»Meine Tochter hört eigentlich nur Sido. Sie ist vier.«

In unserer neuen Musikkolumne #7Tage7Songs erzählen Prominente die Geschichten zu ihren Lieblingssongs. Den Auftakt macht Christian Ulmen.

1) »Live is life« von Opus.
»Das war meine erste Konfrontation mit Popmusik. Das erste Mal, dass ich die weltverändernde, dich meinende, herzzerreißende Kraft von Pop spürte. Bis ich 13 war, habe ich eigentlich nur Kindermusik gehört, Rolf Zuckowski, »Die Vogelhochzeit« und so. Das habe ich meinen eigenen Kindern als Vater nicht mehr vorgespielt, man erträgt es ja kaum. Heute gibt es Kindermusik, die nicht nach Pädagogik klingt, richtige Bands, »Deine Freunde« zum Beispiel. Die stiften schon für Fünfjährige Identifikationsmomente, regelrechte Protestsongs, gegen strenge Eltern oder gesunde Ernährung. Das Erwachsenwerden beginnt heute sowieso auch musikalisch viel früher. Mein Sohn hört Chartmusik, seitdem er acht ist, das ist kein Spätstarter wie ich. Dank ihm kenne ich alle Songs von Cro auswendig. Und meine Tochter hört eigentlich nur Sido. Sie ist vier.«

2) »Territorial Pissings« von Nirvana
»Mit 15, 16 Jahren hörte ich nur noch dreckige, übersteuerte E-Gitarrenmusik. Mit Guns’n’Roses fing es an, mit Sepultura ging es weiter, aber am meisten hat mich Grunge umgehauen, Nirvana allen voran. Wenn ich alleine war Zuhause, drehte ich ›Territorial Pissings‹ bis zum Anschlag auf und fühlte mich unsterblich und vor allem sehr rebellisch. Es hat Spaß gemacht, die gepflegten Vorgärten der bürgerlichen Hamburger Gegend, in der wir lebten, mit diesem herrlichen Drecksound zu überziehen. Schmutzige Musik wurde mein Alleinstellungsmerkmal auf der Oberstufe des Gymnasiums, das ich besuchte, als meine Freunde schon abgegangen waren oder andere Kurse belegten. Ich weiß noch, wie unser Gemeinschaftskundelehrer am Tag, an dem der Selbstmord von Kurt Cobain durch alle Medien ging, die Klasse fragte, wer dieser Mann denn gewesen sei. Er habe gelesen, so der Lehrer, dieser Cobain habe die Bedeutung eines Freddie Mercury, ob das denn stimme. Ich war der einzige, der das bejahte. Sein Tod, sagte ich, ist auch der Tod des Grunge. Ein Drama, jetzt gibt’s nur noch R’n’B. Die Klarinetten-Kinder um mich herum, die damals schon FAZ lasen und Einrad fuhren, widersprachen. Sie waren so alt wie ich und sagten, Cobain sei überschätzt, seine Musik nur eine Randnotiz, er könne ja nicht mal vernünftig singen. Da wusste ich: Ich muss hier raus, brauche aber noch dieses blöde Abitur.«

3) The Fugees – Ready Or Not
Ich fing schon als Kind an, im Radio zu moderieren, und hatte später im Offenen Kanal Hamburg eine selbstgemachte Fernsehsendung. Kurz bevor ich anfangen wollte, Evangelische Theologie zu studieren, damit meine Eltern mich in Ruhe ließen, bekam ich dann das Angebot, für MTV als Moderator nach London zu gehen. MTV! Ich konnte nicht fassen, dass ich Teil eines Senders werden sollte, der jeden Tag nach der Schule meinen Stundenplan vorgegeben hatte. Mit meinem Konfirmationsgeld hatte ich mir einen Fernseher gekauft. Wir trafen uns bei mir, wenn ein neues Guns’n’Roses-Video rauskam. Und jetzt traf ich unsere MTV-Gottheiten wie Vanessa Warwick oder Toby Amies jeden Tag persönlich. Kurz nach meinem Umzug nach London fanden die MTV Awards statt, das waren gigantische Veranstaltungen, alle kamen, von U2 bis Metallica. Ich sah mir die Proben an und war fasziniert davon, im Maschinenraum meiner Jugendträume zu sitzen. Der Blick hinter die Kulissen entzauberte die Popwelt nicht, im Gegenteil. Die Bandmitglieder von The Prodigy zum Beispiel zogen im echten Leben dieselbe Show ab wie in ihren Videos, sie waren immer The Prodigy, ich traf sie auf dem Herrenklo - und ich hatte Angst vor ihnen. Bei der Veranstaltung traten damals auch die Fugees auf. Ready Or Not. Ich war 20 und eigentlich noch überhaupt nicht bereit. London war die totale Überforderung für mich.

4) Skunk Anansie – Brazen (Weep)
Das lief hoch und runter während meiner Anfangszeit in London. Ich glaube, das erste halbe Jahr musste ich mir jeden Tag auf dem Weg nach Hause klar machen, dass ich das gerade wirklich alles erlebe. Ich wohnte zuerst in der Oxford Street, mittendrin, aber in einem Kellerloch. Ich hatte mich verarschen lassen und zahlte dafür 800 Pfund im Monat, drei Viertel meines Gehalts gingen dafür drauf. Irgendwann zog ich nach Camden, da war’s etwas günstiger. Und schöner. Ich hatte vorher nur Zuhause gelebt. Ich wusste gar nichts. Nichtmal, wie man mit dreckigem Geschirr umgeht. Als es in der Küche zu riechen begann, habe ich die Teller einfach weggeschmissen und mir neue gekauft. Das ist leider kein Witz.

5) Xavier Naidoo – Führ Mich Ans Licht
1998 regionalisierte MTV sein Programm. Ich zog nach Berlin und sprach im Fernsehen wieder Deutsch. Plötzlich lief auch wieder viel mehr deutsche Musik. Vor allem Xavier Naidoo. Deinen Namen trägt mein Herz. Dein Fehlen ist mein Schmerz- So rein zu sein wie du. Zeig' wie ich das tu'… Ich kann nicht sagen, dass ich Naidoos Musik sehr gemocht habe. Aber ich kann auch nicht bestreiten, dass sie in meinem Hirn funktioniert hat. Warum kann ich denn verdammt noch mal diesen Text immer noch auf Anhieb?

6) Fischmob - Du (Äh, Du)
»Noch so ein Songtext, den ich nie vergessen habe. Aber der kommt auch heute noch aus tiefstem Herzen. Sie hat’n Händedruck, der Hände bricht. ‘N Gesichtstattoo, das Bände spricht. Ihr Rücken ist breiter als vom Hafenarbeiter. Und beim Bizepsvergleich werd ich nur Zweiter – leider.. Ich glaube, ich bin eigentlich, was meinen Musikgeschmack angeht, in dieser Hochphase der Hamburger Musik Ende der Neunziger Jahre stecken geblieben. Fischmob, Die Sterne, Fünf Sterne De Luxe. Danach hat Pop in mir nie wieder wirklich etwas entfacht. Ich höre noch immer gerne Radio, vor allem beim Autofahren. Aber lieber Wort als Musik. Deutschlandfunk, volles Programm. Zuhören ohne hinzuhören. Hauptsache keine schreienden Moderatoren.. Aktuelle Musik, die mich begeistert, finde ich eher auf Facebook, wenn jemand ein Video postet. Letztens habe ich so einen Live-Auftritt von Alicia Keys bei Jimmy Kimmel entdeckt. Fantastisch.«

7) Fargo – Main Theme
»Bei den Dreharbeiten zu ›Jerks‹ lief eigentlich nie Musik. Aber ich hatte permanent irgendwelche Beats im Kopf. Fahri Yardım und ich haben ja alles improvisiert, es ging also vor allem um Rhythmus, um Timing. Die Beats, die jetzt in der Serie zu hören sind, das sind Eigenkreationen. Aber ich wurde beim Spielen auf jeden Fall beeinflusst von diesen Schlagzeugbeats aus dem großartigen Film ›Birdman‹. Oft hatte ich auch diese Anfangsmelodie von ›Fargo‹ im Kopf, die ich sehr geliebt habe. Große Serie. Das sind wohl heute die Sounds, die mich umfloren und beeinflussen: Scores und Titelsongs von Serien, die ich exzessiv gucke.«

Christian Ulmen, 41, Schauspieler, Entertainer, Regisseur und Produzent, vereint alle diese Rollen in seiner neuen Serie »jerks«, die immer dienstags um 23.15 Uhr auf ProSieben und danach auf prosieben.de/jerks zu sehen ist.

Foto: dpa