SZ-Magazin: Herr Raab, der deutsche Humor …
Stefan Raab: Was haben Sie denn da?
Einen iPod.
Nein, das andere.
Ein Mikrofon, das man auf den iPod steckt.
Wie? Wo gibt es denn so was? Das will ich auch haben! Ich habe immer noch dieses alte Diktiergerät in der Tasche. Hier.
Wozu haben Sie das?
Ich spreche da meine Ideen für einen Song oder einen Gag drauf. Nur irgendwann sind da die Ideen eines halben Jahres zu hören, die ich nicht mehr auseinander halten kann.
Was war die letzte Idee, die Sie auf Ihr Diktiergerät gesprochen haben?
Weiß gar nicht mehr. Wie gesagt, ich höre das nicht so oft ab. Fragen Sie mich, wenn ich mit Ihrem Gerät arbeite.
Kommen Sie! Eine Idee von Stefan Raabs Diktiergerät, die die Welt noch nicht kennt.
2004 in Istanbul nach dem Grand Prix. Wir hatten mit Max Mutzke nur den achten Platz gemacht. Die Stimmung war ziemlich im Keller. Wir saßen im Bus und fuhren weg vom Ort unserer Schmach. Ich dachte, eine witzige Idee muss jetzt sofort her. Der nächste Grand Prix würde in Kiew stattfinden. Ich sagte also: Wir schicken die beiden Klitschkos nach Kiew. Die müssen singen: »Bum, bum, bum, ich hau dich um.« Lustige Idee.
Aber dann haben Sie die auf Ihrem Diktiergerät nicht wiedergefunden.
Außerdem war die zweite Idee noch besser.
Nämlich?
Wir machen lieber eine ernst gemeinte Gegenveranstaltung zum Grand Prix, der ja eh nicht zu retten war. Wir machen den Bundesvision Song Contest.
Sie sagen: ernst gemeint. Der Bundesvision Song Contest klang ja erst mal wie eine Persiflage auf den Grand Prix.
Genau! Ist er aber nicht. Das ist der Trick. Auch Stefan Sucht Den Super Grand Prix Star, unsere kleine Castingshow, aus der Max hervorging – die schien ja zunächst auch wie eine Persiflage. Doch das Gegenteil war richtig. Der Witz lag darin, dass man es in die andere Richtung überspitzt: es nicht noch schlechter macht – wie man es normalerweise machen würde in der Comedy –, sondern andersrum, nämlich besser. Als Persiflage wäre das nur bedingt lustig gewesen.
Erklären Sie mal, warum.
Wie würde man den Bundesvision Contest denn machen als klassische Persiflage? Man würde wohl für jedes Bundesland einen Music-Act kreieren, der die Klischees des Landes überzeichnet und dabei noch möglichst bekloppt aussieht. Der Ostfriese kommt mit Holzschuhen, hat Segelohren, rechts und links Fische in der Hand und singt irgendwas, was ähnlich klingt wie An der Nordseeküste. Und der Bayer kommt mit einem Hackebeil und Gamsbarthut … Merken Sie was?
Ist gar nicht so witzig.
Exakt! Das säuft ab. Hätte man aber vor ein paar Jahren genau so gemacht. Plötzlich stellt man fest, wirklich spannend, hochwertig und interessant wird es nur dann, wenn man es ernst betreibt.
Daran lässt sich eine generelle Entwicklung im deutschen Humor festmachen. In den Siebzigern und Achtzigern bedeutete deutscher Humor: witzige Brillen, verrückte Perücken, vorstehende Zähne. Klaus und Klaus! An der Nordseeküste. Sage ich ja. Da haben wir die Brillen, da haben wir merkwürdige Physiognomien, einer groß, der andere klein. In den Neunzigern wurde diese Art von Humor abgelöst durch Leute wie Helge Schneider, Harald Schmidt und Sie, viel ambivalentere Figuren. Inzwischen gibt es so viele junge deutsche Komiker wie noch nie.
Ja. Ich finde das gut. Da kann man stolz sein. Wir halten inzwischen gut mit den US-Comedians mit. Deren Niveau ist nicht höher als unseres. Das Gerede von irgendwelchen Schlaubergern, Letterman und Leno seien lustiger als Schmidt, ist Unsinn. Das muss man sich mal eins zu eins über-setzen, dann merkt man, dass die auch nur mit Wasser kochen. Auch Chris Rock, Eddie Murphy.
Haben Sie irgendwann rausgefunden, wie es für Sie am besten funktioniert, lustig zu sein?
Meine große Spezialität: Ich kann von allem ein bisschen. Nichts richtig. Ich bin kein großer Stand-up-Komödiant. Klar, ich kann fünf Minuten am Stück dafür sorgen, dass ein paar Leute lachen. Aber nicht eine Stunde lang, wie Michael Mittermeier oder Mario Barth. Die sind da Spezialisten. Ich kann ein Programm machen, in dem ich was Lustiges erzähle, dann ein bisschen Musik mache, aber auch mal ernst bin.
Wie entscheiden Sie, was Sie mit Ernst betreiben und was nicht? Sie haben zum Beispiel kein Interesse, mit Ihren Studiogästen in TV Total ein ernsthaftes Gespräch zu führen.
Ich bevorzuge das atmosphärische Gespräch. Das geht inhaltlich nicht in die Tiefe, gibt aber dem Zuschauer die Chance herauszufinden, um was für einen Menschen es sich handelt, der da sitzt: Versucht der, krampfhaft lustig zu sein? Versucht der, mein Tempo mitzugehen, und kann es nicht? Ist der schlagfertig?
Der Rapper Eminem nutzte diese atmos-phärischen Gespräche bei Ihnen, um immer wieder auf Deutsch »Freifick« und »Muschi« zu rufen.
Das macht der jedes Mal, wenn er kommt. Also, dessen Kreativität ist auch begrenzt.
Sie bereiten keine Fragen vor?
Zehn Minuten vor der Sendung kommt einer meiner Autoren und liest mir die wichtigsten Karrierestationen des Gastes vor. Aber da befinde ich mich meist im Halbschlaf. Wenn ich Glück habe, erinnere ich mich an etwas.
In der Plattenindustrie gilt es trotzdem als abgemacht, dass ein Besuch in Ihrer Sendung die Plattenverkäufe massiver steigert als ein Auftritt in jeder anderen Sendung in Europa.
Wir haben offensichtlich die Zuschauer, die sich für Musik interessieren. Auch wenn Wetten, dass ..? die höheren Einschaltquoten hat: Es nützt ja nichts, im Altenheim neue, hippe Sneakers verkaufen zu wollen.
Sie sind damit der Pate des Musikgeschäfts.
Bleiben Sie auf dem Teppich. Ich bin mir sicher: Wenn ich das morgen nicht mehr mache, kräht kein Hahn danach.
Sie machen das aber immerhin schon seit zwölf Jahren.
Gott. Das klingt immer! Neulich musste ich sogar schon ein Doppelinterview mit Gottschalk geben. Treffen der Urgesteine deutscher Fernsehunterhaltung.
Damals haben Sie bei der Fußballweltmeisterschaft 1994 Guerilla-Comedy miterfunden: irgendwo hingehen, Kamera draufhalten, Witze über andere Leute machen.
Ja. Das war wirklich Guerilla, unvorstellbar heute. Wir sind für Viva zur WM gefahren ohne Geld, ohne Akkreditierung und ohne viel zu können. Zum Glück haben wir Beckenbauer getroffen. Der fand uns lustig. Auch dass wir jeden immer Böörti Vogts haben singen lassen.
Das fand der witzig?
Das fanden alle lustig! Im Pressezentrum war das Thema Nummer eins. Einmal saß ich mit Karl-Heinz Rummenigge am Tisch und habe gesagt: Hört mal, ich brauche noch Karten fürs Eröffnungsspiel. Da hat mir Rummenigge zwei verkauft. Verkauft, wohlgemerkt!
Dieses Guerilla-Ding war damals neu. Heute kommt es in jeder zweiten Sendung vor.
Das wird zwar viel gemacht jetzt, aber im Grunde funktioniert es nicht mehr. Ich hatte ja keinen Druck. Es gab keine Quoten, die zu erreichen waren. Noch nicht mal Messungen! Anhand der Fanpost entschied man, welche Sendung die erfolgreichste war.
Ihre Zuschauerzahlen sind schlecht zurzeit. Machen Sie sich Sorgen?
Wenn mich keiner mehr sehen will, gehe ich halt. Und das meine ich so gelassen, wie ich es sage.
Und man glaubt es Ihnen doch nicht.
Ist aber so. Das liegt vielleicht am Verlauf meiner Karriere. Ich glaube, die meisten, die im Fernsehen sind, zum Beispiel auch der Kollege Schmidt, die wollten da hin, unbedingt.Die wollten nie was anderes. Die haben mit 15 schon nach Aufmerksamkeit gesucht und sich in Theater-AGs engagiert.
Was wollten Sie mit 15?
Weiß nicht mehr. Musik machen vielleicht.
Haben Sie in einer Band gespielt?
Ja, ich habe schon mit zwölf in einer Rockabilly-Band Schlagzeug gespielt und gesungen. Die Besetzung war Schlagzeug, Gitarre und Saxofon. Kein Bass. Es gab keinen bei uns in der Klasse und auch nicht in der Parallelklasse, der Bass konnte.
Wie hieß die Band?
Wir hatten verschiedene Namen.
Den doofsten, bitte!
Ich wollte unbedingt einen englischen Namen, weil ich davon ausging, international Karriere zu machen. Wir waren aber erst in der sechsten Klasse und ich hatte leider in der fünften mit Latein angefangen und daher keine Ahnung von Englisch. Der Gitarrist hatte aber ein Aquarium zu Hause. Da waren Fische drin, die hießen Black Mollies. Wir dachten: Das klingt wie ein geiler Bandname.
Später haben Sie dann in einer christlichen Heavy-Metal-Band gespielt.
Nein. Sakro-Pop. Sakrale Popmusik. Zusammen mit Till Brönner. Wir haben Kirchentags-Songs gespielt, Herr, Deine Liebe und so, funky-soulig arrangiert.
Haben Sie einen christlichen Hintergrund?
Ich wurde in einem Jesuiten-Internat erzogen. Ich bin sicher kein Heide.
Sie sind gläubig?
Was heißt gläubig? Da muss man aufpassen. Wenn man so was in Interviews erzählt, wird man gleich mit Xavier Naidoo in einen Topf geworfen.
Glauben Sie an Gott?
Sagen wir so: Ich analysiere scharf. Ich bin Philosoph und der christlichen Lehre nicht abgeneigt.
Wenn Sie eine Mutter mit einer Schultüte im Arm als Dealerin bezeichnen und dafür wie letzte Woche zu einer Geldstrafe verurteilt werden – ist das für Sie nur ein Ärgernis oder beurteilen Sie das auch moralisch?
Sicher muss man das moralisch betrachten. Und da zählt: Meine Absichten sind rein. Ich will bestimmt niemanden verletzen. Ich kommentiere nur, was eh im Fernsehen gelaufen ist, mache also Witze über Menschen, die sich freiwillig exponiert haben. Wenn sich trotzdem jemand angegriffen fühlt, bedarf es normalerweise nur eines Anrufs hier in der Redaktion. Wir hören dann sofort auf. Das trifft natürlich nicht zu, wenn Oliver Kahn sich irgendetwas leistet. Als öffentliche Person muss der damit rechnen, dass er eins übergebraten kriegt.
Könnte man so weit gehen, dass Ihre Häme manchen öffentlichen Personen gegenüber sogar eine pädagogische Dimension hat? Dass Sie Chiara Ohoven, zum Beispiel, für ihre Hohlheit bestrafen wollen?
Bei allem, was ich mache, spielt Hass oder Verachtung keinerlei Rolle. Ich habe entweder ein gutes Verhältnis zu Menschen oder gar keines. Sicher, Chiara Ohoven ist eine sehr merkwürdige Person, die einen sehr merkwürdigen Stil pflegt. Das finde ich berichtenswert. Aber die schadet ja keinem. Ich möchte bloß nicht mit ihr tauschen. Es gibt viele arme Irre, die durch die Gegend laufen. Lass sie doch! Aber in dem Moment, wo diese Person das öffentlich tut, läuft sie Gefahr, dass ich das kommentiere.
Der Vorwurf an Sie lautet ja, dass Sie sich in das Leben anderer einmischen, Ihr eigenes aber abschotten. Was würde es ausmachen, wenn die Leute wüssten, dass Sie Freundin und Kind haben?
Schwer zu erklären. Ich empfinde es als eine Art Schutz, dass nicht jeder alles von mir weiß. Ich möchte auch nicht auf Partys gehen und mich an einem Sektglas festhalten. Mir wäre das unangenehm. Ich will vermeiden, dass andere über mich denken, was ich über die denke.
Was machen Sie stattdessen?
Ich gehe joggen, Rollschuh fahren, schwimmen.
Manchmal schlechte Laune?
Ja. Ich schlafe dann. Ich schlafe auch immer vor der Sendung 15 bis 20 Minuten, während der Maske. In diesem, sagen wir, Zeitfenster, entspannt sich alles, all der Stress geht fort. Manchmal müssen die mich wachrütteln.
Sie sollen ja astronomisch viel Geld verdienen. Mehr als alle anderen.
Wer sagt denn so was? Wie viel?
500 000 im Monat.
Echt? Wäre ich Dieter Bohlen, würde ich sagen: Da müsste ich mich aber ganz schön einschränken.
Was machen Sie mit dem ganzen Geld?
Ich kann hier natürlich keine Summen bestätigen. Ich sage nur so viel …
Sie haben sich neulich zwei Häuser gekauft.
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Dort leben Sie mit Ihrer Freundin und Ihrem Sohn.
Hochinteressant.
Also?
Schreibt, was ihr wollt. Je diffuser das Bild wird, desto lieber ist mir das. Ich bin für jede Verzerrung der Wahrheit über mich immer dankbar.