Souterrain eines Bürohauses in Ginza, dem Ausgehbezirk Tokios. Kishis Karte ist einfach gehalten: fünf, sechs Klassiker wie Manhattan, Old Fashioned, Whisky Sour, keine Twists, keine Longdrinks.

    Er steht oft noch selbst hinter dem Tresen, an dem nicht mehr als elf oder 13 Leute Platz finden – gerade Zahlen sind in Japan verpönt. Wie auch die unter westlichen Barkeepern verbreitete Unsitte, zu nah am Gast zu sein, der Freund des Gastes sein zu wollen. In der Ecke neben dem Tresen haben nur drei kleine Tische Platz, auch Kishi verlangt Sitzgeld. Er ist – wie viele japanische Barkeeper – ein Meister im Eiswürfelschnitzen und in der mystischen Umgangsregel »Ichigo ichie« – was so viel heißt wie: Die erste Begegnung ist die entscheidende. Sein Service am Gast ist so perfekt, wie er nur in Japan sein kann, jede Bewegung sitzt. Japaner sagen ja, dass Eis, Shaker und Mensch zur Symbiose werden müssen, und man schon am Klang beim Shaken hören könne, ob der Drink perfekt werde. Na ja. In jedem Fall ist Perfektion nicht alles, ein Barkeeper braucht auch Gefühl, Kishi hat das. Er bringt jeden Gast nach draußen vor die Tür und verabschiedet ihn mit einer Verbeugung. Ich mag keine Hunde, aber wenn Kishi sterben würde, ich nähme seinen Hund auf.

    Meistgelesen diese Woche:

    Star Bar Ginza
    1-5-13 Ginza, Chuoku, Tokio 104-0061,
    Tel. 0081/3/35 35 80 05

    Bettina Kupsa
    The Chug Club, Hamburg

    Meine liebste Bar ist immer die, in der ich gerade sitze. Sie verdient vollste Hingabe und hat den Vergleich mit anderen in diesem Moment nicht verdient. Aber es gibt immer wieder unvergessliche Abende in unvergesslichen Bars – wie dieser: der »Kinly Bar.« Seit Jahren verlasse ich mein geliebtes Hamburg, um meinen Geburtstag in einer anderen Stadt zu verbringen. Dieses Jahr fiel meine Wahl auf Frankfurt. Die »Kinly Bar« liegt in einer Seitenstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel. Rotlicht. Schön. Fast wie zu Hause. Eine Treppe führt hinab in die verwinkelte Bar. Das dunkle Holz des Tresens wirkt, als hätte es viele Geschichten zu erzählen. Der frische durchsichtige Eisblock mit eingestanztem Logo der Bar strahlt verhalten. Der Tresen war zum Glück noch unbesetzt. Es war früh, mein Freund und ich wollten nur einen Aperitif trinken. Der Barkeeper: freundlich, aber zurückhaltend. Verlor kein Wort über seinen Rotationsverdampfer oder andere Bar-Technik. Jeder der servierten Drinks war perfekt auf den Punkt, und so wurde aus dem geplanten Apéro schnell eine Reise durch die gesamte Karte der Bar. Um vier Uhr am Morgen verließen wir die Bar mehr als nur gut gelaunt. Allerdings nur, um am nächs-ten Abend wieder da zu sitzen. Und am übernächsten auch.

    Kinly Bar
    Elbestraße 34,
    60329 Frankfurt,
    Tel. 069/27 10 76 70

    Klaus St. Rainer
    Goldene Bar, München

    Der Hinterhof eines chinesischen Restaurants in einer nicht allzu feinen Ecke der Moskauer Innenstadt ist nicht leicht zu finden. Links, hinter Mülltonnen und Sperrmüll, neben einer schweren roten Eisentür ohne Griff klingelt man, dann öffnet der Barkeeper Roman. Ein schmaler Treppengang, tapeziert mit alten chinesischen Zeitungen, führt drei Etagen in die Tiefe, hinter den Reifeschränken für Pu-Erh-Tee gelangt man in die Räume des »Chainaya« mit seinem kleinen gemütlichen Tresen, unter dessen Glasoberfläche es einige Skurrilitäten zu entdecken gibt: alte Shaker und Jigger, kleine Totenköpfe, Opiumpfeifchen, Porzellanaschenbecher. Wo heute die Bar ist, war früher eine Opiumhöhle. In kleinen Separees mit Tischen kann man sich immer noch liegend bedienen lassen. Hinter den Seidenvorhängen sieht man nur Schatten. Ich bevorzuge den Tresen und genieße die Zeremonie der Barkeeper aus nächster Nähe: Der eine bricht den getrockneten Pu-Erh-Teefladen in kleine Stücke und brüht ihn auf, während der andere den ersten Drink zubereitet. Beide mit einer Hingabe, Professionalität und zeitlichen Übereinstimmung, bei der ich stundenlang zusehen kann. Perfekt ausbalancierte, klare Drinks und mehrmalige Aufgüsse des dreißig Jahre lang gereiften Tees, dessen Geschmack sich mit jedem Aufguss verändert, schicken einen auf eine nie erlebte Geschmacks- und Sinnesreise.

    Chainaya Tea & Cocktails 
    1-ya Tverskaya-Yamskaya ulitsa,
    29 bld. 1,
    125047 Moskau,
    Tel. 007/495/967 30 52

    Jörg Meyer
    Le Lion, Hamburg

    Frauen liebe ich eine, Bars Dutzende. Es gibt Bars in verschiedenen Städten und für verschiedene Anlässe. Ich weiß: Nach diesem Prinzip wählen einige Herren auch ihre Frauen – anderes Thema. Vor Kurzem war ich in Paris. Trinken. Und es war Zeit für eine gute Bar. »Bar Hemingway« im »Ritz« ist Pflicht. »Harrys New York Bar« – große Geschichte! Aber wenn Sie mit Parisern trinken möchten, entspannt und bitte dennoch sehr gut? Es trieb mich wieder ins »Mabel«, und ich wurde wieder nicht enttäuscht. Am Ende eines Grilled Cheese Shops findet man dieses kleine »Cocktail Den und Rum Empire« – wie man sich ganz in Pariser Bescheidenheit selber nennt. Guter Champagner, gute Drinks, eine Rum-Auswahl zum Sich-fallen-Lassen, charmante Gäste, aufmerksame Barkeeper. Was fehlt: Pomp and Glory. Gut so.

    Mabel-Bar
    58, rue d’Aboukir,
    75002 Paris,
    Tel. 0033/1/42 33 24 33

    Oliver Ebert
    Becketts Kopf, Berlin

    Wer sich mit Getränken von epischer Wucht schlagen möchte, dessen Finger senke sich auf die Klingel zum »Immertreu«. Hinter der Tür, entlang der Wände, räkeln sich Perlenketten von Flaschen, aber trotzdem funkeln mir aus den Augen des Barkeepers Ricardo Albrecht immer die zwei gleichen Cocktails entgegen: Sazerac und Seelbach. Denn das »Immertreu« verrührt Dämonen von Bourbons und Ryes, die Weltkriegsbunkern, Schiffswracks und Geheimfächern entrissen scheinen. Die von Destillerien stammen, welche nur mehr an Spinnweben über dem Vergessen baumeln und aus denen sich hier Kolossalaromen wie streichelnde Feuersbrünste ergießen. Wer aus anderen denn kulinarischen Erwägun-gen Bars aufsucht, dem sei über das Publikum im »Immertreu« angemerkt, es gibt welches, und über das Interieur, dass es in adäquater Dunkelheit liegt. Mich will das alles nicht interessieren, wenn ich vor meinem Sazerac oder Seelbach sitze und langsam von ihm ein-genommen werde, als verginge ich in einer weiten Landschaft.

    Bar Immertreu
    Christburger Straße 6,
    10405 Berlin,
    Tel. 0049/157/85 92 12 21

    Beate Hindermann
    Victoria Bar, Berlin

    Die »Floridita«-Bar in Havanna ist eine Zeitkapsel, eine Zuflucht, eine Touristenattraktion und seit meinem ersten Besuch vor zwanzig Jahren mein Stammlokal. Der Weg durch Kubas Hauptstadt ist anstrengend, die Bar bietet schon ab mittags einen kühlen Rastplatz. Hier wird gemixt wie zu Hemingways Zeiten. Die halb gefrorenen Daiquiris sind exzellent. Die Barkeeper sind echte Könner, die die Reisegruppen, die nachmittags an den Tresen drängen, geduldig bedienen. Unter dem Vakuum der sozialistischen Verhältnisse hat hier die Aura des eleganten Nachtlebens der Fünfzigerjahre überlebt. Am Abend entfaltet sich die Poesie des Alkohols bei einem El-Presidente-Cocktail. Die kleine Band spielt Boleros. Die Liebe wird süßer. Es werden Zigarren geraucht. Die Freundschaft wird inniger. Im nächsten Jahr treffen wir uns wieder am 30. Mai um 16 Uhr am hinteren Ende des Tresens zum Jour fixe. Wir werden dann anstoßen auf das 200. Jubiläum dieser einzigartigen Bar in dieser unbeschreiblichen Stadt. ¡Salud!

    Floridita Bar 
    Obispo No. 557 esq. a Monserrate,
    Habana Vieja,
    Ciudad de La Habana,
    Tel. 0053/7/867 12 99 

    Gregor Scholl
    Rum Trader, Berlin

    Legendäre Bars laufen Gefahr, schnell zu erfolgreich, zu kommerziell zu werden, überrannt vom falschen Publikum. Ich empfehle lieber Bars, die noch auf dem Weg zur Legende sind. »Smugglers Cove« in San Francisco ist so eine junge Bar, die meiner Vorstellung davon schon ziemlich nahekommt: ein Kellerlokal mit gut gemachtem Piratenambiente, nicht übermäßig groß, mit einer wohltuend sortierten Rumauswahl und einem Schwerpunkt auf würzig gemischten Cocktails. Ein junges Ehepaar führt »Smugglers Cove«. Junge Mixologen neigen ja häufig zur verspielten Alchimistenkunst und einem Overkill an Zutaten, dabei sind es letztlich die einfachen, präzise ausgeführten Cocktails, die glücklich machen. Hier bekommt man sie. Wer nicht so weit reist, dem sei mein Nachbar Franki in der Berliner Bar »Fasanen 47« empfohlen: hat das Ambiente einer Hotelbar, ohne dass ein Hotel dabei wäre. Nach Feierabend in meiner eigenen Bar gehe ich manches Mal noch auf einen Gin and Tonic oder ein Bier rüber – Barmixer trinken ja höchst selten selbst Cocktails.

    Smugglers Cove 
    650 Gough Street,
    San Francisco,
    Tel. 001/415/869 19 00

    Stefan Gabányi
    Bar Gabányi, München

    Eine kleine Höhle, etwas abseits des Berliner Mitte-Zirkus, kein Schild, nur eine Klingel an der Tür. Wer die passiert, geht zweimal um die Ecke und lässt die Welt hinter sich. Ein Raum von schlichter Eleganz, im Zentrum ein eigenartiger Tresentisch, ein Altar beinahe, jedenfalls nicht die übliche Theke. Gerade mal 14 Barhocker bieten den Freunden der hohen Cocktailkunst Platz, um wortkargen Mixologen bei ihrer konzentrierten Arbeit zuzusehen. Im Hinterzimmer laden intime Nischen zum Versacken ein, zum Abgleiten in alkoholselige Träume, Abend für Abend behütet von Gonçalo de Sousa Monteiro und seinem Team. Hier werden klassische Drinks und Eigenkreationen aus vorzüglichen Ingredienzien zubereitet, die Gonçalo mit nahezu wissenschaftlicher Akribie auswählt. Der ehemalige Architekturstudent beherrscht wie nur wenige seiner Zunftkollegen das Barhandwerk, ebenso wie die Rolle als Gastgeber. Frei von branchenüblichen Allüren sorgt er für eine Atmosphäre unprätentiöser Leichtigkeit, die zu meditativem Trinken ebenso einlädt wie zu mehr oder weniger geistreichen Gesprächen. Um eine Show abzuziehen, braucht man jedenfalls nicht ins »Buck & Breck« zu gehen, und so trifft man hier erfreulich selten auf Berlins notorisches Nachtlebengschwerl. In internationalen Bar-Rankings taucht das »Buck & Breck« regelmäßig unter den Top 50 der Welt auf – für mich ist es die Nummer eins.

    Buck & Breck 
    Brunnenstraße 177,
    10119 Berlin

    Fotos: Armin Smailovic