Tagsüber Lehrer, abends Ork

Live-Rollenspieler treffen sich im Wald oder auf leerstehendem Militärgelände – und spielen dort Ritter aus dem Mittelalter oder Mutanten aus der Zukunft. Der Fotograf Boris Leist hat sie porträtiert.


Name:
Boris Leist
Geboren: 1978 in Düsseldorf
Ausbildung:
Albrecht-Dürer Berufsschule in Düsseldorf, Ausbildung beim Fotografen Rüdiger Nehmzow
Instagram: instagram/larp_portraits

SZ-Magazin: Sie haben vier Jahre lang mehrere »Live Action Role Plays« begleitet. Wie läuft so eine Rollenspiel-Veranstaltung ab?
Boris Leist: Es gibt zwar ein grob umrissenes Setting für die einzelne Veranstaltung, etwa dass sie im Mittelalter, in der Zukunft oder in einer Fantasiewelt verortet ist, aber grundsätzlich entwickeln sich die Spiele eigendynamisch. Zum vorgegebenen Thema kreiert jeder Spieler einen eigenen Charakter mit komplexer Hintergrundgeschichte und kreativer Gewandung – häufig aus alten Theaterbeständen, die aber noch aufwendig umgenäht werden. Mit dieser Rolle bewirbt er sich dann und wenn sein Charakter überzeugt, darf er bei der Veranstaltung teilnehmen. Ein Organisationsteam aus Ehrenamtlichen kümmert sich um ein geeignetes Gelände – oft in einem Wald oder schon einmal auf leerstehendem Militärgelände – und um eine ordnungsmäßige Anmeldung der Veranstaltung. Schließlich kommen oft einige Hundert Spieler für mehrere Tage zusammen, da müssen auch sanitäre Anlagen und Rettungssanitäter gewährleistet sein. 


Was fasziniert Sie so an diesen Spielen?
Vor allem beeindruckt es mich, wie viel Zeit, Geld und Leidenschaft die Rollenspieler in ihr Hobby stecken und auf welch hohem Niveau sie ihre Ideen umsetzen. Einer besuchte zum Beispiel extra einen Schmiedekurs, um die Metallteile seiner vierlagigen Rüstung möglichst originalgetreu selbst herzustellen. Und im Fantasy-Genre ist es wichtig, sich in einer mittelalterlichen, fast schon geschwollenen Sprache auszudrücken: Die Rollenspieler sind also während der jeweiligen Veranstaltung, die in der Regel nur einmal jährlich stattfinden, wirklich voll und ganz in der Welt, die sie sich ausgedacht haben. Abgesehen davon trainieren viele aber auch das ganze Jahr über bestimmte Kampftechniken oder arbeiten an ihren Gewandungen. Viele Spieler nehmen auch an verschiedenen Veranstaltungen teil und bespielen unterschiedliche Genres.

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Welche Menschen spielen denn diese Rollenspiele?

Das ist das Schöne daran: Man trifft die unterschiedlichsten Menschen, Lehrer und KFZ-Mechaniker, egal welcher Herkunft oder Religion – es geht einzig und allein um den Charakter, den man spielt. Der älteste Rollenspieler, von dem ich gehört habe, ist über 90, er spielt einen Zauberer. Bei den meisten Veranstaltungen sind die Spieler aber zwischen 18 und 40 Jahre alt.

Spielen die Live-Rollenspieler jedes Jahr den selben Charakter?

Ja, meistens schon. Es geht den Spielern ja auch um die Weiterentwicklung ihres Charakters in seinen Fähigkeiten und Erfahrungen. Außerdem sind die Gewandungen – man spricht nicht von Kostümen – ja sehr aufwendig und teuer, manche kosten die Spieler 5000 Euro! Wenn aber ein Charakter stirbt, kann er nicht mehr mitspielen, das nehmen sie sehr genau. Für diesen Fall haben einige Spieler dann doch noch einen Zweitcharakter dabei.


Haben die Spieler Sie als Fotografen als störend empfunden?

Es war nicht immer einfach, mit Kamera bei den Veranstaltungen reinzukommen, weil einige schon schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht haben, die sie als »Spinner im Wald« darstellten. Ordnungsgemäß musste also auch ich mich mit einer Rolle und einer ausgedachten Story bewerben: Einmal spielte ich einen Mönch und meine Freundin ein Waisenkind, die vor einem Despoten im Kloster flohen. Es war ganz schon kompliziert, meine Ausrüstung unauffällig übers Gelände zu transportieren – das war nämlich auch eine Vorgabe. Die meisten Spieler nahmen mich aber freundlich auf und waren auch an professionellen Fotos interessiert – außer wenn sie gerade in einer Mission unterwegs waren, denn das Spiel geht immer vor. 


Womit kann man diese Rollenspiele am ehesten vergleichen: mit Computerspielen, mit Theater oder mit Abenteuer-Brettspielen?
Ich denke, es ist eine Mischung aus einem ganz komplexen Computerspiel und Improvisationstheater: Ähnlich wie in einem PC-Spiel schlendert der Spieler in einer fiktiven Welt oft einfach los und wartet, dass etwas passiert. Wenn plötzlich ein Trupp aufkreuzt, muss er reagieren, ohne zu wissen, was die anderen sagen oder tun werden. Das ist dann eine improvisierte Szene. Es gibt keine klaren Regeln wie bei einem Brettspiel, darum läuft es auch manchmal nicht ganz perfekt, weil die Spieler ja auch keine Schauspieler sind. Aber diese ungewisse Eigendynamik des Spiels ist ja das Spannende.

Welche Charaktere oder Szenerien haben Sie besonders beeindruckt?

Die Orks waren total gut gemacht, die Zombies waren extrem kreativ umgesetzt und auch die »Horden des Chaos« hatten sehr fantasievolle Rüstungen. Besonders faszinierend fand ich aber das »Mad Max«-Endzeit-Setting: Auf einem ehemaligen Militärgelände wird eine komplette Gemeinschaft gespielt, es gibt Irische Bars und Strip Shows – alles betrieben durch gespielte Charaktere. Eine Baracke wird von der »Armee des Stahls« bewohnt und es gibt eine richtige Hierarchie.


Können Sie sich vorstellen, dass diese Rollenspiele populärer werden?

Auf jeden Fall. In Deutschland ist die Szene ohnehin schon am größten. Durch andere populäre Bewegungen wie »Cosplay« trifft man auch in der Öffentlichkeit auf verkleidete Menschen – was auch dazu beiträgt, dass fantasievolle Spiele mehr und mehr gesellschaftlich akzeptiert werden. Es gibt auch schon einige kommerzielle Veranstaltungen wie das Drachenfest in Diemelstadt, bei denen teilweise 8000 Menschen teilnehmen. Ich denke, LARP wird kein Massenphänomen werden, aber zunehmend mehr Neugierige anziehen.

Fotos: Boris Leist